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14. November 2020

Politische Schurken: Ausgeburten des Ressentiments

Warum wir manchmal nicht den Helden, sondern seine Widersacher wollen

Vier Jahre lang war ich besessen von einer Figur des öffentlichen Lebens. Meine Obsession war die amerikanische Innenpolitik und besonders alles rund um Donald Trump. Ich konnte nicht anders als morgens beim Frühstück ins Internet zu schauen, was er jetzt schon wieder an unheimlichen Dummheiten gesagt, getwittert oder getan hatte. Ich bin ganz ehrlich, ich hätte es keine vier weiteren Jahre ausgehalten und hatte schon meine Frau verpflichtet, dass sie mich im Falle seiner Wiederwahl bitte davon abhalten müsse, Artikel, Bücher oder Video-Clips rund um Trump und die USA zu konsumieren. Wo meine Obsession herkam? Zum Teil sicher aus meiner biographischen Verbindung zu den USA, meinem Leben und Reisen dort. Zum anderen aber aus dem fassungslosen Staunen darüber, die sich wiederholende Geschichte zu erleben und mit ansehen zu müssen, wie wir jahrhunderte lange Errungenschaften der Zivilisation und Demokratie demontieren.

 

Schurke, statt Held: Trump als Darth Vader

 

Im Kern dessen lag für mich ein Mysterium: Immer wieder in unserer Geschichte ernennen wir Gestalten zu unseren Vertretern, Führern oder Herrschern, die alles andere als einen Vorbildcharakter haben. Menschen wie Donald Trump zum Beispiel, die man aus einer mythologischen Perspektive als nichts anderes bezeichnen kann als einen Schurken. Aus Perspektive der mythenbeladenen Popkultur rund um die Super Heroes wie Batman, Spiderman oder James Bond tragen diese Menschen ganz deutlich die Zeichen ihrer Widersacher, also der Bösewichte. Eigentlich wollen wir doch von Helden geführt werden.

 

"Der Held ist der Mann, der aus dem Meer der Verzweiflung an Land geht. In ihm beginnt das Abenteuer der Zivilisation als Kolonisierung des ichhaften Festlands – das Wohnen und Thronen auf neuem Kontinent: Eigenmacht, Können, Wollen, Wissen." Sloterdijk: Weltfremdheit (edition suhrkamp), S.23.

 

Der Held ist damit Vorbild für uns alle "normalen Menschen" und zeigt uns, was wir noch zu lernen haben, um wirklich selbstbestimmte – und damit "erfolgreiche" – Menschen zu werden. Die Weisheit des Helden kommt aus seinem durchlebten Leid und seiner selbst erarbeiteten Überwindung dieses Leids. Die Lebensgeschichte des Helden mit all seinen Widrigkeiten und Erfolgen am Ende, zeichnet ihn aus als einen, der auch andere aus dem Leid zum Erfolg führen kann.

 

Die Dunkle Seite der Macht

Es stellt sich also unmittelbar die Frage, warum wir manchmal Schurken, Bösewichte – Psychopathen wie Trump – zu unseren Führern ernennen? Um das zu verstehen, müssen wir zuvor schauen, was den Helden vom Schurken unterscheidet und wo wir anderen – der menschliche Durchschnitt – uns in Abgrenzung zu Helden und seinen Widersachern befinden.


"Was sind die Taten des Herakles anderes als das offizielle Pendant zum hypochondrischen Zwölfkampf gegen die Tücken des Lebens?" Sloterdijk: Weltfremdheit (edition suhrkamp), S. 24.

 

Wir alle, ob Helden, Schurken oder durchschnittliche Menschen auf dem Spektrum dazwischen, haben dieselbe Entstehungsgeschichte: Wir werdern qua Geburt ungefragt ausgesetzt in eine Welt der Kränkungen. Gute Eltern versuchen das abzumildern und führen ihre Kinder behutsam an die Zumutungen und Kränkungen heran, die das Leben des Individuums bestimmen werden. Die Kinder dieser Eltern werden – mythologisch gesprochen – weder zu Bösewichten noch zu Helden werden. Sie sind der Durchschnitt. Die wirklich ausgesetzten, die Findelkinder, die Gequälten und Vernachlässigten, die werden vor die Wahl zwischen Bösewicht und Held gestellt. Sehr gut dargestellt ist diese Ambivalenz zum Beispiel in Darth Vader aus dem Krieg der Sterne. Auch er ist ein Jedi wie sein Sohn und Widersacher, der Held Luke Skywalker. Nur leider hat es Darth Vader auf die "dunkle Seite der Macht" verschlagen.

Was führt dazu, dass jemand "auf die dunkle Seite" wechselt? Ganz abstrakt könnte man sagen, dass dem Helden die Weisheit zukommt, die seinem Widersacher nicht zugänglich ist. Der Held kann über seine eigenen unmittelbaren Bedürfnisse hinaussehen, fühlt sich in andere Menschen ein, findet zu einer klaren moralischen Unterscheidung zwischen richtig und falsch (moralisch: gut und böse) und kann seine Emotionen regulieren. 

Der Schurke hingegen ist selbstsüchtig und folgt opportunistisch seinen Interessen. Er kann nur mit jenen zeitweise kollaborieren, deren Interessen sich mit seinen decken. Ihm fehlt Empathie, er fühlt sich gerade nicht in andere ein, sondern spricht ihnen legitime Interessen, Leidensfähigkeit und das Recht auf ihren eigenen Erfolg ab. Einen moralischen Kompass besitzt der Schurke nicht, sondern er unterscheidet zwischen richtig und falsch nur insoweit etwas seine Interessen befördert oder behindert. Emotionen kann er nicht regulieren, wie wir an Darth Vader in Star Wars, dem Joker von Bat Man oder Joffrey Baratheon in Game of Thrones sehen können. Sie alle sind nicht nur nicht empathisch, sondern geradezu hyper-narzistisch, schamlos, erratisch und ungefiltert grausam.

 

Der reduzierte Anti-Held

Ich bestehe darauf zu sagen, dass solche Darstellungen von Helden und Schurken geradezu archetypische Karikaturen sind. Die Unterscheidung in Held und Widersacher ist so binär, wie sie im wirklichen Leben kaum sein kann. Denn wir alle haben ganz offensichtlich Anteile von beiden Seiten in uns und das ist auch Teil der Bedeutung von Mythen, Märchen und Comics.

Donald Trump ist als Firgur so unheimlich interessant, so aufschlussreich und sinngebend für unsere Zeit, weil er lediglich Anteile der einen Seite zeigt. Er ist selbst diese Karikatur, ein unwahrscheinlicher Archetypus, denn in seiner für uns sichtbaren Erscheinung vereint er alle Eigenschaften des klassischen Bösewichtes ohne jegliche Subtilität. Man muss sogar sagen, dass er ein verarmter, ein reduzierter Anti-Held ist, denn er hat nicht einmal die liebenswerten Seiten, das Verführerische, Manipulative oder den Humor typischer Bösewichte. Jetzt, nach verlorener Wahl, zeigt er jedoch wenigstens ganz menschliche Schwächen: Wie ein Kind, das beim Monopoly verloren hat, schließt er sich beleidigt in sein Zimmer ein, leugnet die Realität und schaut verstockt Fernsehen.


Wenn sich gut und dumm annähern

Die Frage von oben spitzt sich zu. Sie lautet jetzt nicht nur: Warum wählen wir Schurken zu unseren Führern? Sie lautet jetzt: Warum ernennen wir armselige, dumme, kindische und humorlose Schurken zu unseren Führern? Dazu sollten wir kurz auf Nietzsches Einlassungen zur Moral schauen. Nietzsche stellte zwei Typen von Moral gegeneinander und verwies schon selbst darauf, dass diese binären Typen nicht in Reinheit zu finden sind, sondern immer durcheinandergehen, sogar "innerhalb Einer Seele". Auf der einen Seite die "Herren-Moral", die er keineswegs unkritisch darstellt und auf der anderen Seite, die sogenannte "Sklaven-Moral". (Ehrlich gesagt, ist das kein unproblematisches Feld, denn wie immer ist Nietzsche hier ein Philosoph für alle und keinen, einer, dessen Worte man so oder so vereinnahmen könnte und ihm damit immer Unrecht täte. Als archäologischer Tagebau funktionieren Nietzsches Werke jedoch auch in dieser Frage zuverlässig.)


"Der Blick des Sklaven ist abgünstig für die Tugenden des Mächtigen: er hat Skepsis und Misstrauen, er hat Feinheit des Misstrauens gegen alles »Gute«, was dort geehrt wird –, er möchte sich überreden, dass das Glück selbst dort nicht ächt sei." Neitzsche: Jenseits von Gut und Böse.

 

Genau das finden wir in der Rede über "die Elite". Hier bricht sich das Ressentiment Bahn, dass "die Herrschenden" mit ihren feinen Manieren, ihrer guten Ausblidung und ihren Ressourcen nur die "kleinen Leute" unterdrücken und klein halten wollten. Und da ist ja auch etwas dran, muss man sagen. Nur ist es eben zum Augenreiben, wenn dann plötzlich jemand wie Donald Trump oder Berlusconi oder Le Pen, die eben alle zu Geld- und Machteliten gehören, auf der Bühne erscheinen und sich als die verkaufen, die den Geknechteten zu ihrem Recht verhelfen wollen. Nichts könnte weiter von ihren wirklichen Motiven entfernt sein. Warum es trotzdem funktioniert? Weil es gut inszeniert ist. Donald Trump ist eben nicht trotz seiner Dummheit und seines ungehobelten Auftretens auf der populistischen Bühne erfolgreich, sondern wegen dieser Eigenschaften:

 

"Überall, wo die Sklaven-Moral zum Übergewicht kommt, zeigt die Sprache eine Neigung, die Worte »gut« und »dumm« einander anzunähern." Neitzsche: Jenseits von Gut und Böse.

 

Wer schlau ist und klug redet, setzt sich dem Verdacht aus, zur Elite zu gehören. Wer vulgär ist, etwas bauernschlau und sich um Umgangsformen nicht schert, der signalisiert, dass er nicht zu dieser Elite gehört. Trotzdem – Trump und seine Anhänger sind in dieser Logik für uns Europäer nicht ganz einfach zu verstehen. Wir würden sicherlich niemals jemanden, der wie Trump mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde als "einen von uns" bezeichnen. Jemand, der Milliarden von seinem Vater geerbt (und dann verspielt) hat, ist kaum "einer von uns". Das ist allerdings im evangelikalen amerikanischen Traum etwas anderes, denn hier scheint Gottes Licht durchaus auf die Reichen. Reich sein ist kein Objekt des Neids wie bei uns, sondern ein Zeichen, dass Gott mit Wohlwollen auf den schaut, der da reich ist. Umso tauglicher für die amerikanische "Sklaven-Moral", wenn dieser Mensch dann ungehobelt, etwas dumm und vulgär ist. Denn hier paart sich "einer von uns" mit jemandem der so ist, wie wir gern wären, nämlich reich oder erfolgreich.

 

"Ressentiment ist das Sentiment der Subjekte, die unter die Dinge geraten sind. [...] Im Ressentiment reflektiert sich die Unleidlichkeit einer Existenz, die immer wieder auf die Folgen ihrer anfänglichen gewaltsamen Aussetzung stößt." Sloterdijk: Weltfremdheit (edition suhrkamp), S. 24.

 

Natürlich müssen wir endlich anfangen, das Ressentiment ernst zu nehmen. Denn die Dummheit an der Macht ist letztlich eine Folge des Ressentiments gegen vermeintliche Eliten und das Ressentiment selbst speist sich daraus, dass auch in den entwickelten Ländern große Teile der Menschen zunehmend "unter die Dinge geraten sind". Eine von greifbaren Werten entkoppelte Geldmaschine, die ganz offenkundig nur den Reichsten unter uns dient und ansonsten Verschmutzung, Stress und kaum wirtschaftliche Sicherheit für die schafft, die in der Maschine arbeiten, scheint uns so ein Ding zu sein, unter das wir zunehmend geraten sind. 

Man kann hier vom sozialen Frieden reden, der gefährdet ist. Ich finde das immer etwas zynisch, weil es impliziert, dass wir Gerechtigkeit nicht deswegen herstellen wollen, weil es das aus humanistischer Sicht gebotene darstellt, sondern weil sonst die Armen aufbegehren und die Paläste der Reichen stürmen. Solchen sozialen Krieg gilt es gerade so zu verhindern. Nicht zu viel Gerechtigkeit – wir wollen ja nicht, dass die Armen reich werden. Aber ein bisschen Gerechtigkeit, damit sie nicht losstürmen. 

Auf der anderen Seite: Es ist eben die Minimalvoraussetzung dafür, wieder zu Sinnen zu kommen und die Idioten und Dummen nicht an die Macht kommen zu lassen. Erst mit sozialem Frieden ist Demokratie möglich und erst von da aus können wir wieder in die Richtung einer sozialen Marktwirtschaft gehen, an der alle partizipieren können, ohne dass es deswegen keine Unterschiede im Besitz geben darf. Wer es braucht, soll von mir aus Porsche fahren, kein Problem. Die Grenze wird nicht im Besitz überschritten, sondern dort, wo reiche Eliten (wie die Trumps oder die Clintons) sich den Staat kaufen und damit die Reichen immer mächtiger und die Armen immer machtloser machen. An diesem Punkt werden die Völker anfällig für Schurken, Bösewichte und Psychopathen.


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1 Kommentar:

  1. Grandios geschrieben! Ein sehr aufschlussreicher und faszinierender Beitrag. Vielen Dank.

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