18. Januar 2012

Fromm und Alltag, Dienst und Schnaps

Elisabeth Göhring von Marketing-Springer nimmt ein sehr schön einleuchtendes Zitat von Erich Fromm und denkt über ein Problem nach, das viele von uns kennen: Grenzziehungen auf der Arbeit. Kann es im Büro Freunde geben oder nur Kollegen?
"Die konkreten Beziehungen zwischen den Menschen haben ihren unmittelbaren und humanen Charakter verloren. Stattdessen manipuliert man einander und behandelt sich gegenseitig als Mittel zum Zweck. [...] Es ist, als ob es sich nicht um Beziehungen zwischen Menschen, sondern um solche zwischen Dingen handelte." (Erich Fromm in Authentisch leben)
Privat sind wir uns nahe. Aber steht er mir in seiner Rolle als Chef des Vertriebs gegenüber, verhält er sich wie ein Arschloch. WIE KANN ER NUR! Wie kann es sein, dass er mir andauernd in den Rücken fällt, wenn es darum geht, welche Erfolge auf seinem oder unserem Mist gewachsen sind. Die streichen mir noch das Marketing-Budget auf Null zusammen, nur weil mein "Freund" grundsätzlich alle Erfolge auf sein Konto bucht. Ja, beim Geld hört der Spaß auf! Das weiß doch jeder.

"Nimm's nicht so tragisch, Kleine", meint er tatsächlich nach dem Meeting, bei dem er nicht ein Wort zu meiner Verteidigung hervorgebracht hat und seelenruhig zusah, wie die Leitung Belege für unsere Leistungen forderte. Ich konnte keine liefern, denn unsere Marketing-Maßnahmen und unser Material spielen letztendlich dem Vertrieb zu. Es liegt in seiner Verantwortung, wenn seine Leute unsere Aktivitäten nicht als Referenz angeben. Denen werde ich's zeigen! Die bekommen ab jetzt Material mit Druckfehlern, und bei den Events gibt es Sauerkrautsaft.

Ach ja, morgen sind wir zum Tennis verabredet. Da werde ich wohl ein Wörtchen mit ihm reden müssen.

Am nächsten Tag spricht sie ihn tatsächlich bei einem Glas Bionade nach dem Match auf ihren Ärger an. Sie nennt sein Verhalten "unkollegial" und "fies". Unter den Umständen kann man doch nicht mehr befreundet sein, findet sie.

Aber er ist sich sicher: Arbeit und Leben muss man auseinander halten können. Schließlich sei sie doch auch nicht sauer, wenn er beim Tennis mal ein Match gewinne.

Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.



Wie ist es bei Ihnen mit Freunden auf der Arbeit? Haben die "konkreten Beziehungen zwischen den Menschen [...] ihren unmittelbaren und humanen Charakter verloren"? Wie wirkt sich die zunehmende Entsachlichung und die immer flacheren Hierarchien auf die Beziehungen unter Kollegen aus? Lassen Sie es uns über die Kommentare wissen!

3 Kommentare:

  1. Kompliziertes Thema...
    Im Rahmen meines Studiums habe ich den "Imperialismus" des Wettbewerbsparadigmas in unheimlich vielen Gesellschaftsbereichen untersucht. Vereinfacht ausgedrückt werden immer mehr Subsysteme der Gesellschaft vom Wettbewerbsdenken überlagert, das geht so weit, daß die eigene Funktionslogik dieser Systeme, zum Beispiel Sport oder Bildung (dort geht es um Sieg/ Niederlage bzw. um Wahrheit/Unwahrheit) aufgehoben wird und durch Gewinn/Verlust ersetzt wird.

    Ich glaube, durch die gewollte Implementation von Wettbewerbsprinzipien in immer mehr Bereichen, hat man einen sich verselbstständigenden Prozess ausgelöst. Natürlich gab es schon immer Wettbewerb, auch unter Kollegen, aber die Intensität hat durch die gefühlte Wahrnehmung von zum Teil nur vorgetäuschter Ressourcenknappheit enorm zugenommen.
    Wir haben das Wettbewerbsprinzip schon sehr stark internalisiert.
    Das geht ja soweit, daß Menschen sich in Scharen auf Sportportalen anmelden, wo sie ihre Joggingleistungen mit anderen Usern vergleichen können.
    Können wir unseren eigenen Wert nur noch im Vergleich zu anderen definieren?
    Ist vielleicht dieses enorme Wettbewerbsdenken auch dafür Verantwortlich, daß wir uns von der Gemeinschaft zur Gesellschaft entwickelt haben, bzw. schon die nächste Stufe der Vereinsamung ansteuern?

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  2. Die meisten können damit schlecht umgehen:
    wie S. Covey sagt: "Das Problem ist doch, dass viele, die Autoritätspositionen innehaben, den wirklichen Wert und das wahre Potenzial ihrer Mitarbeiter nicht erkennen und
    !die Natur des Menschen nicht richtig verstehen!
    Sie managen ihre Leute wie Dinge"
    http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/SC_stephencovey_com

    oder nur als Heiratsmaterial betrachten:
    http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/Chinesinnen_manuela_meurer_de


    "CANDACE FLEMING’S résumé boasts a double major in industrial engineering and English from Stanford, an M.B.A. from Harvard, a management position at Hewlett-Packard and experience as president of a small software company...
    When a third financier discovered that her husband was also a biking enthusiast, she says, he spent more time asking if riding affected her husband’s reproductive capabilities than he did focusing on her business plan
    http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/CandaceFleming_masshightech_com

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  3. Ich finde diesen Tennisspieler eigentlich ziemlich unangenehm! Versachlichung von Beziehungen ist sicher eine Kunst. Und nach diesem Dialog zu urteilen, eine Kunst, die dieser Tennisspieler nicht beherrscht. Für mich reflektiert sich da ein fatale Entweder/Oder-Haltung, die - wenn ich auch mal vereinfachen darf - an so ziemlich jedem Übel dieser Welt irgendwie beteiligt ist. Was mir an mir auffällt: Es ist nicht einfach freundschaftliche Beziehungen besonders über Hierarchien hinweg auffrecht zu erhalten, denn Macht macht einen zum Arschloch (wie oben schon angesprochen). Nur mit Reflexion und Selbstkontrolle verhindert man, dass man das eigene organisatorisch Höhergestelltsein nicht missversteht und als ein Bessersein auf sein gesamtes Leben überträgt. Wenn ich das verstanden habe, dann kann ich auch eine FAIRE sachliche Beziehung zu Freunden auf Arbeit aufrecht erhalten. Und das FAIRE fehlt da oben: Denn ob nun Freunde oder nicht, der Tennisspieler hätte auf jeden Fall den Beitrag des Marketing-Teams würdigen und ausweisen müssen. Das ist keine Frage von Freundschaft, sondern von Arschloch oder nicht.

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