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14. Dezember 2014

Bist du ein Segmentor oder ein Integrator?

Warum Work-Life-Balance für die meisten von uns so schwer ist

Mein ehemaliger Arbeitgeber fasziniert mich immer wieder, besonders auch in dem Feld, das dort People Operations (gemeinhin: HR) genannt wird. Das Google People Operations Team hat eine auf 100 Jahre angelegte Langzeitstudie begonnen, die nach wissenschaftlichen Standards die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Arbeit untersucht und dabei Aspekte wie anhaltende Zufriedenheit und Kommunikation oder die Balance zwischen Arbeit und Freizeit untersucht. Zum Beispiel fand das Team heraus, dass die Mitarbeiter, zu deren regelmäßigen Gewohnheiten es gehört, Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken, langfristig und signifikant zufriedener mit ihrer Arbeit sind. Das überrascht nicht, denn dieser Zusammenhang ist schon aus anderen Lebensbereichen bekannt.

Schwer zu sagen, wo Arbeit aufhört und Freizeit anfängt (Bildlizenz: CC0 Public Domain)


Segmentor ----x----|--------- Integrator

Eine andere Frage, die bereits jetzt nach nur zwei Jahren Studiendauer interessante Ergebnisse und auch Konsequenzen gebracht hat, ist die, warum Work-Life-Balance für die meisten von uns so schwer ist. Die Studie fand, dass wir uns alle auf einem Kontinuum zwischen Segmentierung (Grenzen ziehen) und Integration (Vermischung) befinden. Die Kollegen, denen das Abschalten sehr einfach fällt, werden Segmentors genannt, die anderen, die nur schwer Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit ziehen können, heißen demnach Integrators. Natürlich gibt es keine perfekte Work-Life-Balance. Viele wollen zum einen gern flexibler arbeiten und zum anderen hat die moderne Technologie die Tendenz, uns auch nach der Arbeit immer in Erreichbarkeit zu halten. Inzwischen bin ich persönlich von dem Glauben abgekommen, es sei gut, Arbeit und Leben als ein großes Ganzes zu betrachten. Ich halte es für notwendig, Teile meines Privatlebens von der Arbeit abzuschirmen. Ganz einfach deswegen, weil ich verrückt werden würde, wenn alles im Leben ineinander verschwimmen und sich auflösen würde. Mal abgesehen davon, dass viele von uns eben auch Verantwortlichkeiten und Interessen im Privatleben haben, die stark leiden, wenn wir ihnen keine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken können. Laszlo Bock, der Chef von Google People Operations, berichtet zu den Fähigkeiten der Grenzziehungen zwischen Arbeit und Privatleben in der Harvard Business Review:

"Unsere erste Runde der Studie zeigt, dass nur 31% der Mitarbeiter die Fähigkeit haben sich von dieser Last, die aus dem Verschwimmen der Grenzen resultiert, frei zu machen. Wir nennen sie 'Segmentors'. Sie ziehen psychologisch eine Grenze zwischen dem Stress auf der Arbeit und dem Rest ihres Lebens. Sie können jeden Abend sanft einschlafen, ohne sich Sorgen über die drohenden Deadlines und E-Mail-Fluten zu machen. Segmentors sagen Dinge wie: 'Ich mag es nicht, zu Hause an die Arbeit denken zu müssen.'

Über den 'Integrators' [69% der Mitarbeiter] hingegen hängt zu jeder Zeit das Damoklesschwert der Arbeit. Nicht nur schauen sie am Abend in ihre E-Mails, sie drücken auch immer wieder den Knopf zum Aktualisieren, um zu schauen, ob neue Arbeit reingekommen ist. (Um genau zu sein, befinden sich alle auf einem Kontinuum über diese zwei Dimensionen, ich vereinfache hier also.)

Mehr als die Hälfte dieser Integrators sagen, dass sie lernen wollen, besser zu segmentieren. Solche Mitarbeiter geben in der Studie an: 'Es fällt mir oft schwer zu sagen, wo meine Arbeit endet und wo die Freizeit anfängt.'"

Es stimmt mich ehrlich optimistisch, dass auch Firmen wie Google denken, dass ein Abschalten notwendig ist. Dieser Glaube daran, dass Arbeit und Freizeit für jeden und immer ein großes Ganzes sein kann, geht an der Realität vorbei, das ist kein Leben lang durchhaltbar. Was macht Google nun mit solchen Erkenntnissen? Nach der Auswertung der Studie wurden beispielsweise alle Mitarbeiter des Europäischen Headquarters in Dublin ermutigt, ihre Laptops und Handys am Empfang abzugeben, wenn sie das Büro verließen. Als Resultat haben viele Mitarbeiter berichtet, dass sie plötzlich stressfreie und ruhige Abende zu Hause hatten. Solch eine Bewusstwerdung allein kann schon viel dazu beitragen, dass Mitarbeiter künftig ihr Verhalten ändern. Nicht zuletzt auch dadurch, dass ihre Firma ihnen ganz deutlich zeigt, dass sie von ihren Mitarbeitern nicht erwartet, dass sie nach Feierabend erreichbar sind.

Dass es Google dabei nicht nur um die pure Erkenntnis und das Wohlergehen aller Mitarbeiter geht, sondern auch darum, diese Erkenntnis wirtschaftlich nutzbar zu machen ist klar und auch legitim, wie ich finde. Es ist eine Frage der Nachhaltigkeit: Wie können meine Mitarbeiter dauerhaft ihr bestes leisten, ohne zu leiden, sondern im Gegenteil, am meisten selbst dabei zu profitieren? Weitere Fragen, die sich unter anderem stellen, sind: Wie werden Ideen geboren und wie sterben sie? Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine erfüllende und produktive Arbeit? Welche diversen Charakteristika muss ein Team vereinen, um jegliches Problem am besten zu lösen? Wie kann Leistung über lange Jahre auf höchstem Level gehalten werden? Wie können Zufriedenheit und Produktivität gleichzeitig maximiert werden?

Es gibt noch einen anderen Grund, warum Google solche Studien fährt, die ja nicht ins Kerngeschäft der Suchmaschine fallen: Weil Google es einfach kann. Die Firma hat drei Dinge, die solche Exkurse ermöglichen: 1. genügend Geld und Mitarbeiter und daraus resultierend die passende Intelligenz für solche Projekte; 2. Big Data Technologie, um große Datensätze zu analysieren und 3. einen hohen kulturellen Anspruch an sich selbst, der sie solche Fragen wie die nach den Bedingungen glücklicher Kollegen überhaupt erst wichtig erscheinen und in Konsequenz stellen lässt. Wenn der Firmenchef sagt: Ich will, dass meine Mitarbeiter glücklich und zufrieden sind, damit sie bei uns bleiben und andere Mitarbeiter anziehen, dann zeugt das davon, dass man verstanden hat, wie wichtig eine bewusste Firmenkultur ist.

Und Ihr? Seid Ihr Segmentoren oder ein Integratoren? Was sind eure Strategien, um einen gesunden Feierabend oder einen erholsamen Urlaub sicher zu stellen?



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1 Kommentar:

  1. Danke für den Artikel, den ich schon lange kommentieren wollte, aber irgendwie wollte sich über die Feiertage einiges desintegrieren. ;-)

    Ich bin hin- und hergerissen zwischen Segmentor und Integrator. Ich versuche, meine Haupterwerbsarbeit im Büro zu lassen, am Wochenende komplett Abstand von ihr zu bekommen. Und auch im Büro versuche ich umgekehrt, meine künstlerischen Tätigkeiten auf Abstand zu halten. Arbeit ist dann gut, wenn man darin eintauchen kann, wenn es in Richtung Flow geht, einfach machen, bis es sitzt. Doch gerne funken die Sorgen aus anderen Lebensbereichen dazwischen. Und: Die Energie ist immer endlich, auch bei dem, was man mit absoluter Leidenschaft tut. Auch da muss es heißen: "Jetzt ist es mal gut."

    Am Ende muss ich ein Segmentor sein, sonst funkt mir die Erwerbsarbeit in meine Musik. Deswegen habe ich für alle Konzerte unter der Woche in diesem Jahr jetzt schon einen ganzen Tag frei genommen.

    Ein anderer Faktor: Die Erwerbsarbeit gibt eben oft auch nicht genug Erfüllung her. Schlecht ist das nicht, was ich mache, aber es würde mich nie seelisch ausfüllen. Vielleicht geht es vielen Menschen so. Und wenn dann etwas, das einen nicht ausreichend erfüllen kann, sich wie eine Krake auf deinem Sofa daheim räkelt und nach dir krakt und grabscht, dann willste nur noch rennen.

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