19. November 2011

Warum lieben wir Verschwörungstheorien?

Roswell: Es gibt nicht mehr, als das was du siehst.
Oder sollte die richtige Frage lauten: Warum fallen wir Verschwörungstheorien so schnell zum Opfer? Ich glaube, zum einen sind sie einfach oft etwas aufregender, als das was sonst so wirklich passiert. Wir scheinen alle eine Lust an der Sensation zu haben. Die Anschläge am 11. September waren so schon ziemlich sensationell, aber wenn es dann noch durch die US-Regierung organisiert war, dann schlägt das doch dem Fass den Boden aus. Oder Roswell: Wäre es nicht toll, wenn es wirklich Außerirdische waren, anstatt nur ein paar missglückte Flugtests von Tarnkappenbombern? Was ist mit der Mondlandung? Ziemlich spektakulär. Aber nach einigen Jahren ist der Lack ab. Langweilig. Jetzt wäre es eine größere Sensation, wenn nie jemand auf dem Mond gewesen wäre. Dann gibt es noch solche, die bestimmten Interessen in die Hände spielen, z.B. die Theorie, dass es keine Erderwärmung gäbe, sondern alles nur von bösen Wissenschaftlern und Journalisten erfunden sein.

Lust und Faulheit
Die Lust daran, die Sensation, das ist das eine. Aber warum glauben so viele Leute ganz fest und unumstößlich an solche Theorien? Was steht psychologisch dahinter? Im Artikel Der Graben zwischen Wissen und Handeln habe ich von Kahnemans zwei Systemen oder Typen von mentalen Operationen geschrieben: Typ 1, das zu Schnellschüssen neigende intuitive und assoziative Denken und Typ 2, das kontrollierte und logische Denken. Wie alle Tiere, sind wir evolutionär darauf erpicht, Energie zu sparen (übrigens auch ein Grund, warum wir dick werden), vulgo: faul zu sein. Die mentalen Operationen vom Typ 1 sind viel unaufwendiger und benötigen nicht so viel Energie, wie das logisch angestrengte und bewusste Nachdenken. Wenn immer wir können, nutzen wir also die wie von selbst sich einstellenden Kurzschlüsse unseres Gehirns.

Kohärenz, Kausalität und selektive Wahrnehmung
Diese mentalen Typ 1 Operationen können einiges außerordentlich gut, z.B. Kausalität vorwegnehmen: Was passiert, wenn die Milchflasche auf den Küchenboden fällt? Außerdem können wir mit diesem System ohne Aufwand Kohärenz feststellen. Wir lieben Kohärenz, also das Zusammenpassen und Ineinandergreifen der Geschehnisse, Objekte und Tatsachen. Wir opfern in der Wahrnehmung sogar Fakten, wenn sie nicht zu unseren angenommenen Voraussetzungen passen: "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf." Das geht soweit, dass wir eine Welt sehen, die sich weit widerspruchsloser in unsere Glaubenssysteme einpasst, als es "die Realität" könnte. Eine dritte Komponente des faulen Teils unseres Gehirns ist, dass es annimmt, es gäbe nicht mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Warum nach mehr fragen, wenn wir doch aus den gegebenen Bruchstücken eine kausal kohärente Geschichte erzählen können, die auch noch aufregend ist?

You can give details and say this information is probably not reliable, and unless it is rejected as a lie, people will draw full inferences from it. What you see is all there is.

In Kombination verursachen die drei ziemlich irreführenden Aspekte Kohärenz, Kausalität und selektive Wahrnehmung ein ungeheures Vertrauen in die eigene Version der Weltsicht. Deshalb sind wir Verschwörungstheoretiker auch nicht von der Absurdität unserer Theorien zu überzeugen. Im geschlossenen System unserer Psyche fühlt es sich wie die absolute Wahrheit an. Dieses Gefühl ist so stark, dass ein Hinterfragen es nicht erschüttern kann. Am Ende kann das zu einem individuellen Wahn oder auch kollektiven Wahn führen, wie wir an der Legende der "heimlichen Weltherrschaft durch die Juden" gesehen haben. Wir müssen unseren Geist öffnen, die Energie investieren und uns zu mentalen Operationen vom Typ 2 zwingen. Um uns zu bessern, müssen wir uns beim nächsten Mal, wenn wir wieder so überzeugt sind von unserer Sicht der Dinge, vielleicht auch vergegenwärtigen, dass dieses restlose von einer Theorie überzeugt sein kein Kriterium für die Beweisbarkeit ist, sondern lediglich ein psychologisches Kriterium für die Kohärenz dieser Theorie in meinem Kopf (und vielleicht in den Köpfen einiger anderer Irrer).

Verschwörungstheorien sind einfach auch tolle Geschichten

Vom Lagerfeuer zum Internet
Verschwörungstheorien sind einfach auch tolle Geschichten. Sie sind das, was vor dem Anbruch des Informationszeitalters die Märchen, Legenden und Horrorgeschichten am Feuer waren. Sie befriedigen dieses Bedürfnis nach dem Mehr, das wir uns von der Welt erhoffen. Diese schnöden Wahrheiten des Heute Journals? Das kann doch nicht alles gewesen sein!

So weit verstehe ich das und kann das tolerieren. Was mich daran jedoch stört, ist eben diese Faulheit im Denken und Wahrnehmen. Sie führt im Extrem zu Krieg und Tod (denken wir an die Legende von den Massenvernichtungswaffen des Irak). Wir müssen heute nicht wie die Leute vor Hunderten von Jahren auf die lückenhaften Geschichten von ein paar wenigen weit gereisten Handelsleuten oder Kriegern vertrauen. Wir haben so viele - und wenn wir nur wollen - auch unabhängige, gut recherchierte und "first hand" Nachrichten, dass die Hingabe an Verschwörungstheorien ein Armutszeugnis ist. Wir haben nicht genau hingesehen, nicht weit genug hinterfragt und nicht gründlich genug gedacht, wenn wir uns von der vermeintlichen Kausalität solcher Legenden beeindrucken lassen. Wir lassen Krieg und Hunger zu, weil wir zu faul zum denken sind.

Kommt die Welt ohne meine Version der Wahrheit wirklich nicht aus?
Ich sage nicht, dass wir immer alles wissen können oder dass prinzipiell jede haarsträubende Geschichte falsch ist. Leider ganz und gar nicht. Aber ich finde, wir sollten den Arsch in der Hose haben, zuzugeben, dass wir nicht alle Fakten kennen und uns deshalb kein abschließendes Urteil erlauben. Ehrlich: Ich weiß es nicht zu hundert Prozent, wer wirklich hinter dem 11. September steckt. An diesem Punkt kommen wir zu einer letzten unvorteilhaften psychologischen Neigung: Closure. Wir ertragen es schlecht, mit etwas nicht abschließen zu können, etwas einfach im Raum als ungeklärt stehen lassen zu müssen. Wenn wir wirklich meinen, diese Welt wäre ohne unser ganz persönliches Urteil ein Stück ärmer, dann können wir uns immer noch an Ockhams Rasiermesser halten: Steht man vor der Wahl mehrerer möglicher Erklärungen für ein und dasselbe Phänomen, soll man diejenige bevorzugen, die mit der geringsten Anzahl an Hypothesen auskommt und somit die "einfachste" Theorie darstellt. Und das kann man von den oft hanebüchenen Verschwörungstheorien sicher nicht behaupten. Zuzugeben, dass wir es einfach nicht wissen, stünde uns oft aber gut an. Schon damit wir den Rattenfängern (siehe Holocaust, Irak-Krieg und globale Erwärmung) nicht auf den Leim gehen. Aber auch einfach, um nicht im nächst besten Internetforum der Blödmann zu sein.

11 Kommentare:

  1. Und eigentlich passt es doch ganz gut zu der Sache, die Dir neulich mit Deinem Nachbarn passiert ist: Irgendwer muss Schuld sein, auch meinen Schrammen. Verschwörungstheorien passen zur menschlichen Neigung, die Schuld im außen zu suchen, unterstützen die angeborene? Faulheit, um nicht vor der eigenen Haustür kehren zu müssen. Verschwörungstheorien sind das Gegenteil von Selbstverantwortung und Selbsterkenntnis, und sie verbauen den Weg, dorthin zu kommen.

    Und damit landen wir aber auch wieder bei der Systemtheorie: Jedes System bezieht die Dinge auf sich, sieht sie ggf. potentiell als Bedrohung der eigenen Stabilität an und bastelt eine Geschichte daraus... und schon haben wir eine Gruppe/Denkweise, die wir aus dem System exkludieren, notfalls mit Gewalt, denn sie destablisieren ja das System.

    Was ich interessant finde, dass wir uns lieber an Verschwörungstheorien halten, als solche Infos zu verfolgen: http://www.sein.de/gesellschaft/neue-wirtschaft/2011/das-kapitalistische-netzwerk-das-die-welt-regiert.html Aber: Dann müsste man selbst nachdenken, handeln, anders einkaufen, "verzichten", über die eigene Geldanlage in Frage stellen ebenso wie das System "Zinswirtschaft", und man würde nachfragen, sich informieren... Ach so, ich vergaß, wir sind erpicht darauf, Energie zu sparen, na dann machen wir mit bei der "Energiewende" und das reicht. ;)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ich stimme dem teilweise zu das verschwörungstheorien das gegenteil von selbstverantwortung sind. ich habe mich lange zeit mit verschwörungstheorien befasst und ja, ich glaube daran. weil es für mich einen sinn ergibt. ich habe erkannt das ich lange zeit mich damit befasst habe um zu mir zu finden und zu erkennen das ich für mich verantwortlich bin. ich habe über den weg dieser theorien zu mir gefunden und bin immer noch auf der suche nach mir. und dazu gehört erkennen und versuchen zu verändern und dafür muss man vorallem wissen was man will in den alltäglichen dingen. und um zu wissen was ich will kann ich lernen auf meinen körper und meinen geist zu hören. und wenn ich es schaffe ab und zu einfach nur da zu sein, zufrieden und dankbar zu sein wen interessieren dann schon verschwörungstheorien?!

      Löschen
  2. ein super Kommentar!
    vor der eigenen Haustür kehren, selbst nach-/hinterfragen etc.
    Ich meine dass wir im Kern immer wieder darauf zurückkommen und das ist bei 20.00 Entscheidungen pro Tag keinesfalls trivial, sondern ein Grund für systemisches, systematisches und proaktives change-management...
    Ich habe Hunderte Quellen zur Ausgrenzung des/r Andersartigen gesammelt...

    "Eine neue Idee, die inkonsistent mit einigen seiner Überzeugungen ist, bedeutet die Notwendigkeit, seine Gedanken neu zu ordnen; und dieser Prozess ist arbeitsintensiv und erfordert eine *schmerzhafte Aufwendung an Gehirn-Energie*"

    http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/ArthurKoestler_kuensterkolonie_berlin_de

    Wir sehen, die Kunst hat wieder mal die Wissenschaft vorweggenommen ;-) ;-)
    vgl. Joshua Greene, D. Kahnemann etc.

    AntwortenLöschen
  3. 20.000 muss es heissen,
    difficult to handle daily tasks,
    also den angeblich trivialen Alltag managen, in dem uns EINE anonyme 'Jemand' den Rücken freihält...
    http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/KathleenVohs_umn_edu

    AntwortenLöschen
  4. Erstmal zum Link: Das ist sowieso eine unglaubliche "Fundgrube", die hier zusammengetragen wurde, die Sie ja öfter einflechten! Absolut spannend und faszinierend!

    Ich finde das sehr treffend ausgedrückt, dass der Schlüssel zum Problem in der neuen Idee liegt, "die inkonsistent mit einigen seiner Überzeugungen ist". Soviel auch zur "Unvoreingenommenheit" von Forschung und beim Aufstellen von Theorien...

    Passt zwar nicht ganz um Thema "Verschwörungstheorie", aber dafür zum Kontext "Wie wir an Überzeugungen festhalten": Gestern hab ich "Cheyenne - This Must Be The Place" gesehen". Sean Penn verkörpert perfekt einen 50-jährigen ehemaligen Rockstar, der verkörpert, wie das Leben eines Menschen durch einmal getroffene Entscheidungen bestimmt wird, die sich wie ein Selbstläufer in einem Verhaltensmuster und in einer festen Weltsicht manifestieren, sichtbar nicht nur beim Hauptdarsteller, sondern auch den kleinen Figuren am Rand. Der Film ist absolut skurril - so wie das Leben eben ;) http://cheyenne-derfilm.de/

    AntwortenLöschen
  5. Bitte, ich habe mir den Artikel durchgelesen und erlaubt mir, ein paar Gegengewichte zu setzen:
    http://www.youtube.com/watch?v=rPnv1MyhDwI
    http://www.youtube.com/watch?v=mznMl7Ud7Bw
    http://www.hintergrund.de/201106031573/globales/kriege/den-krieg-in-libyen-verstehen.html
    Sehr gute Seite: http://www.wissensmanufaktur.net/
    Vor allem diese:
    http://www.wissensmanufaktur.net/azk2011
    Und das dritte bei "Externe Videos"
    http://www.scilogs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/netzkulturen/2011-07-05/was-wurde-eigentlich-aus-dem-waldsterben
    Und zum Schluss: http://www.youtube.com/watch?v=-LwlqTTEzeY

    Bitte schauen! Es geht mir nicht darum, Sensationen, "Verschöwurngstheorien" zu verbreiten, es geht mir einfach darum, dass man auch die anderen Seiten sieht, die nicht so zum Zuge kommen. Und das ist eigentlich etwas, mit dem man nie aufhören sollte, oder?

    AntwortenLöschen
  6. Ich bin mit Herren wie Andreas Popp (Wissensmanufaktur) etwas vorsichtig. Seine AG http://www.lor-ag.com/ handelt mit Gold und sein Ziel ist, die Leute zu motivieren, in Gold anzulegen, davon profitiert dann sein hauseigener Investmentfonds...

    Die "anderen Seiten" zu betrachten, wie z.B. Michael Collon sich bemüht (hintergrund.de) wie auch andere Dokumentarfilmer und Journalisten, finde ich gut und wichtig, solange es um "Ich will verstehen" und nicht "Ich will's Euch jetzt mal erklären, weil ich der Wissende bin" geht. Verstehst Du den Unterschied? Popp will m.E. nur erklären, es geht nicht unbedingt darum, zu verstehen oder die eigenen Interessen darzulegen wie z.B. die eigene Gold-AG im Hintergrund. Wenn man dagegen mit der Haltung "Ich will verstehen" rangeht, dann ist man offen und kritisch, kann sich den Sachverhalten möglichst wertneutral - neugierig - nähern, gleich einem Kind "Sag mal, wie funktioniert das eigentlich?". Dann ist man auch weniger geneigt, Verschwörungstheorien zu glauben als die Augen offen zu halten oder selbst zu forschen wie z.B. gute - seriöse - Journalisten es tun oder das Schweizer Team s. mein Link oben.

    AntwortenLöschen
  7. Mal wieder sehr interessant. Ich habe mal einen Vortrag über Erich Ludendorff und seine Verschwörungstheorien in Bezug auf die Freimaurerei erstellt.
    Fazit meines Vortrages war: Verschwörungsttheoretiker haben eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung.
    Am Beispiel Ludendorff war das ganz schön zu illustrieren, hoher Aufstieg, tiefer Fall --> Kontrollverlust --> Selbstwirksamkeitserwartung sinkt --> Verschwörungstheorie stabilisiert die Psyche.

    AntwortenLöschen
  8. Hallo Jan, interessante Zusammenhänge, die du da andeutest! Klingt für mich auf den ersten Blick auch plausibel. Allerdings müsste man - um das verallgemeinern zu können, mehr Empirie zu sehen. Interessant wäre z.B. wie Selbstwirksamkeitserwartung gemessen wird. Haben wir nicht alle - wenn wir nicht größenwahnsinnig sind - eine relativ geringe Selbstwirksamkeitserwartung? Etc.

    AntwortenLöschen
  9. Letzteres sehe ich auch so. Bei Herrn Ludendorff kommt aber dazu, daß er vorher Jahre lang de facto diktatorischen Status innehatte und dann erleben musste, wie ihm alles entglitt. Der Mann hat ja Entscheidungen von historischer Tragweite getroffen und hatte die Folgen seines Handelns ja direkt vor Augen. Mit dem Ende des Weltkrieges ist er dann nicht nur zum Statisten sondern zum machtlosen Zuschauer verdammt worden. Ein derartiger Kontrollverlust ist für die Psyche sicher nicht einfach wegzustecken. Aber wie Du schon sagst, das klingt für diesen Einzelfall vielleicht plausibel, ist aber selbst ebenso wissenschaftlich wie einer Verschwörungstheorie ;-)

    AntwortenLöschen
  10. Schöner Beitrag. Das Problem bei Verschwörungstheoretikern ist, dass sie sich selbst oft für die einzig wirklich Wissenden, für die Erleuchteten mit der einzigen Wahrheit halten, und daher alle anderen Meinungen ignorieren.
    Im Endeffekt zeigen sie genau die Ignoranz, die sie den aus ihrer Sicht Unwissenden vorwerfen: sie ignorieren alles, was gegen ihren Glauben geht.

    Und wie bereits beschrieben, werden echte Missstände aufgrund des ganzen Verschwörungshumbugs dann oft übersehen.

    AntwortenLöschen

Top 5 der meist gelesenen Artikel dieser Woche