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1. Juli 2017

Nur Lifestyle? Sind west-östliche Synthesen sinnvoll?

Über Sinn und Bedeutung der Absichtslosigkeit

Ein Artikel von Bernita Müller


Ob private Wünsche oder berufliche Herausforderungen: Alles, was wir tun, dient dazu, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, an dem wir manchmal über die Maßen festhalten. Diese Vorgehensweise entspringt nicht nur einem natürlichen Trieb, sondern ist auch gesellschaftlich konditioniert. Ein Blick auf andere Kulturen zeigt: Es geht auch anders.

Moderne Form gemeinsamer Absichtslosigkeit: Flashmob (CC BY 2.0, Marialba Italia)

Im Fahrtwind des Utilitarismus

Unsere Welt scheint aus Zielen zu bestehen. Gewinnmaximierung in der Wirtschaft und Selbstoptimierung im Privatleben sind so allgegenwärtig, dass sie kaum noch auffallen. Genährt durch den Geist des Utilitarismus, der die stetig voranschreitende Industrialisierung im 19. Jahrhundert begleite und sich durch eine zweckorientierte Ethik auszeichnet, ging es ursprünglich darum, mit jeder Handlung den größtmöglichen Nutzen für möglichst viele zu erreichen. Ein hehres Ziel, das in explodierenden Märkten, ungeahnten technischen Innovationen und einem nie dagewesenen Wohlstand der breiten Bevölkerung mündete. Doch wenn die Nutzenmaximierung zu weit geht, schießt sie über ihr eigenes Ziel hinaus.

Wer zuviel optimiert, läuft Gefahr, sich Scheuklappen aufzusetzen. Sieht man nur den Gewinn, vergisst man womöglich den Umweltschutz oder das Wohl der Arbeitnehmer. Will man als Mensch, Partner oder Mitarbeiter perfekt sein, wird man früher oder später an der eigenen, nie auszuhebelnden Unvollkommenheit scheitern. Und vergisst vielleicht, das Schöne zu sehen, dessen Größe gerade auch in der Nutzlosigkeit besteht.

Moderne Gegenbewegungen

Schon im 19. Jahrhundert postulierten Künstler l’art pour l’art. Die Bewegung betonte, dass Kunst nur um ihrer selbst willen existiert und stellte sich bewusst gegen zweckorientierte Ästhetik. Aber auch heute gibt es natürlich Tendenzen, sich dem Optimierungswahn zu widersetzen – und die lassen sich mitunter auch auf den Straßen der Großstädte beobachten. Wenn auf einmal sämtliche Passanten "einfrieren" und keinen Mucks mehr von sich geben, ist der Beobachter aller Wahrscheinlichkeit nach Zeuge eines "Flashmobs" geworden. Die Freude an sinnfreien Darbietungen hat weltweit zu spektakulären Aktionen geführt.

Auch das immer stärker werdende Interesse an Yoga, Meditation und Entschleunigung könnte aus dem Wunsch heraus entstanden sein, kein äußeres Ziel zu verfolgen, sondern etwas "für sich" zu tun. Ein Blick auf östliche Philosophien zeigt, dass ihre ursprüngliche Haltung weitaus radikaler ist, sich darum aber nicht weniger für mögliche Synthesen eignet.

Asien – der Kontinent der Absichtslosigkeit?

So wie die Zielorientierung und Nutzenmaximierung grundlegende Elemente westlicher Denkformen zu sein scheinen, orientiert sich die traditionelle östliche Mentalität am genauen Gegenteil. Die Absichtslosigkeit ist entscheidendes Element verschiedener alter Philosophien aus ganz Asien.

In der heiligen Schrift Bhagavad Gita, ein rund 2.300 Jahre altes Werk und Quintessenz der indischen Veden, legt Krishna die Lehre des Karma Yoga dar. Der Weise soll sich nicht aus der Welt zurückziehen, wie es Mystiker auf dem ganzen Erdball tun, sondern in der Welt bleiben und handeln. Aber er hat dabei folgenden Ratschlag zu beherzigen:

"Vollbringe deine Taten, indem du der Anhaftung entsagst und gleichmütig bist gegenüber Misserfolg und Erfolg." (II, 48)

Er verrichtet sein Tagwerk also mit einer bestimmten Intention, ohne die jede Aktion rein zufällig wäre, aber ohne sich an die Ergebnisse zu verlieren. Gedanken und Gefühle sind immer in der Gegenwart. Und sollte es das Schicksal nicht gut mit ihm meinen, bleibt der indische Weise gelassen. Ganz wie ein Stoiker.

Handeln im Nicht-Handeln

Was sich in Indien entfaltete, brachten die chinesischen Taoisten sogar noch früher auf den Punkt. Schon im Daodejing, das wohl um 500 v. Chr. entstand, geht es u.a. um "Handeln durch Nicht-Handeln" ("Wu wei"). Der Taoist handelt spontan und im Einklang mit der Natur, ohne intellektuelle Anstrengungen zu unternehmen oder sich der aktuellen Situation entgegenzustellen. Er hat kein Ziel im Kopf, für das er kämpft, sondern agiert rein intuitiv, indem er sich an die Umstände anpasst.

Derartige Verhaltensmuster sind nur möglich, wenn der Kosmos als vollkommen begriffen wird und die einzige Aufgabe darin besteht, ihm zu folgen. Friedfertigkeit und Gelassenheit sind sowohl Voraussetzung als auch Folge dieses Konzepts.

Absichtslose Meditation

Auch Japan leistet seinen Beitrag zur panasiatischen Absichtslosigkeit. So ist es üblich, in der Zen-Meditation alle inneren Vorgänge absichtslos wahrzunehmen. Der Schüler unterdrückt nichts, versucht aber auch nicht, irgendetwas zu erreichen. Es geht darum, einfach nur da zu sein – eine hohe Kunst, die jahrelange Übung erfordert und nur von den begabtesten Schülern perfektioniert wird.

Ob Karma Yoga, Wu wei oder Zen-Meditation – immer geht es darum, die Bedingtheit der menschlichen Existenz zu überwinden. Damit ist östliche Philosophie viel mehr als abstrakte Spekulation oder praktische Lebenshilfe. Wer sich der Ziele entledigt, tritt aus der menschlichen Verfassung heraus und unterliegt nicht mehr dem Schmerz, der aus Verlust und Sehnsucht entsteht.

Absichtslosigkeit heute

Die Wurzeln der Philosophie der Absichtslosigkeit reichen tief in die asiatische Vergangenheit. Doch wie das Christentum in Europa, haben auch Yoga und Buddhismus in Asien an Bedeutung verloren. Starrer Ritualismus, blinder Glaube und reine Unkenntnis der eigenen Geistestradition haben leider dazu geführt, dass der Kern der alten Lehre vielerorts an Lebendigkeit einbüßen musste oder sogar ganz verschwunden ist. Besonders in den Großstädten ist die westliche Lebensweise dominant geworden, in Ländern wie China wurde das geistige Erbe außerdem bewusst zerstört.

Aber die Wurzeln der asiatischen Philosophie reichen so tief, dass ihre Kraft noch heute spürbar ist und sichtlich Blüten treibt. Ajahn Mun Bhuridatta beispielsweise wollte zu den buddhistischen Wurzeln Thailands zurück, verbrachte einen Großteil seines Lebens meditierend im Dschungel und gründete die für ihre Strenge bekannte Waldtradition. Sogar im modernen China gibt es Eremiten, die ganz abgeschieden ein Leben nur für die Meditation führen, wie Edward A. Burger in seiner Dokumentation Amongst White Clouds eindrucksvoll gezeigt hat.

Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die theoretische Darlegung einer Lehre zu allen Zeiten mit Schwierigkeiten verbunden ist, sobald sie im Leben der Menschen Fuß fassen soll. Von Natur aus aufs Überleben getrimmt, ist die Selbstüberwindung der eigenen Triebe und Wünsche wohl die größte Herausforderung, der sich ein Mensch stellen kann.

Gelingt diese Aufgabe nicht, greift die Philosophie der Absichtslosigkeit ins Leere – und führt letztlich zu neuen Ausarbeitungen ihres eigenen Wesenskern. Das war schon im alten Indien so, als Buddha sich vom starr gewordenen Brahmanismus abwendete und den Kern dieser Lehre in eigenen Bemühungen zu verwirklichen suchte. Das Ringen um Vollendung ist ein der Praxis immanentes Problem, das sich zu keiner Zeit und an keinem Ort auflösen wird. Was aber nicht heißt, dass die Mühe nicht lohnen würde.

West-östliche Synthesen

Fassen wir zusammen: Der Westen wie der Osten haben grandiose technische Erfindungen hervorgebracht. Im Westen stets angetrieben durch kritisches Denken und den Wunsch, über die aktuellen materiellen Möglichkeiten hinauszuwachsen. Der Osten dagegen hat sich mit den inneren Grenzen nie zufrieden gegeben und sich mit rigorosen Anstrengungen von allen Umständen zu lösen versucht. Ist eine Synthese möglich?

Yoga und Meditation werden im Westen vor allem mit Entspannung in Verbindung gebracht. Der Duden beschreibt Entspannung als "Gefühl, körperlich und psychisch entspannt beziehungsweise locker und unverkrampft zu sein." Dieses Gefühl wiederum scheint eine Folge von Absichtslosigkeit zu sein. Anspannung resultiert oft aus einem Gefühl des Habenwollens heraus – man möchte ein Ergebnis, ein Ziel, eine Sache, einen Gefühlszustand oder irgendetwas anderes erreichen, fürchtet zu scheitern und lässt nicht locker. Entspannung wiederum ist nur möglich, wenn man das, was man erreichen möchte, loslässt – ein entscheidendes Element der Absichtslosigkeit.

Westliche Yoga- und Meditationspraxis wird oft Oberflächlichkeit vorgeworfen, was nicht von der Hand zu weisen ist, sind die meisten Menschen doch nicht gewillt, sich dafür aus der Welt zurückzuziehen, wie es die meisten klassischen Schulen fordern. Aber man könnte es auch anders formulieren: Das, was die Menschen suchen, Entspannung, Glück und Wohlbefinden, war schon immer Ziel jeglicher Soteriologie. Man sehe sich nur Siddharta an, der nach Freiheit vom Leiden suchte oder den Yogi, den es nach Ekstase verlangt. Der Wunsch nach diesen Dingen ist also weniger das Problem als die Tatsache, dass er nicht weit genug reicht. Wer wirklich entspannt leben will, darf nach der Yogastunde nicht wieder ins Hamsterrad steigen, um sich erneut im Habenwollen zu verlieren. Wer wirklich raus will aus dem Hamsterrad, muss vollkommen absichtslos leben.

Aber vielleicht muss das Konzept der Absichtslosigkeit erst in der Mitte der Gesellschaft ankommen, um von dort aus diejenigen zu erreichen, die tiefer gehen wollen und können. Das war in Asien übrigens nie anders: Auch hier übt das gemeine Volk kein Yoga und der Buddhismus ist für den einfachen Mann eher ein Glaube als eine Praxis, der eng an das soziale Leben und die eigenen Identitätsbildung geknüpft ist. Die Frage ist, ob das schlimm ist. Suum cuique – jedem das Seine.

Wenn sich einige asiatische Grundkonzepte im westlichen Geist verankern würden, auf welche Weise auch immer, wäre wohl einiges gewonnen. Wer aktiv ist und etwas zum Wohle aller beiträgt, aber ohne sich in das psychologische Gerüst aus Wünschen, Gier, Ängsten, Abgespanntheit, Frust und Hoffnungen zu verstricken, verbessert seine eigene Psychohygiene und seinen Umgang mit anderen. Handeln im Nicht-Handeln könnte ein Ansatz sein, das Beste aus zwei Welten zu vereinen, ein Ansatz, dessen Umsetzung – ob nun mit oder ohne Absicht – viel Zeit, Arbeit und Energie erfordert.



Über die Autorin

Bernita Müller hat eine Yogalehrer- und einige therapeutische Ausbildungen abgeschlossen und arbeitet seit 30 Jahren in der Touristik. Sie ist eine der Gründerinnen von „Wainando“, einem Online-Reiseveranstalter mit den Schwerpunkten Yoga, Meditation, Ayurveda, Naturerfahrungen und kulturellen Begegnungen. In vielen Seminaren geht es darum, sich von alten Mustern zu lösen und im Hier und Jetzt anzukommen. 

Das passt dazu


11 Kommentare:

  1. Danke für den Artikel.
    Ob sich Osten und Westen vermählen lässt und ob das vielleicht in einer Light-Version geht, also in einem Sowohl als auch, da habe ich grössere Zweifel.
    Absichtslos sein und – sozusagen abgespalten / gespalten zu funktionieren in immer schnelleren Abläufen „draussen“, das ist schon theoretisch ein schwieriges Unterfangen.
    Es wird wohl so sein, daß sich einige wenige den Traum erfüllen wollen, wenigstens partiell „in Frieden“ zu leben. Diese Sehnsucht gibt es und die ist sehr stark in uns verwurzelt.
    Dies erst mal wenige Gedanken dazu.
    Vielleicht lässt sich das hier weiter vertiefen.
    Gerhard

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    1. Lieber Gerhard,
      vielen Dank für deine Gedanken. Absichtslos zu leben, heißt nicht abgespalten zu sein, sondern im Gegenteil aus dem Bewusstsein der Einheit heraus zu handeln - und das unabhängig von äußeren Bedingungen. Dass das in einer Welt schwierig, die in "immer schnelleren Abläufen" funktioiert, ist unbestritten. Aber gerade diese Welt sehnt sich ja nach einer Veränderung. Und die mag langsam, partiell und unvollkommen sein - aber einen Versuch zu starten, lohnt sich. Noch mehr Unfrieden zu verbreiten, kann jedenfalls keine Alternative sein.

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  2. "Anspannung resultiert oft aus einem Gefühl des Habenwollens heraus – man möchte ein Ergebnis, ein Ziel, eine Sache, einen Gefühlszustand oder irgendetwas anderes erreichen, fürchtet zu scheitern und lässt nicht locker."

    Ob der olle Duden mit dieser steilen These einverstanden wäre, ist halt die Frage:
    Die Zielgerichtetheit der Altvorderen mag man zwar friedenssehnsuchtsbewegt als staubtrocken und - surprise! - irgendwie dann doch entartend abtun, aber mit physischer Anspannung als Resultat mentalen Habenwollens (sic) einzusteigen, Flashmobber (!) als Kronzeuge fürs Bedürfnis, sich dem Optimierungs-Wahn zu widersetzen, anzuführen und dann weiter zu improvisieren in dem Bedürfnis, die Absichtslosigkeit logisch zu verorten, das wäre dem Backenbart eben nicht passiert.

    Es gibt ein seltsames westliches Bedürfnis, die aus rein dialektischen Gründen erwachsenen kosmologischen östlichen Frameworks irgendwie dann doch im eigenen Bewusstsein ergründen und verorten zu können. Die waren aber hauptsächlich dazu gedacht, mehr oder weniger subtile Energiezustände zu erzeugen, mit denen bestimmte Ego-Aspekte verringert und andere verstärkt werden können. Es von außen zu betrachten und das Ziel auf "Absichtslosigkeit" zu reduzieren, greift viel zu kurz.

    Ich zitiere hier mal großflächig, vielleicht hilft es weiter:

    "Für das grundlegende Verständnis [...] ist es wichtig zu erkennen, dass die gesamte Lehrmethode eine dialektische ist. Sie baut auf dem Dialog zwischen Lehrer und Schüler auf. Diese Dialogmethode wird auch als Upaya oder „geschickte Mittel“ bezeichnet, die der Lehrer einsetzt, um den Schüler zur Erleuchtung zu bringen. In Verbindung mit Lehren steht Upaya für pädagogisches Können, im politischen Zusammenhang dagegen für Täuschung. [...] [Es, im Original der Buddhismus, passt aber auf viele spirituelle Systeme] ist nämlich keine Lehre, sondern eine Art der Erfahrung der Bewusstseinsveränderung, die man Erwachen oder Erleuchtung nennt. Das bedeutet, dass wir unsere Wahrnehmung eines selbstständigen Ich als Täuschung durchschauen oder überwinden können."

    Alan Watts, „Buddhismus verstehen – Die Religion der Nicht-Religion“

    Dieses Konzept des "Upaya" zu verstehen ist ein wahrer Stein von Rosette fürs Verständnis spiritueller Systeme: Genügend Meister und auch deren kodifizierte Narrative waren nur darauf aus, einen Differenzierungs-Konflikt zu provozieren, auf unterschiedlichsten Ebenen, um das überforderte ad-hoc-Ego dann geschickt umzutopfen. Absichtslosigkeit, Nicht-Handeln und andere Konzepte als "life hacks" entwurzelt zu empfehlen, wird bei den wenigsten zu Verbesserungen im Alltag führen. Die existenzielle Veränderung muss vorausgehen, sonst wird man die unmittelbare Zukunft durch absichtsvolle Absichtslosigkeit wie eine Bugwelle vor sich herschieben.

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    1. Danke für deine Ausführungen. Eine solche Lehre wie die der Absichtslosigkeit, die zu 100 Prozent auf innere Erfahrung statt auf Theoriebildung aus ist, von außen zu betrachten, kann natürlich nur ein erster Schritt sein. Da leider die wenigsten die Möglichkeit haben, diesen ersten Schritt mit einem Meister zu nehmen, scheint eine deskriptive Annäherung an die Thematik zumindest vorläufig die einzige Alternative zu sein, um überhaupt auf die Möglichkeit absichtslosen Handelns aufmerksam zu werden.

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  3. "Derartige Verhaltensmuster sind nur möglich, wenn der Kosmos als vollkommen begriffen wird und die einzige Aufgabe darin besteht, ihm zu folgen. Friedfertigkeit und Gelassenheit sind sowohl Voraussetzung als auch Folge dieses Konzepts."

    Bei solchen Aussagen kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Gedankenloses Tun hat Friedfertigkeit zur Folge? Im Seminarraum auf der Yogamatte vielleicht.

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    1. Hallo Brendarn,
      Absichtslosigkeit hat nichts mit Gedankenlosigkeit zu tun. Es geht eher darum, intuitiv zu erkennen, was richtig ist, und dann alle Mittel einzusetzen, die notwendig sind, um zu handeln. Gedanken gehören natürlich dazu - sie sind ein Teil des Menschen.

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  4. Wenn ich Yoga versuche aus der westlichen Sicht zu beschreiben, dann sind es die Körperübungen (Haltungen), die einen Relaxationseffekt haben, aber den Körper auch festigen. Aus östlicher Sicht kommt die Yoga-Philosophie hinzu. Denn was da passiert? Also was das für eine Auswirkung auf den Geist hat? Denn woher kommt die Entspannung oder die Veränderung, passiert ja nicht bewusst, sondern irgendwie wie automatisch, dass ja doch eine Synthese, ein Austausch zwischen Körper und Geist stattfindet. Irgendeine eine Energie, von der man aber gar nichts bemerkt. Es bleibt bei mir die Frage, wie Körper und Geist eigentlich getrennt voneinander sind. Aber da findet ja doch immer ein Austausch statt zwischen Körper und Geist. Man kann es aber aus westlicher Sicht auch als Sport oder als gute Physiotherapie ansehen. Oder als Konzentrationsübung. Denn die Ausübung konzentriert sich ja auf den Körper, man vergisst sozusagen den Geist dabei, weil man ja mit den Übungen beschäftigt ist. Es findet aber eine Wirkung auf den Geist statt, wenn sich der Körper danach entspannter anfühlt. Dennoch ist aber Yoga kein Sport, die Übungen wirken anders. Aber auf der anderen Seite kann man auch nach dem Joggen entspannt sein und es fördert die Kondition und die Fitness. Ich kann es aber nicht mit Yoga vergleichen. Es funktioniert eben anders, was ich aber nicht erklären kann. Es hat mit Energie zu tun. Es gibt auch verschiedene Yoga-Traditionen. So wie auch bei Meditation. Also ist es doch auch eine individuelle Erfahrung. Bei jedem wirkt es anders. Aber von Rückzug und Abgeschiedenheit halte ich auch nichts. Oder vielmehr denke ich auch, dass, wenn schon, der Osten damit mehr Erfahrung hat, also ist es auch die Geschichte, wie man damit umgeht. Meine eigene Erfahrung ist die, dass ich Körper und Geist als getrennt ansehe. Wenn ich geistig aktiv bin, dann kümmert mich mein Körper nicht, ich bemerke ihn dann gar nicht, wenn mich etwas geistig "fesselt". Und wenn ich mich mit dem Körper beim Joggen oder auch Yoga befasse, dann bemerke ich den Geist nicht. Also eher beim Joggen eben doch, da kann ich während des Laufs an alles Mögliche denken. Nun gut, mit Einschränkung, denn wenn ich intensiv denke, dann ist das auch beim Joggen hinderlich. Allerdings beim Yoga geht das überhaupt nicht, wenn ich da an etwas anderes denke, dann bin ich komplett aus der Übung raus. Und das sagt mir, dass Körper und Geist für mich als Westlerin getrennt ablaufen. Aber der Yoga "versucht das energetisch, wie auch immer, zu verbinden". Aber ich habe wirklich keine Ahnung wie und was da passiert.

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    1. Danke für deine Gedanken, Gabriele! Ich selber mache weder Yoga-Übungen noch jogge ich, aber ich kann das gut nachvollziehen, was du schreibts. Dieses Denkenkönnen beim Joggen hat mich immer genervt, es ist mir irgendiwe zu langweilig. Wenn ich das mit Boxen vergleiche, wo der Körper lediglich Instinkt, Kraft und Schnelligkeit ist und darin auch der Geist aufgeht, dann verstehe ich jetzt auch, warum mich Kampfsport so fasziniert. Beim Yoga ist es vielleicht auch genau dieser Trick der Technik: Man muss ganz dabei sein, hat keine Kapazität zum Denken, denn die Technik erfordert die volle Konzentration. Ein schöner Trick.

      Ich finde es interessant, daraus ein Getrenntsein von Körper und Geist abzuleiten. Die Erfahrung, die du schilderst ist natürlich legitim und ich glaube, wir alle haben diese Erfahrung, dass das Hervorbringen eines Gedankens fundamental verschieden ist vom Hervorbringen einer körperlichen Bewegung. Was du damit wahrscheinlich nicht meinst, ist ein Körper-Geist-Dualismus in der Art, dass es Geist ohne Körper gäbe. Denn ich glaube, dieser Schluss ist selbst aus dieser Erfahrung heraus nicht zulässig. Aber korrigiere mich gern, wenn ich das falsch verstehe.

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  5. @Gabriele Fitz: Yoga und Joggen?! Noch nie auf solch einen Vergleich gestossen.
    Aber vielleicht gibt es Unterschiede im Erleben des Joggen?! Für mich war Joggen fast etwas "Religiöses": Ich genoß jeden Schritt, es war stellenweise wie Wandeln. Aber vielleicht sehe ich das mit dem Abstand von 30 Jahren etwas zu euphorisch?
    Joggen nährte mich, zutiefst - so mein Bild.

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  6. Ein sehr schöner Artikel, welcher unter Anderem einen Konflikt beschreibt, mit dem ich mich selbst jeden Tag konfrontiert sehe.
    Im privaten Bereich beschäftige ich mich bereits seit einigen Jahren mit der taoistischen Philosophie und deren Anwendungsmöglichkeiten auf das alltägliche Leben. Jedoch steht diese mir so sympathische Sicht auf das Leben in einem direkten Kontrast zu meinem Berufsleben (Vertrieb von Finanzprodukten), in welchem das schnelle, zielgerichtete Handeln zum Erfolg nicht nur gefordert und gefördert, sondern offen zelebriert wird.
    Der Kontrast zwischen diesen derzeit kollidierenden Welten ist, wie ich finde, ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten einer Verschmelzung derselben. Der innere, evolutionär bedingte Drang zur beruflichen und privaten Selbstoptimierung steht der absichtslosen Gelassenheit gegenüber.
    Ich sage nicht, dass eine generelle Synthese unmöglich wäre, jedoch ist mir diese in dem besagten Kontext bisher nicht gelungen.

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    1. Danke für diese Perspektive! Vielleicht müssten wir aufhören, immer und überall nach Lösungen und Auflösungen von Konflikten zu suchen. Eventuell haben wir keine andere Wahl, als sich widersprechende Praktiken in unserem Leben zu dulden.

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