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8. August 2015

Warum wir unserer Intuition misstrauen sollten

Oft denken wir, wir seien gute Menschenkenner, genaue Beobachter oder besonders scharfsinnig. Psychologen jedoch sagen uns, dass wir nicht annähernd so gut funktionieren, wie wir meinen.

In ihrem neuen Buch Der unsichtbare Gorilla: Wie unser Gehirn sich täuschen lässt haben Dan Simons, Professor der Psychologie an der University of Illinois und Christopher Chablis vom Union College die Funktionsweise unseres Gehirns bei der Verarbeitung visueller Reize untersucht. Die beiden Psychologen sind besonders daran interessiert, wie das, was wir sehen, unsere Selbstwahrnehmung beeinflusst. Das Buch geht dabei sechs alltäglichen Illusionen über uns selbst auf den Grund, die unser Leben grundlegend beeinflussen. Die Autoren meinen, wir unterlägen Illusionen hinsichtlich unserer Aufmerksamkeit, unseres Erinnerungsvermögens, unseres Selbstbewusstseins und Wissens, Illusionen über Ursachen und Wirkung und Illusionen hinsichtlich unseres eigenen Leistungsvermögens.

"Das Buch dreht sich darum, wie intuitive Annahmen über unseren eigenen Geist und seine Leistungsfähigkeit sehr oft grundlegend falsch sind. Wir neigen dazu, unsere Intuitionen für unfehlbar und großartig zu halten, dabei sind sie vor allem armselig. Und das hat Konsequenzen."

Die Psychologen meinen, dass unsere kognitiven Fähigkeiten nicht annähernd so zuverlässig sind wie wir denken. Und dieser Irrtum kann äußerst unangenehme Folgen haben, nicht nur wenn wir Entscheidungen treffen müssen, sondern auch in unserem Urteil zu kontroversen Themen.

Der unsichtbare Gorilla

Simon und Chablis begannen Ihre Untersuchungen mit einem ganz einfachen Experiment, das viele bereits aus dem Video "Gorillas unter uns" (siehe unten) kennen. Es verdeutlicht das Phänomen der inattentional blindness, wenn wir etwas ganz offensichtliches nicht sehen, weil unsere kognitiven Ressourcen anderen Vorgängen gewidmet sind.




Simons und Chablis schlussfolgern, dass wir eine enorme Menge dessen, was um uns herum passiert, nicht wahrnehmen, wir aber zugleich unsere Wahrnehmungsfähigkeiten deutlich überschätzen. Sie zeigen mit ihren wissenschaftlichen Ergebnissen und Einzelbeispielen, dass unsere Intuition davon abhängt, was wir wahrnehmen und erinnern können und dass genau diese kognitiven Kapazitäten Grenzen haben, die uns oft nicht bewusst sind.

Misstraue deiner Intuition

Im Endeffekt heißt das also, dass unsere Intuitionen wenig verlässlich sind, da sie auf sehr dürftigen Informationen beruhen. Diese Perspektive ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil sie dem Trend der Populärpsychologie und Selbsthilfepraxis, die uns gern weismachen wollen, dass wir unseren Intuitionen vertrauen sollen, entgegensteht. Auch dem Mythos, dass wir nur einen kleinen Teil der Kapazität unseres Gehirns nutzen, ist damit widersprochen. Offenbar ist seine Kapazität bereits durch ein paar Sinneseindrücke und kognitive Vorgänge ausgereizt.

Simons und Chablis zeigen darüber hinaus, dass wir in vielen alltäglichen Situationen, zum Beispiel wenn es um finanzielle Abwägungen geht, mit traumwandlerischer Sicherheit die falschen Entscheidungen treffen, weil wir uns auf unsere Intuition verlassen und unsere kognitive Leistungsfähigkeit systematisch überschätzen.

Gefährliche Selbstüberschätzung

In anderen Situationen kann das Überschätzen unserer Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit sogar lebensgefährlich sein, wie Simon findet: "Es ist eine Selbsttäuschung, ohne dass wir uns dessen bewusst werden. Solche Täuschungen können uns veranlassen, gefährliche Dinge mit einem falschen Sicherheitsgefühl zu tun, zum Beispiel wenn wir mit dem Smartphone hantieren, während wir Auto fahren."

Dieser Artikel erschien unter der Creative Commons License 4.0 auf Englisch (Why our intuitions are often wrong von Steve McGaughey) und kann entsprechend weiter verbreitet werden.



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7 Kommentare:

  1. Gefühlt gibt es seit einigen Jahren einen ziemlichen Intuitionshype. Gut das mal entsprechend einzuordnen. Es braucht ja eigentlich nur jeder mal nachdenken, wie oft er mit eigenen intuitiven Entscheidungen schlechter gefahren ist als mit Fakten basierten Entscheidungen.

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    1. Stimmt, mir fällt da einiges ein, das ich hätte bewusster entscheiden können.

      Den Hype gibt es nicht nur gefühlt, sondern ganz manifest zusammen mit anderen Trends wie Buddhismus, Meditation und allen Dingen, die uns zu sagen scheinen, dass die Wahrheit in der Entspannung liegt, im leeren Geist, im Nichtstun. Ich will das nicht komplett in allen Aspekten für Blödsinn erklären, aber in weiten Teilen ist es einfach die Suche nach Entlastung. Nachdenken, konzentrieren und bewusst entscheiden sind aufwendige Prozesse, für die man Kapazitäten benötigt, die vielleicht einfach rar werden.

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    2. Ich würde Intuition auch nicht per se ablehnen.

      Ein Gebiet wo Intuition Sinn machen kann ist m.E. nach folgendes: Jemand, der in einem bestimmten Fachgebiet langjährige, professionelle Erfahrung hat, kann mit Hilfe der so erworbenen Intuition komplexe Fragen manchmal besser (auf alle Fälle schneller, aber durchaus auch richtiger) beantworten als eine quantitative Analyse (die zwangsläufig die Komplexität nicht vollständig abbilden kann).

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  2. Die Kritik an dem Intuitionshype ist zum Teil sicherlich berechtigt. Kritikwürdig finde ich vor allem das Verständnis von Intuition, mit dem da gearbeitet wird. Leider wird auch in der Rezension nicht widergegeben, was Chablis und Simons unter Intuition bzw. unter einer intuitiven Annahme verstehen. Mich verwundert es schon etwas, dass sie offenbar unter Intuition eine kognitive Fähigkeit verstehen, was meinem eigenen Verständnis von Intuition völlig widerspricht. Die für mich treffendste Definition von Intuition, die ich je gehört habe und für mich bis heute ihre Geltung besitzt ist folgende: Intuition ist der Glaube man könnte Zufälle vorhersehen. In diesem Verständnis wäre eine intuitive Reaktion eine unbewusste Reaktion und keine bewusste Entscheidung. Das wäre ein Punkt, der mich an dem aktuellen Intuitionshype stört.

    Die Frage ist allerdings, wie kann man eigentlich Zufälle vorhersehen? Es wird ja immer so getan als wäre uns die Intuition gleichsam von Natur aus mitgegeben. Zu viel Nachdenken und Grübeln würde dagegen die eigene Intuition behindern. Zum Teil ist da sicherlich etwas dran, wenn man es mit dem Grübeln übertreibt. Gleichwohl ist Intuition nicht naturgegeben, sondern bildet sich im Rahmen der kognitiven und emotionalen Entwicklung erst heraus und muss trainiert werden. Dazu gehören auch Reflexion und sehr viel Erfahrung. Intuition zeigt sich wenn man im Flow ist und nicht mehr nachdenken muss, um zu entscheiden, wie man sich jetzt verhält. Bei sportlichen Aktivitäten kann man das z. B. an sich selbst gut beobachten. Buddhistische Methoden versuchen eigentlich nur die Intuition zu trainieren. Dies wäre der zweite Punkt, der mich stört. Intuition ist nicht angeboren, sondern ist das Ergebnis jahrelangen, ja lebenslangen Trainings.

    „Nachdenken, konzentrieren und bewusst entscheiden sind aufwendige Prozesse, für die man Kapazitäten benötigt, die vielleicht einfach rar werden.“ Ja genau. Vor allem der Zeitfaktor spielt dabei eine wichtige Rolle. Immer weniger Zeit für bewusste Entscheidungen zu haben, bedeutet darüber hinaus auch keine Zeit für die Entwicklung der eigenen Intuition zu haben. Letztlich hilft die Intuition dabei Zeit zu sparen, weil man nicht mehr nachdenken muss. Doch um das tun zu können, muss man sich erstmal die Zeit nehmen, Intuition zu entwickeln.

    Das trivialisierte Verständnis von Intuition kann und sollte völlig zu Recht kritisiert werden. Daraus sollte aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Intuition generell Blödsinn ist. Gerade wenn man Intuition für eine kognitive Fähigkeit hält, ist diese Gefahr recht groß. Ich glaube nicht, dass sich Chablis und Simons überhaupt mit Intuition beschäftigt haben. Das Beispiel mit dem unsichtbaren Gorilla zeigt doch nur, wie selektiv die Wahrnehmung ist, wenn man seine Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes konzentriert. Zauberkünstler und Taschendiebe nutzen z. B. diesen Fakt für sich. Mit Intuition hat das meiner Meinung nach nichts zu tun, allenfalls mit fehlender Achtsamkeit.

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    1. Danke für den Kommentar und die Ergänzungen. Eine Sache zuerst: Wahrnehmung und Intuition werden nicht gleichgesetzt, sondern Intuition beruht auf (nicht explizit reflektierter) Wahrnehmung. Wenn schon die Wahrnehmung so selektiv ist, dann - so die Schlussfolgerung - sieht es mit der Intuition ziemlich düster aus.

      "Intuition ist der Glaube man könnte Zufälle vorhersehen." ist auf keinen Fall eine treffende Definition, sondern ein Bonmot. Intuition ist eine kognitive Leistung (dazu gleich mehr), die man nicht einfach auf einen Glauben reduzieren kann. Der Versuch einer Definition:

      Intuition ist das Entscheiden oder Urteilen ohne den Rückgriff auf explizit verarbeitete Annahmen und Sinnesdaten. Oder positiv gewendet: Intuition ist das Entscheiden oder Urteilen unter Rückgriff auf implizit verarbeitete Annahmen und Sinnesdaten.

      Es ist also eine kognitive Leistung (ganz klar), nur eben ohne das Bewusstmachen der Verarbeitung und Annahmen, die man hat, sodass das Zustandekommen der Schlussfolgerungen unbewusst erfolgt und erst die Schlussfolgerung selbst bewusst und explizit gemacht wird. Anders im Durchdenken von Problemen, wo die Denkoperation selbst in jedem Schritt explizit und bewusst verfolgt wird.

      Viele Grüße!

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    2. Dass Intuition zu einer Entscheidung befähigt, verstehe ich nicht. Das liegt aber an dem Begriff von Entscheidung, mit dem ich arbeite. Im Anschluss an Niklas Luhmann kann man nur dann von einer Entscheidung sprechen, wenn die Alternativen mit kommuniziert werden. Für psychische Systeme heiße das, dass die Alternativen mit bedacht wurden. In jedem Fall bedeutet es, ohne Kenntnis der Alternativen, zwischen denen man sich entschieden hat, kann man auch nicht von einer Entscheidung sprechen. Das Moment der Reflexivität ist also entscheidend.

      Genau das fehlt jedoch bei der angebotenen Definition von Intuition, wenn die Entscheidung ohne expliziten Rückgriff auf die zur Wahl stehenden Optionen erfolgen soll. Demnach wäre Intuition Entscheiden oder Schlussfolgern ohne Reflexion. Oder anders, Intuition wäre Entscheiden nur ohne das, was Entscheidungen zu Entscheidungen macht. Ich verstehe die Definition am Ende so: Intuition ist Nicht-Entscheiden.

      Eine negative Bestimmung ist sicherlich eine Möglichkeit zu einer Definition zu kommen. Ich sehe allerdings nicht, wie man die empirisch fruchtbar machen kann. Da bleibe ich zunächst lieber bei dem Bonmot. Man könnte natürlich eine Definition daraus machen und sagen Intuition ist die Fähigkeit Zufälle vorauszusehen. Das scheint mir aber doch etwas zu stark formuliert. Abgeschwächter könnte man von dem Eindruck sprechen, man könnte Zufälle vorhersehen.

      Dass sich selektive Wahrnehmung und Intuition ausschließen würden, ist übrigens ein Argument, dass die Zeit ausblendet. Die Wahrnehmung ist selektiv, weil man sich nicht auf alle Sinneseindrücke zugleich konzentrieren kann. Das heißt aber nicht, dass man nicht im Nachhinein auf bestimmte andere Aspekte einer Situation aufmerksam wird, auf die man in dem Moment nicht geachtet hatte. So kann man sich nach und nach der Komplexität einer Situation bewusst werden und man bildet, wenn man es trainiert, eine Sensibilität aus, die man nicht erst bewusst aktivieren muss. Und diese Sensibilität versetzt einen dann auch in die Lage intuitiv zu handeln.

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    3. Wieso sollten sich selektive Wahrnehmung und Intuition ausschließen? Das habe ich hoffentlich nicht gesagt, das wäre ja Quatsch. Es gibt auch keine andere Wahrnehmung als selektive. Ein Glück. Mein Argument ist viel mehr: je weniger man wahrnimmt, desto weniger Daten hat man für Intuition und desto weniger erfolgreich wird sie sein. Aber gut, dass wir uns darauf einigen konnten, dass es eine kognitive Leistung ist.

      Du sagst, du verstündest nicht, dass man Entscheidungen intuitiv treffen kann. Meinst du das Ernst oder nur als rhetorische Startrampe für deine Auffassung der Systemtheorie? Ich denke schon, dass du verstehst, was umgangssprachlich gemeint ist, wenn wir sagen, wir "entscheiden intuitiv", oder?

      Ich finde es gut, wenn du schärfere Begriffe willst und lasse mich argumentativ darauf ein (auch wenn ich dem nicht zustimme, weil die Sprach-Praxis uns das Gegenteil zeigt), dass einer Entscheidung ihre Alternativen explizit zur Seite stehen müssen, damit es eine Entscheidung ist. Dann bleibt nur noch eine Frage und wir haben das Problem gelöst: Wie nennst du dieses "Nicht-Entscheiden" (also Entscheiden oder Schlussfolgern ohne Reflexion)? Wenn jemand also aus dem Bauch heraus eine Pizza bestellt, sich keine Gedanken über Alternativen gemacht hat... Was ist das, wenn keine Entscheidung? Wie nennst du das?

      Wenn diese Semantik geklärt ist, dann können wir zurück zum inhaltlichen Argument und sagen: "Eine XXX ist unzuverlässiger, je weniger Sinnesdaten ihr/ihm zugrunde liegen." (XXX steht hier für das, was ich "intuitive Entscheidung" nenne.)

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