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6. November 2012

Unternehmerisches Management unserer psychischen Energien?

Wir wissen, dass das Personalmanagement (HR) nicht nur eine Funktion in den Firmen und Organisationen hat, sondern selbst eine Branche ist, die (manchmal möchte man meinen: um jeden Preis) rentabel gehalten werden muss. Klar - es gibt HR-Software, Assessment-Tools, Bewerber-Management-Systeme, Personalvermittlungen und -berater und es gibt die tausenden Firmen, die Seminare, Schulungen und Coachings anbieten. Damit all diese Unternehmen auch rentabel bleiben, gibt es Kongresse, Messen, Zeitschriften und vor allem die halbjährliche Sau, die durchs Personaler-Dorf getrieben wird. Wir denken an solche Begriffe wie "Burnout", "Talentmanagement" oder die Dauersau "Fachkräftemangel", an die wir uns gewöhnt haben und die heute niemanden mehr schreckt. Verstehen wir uns richtig: Diese Themen sind wichtig und benötigen kontinuierliche Arbeit vor Ort, aber keine Medien-Konvulsionen. Es stellt sich der Verdacht ein, dass nicht gewollt ist, solche Probleme zu lösen, bevor nicht neue Geschwüre entdeckt wurden, die man teuer behandeln muss.

special marys
Selbstmanagement unendlicher psychischer Energien (Bild von special marys)

Ein neues großes Thema ist das "Gesundheitsmanagement". Keine Fachzeitschrift, kein Kongress, kein Seminar, wo dieses Thema nicht diskutiert wird. Langfristig ergeben sich daraus tolle Schulungen und Zertifikate, die man den Unternehmen verkaufen kann. Im von mir sehr geschätzten Magazin Human Resources Management kann man dazu ein Interview mit Professor Bernhard Badura lesen, dass mit dem kruden Titel Unsere psychischen Energien sind endlich überschrieben wurde. Ein Glück kommt dieser Satz im Interview selbst nicht vor. Er stimmt auch gar nicht. Unsere psychischen Energien sind nicht endlich, wenn man mal vom Tod des Gehirnträgers absieht, der hier aber nicht gemeint war. Die Metapher von der endlichen Energie legt nahe, dass wir da eine Art Kohlekraftwerk im Kopf haben, dem der Rohstoff ausgeht. Das ist natürlich totaler Quatsch. Wir Menschen als Produzenten der "psychische Energien" sind das Musterbeispiel von erneuerbaren Energien, wenn wir mit uns selbst nachhaltig umgehen. Und dieser Umgang will gelernt werden, z.B. indem wir gesund essen, uns genug bewegen und uns nicht überarbeiten. Dafür sollen nun also verstärkt die Unternehmen sorgen.

Apfel statt Schokolade
Beispiel aus meiner ehemaligen Firma: Hier gab es die üblichen Snacks wie Mars, Snickers und KitKat bis irgendwann die Biowelle ins Unternehmen schwappte und es plötzlich Sonnenblumenkerne, Vollkornkekse und Obst gab. Abgesehen von den Hygieneproblemen mit (nicht mehr so) frischen Früchten gab es vor allem ein Problem: Die Kollegen wollten Mars, Snickers und KitKat und ließen das Vogelfutter links liegen. Heute habe ich mit der Snack-Firma telefoniert, die meine jetzigen Kollegen mit Zucker versorgt und die sagten mir genau dasselbe: "Die Verantwortlichen in den Unternehmen wollen Trockenobst, Nüsse und Früchteriegel. Dann bringe ich das in die Unternehmen und das Zeug bleibt liegen. Alle wollen es, aber niemand will es essen." Sollte man nicht gerade deshalb den Teufelskreis brechen und nur gesundes anbieten? Die Menschen umerziehen, zum Glück zwingen?

Ich bezweifle, dass es hilfreich ist, mit der Regulierungswut, die wir in der Gesellschaft ohnehin überall haben, auch noch in den Firmen den Mitarbeitern zu Leibe zu rücken: Iss einen Apfel und keine Schokolade! Steh auf und beweg dich! Mach hundert Liegestütze! Nimm die Treppe und nicht den Fahrstuhl! Schalt dein Handy um 18 Uhr aus, kuck von zu Hause nicht mehr in deine E-Mails! Das dann am besten auch noch begleitet vom Wegnehmen der Schokolade oder abstellen der E-Mail-Server. Ich finde aber: Man behandelt erwachsene Mitarbeiter, von denen man erwartet, dass sie Verantwortung übernehmen, nicht wie Kinder und nimmt ihnen die Süßigkeiten weg. Ganz davon abgesehen, dass eben nicht für alle gilt, was einige für die Erhaltung psychischer Energien für notwendig halten. Ich habe beispielsweise in Teams und an Aufgaben gearbeitet, wo ich ganz heiß drauf war, auch am Abend mal was machen zu können. Ich funktioniere nämlich morgens nur mittelmäßig, am Nachmittag ohne Schokolade gar nicht und erst am Abend gehen bei mir alle Lichter an. Solche Flows können sich bei mir bis zwei Uhr nachts hinziehen. Schönen Dank auch, wenn dann jemand die Server ausgeknipst hat. Das ist doch Irrsinn. Ich finde sowieso einen Weg zu arbeiten, wenn ich das will.

Und das ist genau der Punkt: Jeder muss selbst wissen, was er will. Hier geht es um höher qualifizierte Jobs, um "Wissensarbeiter", die mit Komplexität und Termindruck zu tun haben. Das kann stressen, na klar. Aber wir vergessen immer ganz gern, dass die geringer qualifizierten industriellen Arbeiten um einiges ungesünder waren, als dass, was heute so im Büro passiert. Was aber vielen unserer heutigen Wissensarbeiter genauso fehlt wie den Armeen von Industriearbeitern der Vergangenheit, ist die Selbstkenntnis. Was bekommt mir besser: Apfel oder Schokolade? Was tut mir gut? Welche Arbeit liegt mir? Heute haben wir wenigstens die Freiheit, danach zu handeln, wir trauen uns nur oft nicht.

Gesundheitsmanagement behandelt Symptome
Bernhard Badura spricht viel vom "gefühlten Druck", der in unserer Arbeitswelt zugenommen habe. Was das genau ist, weiß ich nicht. Ist das so wie beim Windchill Effekt, wo es eigentlich 3 °C sind, sich durch den Wind aber wie -5 °C anfühlt? Ist der Druck gar nicht da, aber die Arbeitenden fühlen sich unter-drückt? Dann fehlt ihnen vielleicht etwas anderes? Im Grunde zielt das Gesundheitsmanagement auf ein Symptom, dessen Ursachen wir auf der anderen Seite ordentlich anheizen. Wir treiben junge Bachelors durch Studiengänge, in denen sie weder die Zeit noch die universitäre Freiheit haben, sich selbst, ihre Ziele, ihren Arbeitsstil kennen zu lernen. Wenn diese Absolventen aus ihren verschulten Kursen in die Firmen kommen, dann sind sie oft noch ganz unfertige Persönlichkeiten, die sich nie selbst managen mussten. Sie wissen nicht, wie sie selbständig in flachen Hierarchien arbeiten sollen, welche Arten von Arbeit ihnen überhaupt liegt und wie Alternativen zur Arbeit aussehen. Was ist sonst noch wichtig in ihrem Leben? Hatten sie die Zeit, die deutschen Romantiker zu lesen oder expressionistische Bilder lieben zu lernen? Vielleicht leiden viele unter diesem "gefühlten Druck", weil ihnen nicht klar ist, dass es da noch andere Dinge gibt als Karriere, Ziele, Arbeit. Vielleicht hatten sie nicht die Zeit, über das zu stolpern, was ihnen auch als Arbeit langfristig Spaß machen könnte.
Psychologe und Karriereberater Christoph Burger sagt im Interview mit der ZEIT, "um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen, braucht man Persönlichkeit. Und um die zu entwickeln, helfen drei Dinge: anecken, auf die Schnauze fallen und rumhängen [...] Der Charakter muss reifen. Wer im Schnelldurchlauf durch Schule und Uni hetzt, hat keine Zeit, seine Persönlichkeit zu entwickeln. Ich zum Beispiel habe nach dem Abitur ein Orientierungsjahr eingelegt: gejobbt, Musik gemacht, für Amnesty International gearbeitet. Danach wusste ich, was ich will. Für eine erfolgreiche Karriere sind Reisen, soziales Engagement und Langeweile die wichtigsten Voraussetzungen. Denn gerade in ein paar Stunden der Langeweile entstehen doch oft die besten Ideen."
Das ist die beste Burnout-Prävention, das beste Gesundheitsmanagement. Und das fängt bei jedem selber an und bei uns Eltern. Was kann man nun aber machen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und als frisch gebackener Bachelor im Onboarding sitzt? Amerikanische Firmen wie Google sind da um einiges weiter, denn ihre Berufseinsteiger sind schon länger nur halbgebacken. Hier gibts interne und externe Team-Workshops, viel Feedback und Führungskräfteentwicklung, um sich selbst kennen zu lernen und seine Kollegen besser zu verstehen. 

Das alles heißt nicht, dass man nicht mit Mitteln der Organisationsdiagnostik, wie Badura das nennt, schauen sollte, "wohin sich der Gesundheitszustand ihrer Beschäftigten entwickelt". Bei solchen Worten hören Beraterfirmen natürlich schon die Kassen klingeln. Worauf es aber eigentlich ankommt, erfahren wir im Interview zuletzt:
"Problemlösung und Gefühlsregulierung sind zwei menschliche Grundfunktionen, die vor allem dadurch geschützt werden, dass wir uns akzeptiert und wertgeschätzt fühlen. Das Gefühl, in eine Sozialgemeinschaft eingebettet zu sein und nicht als Sozialatom durch die Gegend zu segeln, ist wichtig, um mit Belastungen fertig zu werden. Das sind Grundbedingungen unserer seelischen Gesundheit, auf die es heute besonders ankommt, weil unsere Gesellschaft uns nicht mehr physisch, sondern psychisch fordert. Die Gefahren lauern nicht mehr an der Mensch-Natur-Schnittstelle, sondern an der Mensch-Mensch-Schnittstelle."
Wenn wir die Wertschätzung in Unternehmen und ihren Teams hinkriegen und dann noch den Bachelors dabei helfen, mit Selbsterkenntnis das nachzuholen, was ihnen zusammen mit einem ordentlichen Studium vorenthalten wurde, dann kann man sich alle Buzzwords und externe Organisationsdiagnostiker sparen und statt dessen das machen, worum es geht: Arbeit, die Spaß macht, Selbstverwirklichung und ein besseres Leben führen.


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