Seiten

Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

2. Februar 2013

"Ich plane meine Flucht." Nicht ich...

»Sie haben ja ihre Tabletten gar nicht genommen!?« Doch, die Entzündungshemmer. Die anderen brauche ich nicht; Schmerzen habe ich keine! »Sind sie sicher?« Nee, ich bilde mir meine Schmerzlosigkeit nur ein! Natürlich bin ich sicher. Ich plane meine Flucht.

hospital bed
Nicht ich. Auf dem Weg nach draußen (Foto von Cult Gigolo via Flickr.com)

Aus dem Spiegel kuckt mich ein graues Gesicht mit mattem Blick an. Scheiß Haare. Nicht ich. Dann zieht mir ein junges Mädchen die Thrombosestrümpfe aus, wäscht meine Füße und zieht mir frische Strümpfe drüber. Mein Urin riecht hier ganz komisch. Ich habe einen Rhythmus angenommen, der mich gegen 6 Uhr aufwachen und ungeduldig auf das Frühstück warten lässt. Pieps. »36,4°C. Gestern Stuhlgang gehabt?« Um 12 gibts Mittag und um 18 Uhr Abendessen. Eine Scheibe Brot oder zwei? Jede noch so kleine Entscheidung wird mir abgenommen, nichts muss ich alleine machen, wenn ich nicht will. Eine große lange Pillenbox mit vier Fächern strukturiert den Tag: Morgens, Mittags, Abends, Nachts. Und in jedem Fach liegen starke Schmerzmittel. 12 Pillen pro Tag! Die Versuchung ist groß, weil diese Drogen den zu langen Tag verkürzen. Du schmeißt sie ein und fängst an zu dämmern und zu träumen. Ein Tag als Schmetterling. In Wahrheit bist du ein schwerer Klumpen Fleisch, zu dem du immer wieder aufwachst, um dann wieder abzutauchen und weiter zu dämmern. Lesen geht nicht, die Augen fallen dir immer wieder zu. Neben dir nuschelt ein Fernseher. Sonnige Grüße aus Mali oder sonst einem Ort, der dir rein gar nichts bedeutet. Nicht mal Onanieren scheint machbar, nicht das leiseste Aufbäumen gegen die unerbittliche Schwerkraft des Genesungsbetts.

Lesen Sie den ganzen Text Nicht ich. Auf dem Weg nach draußen auf Kolumnen.de >>

6 Kommentare:

  1. Ja, lieber Gilbert, so ist das Leben, da kommt noch einiges auf dich zu. Wenn du Pech hast, und später mal mit der Prostata zu tun hast, das wird erst peinlich. Ich hab mal in so einer Ambulanz gearbeitet, ist ewig her, als junges Mädchen. War mir das damals von peinlich. Aber wenn du im Krankenhaus liegst, dann leg dein männliches Ego ab, und werde das, was du bist: Ein kranker Mensch der Hilfe braucht. Die anderen (Ärzte sowieso, KS. und Patienten) sehen dich genauso.
    Liebe Genesungsgrüße, w. aouida

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für die lieben Genesungswünsche. Nicht so sehr für die gut gemeinten Ratschläge ;) Jeder braucht seine eigene Geisteshaltung, denn er hat nur dieses eine Mal, um diese Haltung zu leben. Dabei geht es ja nicht ums Krankenhaus, es ist eine Metapher.

      Ich hoffe, du bist keine Hellseherin, wenn du sagst, dass da noch einiges auf mich zu käme. So gut kennen wir zwei uns nicht, dass du das beurteilen könntest oder mir einfach so zuschreiben solltest.

      Meine Haltung setzt genau da an, nicht "einiges" auf mich zukommen zu lassen, sondern selbst auf das zuzugehen, das ich für richtig halte und dem aus dem Wege zu gehen, was "nicht ich" ist. Auf der anderen Seite braucht man sicher auch ein gewisses "que sera", nur muss jeder die Grenzen wohl für sich selbst festlegen.

      Viele Grüße von der Flucht

      Löschen
  2. Nur für das bessere Verständnis:
    Wenn du an Flucht denken kannst im Krankenhaus, geht es dir ja noch prima.
    2005 bin ich auf beiden Füßen mit Hallux operiert worden, zwei Tage später ist der rechte Fuß noch einmal gebrochen, worauf ich bis zum Knie eingegipst wurde. Links sowieso der Verband und rechts dann der Gips.
    Das schlimme war ja, das ich mit meinen Spezialschuhen (bevor ich den Bruch hatte) noch im Krankenhausareal meine Runden gehumpelt bin, ohne zu wissen, das er gebrochen war. Bei der Visite sagte ich dem Arzt, ich hätte beim Wenden des Fußes ein komisches Geräusch gehört. Daraufhin wurde ein Röntgen gemacht und der Bruch entdeckt. Die Schmerzen hatte ich aber nicht davon, sondern von der OP, weil ja doch etliches abgesägt wurde und mit Schrauben und Nägeln wieder zusammengeflickt. Gleich danach bekam ich meine Herzrytrhmusstörungen und mußte mit beiden Beinen durch die Stadt zu einem Internisten humpeln, der noch dazu keinen Aufzug im Haus hatte. Was ich dir nur vermitteln will Gilbert, es gibt viel Schlimmeres, denn ich bin mit meinen zwei Spezialschuhen danach 6 Wochen in die Arbeit gehumpelt. Ich habe gelernt, dass der Mensch sehr viel mehr aushält als er glaubt. Wehleidigkeit behindert nur, wenn du richtig krank wirst. Nimm es als einen positiven Aspekt von mir, LG. w.aouida

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Nachsatz:
      ..ich wäre auch so gerne geflüchtet, aber es ging nicht.
      Meiner geistigen Flucht (Metapher) brauchte ich mich nicht zu stellen. LG. w.aouida

      Löschen