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19. Februar 2011

Was würde Larry David tun?

Larry (rechts): Die Begegnung mit anderen ist immer etwas unangenehm...

Meine absolute Lieblingsfernsehshow ist Curb Your Enthusiasm (Deutsch: Lass es, Larry!) von und mit Larry David. Larry spielt sich in der Show selbst, also Larry David, der Autor einer der erfolgreichsten amerikanischen Sitcoms aller Zeiten: Seinfeld. In Curb Your Enthusiasm lebt Larry als reicher Mann mit seiner bezaubernden Frau in Los Angeles mehr oder weniger beschäftigt in den Tag hinein. Ohne Frage, es ist ein privilegiertes Leben, aber darauf kommt es gar nicht an.

All die sinnlosen Regeln
Larry ist ein etwas zwanghafter Mensch mit ausgeprägten Marotten und Überzeugungen einerseits und einer ausufernden Toleranz gegenüber den Eigenarten seiner Mitmenschen auf der anderen Seite. Nichts menschliches scheint ihm fremd. Er macht keine Unterschiede zwischen Geschlechtern, unterschiedlichen Hautfarben, Religionen oder Menschen mit und ohne Behinderungen. Er verlangt von allen dieselbe Integrität. Er liebt und beschimpft Schwarze genauso wie Weiße und er verlangt von einem Rollstuhlfahrer dieselbe Rücksicht im Straßenverkehr wie von einem Wrestler. Er behandelt seine Putzfrau mit demselben Respekt, wie den Boss eines Hollywood Studios und hat an alle dieselben Erwartungen: Sie mögen fair und vernünftig sein...

Über allem schwebt Larrys hoher Vernunftsanspruch und sein mangelndes Gespür für Takt in gesellschaftlichen oder intimen Situationen. Er meint es nur gut und wird doch immer missverstanden. Larry kann sich nicht selbst betrügen: Wenn er etwas denkt, dann sagt er es. Und wenn ihm etwas sinnlos erscheint, dann wird er versuchen, es so lange zu erklären, bis sein Gegenüber es versteht oder frustriert aufgibt.

Als Beispiel: Als er einmal dringend einen Blumenstrauß benötigt, nimmt er einen von einer mit Blumensträußen überhäuften Gedenkstätte und muss sich anschließend dafür rechtfertigen. Er versteht, dass er es den gesellschaftlichen Konventionen zufolge nicht hätte tun sollen, aber die Motive für diese Regeln überzeugen ihn nicht: Den Toten ist es egal, ob dort Blumen sind und für die noch Lebenden kann es auch keinen Unterschied machen, ob dort nun 150 Sträuße liegen oder 151. Eine andere Situation: Ein Arzt lässt Larry im Sprechzimmer lange warten, ihm wird langweilig und er greift nach dem Arzt-Telefon und ruft seinen Freund an. Als der Arzt reinkommt, ist er entsetzt: Das Telefon darf nur vom Personal benutzt werden. Warum? Dafür gibt es keine guten Gründe (Ortsgespräche sind in den USA kostenlos) - es ist einfach so eine Regel. Larry kann das nicht akzeptieren und diskutiert mit dem Artzt, bis sie in gegenseitigem Unverständnis auseinander gehen.

In jedem steckt ein Larry
Warum liebe ich Larry David? Er ist eine Art Don Quichotte, er kämpft den noblen Kampf gegen die Dummheit und sieht dabei selber immer dumm aus. Was ihn jedoch so unglaublich sympathisch macht, ist sein großer Humor gepaart mit unermesslicher Selbstironie, seine bedingungslose Ehrlichkeit und die bedingungslos radikale Toleranz. Und natürlich spüren wir als Zuschauer eine tiefe Befriedigung, wenn Larry einfach das sagt, was wir schon immer denken und uns nie zu sagen trauen: "Zum Teufel mit all dem Scheiß!" Diese ganzen Regeln in unserem Leben sind einfach dummes Zeug und noch unerträglicher sind die Leute, die diesen Regeln blind folgen. Noch schöner ist aber, dass ich bei meinen Freunden, die ich zu Larry David "bekehrt" habe, und bei mir selbst sehen kann, dass wir nicht mehr einfach nur den Mund halten, wenn wir mit Blödsinn konfrontiert werden.

Meine Freundin beispielsweise war neulich bei einem Physiotherapeut. Der bat sie, sich frei zu machen und auf die Liege zu legen, er käme gleich wieder. Als er nach 8 Minuten immer noch nicht wieder da war, zog sie sich wieder an und ging. Auf dem Weg aus der Praxis begegnete sie dem Therapeuten, der sie anfuhr, was ihr einfalle, einfach wieder aufzustehen. Im Larry David Style erklärte sie ihm ganz ruhig, dass sie hier nicht ewig halbnackt auf ihn warten könne. Sie nahm sich die Zeit, ganz genau ihre Motive zu erklären, so dass er es eigentlich verstehen müsste. Natürlich blieb er trotzdem sauer, denn sie ging dann und ließ ihn stehen. Sie nimmt die Privilegien, die sich "Halbgötter in weiß" oder andere vermeintliche Autoritäten herausnehmen, nicht mehr einfach so hin. Das sind auch nur Menschen und sie sollten sich das Gespür für ihre Mitmenschen erhalten und sie nicht einfach als "Patienten" kategorisieren und dann herablassend behandeln. Bei mir ist es ähnlich, ich nehme die Dinge auch nicht mehr einfach so hin.

Wie man den Larry rauslässt
Der Trick ist folgender: Wenn man diesen unangenehmen Moment in sich spürt, dass diese Situation irgendwie nicht richtig ist, muss man einfach eine Pause machen. Stehen bleiben! Den anderen ansehen. Nicht weg gehen. Man muss sich diese zwei, drei unbehaglichen Sekunden geben und zögern. Damit rechnet der andere nicht. Die, die uns blöd kommen, rechnen damit, dass wir es runterschlucken und weitergehen. Larry macht in so einer Situation immer eine Pause und sagt dann sowas wie: "Wissen Sie... ehem... was Sie da gerade gesagt haben... naja... das kann man so eigentlich nicht stehen lassen..." Und schon hat man die Situation in der Hand. Der andere ist verdutzt. Man hat sozusagen seine Selbstbestimmung kenntlich gemacht und verdeutlicht, dass man ein Mensch mit denselben Rechten ist, wie der andere. Und dann kommt man ganz einfach mit einer vernünftigen Erklärung, ohne den anderen zu verurteilen oder zu bedrohen. Man könnte das Schlagfertigkeit nennen, aber das klingt mir zu sehr nach Schnelligkeit. Larrys Technik ist aber das Zögern, den anderen in einen leicht unbehaglichen Zustand zu versetzen und dann an seine Vernunft zu appellieren. Ganz wichtig für einen selbst: Man muss bereit sein, dieses Unbehagen selbst auszuhalten. In Curb Your Enthusiasm ist das natürlich überzeichnet und Larry macht sich dabei oft lächerlich. Das kann man im wahren Leben aber sicher etwas ausbalancieren.

Noch ein Beispiel: Ich war neulich nur mit Handgepäck am Flughafen und eine etwa vierzigjährige Frau drängelte von hinten an mir vorbei und fuhr mit ihrem Trolli über meinen Fuß. Ich lief hinter ihr her und sagte: "Entschuldigen Sie bitte, ich hätte ihnen gerne mehr Platz gemacht, wenn sie etwas gesagt hätten. Ich hätte ihnen sogar die nächste Tür aufgehalten oder ihnen mit ihrem Koffer geholfen, wenn sie sich verständlich gemacht hätten." Die Frau murmelte nur etwas und hastete weiter. Ich fühlte mich besser, hatte die Situation unter Kontrolle und war nicht einfach das Opfer einer Dränglering geworden. Eine andere Situation, die mir dauernd passiert: Ich gehe in einem öffentlichen Gebäude auf eine Glastür zu, sehe Leute auf der anderen Seite entgegenkommen und ziehe die Tür auf. Wie ganz selbstverständlich gehen die mir entgegenkommenden Laute durch die Tür, während ich stehen bleiben muss, weil ich gegen meinen eigenen Lauf Kraft aufwenden musste, um die Tür zu öffnen. Ich sage dann so etwas wie: "Gern geschehen. Ich bin zwar nicht hier angestellt, um Ihnen die Türen aufzuhalten, aber ich mach das gerne. Obwohl es höflicher von ihnen gewesen wäre, wenn sie mich zuerst durchgelassen hätten, da ich ja auch die Tür aufgemacht habe." Dieselbe Sache: Es fühlt sich gut an, wenn die anderen etwas peinlich berührt sind, durch mich aus ihrer Alltagsblindheit herausgerissen wurden und eine kurze Pause in ihrem Leben einlegen, um zu erkennen, dass um sie herum auch überall Menschen mit genauso wichtigen Vorhaben sind, wie sie selbst. Man muss sich natürlich überlegen, ob man sich den Ruf eines Querulanten zulegen möchte. Vorteile hat das auch: Die anderen nehmen einen wahr, sie rechnen mit dir.

Und zu guter Letzt hier eine meiner Lieblingsszenen:

4 Kommentare:

  1. Wunderbarer Artikel zu einer Lebenseinstellung, die ich erstaunlicherweise seit einiger Zeit unbewusst versucht mir selbst anzueignen.
    Schön, dass mal so beschrieben zu sehen! :)

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  2. Tja, mein Innerer Larry David hat mir in meiner damals begonnenen Ausbildung zum Bürokaufmann die Kündigung eingebracht. Das ist wohl damit gemeint, wenn Larry den noblen Kampf gegen die Dummheit kämpft und dabei selber dumm aussieht.

    Ich weigere mich auch, Regeln zu akzeptieren, die keinen Sinn ergeben, und ich bin bis heute noch nicht zu der Antwort gelangt, warum man eine Putzfrau anders als den Geschäftsführer behandeln sollte. Vielleicht werde ich es irgendwann begreifen - ich hoffe aber dieser Tag wird nie kommen.

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  3. Hi Alex,

    danke für deinen Kommentar. Hast du sicher nicht bereut, diese Kündigung!

    Stay Larry!

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