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29. Mai 2011

Alain de Bottons The Architecture of Happiness

Was habe ich bei diesem Buch geflucht! Nicht etwa wegen des Inhalts (dazu komme ich später), sondern wegen der furchtbaren Bindung dieser Penguin-Ausgabe von 2007. Es ist die pure Ironie, denn in de Bottons Buch geht es um Design und wie es dem Menschen und seinen Gewohnheiten entgegen kommen muss. Diese Ausgabe ist so stramm und unflexibel gebunden, dass man sie im Grunde gar nicht lesen kann. Ich muss ein Buch auf den Tisch legen, eine beliebige Seite aufschlagen, dann ein Glas Tee in der einen Hand und die Seiten mit der anderen Hand umblättern können, ohne dass das Buch sich von alleine umblättert oder gar zusammenklappt, wenn man nicht beide Hände dran hat oder die Deckel und Seiten durch schwere Gegenstände fixiert. Man kann dieses Buch nicht auf einen Tisch legen, ohne dass es zusammenklappt. In meiner Rage habe ich irgendwann angefangen, den Buchrücken zu brechen, nur damit ich lesen kann. Eine Schande. Eine unglaubliche Fehlentwicklung. Auch de Botton sieht das so ähnlich und hat mir auf seinem Facebook-Profile geantwortet "I [...] agree that the UK edition suffers, but only because the book is sewn rather than glued together." Aber nun zum Inhalt, denn der hat mich doch versöhnt....

Ist Architektur idealistisch?
Es ist ein grandioses Buch (und jetzt spreche ich vom Inhalt). De Botton ist ein Sprachkünstler, der es versteht, ultra-komplexe philosophische Zusammenhänge in ganz einfach zu lesender, aber sehr ästhetischer Sprache zu verdeutlichen. Seine Hauptthese ist, dass Architektur idealistisch ist. Architektur, die wir mögen oder erschaffen, verkörpert unsere Ideale. De Botton meint, dass wir in Kunst und Architektur das suchen, was wir vermissen oder anstreben. Die beiden Pole, zwischen denen alles hin und her pendelt, sind Abstraktion und Naturalismus. Er belegt diese kulturästhetische These dann an Beispielen der Architektur verschiedenster Epochen. Eine bewegte und chaotische Epoche, sehne sich nach Regeln und klarer Struktur, Abstraktion in Kunst und Architektur ist das Ergebnis. Heute, da unser Leben und unsere Städte geordnet und sauber seien, gäbe es den neuen Trend zum rustikalen, ländlichen, zum unverputzten Backstein und rohem Holz. Natürlich kann der Idealismus als Erklärung nicht für alles herhalten, vielfach ist Architektur auch ein Ausdruck der Zwänge und Nöte, in denen sich ein Volk befindet. Nehmen wir das frühe Mittelalter, als man Fenster so klein bauen musste, dass Wind, Wetter und Feind nicht hindurch in die dicken Mauern dringen konnte. Oder der Sozialismus: Die Plattenbauten sind nur zu einem winzigsten Teil ein Design der Sehnsucht. Mehr als alles andere ist es ein Design der Mangelwirtschaft.

Was ist schön?
De Botton untersucht auch, welche Aspekte uns Architektur schön erscheinen lassen. Gewisse Ordnungsprinzipen müssen eingehalten werden, eine Balance muss gewahrt ein, Eleganz ist ein wichtiger Faktor und natürlich Kohärenz, so dass die Elemente zueinander passen und nicht etwa verschiedene Stile gegeneinander in Konkurrenz treten. Das kann man in aller Ausführlichkeit nachlesen und sicher nicht nur in diesem Buch.

Utopie der Aufklärung
Mehr als de Bottons Grundkurs in Ästhetik oder seine kulturästhetischen Thesen fasziniert mich sein tiefes Verständnis vom Ineinandergreifen aller historischen und menschlichen Aspekte. Als ein Versteher, ein Aufklärer zeigt de Botton Verständnis für die Epochen und ihre Verbrechen. Und er nennt auch die heutigen Verbrecher beim Namen und zeigt, dass es nur das Nichtwissen um die menschlichen Bedürfnisse ist, das Bauherrn, Investoren und Architekten zum Verbrechern an Lebensqualität, Natur und Ästhetik macht. In diesem Sinne will de Botton nur lehren, Verständnis vermitteln für das, was Menschen brauchen. Hätten alle Städteplaner und Politiker dieses Verständnis und würden sich nicht kaufen lassen, dann stünde dem architektonischen Paradies kaum noch was im Wege.

Fazit
Alain de Botton es wieder geschafft, dass ich die alltäglichen Dinge in unserer Welt mit anderen Augen sehe. Ich verstehe besser, wie bestimmte Aspekte meiner Umwelt mich und meine Mitmenschen beeinflussen. Das ist das Höchste, was Philosophie tun kann: Uns die Matrix der Welt sehen lassen, in der wir leben. Letzte Anmerkung: Der Titel mit dem Wort "Happiness" ist reines Marketing, der Versuch, auf den Zug des Modethemas Glück aufzuspringen. Das Buch löst dieses Versprechen zum Glück nicht ein. Es geht fast nur um Architektur und kaum um Fragen wie "Welches Haus macht mich glücklich?" Was mir zum totalen Glück bei der Lektüre gefehlt hat: Die Hardcover-Ausgabe.

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