9. Oktober 2014

Traurig sein macht glücklich

Das Leben ist okay, selbst wenn alles schief geht (Alain de Botton)


Sei positiv, Kopf hoch, lass dich nicht hängen! An sich glauben, sich permanent weiterentwickeln und bloß keine Rückschläge eingestehen, sondern immer nach vorn schauen und das beste draus machen. Das klingt doch nach uns, oder? Ich jedenfalls denke auch oft so und irgendwie hilft es mir ja auch durch die eine oder andere Krise. Im letzten Winter war ich in Südafrika und habe mir auf dem Flughafen ein Magazin mit dem Titel flow gekauft, um die Zeit zum Abflug zu überbrücken. Dieses Magazin sagt von sich selbst, voll von positiver Psychologie zu sein. Nicht wenig überrascht war ich also, als ich darin ein Interview mit dem Philosophen Alain de Botton fand, in dem er genau das Gegenteil zu dieser "Think Positive" Doktrin sagt: Gib dich deiner Negativität hin, das Leben ist nun mal wie es ist - gewöhnlich. Im Folgenden habe ich einen kurzen Auszug aus diesem in Englisch erschienen Interview übersetzt.

Traurig sein macht glücklich? Das klingt schräg!

Nur wenn du Trauer zulässt, verstehst du, dass sie ein Teil des Lebens ist. Ich mag beispielsweise die pessimistische Seite des Christentums sehr: Das Leben ist nicht perfekt, Menschen sündigen, sie scheitern und sind unvollständig. Inzwischen sind wir aber in einer Gesellschaft angekommen, die vom optimistischen Denken beherrscht wird. Wir sind ganz eingenommen von Jugend, Glück und Schönheit und das macht es uns so schwer, Scheitern, Schmerzen, Krankheit, Alter und Tod zu akzeptieren. All das stößt uns unweigerlich zu, jedoch werden wir im Umgang mit diesen Härten allein gelassen. Wir brauchen also mehr Platz im Leben für Trauer und Melancholie.


Das Leben ist nun mal wie es ist - gewöhnlich (Bild via CC gemeinfrei)

Wir dürfen nicht denken, dass etwas mit uns nicht stimmt, nur weil wir es nicht immer schaffen, positiv und optimistisch zu sein. Ich streite mich oft mit meinen Kollegen in der School of Life, wenn sie Texte schreiben, die zu positiv sind. Mich ärgert so etwas. Ich mag dieses Happy-Happy nicht. Ich bin aber ein großer Fan von Galgenhumor: Möglicherweise kommen wir in der nächsten Minute unter die Räder, also lass uns doch so lange Spaß haben.

Selbsthilfe-Literatur ist heutzutage fast immer auf Optimismus ausgerichtet, als wäre jemanden aufzumuntern die einzige Art, ihm zu helfen. Wir sollten das Gegenteil tun: Ihm etwas Schlimmes erzählen, sodass er oder sie versteht, dass das Leben eben manchmal hart ist. Denken wir an die antiken Tragödien: Die Helden dort zappeln hilflos herum und können am Ende ihrem Schicksal nicht entrinnen. Das ist das Leben! Wir können diese Tragik des Lebens nicht durch Planung verhindern. Krankheit, Tod und andere schlimme Erfahrungen sind einfach ein Teil des Menschseins.

Was ist die Alternative zum Optimismus?

Resilienz! Damit meine ich, die Fähigkeit zu entwickeln, zu scheitern, etwas falsch zu machen und seine Ziele nicht zu erreichen und trotzdem am Leben zu bleiben. Viele von uns sind ziemlich verletzlich, aber zu erfahren, dass wir überleben können, ist eine ganz wichtige Lektion des Lebens. Resilienz bedeutet am Ende, dass wir akzeptieren, dass das Leben okay ist, selbst wenn alles schief geht. Es ist nicht schlimm, nicht einmal wenn du stirbst. Mach dich mit dem Tod bekannt, mit der Armut, mit Schande und Unglück. Erinnere dich während der guten Zeiten daran, wenn du noch gesund bist, Hoffnung hast und dein Leben bewältigst. Das kann dich von vielen deiner Ängste befreien. Ich mache das regelmäßig.



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10 Kommentare:

  1. Ich glaube, das ursprüngliche "positive thinking" bezieht sich auch darauf, eben die Dinge zu nehmen wie sind, Schmerzen zu durchleiden und stärker aus diesen Situationen heraus zu kommen. Die klassische "Heldenreise" ist ja nichts mehr und nichts weniger, als sich den Hindernissen auf dem Weg zu stellen, die eignen Ängste zu demaskieren und weiterzugehen. Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg, es IST DER EINZIGE Weg zum Erfolg. Diesen und ähnliche Sätze hören wir immer wieder, aber wir wollen es nicht hören und schon gar nicht selbst durchstehen. Wir wollen lieber uns einreden, dass alles schön ist, das wir nur ganz fest daran glauben müssen und dann erfüllt sich dieser Wunsch, und wenn er es nicht tut, ja dann haben wir uns es entweder nicht genug gewünscht oder es soll in unserem Leben nicht sein.
    Und mit dieser Denke können wir uns seeehr gut anfreunden, müssen wir dafür aus unserer Komfortzone doch nicht rausgehen...
    Danke für deinen Artikel, der hat mich gerade noch rechtzeitig wieder an das wichtige erinnert!! ;)

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    1. Danke für diesen Kommentar! Ich denke auch, dass positive thinking nicht so eindimensional angelegt ist, wie es hier konterkariert wird. Ich denke aber auch, dass die Grundanalyse "Wir sind ganz eingenommen von Jugend, Glück und Schönheit und das macht es uns so schwer, Scheitern, Schmerzen, Krankheit, Alter und Tod zu akzeptieren" hinkommt. Unsere Gesellschaften haben es immer schwer mit differenzierten Konzepten, weil die zur Verfügung stehenden Medien wie ein Vereinfachungsfilter wirken. So neigen wir zum Entweder/Oder bzw. Schwarz/Weiß. Also: Entweder negative thinking oder positive thinking. Dass aber beides zusammengehört, ist schwieriger zu vermitteln.

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    2. Da gebe ich dir absolut Recht. Das meinte ich auch damit, dass wir das hören wollen, weil es eben einfacher ist, schwarz-weiß zu denken, anstelle sich einfach mal ein paar Grautöne genauer anzuschauen... ;)

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  2. ich glaube gerade menschen in einer sinnkriese oder depression würden diesen text so unterschreiben. aber trotzdem daran verzweifeln; es sei denn, dass das scheitern an sich selber als verzeihlich, tollerierbar eben natürlich bewertet wird, nicht so sehr das am äußerliches glück oder erfolg, an dem die ratgeber traditionell herumdoktern.
    aber dieses denken zu überwinden ist eben auch scheitern und erneut scheitern.
    erst dann aber ist das äußere scheitern nicht mehr das schlimmste.
    life is nasty, brutish and short. aber damit wirst du nicht zu recht kommen: leb damit!

    danke, für den artikel!

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  3. Danke für diesen Beitrag und die Übersetzung!

    Ich denke, wenn man eine ausdifferenzierte Art und Weise, mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Handlungen umzugehen, einmal am eigenen Leibe erfahren hat, erzeugt dies in einem gewissen Ausmass eine Resilienz gegen die "Think positive"-Heilsversprechen.

    Ich kann ein verfehltes Ziel tief betrauern (Gefühle zulassen, wahrnehmen, halten), gleichzeitig mein Scheitern akzeptieren (Scheitern gehört zum Leben und mein Leben ist dennoch okay) sowie zugleich dies als Anlass nehmen, mich auf neue/andere/stimmigere Ziele einzuschwingen oder doch weiter an der Erreichung meines Ziels zu arbeiten (hier im Sinne eines "positive thinking"). Es sind noch weitere Ausdifferenzierungen möglich.

    Wer den Reichtum einer solchen inneren Arbeit entdeckt hat (und die innere Sicherheit, die sich daraus ergibt), dem wird es leichter fallen, sich nicht von glänzenden Facebook-Profilen und "Du-musst-nur-positiv-denken"-Ratgebern beeindrucken zu lassen.

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  4. Danke für den Beitrag, ich habe selbst oft die Erfahrung gemacht, dass manche Leute über Dinge jammern, die sie gar nicht kennen und dabei ihr derzeit glückliches Leben ohne Probleme gar nicht richtig wahrnehmen. Viele blockieren sich ihr Leben selbst und die, die nie wirklich unglücklich waren, die kennen auch das Gefühl von Glück nicht. Aber so ein flach dahintröpfelndes Leben hat das etwas mit Leben zu tun? In eine Landschaft gehören auch Berge und Täler und Hindernisse und freie Flächen.

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  5. Sehr guter Artikel. Etwas sehr schwarzmalerisch, dennoch sollte man sich selbst verzeihen können wenn Dinge nicht funktionieren. Ich denke das Wichtigste ist immer dran zu bleiben, nicht aufzugeben. Und nicht auf die Scheiße hören die andere zeitweise von sich geben. Die, die Dir erzählen wie Du zu sein hast oder wer oder was Du bist. Und was nicht. Leider riskieren zu wenig Leute etwas sondern er herrscht eine erschreckende Gleichmacherei überall. Bist Du gegen etwas, dann liegst Du falsch, bist dumm oder einfach nicht cool genug. Und bist Du populär bist Du ein Hipster ohne tiefe Basis. Beides dumm und unwahr. Man selbst zu sein ist das Mutigste was man derzeit machen kann so scheint es. So sei drum. Ich denke schon dass die Gedanken bestimmte Dinge anziehen, egal ob in die eine oder andere Richtung. Sich von den falschen Einflüssen zu befreien und sich selbst zu reflektieren ist schon sehr viel wert.

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  6. Aus genügend nicht unbedingt freiwilliger Erfahrung mit Depression meine Ansicht darauf… die ich auch nicht komplett selber ausgedacht habe, es gibt auch Leute, die über sowas schreiben: Ein grundsätzliches Problem unserer "westlichen" Gesellschaft ist es, in gute und schlechte Gefühle zu unterscheiden. Klar, wer ist schon gerne traurig? Aber der Punkt ist: Schwierige Gefühle (so nenne ich sie lieber) zu haben, gehört zum Leben dazu. Diese Gefühle nicht haben zu wollen, sie wegzupacken, gut zu verstauen, nicht zu spüren, das funktioniert bis zu einem gewissen Ausmaß ganz ordentlich. Geht es aber drüber, dann kippt dieses System um. Die Seele schaltet ab, geht in den Notfallmodus – Gefühl wird generell abgewürgt. Auch das "gute" Gefühl. Dann droht Stillstand. Denn ohne Gefühl kann der Mensch nicht wirklich handeln. Willkommen in der Depression.

    Ein anderer Punkt ist die ewige Denkerei und Ergründerei einer Wissensgesellschaft, die glaubt (!), wenn man nur alles wüsste, wäre endlich alles gut. Und genau dieses kämpferische Ergründen, das macht aus dem Unfassbaren einen Wahnsinn. Unfassbares gibt es genug – schon allein der Anfang und das Ende eines jeden Lebens werden immer unfassbar bleiben. Auch wenn wir in vielen schlauen Büchern den Vorgang bis ins letzte Detail studiert wiederfinden: Wir wissen von der Zeugung bis zum Begräbnis über alle Funktionen Bescheid. Allein, es hilft uns nicht in der Situation, die bleibt unfassbar.

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