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1. Februar 2012

Die (un)durchschnittliche Persönlichkeit

Lars Lorber ist Autor des Persönlichkeitstests auf Typentest.de, wo er sich mit Persönlichkeit beschäftigt und alte Typologie mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen bringt. In diesem Artikel untersucht er Fragen nach Normalität und Durchschnitt in der Persönlichkeit. Aber lesen Sie selbst!

Was ist eigentlich normal? Meistens empfinden wir das als normal, was als Durchschnitt gilt, z.B. die durchschnittliche Körpergröße, das Durchschnittsgewicht, das durchschnittliche Einkommen oder die durchschnittlichen Essgewohnheiten. Aber gilt diese Normalität auch für die Persönlichkeit?

Henry Behrens tanzt mit seiner Katze
Zu erst einmal: was ist Durchschnitt? Was die Körpergröße angeht, ist der deutsche Durchschnittsmann laut Statistik 1,80 Meter groß und die deutsche Durchschnittsfrau etwa 12 Zentimenter kleiner. Nun sind Statistiken trügerisch. Denn in der Praxis könnte dies auch bedeuten, das 50 % der Männer 1,60 Meter groß sind, und die anderen 50% zwei Meter groß. Tatsächlich bedeutet es aber wirklich, dass 50 % der Männer zwischen 1,75 und 1,84 Meter liegen. Je weiter man(n) von diesen Zahlen wegkommt, desto weniger Männer gibt es in der entsprechenden Größe.

Wie ist das nun mit der Persönlichkeit? Wenn es in Studien um Persönlichkeit geht, dann ist meistens von den Big Five die Rede. Das sind die die fünf großen Persönlichkeitseigenschaften, die jeder von uns in unterschiedlich starker Ausprägung hat (Test z.B. hier): Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit (Rigidität) und Neurotizismus (Empfindlichkeit bwz. emotionale Instabilität).

Die Normalität, bzw. der Durchschnitt im Rahmen dieser Persönlichkeitseigenschaften bedeutet grob gesagt, im mittleren Bereich zu liegen. Also z.B. weder besonders hohe, noch besonders niedrige Extraversion zu zeigen, also weder Partylöwe, noch Stubenhocker zu sein. Die Verteilung ist dabei ähnlich wie bei der Körpergröße: die meisten Menschen liegen im mittleren Bereich. Je weiter man auf eine Seite nach außen kommt, also zu besonders hoher oder niedriger Ausprägung, desto weniger Menschen sind dort anzutreffen. Ungefähr in der Mitte zu liegen ist also mehr oder weniger normal, der Durchschnitt.

Allerdings geht es bei der Persönlichkeit nicht nur um einen einzigen Faktor, sondern um fünf Verschiedene, voneinander unabhängige. Das ist in etwa so, als wenn man zur Körpergröße noch die Haarlänge, das Gewicht, die Anzahl der Kinder und das Einkommen dazu nimmt. Das jemand bei allen Faktoren genau im Schnitt liegt, kommt vor, aber ist eher unwahrscheinlich. Die meisten Menschen haben kleine oder größere Abweichungen vom Durchschnitt in mehreren Bereichen. Das bedeutet: es ist normal, nicht in allem normal zu sein.

Was ist also, wenn die Persönlichkeit von der Normalität, vom Durchschnitt abweicht? Manche sind stolz darauf anders zu sein, andere schämen sich dafür. Manche nutzen ihre Abweichungen von der Normalität als Stärken, sind z.B. besonders extravertiert und kontaktfreudig, oder stolz darauf eher wenig verträglich zu sein, dafür aber harte Entscheidungen treffen, und den eigenen Willen durchsetzen zu können. Für andere zeigen sich solche Abweichungen als Schwächen, z.B. wenn in ihrem Umkreis kein Wert auf Offenheit und Innovationen gelegt wird, oder wenn sie durch hohen Neurotizismus mit starkem Stress oder Ängsten zu kämpfen haben.

Es ergeben sich also Möglichkeiten und Probleme, Stärken und Schwächen durch Abweichungen von der Norm. Z.B. kann hohe Gewissenhaftigkeit dank sehr zielorientiertem Denken und Handeln zu großem Erfolg führen: Man erreicht fast alles was man will, da man hart und beständig dafür arbeitet. Gleichzeitig kann dies aber auch zu Rigidität führen, dazu alles perfekt haben zu wollen und sich völlig zu überarbeiten.

Sehr niedrige Gewissenhaftigkeit kann dagegen zu einem sehr relaxten, lockeren Lebensstil führen, bei dem man einfach das macht, wozu man gerade Lust hat. Sie kann aber auch dazu führen, dass man keines seiner Ziele erreicht, alles schleifen lässt, oder gar überhaupt keine Ziele hat. In so einem Fall wäre etwas mehr Normalität, etwas mehr Durchschnitt, durchaus hilfreich. Ähnliche Beispiele lassen sich auch für die anderen vier Faktoren finden. Wer z.B. sehr hohe Offenheit für neue Erfahrungen hat, sprudelt nur so vor Ideen und will stets Neues ausprobieren, aber kann dabei auch viel zu abgehoben sein und sich zu oft auf Dinge einlassen, die kaum Bezug zur Realität haben. Wer sehr niedrige Offenheit hat, ist zwar bodenständiger und hält sich an traditionelle Erfahrungen und Werte, von denen er weiß, dass sie funktionieren. Dafür verschließt er sich auch notwendigen Veränderungen.

Nicht im normalen, durchschnittlichen Bereich zu liegen, ist also nicht von Haus aus positiv oder negativ. Wenn wir alle genau im Durchschnitt liegen würden, gäbe es keine verschiedenen Persönlichkeiten, alle wären gleich. Jeder würde gleich denken und handeln. Ziemlich langweilig, oder? Abgesehen davon: Wer sollte dann spezielle Probleme lösen, wenn jeder genau die gleiche Herangehensweise hat? Deswegen werden normale, durchschnittliche Persönlichkeitseigenschaften genauso gebraucht, wie in die eine oder andere Richtung abweichende.

Was bleibt abschließend zu sagen? Überlegen Sie einmal, was Sie vom Durchschnitt abhebt, was Sie besonders macht. Und Nutzen Sie es zu Ihrem Vorteil!

7 Kommentare:

  1. Je mehr man von der Norm abweicht, desto größer ist der Druck, auch außerordentliches zu leisten. Man wird zu einem "Typ", den andere (eher der Norm entsprechende) mit einer gewissen Distanz wahrnehmen. Geht es dabei nicht um eine Art Verantwortung, die man durch seine Besonderheit übernimmt?

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    1. Da wäre die Frage, ob denn Menschen die Außerodentliches leisten, auch außerordentliche Persönlichkeiten sind? Meistens wahrscheinlich schon.
      Aber muss deshalb ein Druck auf jemandem lasten, der Besonders ist? Ich denke nicht. Es sei denn, der Druck kommt von innen.

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  2. Als ich nach meinem Burn-Out eine psychosomatische Rehaeinrichtung aufgesucht habe, stellte man mir die Frage, was ich denn erreichen wolle. "Normal werden" hab ich gesagt.
    Heute kann ich darüber schmunzeln - und dieser Artikel bestätigt mich, wie auch Manfred Lütz's "Irre wir behandeln die Falschen", darin.

    Heute weiß ich, daß ich eben so bin wie ich bin, was aber nicht heißt, daß ich unveränderter bin.
    Ich mag von der Persönlichkeit her vielleicht sehr perfektionistisch sein, das bedeutet aber nicht, daß ich zwangsläufig immer so handeln muss. Ich habe immer einen Entscheidungsspielraum und inzwischen kann ich mich darüber freuen, wenn ich mich mal wieder dabei ertappe, perfektionistisch Vollgas zu geben und mir dann einfach sage: "Ach schau mal Jan, da willst Du also mal wieder lang... mach das doch heute, wenn es dir schon auffällt, einfach mal bewußt nicht."
    Und siehe da, kann es ein größeres Gefühl von Freiheit geben, als zu sehen, daß man zwar eine gewisse Veranlagung hat, ihr aber nicht maximal nachgeben muss?

    Ich glaube, das ist es doch auch, was das Leben so spannend macht, selbst daran zu arbeiten, zwischen den verschiedenen Veranlagungen irgendwo einen Ausgleich, eine innere Mitte zu finden, mit dem/der man selbst leben kann.

    Immer wieder schön in diesem Zusammenhang ist Hirschhausens Pinguinprinzip ...

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    1. Richtig, jeder hat diesen Entscheidungsspielraum. Der eigene "Durchschnitt" bedeutet ja auch nur, das man sich meist auf eine bestimmte Art und Weise verhält. Diese Art und Weise weicht aber auch immer mal in die eine oder andere Richtung ab, oder kann ein Stück weit in eine Richtung trainiert werden.

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    2. Finde ich auch extrem wichtig: sich selbst kennen lernen, anstatt sich seiner eigenen Natur nur auszuliefern. Das ist der Unterschied zwischen leben und ein Leben führen

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    3. Kleine Ergänzung:

      Gestern habe ich im Lehrbuch "Psychologie der Persönlichkeit" von Jens Asendorpf gelesen:

      "Das Profil der Modalwerte (=Durchschnittswerte) der 5 Skalen (gemeint sind die Big Five) kommt selbst bei 100.000 Personen aller Wahrscheinlichkeit nicht ein einziges Mal vor... Nur zwei unter einer Million Personen würden also der statistischen Normalität perfekt entsprechen."

      Es freut mich natürlich, dass meine Sichtweise durch ein entsprechendes Lehrbuch bestätigt wird: nicht normal zu sein, ist völlig normal. Es klingt paradox, aber vollkommen der Normalität, also in allen Bereichen dem Duchschnitt zu entsprechen, ist äußerst selten und nicht normal.

      Wir sind eben alle unterschiedlich.

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    4. Genial! Danke für die Ergänzung.

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