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19. August 2017

Schönheit und Arbeit

Fantasie ist der größte Freund der Möglichkeit

Der irische Dichter und Philosoph John O'Donohue sagte kurz vor seinem Tod im Jahr 2008, dass die sichtbare Landschaft gleichtzeitig ein Tor zum Unsichtbaren sei. Deshalb war die Schönheit der Landschaft für ihn so wichtig, weil sie ein Tor zur Schönheit in uns ist, zu einer Vorstellungskraft, einer Fantasie, die Gutes schaffen kann. Im Altgriechischen, so O'Donohue weiter, stehe das Wort für Schönheit in enger Verwandtschaft mit dem Wort "Ruf" im Sinne einer Aufforderung: Schönheit ruft uns dazu auf, Gutes zu tun.

Surreal, schön: The Burren (Foto vom Autor, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Als Philosoph kann man nicht die Augen davor verschließen, dass wir rund ein Drittel unseres erwachsenen Lebens mit Arbeit verbingen. Warum sollten dieses Drittel weniger schön sein, als unsere anderen Erlebnisse? Gleichzeitig assoziieren wir Begriffe wie Schönheit und Fantasie nur in einigen beruflichen Nischen wie Kunstrestaurateur oder Ausstellungskurator mit unserer Arbeit. Die Vorstellungskraft auf der Arbeit ist oft eine sehr praktische Vorstellungskraft, auf Prozesse und Effizienz gerichtet. Das ist auch nicht verkehrt, aber es ist eben nur ein kleiner Teil dessen, zu dem wir fähig sind. Vorstellungskraft und Fantasie lassen wir ja nicht zu Hause, wenn wir zur Arbeit gehen. Wir haben sie immer bei uns, aber wir können nicht immer ganz leicht einen Zugang zu ihr herstellen. Wir brauchen günstige Bedingungen, um das Gute in uns anzapfen zu können.

"Führung mit Weisheit zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf eine moralische Grundhaltung eingestimmt ist, sie erkennt und befördert." (John O’Donohue — The Inner Landscape of Beauty)

Die Begabungen, die wir als Menschen haben, so O'Donohue, sind nicht für uns selbst, sondern für uns und unsere Mitmenschen um uns herum.  Da kommt die Moral ins Spiel. Führung in Firmen ist noch zu oft blind, was solche Begabungen angeht und wie man sie befördert. Eine "moralische Grundhaltung" meint bei O'Donohue viel mehr als ein Häkchen hinter das Compliance Training oder die Kenntnis des Code of Conduct. Es meint vielmehr das Ermöglichen der Entfaltung von Menschen, sodass sie ihre Begabungen zu ihrer eigenen Freude und zum Nutzen aller wirklich leben können.

Die Athmosphäre am Arbeitsplatz ist ausschlaggebend für unsere Arbeit. Eine gute Athmosphäre ist kein Extra oder Luxus, sie ist das Milleu, das seinen Einfluss auf alles hat, was darin passiert. In dem Zusammenhang ist geradezu auf schmerzhafte Weise lachhaft, wie Menschen auf der Arbeit oft unter rein funktionalen Gesichtspunkten, fast also wie Machinen, betrachtet werden, obwohl doch jeder Mensch eine unglaubliche und nicht zu leugnende Unendlichkeit in seinem inneren Erleben hat. Dieses innere Erleben ist das, was sich in Vorstellungskraft und Fantasie übersetzt, wenn man es zulässt.

Die unsichtbare Schönheit in uns, die uns über die Vorstellungskraft dazu befähigt, Gutes zu tun, braucht eine sicht- und spürbare Schönheit im Außen, damit wir einen Zugang zum Guten in uns bekommen. Solch eine Schönheit findet man im achtsamen und respektvollem Umgang miteinander, man findet sie in der Ästhetik am Arbeitsplatz, in Räumen, die für Menschen gemacht sind, man findet sie in der Offenheit und Freiheit, mit der man seiner Arbeit nachgehen kann. Ich finde Schönheit sogar in den Prozessen, in der Kommunikation und in Dokumentationen wichtig. Ein Weg dorthin ist z.B. das buzzword-verdächtige Design Thinking. Prozesse werden nur dann zwanglos befolgt, wenn sie eine gewisse Eleganz haben, die sich darin zeigt, dass sie dem Verlangen des Nutzers entgegenkommt. Kommunikation von Visionen und Zielen übersetzt sich nur dann in gewünschtes Verhalten, wenn sie über Ästhetik eine emotionale Anbindung der Zuhörer ermöglicht. Und Dokumentationen liest man nur, wenn sie gut gestaltet und – warum nicht? – schön formuliert sind.

Ich denke, dass gute Führung nicht nur aber unbedingt ein Gespür für diese Art der Schönheit entwickelt haben muss. Nur wo wir als Menschen mit dem uns eigenen inneren Reichtum, mit unserem Verlangen nach Ästhetik und Respekt ernst genommen werden, werden wir uns zum eigenen Wohl und zum Nutzen aller entfalten und besseres leisten als nur "Dienst nach Vorschrift".



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1 Kommentar:

  1. Schönes zu kreieren, benötigt Zeit und Muße. Eine "Gestalt" er scheint meist dann, wenn man ihr Raum gibt und sie kommen lässt.
    Ein Ort, an dem sich Prioritäten und Zile ständig ändern, ist kein Ort der Muße.
    Also müsste sich zunächst der äussere Rahmen ändern, damit Kunst und Kreativität Einzug halten kann.

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