19. Januar 2019

Von der Angst zur Furcht und zurück zur Angst

Die Freiheit liegt im Aushalten des Ungewissen

"Angst ist Angst, weil sie mir absolut
gewiss erscheinen lässt, das nichts
absolut beständig und gewiss ist."
(Frank Ruda, Agora42)

Das Leben, die Zukunft, die Freiheit, die Liebe, das Zusammensein – ja alles, das Mut erfordert, ist nicht ohne Angst zu haben. Angst resultiert aus der Unsicherheit, die all diese fundamentalen Zustände des bewussten menschlichen Lebens begleitet. Ich selbst habe das als junger Erwachsener auf eine sehr unangenehme Weise erkennen dürfen, als mich eine manifeste Angststörung zu einem selbstbestimmten Leben befreite (siehe Schizoid - die Angst vor dem Ich-Verlust). Spätestens im Zusammenleben, also in der Gesellschaft, wird die Angst von einem privat-psychologischen zu einem gemeinschaftlichen, zu einem politschen Thema, das im engen Zusammenhang mit dem Fortbestand unserer Demokratie steht.

Mauern gegen Angst: Grenze USA/Mexiko (ProtoplasmaKid / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0)

Es ist die eine Seite der Erkenntnis wenn Heinz Bude im Interview sagt: "das Bewusstsein der Angst sollte nie das Ziel haben, die Angst loszuwerden. Das ist meine Kritik an all denen, die von einer Welt links oder einer Welt rechts des Neoliberalismus träumen und behaupten, das wäre eine andere Welt, in der die Menschen keine Angst mehr hätten. Der Kampf gegen die Angst endet schnell in einem Kampf gegen die Freiheit." Die zweite Seite liegt in der Beantwortung der Frage, was an die Stelle der Angst tritt, wenn wir sie beseitigen.

Der Unterschied zwischen Angst und Furcht

Die Philosophie macht traditionell einen Unterschied zwischen Angst und Furcht. Angst hat kein Objekt wie die Furcht. Philosophisch gesprochen, kann ich also Furcht vor Spinnen haben. Die Angst, die wir mit der Furcht vor Spinnen verbinden, ist vielmehr die Unsicherheit selbst, das Tierische, die Bedrohung der sich unvorhersehbar bewegenden Beinchen. Wenn man das weiter analysiert, stellt man schnell fest, dass die Furcht einen Ausweg aus der Angst bieten kann, denn in der Furcht konkretisiert sich die Angst und ich kann die Spinne beseitigen und somit meine Angst vor der Invasion meines Körpers durch Kleinlebewesen wenigstens in diesem Moment beherrschen.

Was aber passiert, in diesem gesellschaftlichen und politischen "Kampf gegen die Angst", vor dem Bude hier warnt, weil er schnell in einem "Kampf gegen die Freiheit" ende?

"Man hat es heute mit einer verbreiteten »Politik der Furcht« (Alain Badiou) zu tun, die Angsvermeidung zu betreiben versucht. Das tut sie, indem sie Angst in Furcht verwandelt." (Frank Ruda, Agora42, 04/2018, S. 52)

Zuerst einmal ist das natürlich ein verständlicher Reflex: Wir wollen der unerklärlichen Angst, die wir als rundum verletzliche Wesen, konfrontiert mit einem unklaren Bedrohungsgefühl und der Unsicherheit einer offenen Zukunft ganz natürlich haben, ein Objekt entgegensetzen und unsere Angst somit aktiv managen. So funktionieren nebenbei gesagt alle Volksmärchen, wie man an Rotkäppchens bösem Wolf im tiefen dunklem Wald gut sehen kann. Spinnen, Flüchtlinge, eine mächtige und verschworene Elite – Hauptsache es gibt etwas, auf das man mit dem Finger zeigen kann und von dem man sich abgrenzen kann, ob mit Waffen, Mauern oder wenigstens mit Worten.

Populismus oder die Politik der Furcht

In dieser Entlastung von der Angst durch die Furcht sehe ich auch den wichtigsten Grund, warum es Menschen so schwer zu verübeln ist, wenn sie Populisten auf den Leim gehen. Populisten spielen mit unserer Angst und instrumentalisieren sie, gerne mit der Inszenierung von Einzelfällen, die statistisch als Bedrohung nicht haltbar sind. Ein Einzelfall ist aber immer viel illustrativer und lädt zur Identifikation ein, während eine Statistik für das emotionale Verständnis zu abstrakt ist, obwohl sie eine viel größere Relevanz im Abbild dessen hat, was ist. Wieso aber endet dieses politische Verwandeln von Angst in Furcht schnell im Kampf gegen die Freiheit?

"Die heutige Allgegenwart der Furcht (und nicht der Angst) ist ein Symptom von buchstäblichen Verdinglichungsprozessen von Angst. So zeichnet sich etwa der politische Populismus in der Regel dadurch aus, dass er immer ein klares Objekt (Flüchtlinge etwa oder vormals: die Juden) benennt, das angeblich unsere Welt, unseren Lebensstil oder unser eigenes Leben bedroht; ein Objekt, das uns nicht so leben lässt, wie wir es eigentlich schon immer leben sollten und wollten." (A.a.O.)

Wenn wir die Angst zugunsten der Furcht verdrängen, dann vergeben wir uns nicht nur die Chancen, die sich aus der Angst ergeben, denn, wie Bude sagt, "Angst ist ein Suchbegriff, um unsere Zeit zu verstehen; Angst ist aber auch ein Hoffnungsbegriff, um aus dieser Zeit herauszukommen". Wir machen auch immer andere Menschen zu Sündenböcken, auf die wir unsere Angst projizieren und die dadurch wirklicher Gewalt, Vertreibung und sogar der Vernichtung ausgesetzt sind. Ganz nebenbei eliminiert das auch noch unsere humanistischen Grundwerte und führt uns aus der freiheitlichen Demokratie heraus in eine repressive Gesellschaft, in der man aufpassen muss, was man anzieht, was man sagt oder schreibt und in der man nicht die "falsche" Herkunft haben darf. Die Philosophin Martha Nussbaum meinte im Interview:

"Die Angst herrscht heute gleich zwei­fach mon­ar­chisch. Zum einen lässt sie die Ängst­li­chen nach star­ken Macht­ha­bern su­chen, die wie Kö­ni­ge Schutz und Si­cher­heit ver­spre­chen, keine Zeit mit De­bat­ten und In­for­ma­tio­nen ver­lie­ren wol­len und von oben herab an­sa­gen, was rich­tig und falsch ist. Aber zum an­de­ren ver­wan­delt die Angst auch In­di­vi­du­en in Herr­scher, die an­de­re von oben herab her­um­kom­man­die­ren wol­len." (ZEIT, Wie herrscht Angst?)

Eine Monarchie ist nun genau das Gegenteil von einer Demokratie und es zeigt sich, wie ich an anderer Stelle beschrieben habe (Eine Superelite für das Volk), dass der reaktionäre Populimsus genau dieses nostalgische Phantasma einer wohlgeordneten Welt mit einem Herrscher von Gottes Gnaden wieder herstellen will.

Angst und Freiheit

Mit anderen Worten, wir können nur dann frei leben, wenn wir Angst zulassen und aushalten. Wir sehen an populistischen Phänomenen wie dem Brexit, den Regierungen in Ungarn und Polen oder der Präsidentschaft Trumps, wohin der Versuch führt, die vermeintliche Unsicherheit und progressive Offenheit unserer Gesellschaften gegen einen Weg zurück in eine vermeintlich sichere, weil nationalistisch geschlossene Gesellschaft führt: Zu Dummheit, zu Chaos, zu Bürgern, die sich in radikalen Fronten gegenüber stehen und letztlich zu einer großen gesellschaftlichen Unfreiheit.

Was bedeutet Zuwanderung ganz persönlich für meine Zukunft und die meiner Familie? Was und wie entscheiden irgendwelche Leute da in Brüssel über mein Leben? Was bedeutet es für unseren Wohlstand, wenn wir die Energiewende ernst nehmen? Welche Entscheidungen soll ich heute treffen, damit es mir morgen gut geht? Diese Fragen sind für uns nicht ganz einfach und rückstandslos zu beantworten und das ist natürlich unangenehm, denn nichts scheuen wir so sehr wie Unsicherheit, wenn es um unsere Zukunft geht, über die andere zu entscheiden scheinen. Ohne Unsicherheit keine Freiheit und deshalb keine Freiheit ohne Angst. Das gilt politisch wie privat.

"Angst, so bringen es die Phiolosophie und die Psychoanalyse auf den Punkt, konfrontiert uns deswegen mit einer entscheidenden Dimension unserer Freiheit. [...] Wovor wir in der Angst Angst haben, ist der Abgrund unserer Freiheit." (A.a.O.)

Wir brauchen Mut, um in einer sich ständig verändernden und immer weiter öffnenden Welt zu leben. Es ist beispielsweise sehr verständlich, dass uns unbehaglich wird, wenn wir sehen, dass im Zuge der Globalisierung immer mehr fremde Menschen mit anderen Sprachen, Sitten und Gewändern in unser Land kommen. Identität braucht Abgrenzung. Das ist OK! Nur wir müssen den Mut haben, uns unseren Ängsten zu stellen, ihnen auf den Grund zu gehen und nicht den Rattenfängern hinterherlaufen, die uns den erst besten Sündenbock leifern. Unsere Ängste liegen viel tiefer, als die Furcht vor fremden Menschen! Und wenn wir verstehen, dass unsere Ängste zu uns gehören und nicht durch antiliberale Politik zu stillen sind, dann gewinnen wir an Souveränität gegenüber unserer Angst und können über die Panikmache von Politik und Medien nur lachen. Meine Angst ist inzwischen ein Begleiter geworden, der mir auf dem Weg am Abrgund entlang Balance einflüstert. Denn Freiheit allein geht nicht – man braucht einen Halt und den findet man nur, wenn man seine Angst wirklich auf intime Weise kennt und ihr zuhört, anstatt sie zu vermeiden.




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    3 Kommentare:

    1. Burkhard Vollmers6. Februar 2019 um 17:03

      Eine erlebte Angststörung, wenn man sich mit ihr auseinandersetzt und sie behandelt, hat vielleicht den Vorteil, dass man sich der eigenen Angstabgründe bewusst wird und auch erkennt, wie sie das normale (nicht manifest ängstliche) Verhalten im Alltag beeinflussen, z.B. eine Partei zu wählen. Viele Wähler von Rechtspopulisten entscheiden sich dafür aus Angst, sind sich dessen aber gar nicht bewusst. Ängste sind durch die Politik grundsätzlich nicht zu stillen. Das ist nicht ihre Aufgabe. Und wer wie die Rechtspopulisten so tut, als sei dies möglich, betrügt die Menschen. Dies ist wohl ihre bewusste antidemokratische vernebelnde Politikstrategie.

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    2. Vielen Dank für Ihren Kommentar! as mit der verarbeideten Angstsörung ist wohl so. Gleichwohl kann man das nicht jedem so wünschen.
      Wie bewusst diese "antidemokratische vernebelnde Politikstrategie" ist, wüsste ich gern. Oft denke ich, dass sie auch einfach ihren nie durchdachten Intuitionen trauen und es daher auch so gut andockt bei vielen.

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      1. Burkhard Vollmers21. Februar 2019 um 11:41

        Danke für die Replik. Ich beziehe mich jetzt Mal nur auf Deutschland. Es stimmt, das Andocken zwischen den Politikern der AFD und den Wählern funktioniert so gut, weil sich hier die unbewussten (von Angst getriebenen) Intuitionen beider Seiten treffen. Andererseits werden von AFD-Politikern aber mit strategischer Intention Nebelkerzen gezündet. Ich denke z.B. an die Aussage von Frau Weidel in Talkshows vor der letzten Wahl, dass die Zahl der Tötungsdelikte von Migranten in einem Jahr um 100 Prozent gestiegen sei, oder die Rede von Gaulandt zur deutschen Geschichte mit der Vogelschiss-Aussage über die Nazi-Zeit. Das ist Lüge (Weidel) oder Geschichtsrevisionismus (Gaulandt) als bewusste antidemokratische Strategie.

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