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13. Oktober 2015

Faul sein, heißt klug sein

Zwischen Paradies und Todsünde

Meine Faulheit ist der gelebte Pazifismus
gegen mich selbst, denn wer steht dem Bedürfnis
nach dem Faulsein besonders effektiv im Wege? Man selbst. 
(Michael Magercord)

Meine Frau bezeichnet mich oft als faul. Ich sitze zum Beispiel auf der Couch und schreibe einen Artikel für den Blog. Sie hantiert in der Küche, backt einen Kuchen, kocht Suppe oder beseitigt die Spuren ihres Hantierens. Lassen wir mal beiseite, wie erschreckend stereotyp das ist, wie wenig wir die Geschlechterrollen bisher gebrochen haben... Sie wirft mir also vor, ich sei faul. Ich sage dann: Aber Schatz, mach doch, was dir Spaß macht. Ich bin nicht faul, ich mach einfach nur das, was ich gerade machen will. Dann sagt sie: Aber du willst doch auch essen und du liebst meinen Kuchen und meine Suppe. Ja, das stimmt, sage ich dann, aber das heißt doch nicht, dass du das jetzt machen musst und mich dafür als faul bezeichnen kannst. Wenn du keine Suppe und keinen Kuchen machst, dann liebe ich dich kein bisschen weniger. Der letzte Satz kann je nach meiner Gereiztheit auch lauten: Weißt du, bevor ich dich kannte, habe ich auch schon Kuchen und Suppe gegessen, ohne dafür als faul bezeichnet zu werden.

Warum ist die Faulheit so tief in uns verwurzelt? (Bild gemeinfrei nach C00)

 Der höchste Grad der Freiheit

Der Philosoph André Rauch sagt, Faulheit sei der höchste Grad der Freiheit. Wenn jemand als "faul" bezeichnet wird, stehen die Chancen gut, dass es sich um jemanden handelt, der einfach nicht das macht, was jemand anderes von ihm will. Vielleicht ist es also einfach jemand, der das macht, was er für sich selbst entscheidet.

"Wenn Sie mir heute sagen, du bist faul, Sie sind faul, dann sage ich mir, er behandelt mich als Faulpelz, weil ich nicht tue, was er von mir will. Jemand der faul ist, nimmt sich seine Freiheit... Will mich jemand manipulieren, wenn er mich als faul bezeichnet? Welchen Vorteil, welchen Nutzen will er aus seiner Beleidigung ziehen? Ich versetze mich in seinen Kopf und denke, er will, dass ich für ihn irgendetwas möglichst billig erledige, oder in seinem Interesse ein Risiko eingehe. Aber nein, das wird nichts, ich bin nicht von dir abhängig." (André Rauch)

Hier geht es also offenbar um eine Situation, in der jemand als faul bezeichnet wird. Was aber, wenn jemand wirklich faul ist? Es ist erstaunlich, wie nah die Faulheit an der Wurzel des Menschseins ist.

Die tierische Wurzel des Menschen

Wer möchte nicht ungestraft faul sein? Wer möchte nicht - wenigstens hin und wieder - im Schlaraffenland leben, wo man versorgt wird, ohne etwas zu tun? Und erinnert uns das nicht an das christliche Paradies, aus dem wir wegen einer Sünde vertrieben wurden? Die Arbeit als Strafe, setzt doch die Faulheit als eigentlich erstrebenswerten Zustand voraus. Gnädig, dass die Rente des Sozialstaats - wenn es so etwas noch gäbe - uns zumindest im Alter an dieses Paradies wieder heranführen will.

Warum ist die Faulheit so tief in uns verwurzelt? Sie ist eine der ganz alten vormenschlichen Zustände. Faulheit ist etwas Tierisches: Wir bewundern die Löwen (oder unsere Hauskatzen), die eigentlich nur zum Essen aufstehen oder auch mal zum Spielen oder zur Liebe. Tiere sind in dieser Hinsicht effizient und das hat einen Grund: Sie müssen Energie sparen. Jede zusätzliche Bewegung zehrt an den Reserven, heizt den Körper auf, verbrennt wertvolle Kalorien und sorgt für Verschleiß am Bewegungsapparat. Einem ganz alten Teil von uns Menschen geht es nicht anders. Faul sein, heißt klug sein. Perfektioniert finden wir diese Lebensweise übrigens in der Pflanzenwelt, weshalb wir auch sagen, jemand vegetiere so dahin, wenn er nichts tut.

Faul sein als Leid

Es gibt auch diese andere Seite: Trägheit. Wer so faul ist, dass er nicht mehr hochkommt, seine eigenen Bedürfnisse nicht mehr zu befriedigen vermag, die Hygiene, die Ernährung, den Austausch mit anderen vernachlässigt, der leidet am Faulsein. Diese "Trägheit des Herzens", wie die Todsünde Acedia (Sorglosigkeit, Nachlässigkeit) ins Deutsche übersetzt heißt, lässt die Würde des eigenen Seins vermissen. Wer diesem Laster erliegt, wird dem Menschsein nicht gerecht.

"Zu einem Teil ist die Faulheit also ein tiefes Leiden. Sie ist ein Anschlag auf die Person, der zieht eine Zerstörung der Persönlichkeit nach sich. Ein Fauler ist kraftlos, er kommt nicht aus dem Bett und leidet, wenn er nur aufrecht stehen soll." (André Rauch)

Insofern ist die Strafe der Arbeit eine Voraussetzung zum Menschsein. Es gibt viele Wege diese Arbeit auszukleiden, sei es als Bauer, Fabrikarbeiter, am Schreibtisch oder als Künstler. Für alle hat sie eines gemein: Sie schützt uns vor dem Versinken in der totalen Trägheit. Sie lässt uns aufstehen und etwas tun. Sie versichert uns, dass wir beinahe Gott gleich etwas gestalten und nicht einfach nur dahin vegetieren. Seit Luther ist die Arbeit, die vorher nur von Unfreien verrichtet wurde, ein Weg zur Erfüllung. Das war der Anfang vom Untergang der Muße. Eine Untersuchung protestantischer versus katholischer Arbeitsethiken, wäre hier sicher interessant.

Ein Recht auf Faulheit

Wir leben also, so scheint's, in einem Spannungsverhältnis zwischen Fleiß und Faulheit. Das eine ist - nach herkömmlicher Moral - Tugend, das andere Laster und wir brauchen beide. Unsere moderne Arbeitswelt hadert mit dieser Spannung. Ein Recht auf Freizeit (Faulheit) ist mit dem 20. Jahrhundert weithin anerkannt. Mit Urlaub, Wochenenden, Feiertagen und gesetzlichen Mindestruhezeiten zwischen den Arbeitsstunden versuchen wir diese Balance zu halten. Zugegeben: Es gelingt uns nicht besonders gut. Es sah schon so aus, als wären wir mit Sozialstaat und Gewerkschaften auf dem richtigen Weg, als plötzlich die Zeit der digitalen Medien anbrach und sämtliche Zeitkonzepte und Abgrenzungen zwischen Freizeit und Arbeit zu zerstören drohte.

"Wir leben heute in einer Welt der Überproduktion, eines Wachstums, das langfristig große Schäden anrichtet, ökologische, soziale - bedürfen wir in unseren Gesellschaften nicht der Anerkennung der Faulheit? Die Nicht-Produktivität also als mögliche, ja ehrenwerte Daseinsform, um schließlich eine Lebensweise zu finden, die dauerhaft tragbarer ist für den Menschen und seinen Planeten?" (Michael Magercord)

Ja, natürlich. Das wäre angebracht. Dass aber so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen bald kommt, halte ich für ausgeschlossen. Utopisten liebäugeln schon seit dem 16. Jahrhundert mit dieser Idee und bisher hat sie noch jede Gesellschaft zu verhindern vermocht. Heute ist es die Leistungsethik und der Wachstumszwang, die als Gründe dagegen herhalten müssen. Wer soll die Rente zahlen, die dann wenigstens am Lebensende Faulheit ermöglicht? Solche vorgeschobenen Fragen sind es, die von den eigentlichen Fragen ablenken, z.B. wie können wir die enorme Beschleunigung aller Arbeitsprozesse endlich uns zu Nutze machen, sodass wir weniger arbeiten müssen und mehr Freizeit haben? Bisher ist es ja so pervers, dass jeder schneller erledigte Arbeitsschritt gleich die Erwartung weckt, dass wir beim nächsten Mal noch mehr noch schneller machen. Sind wir eigentlich völlig bekloppt?

Es scheint so, als müssten wir weiter unseren privaten Weg zwischen Tugend und Laster finden. Durch die moralisch vorgeprägte Wertung der beiden, wird es uns individuell und gesellschaftlich schwer fallen, dem Faulsein zuzustreben. Also: Geben wir uns Mühe!




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