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28. Juni 2015

E-Mail-Machtspiele: Was unser Schreibstil über uns verrät

Die Macht, die keine Macht mehr nötig hat

E-Mails sind überall, besonders auf der Arbeit. Und sie sind nicht der einfachste Weg zu kommunizieren. Die E-Mail hat alle Nachteile der schriftlichen Kommunikation - man kann beispielsweise die Stimmung nicht hören oder in der Mimik sehen - andererseits grenzt sie eng an Kurzmitteilungen, wie wir sie aus SMS, ICs und ähnlichen Formaten kennen. Diese Kurzmitteilungen wiederum sind eher dem mündlichen Austausch verwandt, als zum Beispiel dem Briefeschreiben. Daher auch die Smilies und die kurze Dialogform (jeder kennt inzwischen das manchmal endlose What's App Ping Pong mit Emoticons).

Ich selbst habe meine Schwierigkeiten mit der Ambivalenz der E-Mail. Lange Zeit widerstrebten mir Smilies, ich empfand sie als kindisch. Inzwischen finde ich, dass sie helfen können, die fehlenden non-verbalen Signale wie Stimmlage oder Gesichtsausdruck zu kompensieren. Ich bin nicht immer ganz sicher, ob meine E-Mail eine Anrede haben soll und ob ich sie mit "MFG" oder "Mit freundlichen Grüßen" oder gar nicht unterschreiben soll. Und dann die Zeichensetzung...?! Ich bin ein Freund von Punkt. Fragezeichen finde ich manchmal auch sinnvoll, aber Ausrufezeichen versuche ich zu vermeiden.

Tonloses Anschreien

Frage- und Ausrufezeichen sind in der Tat tückisch, genauso wie Großbuchstaben. Man fühlt sich als E-Mail-Empfänger schnell ANGESCHRIIIEEEEN, wenn E-Mails von solchen Zeichen strotzen. Ein ehemaliger Chef von mir hat diese Kunst des tonlosen Anschreiens auf die Spitze getrieben. Er arbeitete auch am Sonntag und war ohnehin schon sauer, wenn er merkte, dass am Wochenende niemand seine E-Mails las. Oft sah dann der Kopf seiner E-Mails in etwa so aus:

Von:     dein.chef@firma.de
An:      mein.arsch@firma.de
Datum:   Sonntag, Juni 28, 2015 um 21:51
Betreff: RE:Fwd: HR REPORT!!!?????!?!!!!!!!!!???????????????

Wenn man so eine E-Mail erhielt, wusste man, dass die Kacke am Dampfen ist. Den typischen wörtlichen Inhalt erspare ich uns jetzt mal. Dieser Chef hatte übrigens auch eine zweite E-Mail-Adresse, von der man manchmal E-Mails erhielt. Um es zu veranschaulichen: Man bekam dann plötzlich eine E-Mail von einer Adresse wie abschussliste.chef@firma.de und wusste, dass er einen nun auf dem Kiecker hatte. Er bearbeitete das nicht selbst, sondern eine arme Seele, deren Job darin bestand, den unmotivierten Mitarbeitern hinterher zu rennen und mit Ausrufe- und Fragezeichen in den Hintern zu treten.

Auf die Frage, was uns das über Macht- und Kommunikationsverhältnisse im Unternehmen sagt, will ich gar nicht groß eingehen, weil es so offensichtlich ist. Interessanterweise überlebte sich das System des tonlosen Anschreiens bald. Es wurde nutzlos, weil Mitarbeiter abstumpften und anfingen ähnliche Methoden zu nutzen, mal im Ernst und mal zum Spaß. Solche Kommunikation ist nicht nur lächerlich und sinnlos, sie vergiftet langfristig natürlich auch die Beziehungen in einer Organisation.

Die Macht der machtlosen Kommunikation

In einem Artikel von Susan Cain (wir kennen sie von Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt) las ich vom weit verbreiteten Verzicht auf Fragezeichen in Sätze wie:

Kannst du mich anrufen, um das zu klären.

Cain sagt, dass solche Absender versuchten, Macht zu demonstrieren und professionell und kompetent zu wirken. Die Nicht-Frage ist sozusagen kompromisslos, eher eine Aufforderung mit Machtanspruch. Andere wiederum nutzen nicht nur Fragezeichen in solchen Sätzen, sondern würden auch Emoticons nutzen oder sogar Alternativen bieten und nicht davor zurückschrecken auch ihre eigene Unsicherheit auszudrücken.

Was meinst du, sollten wir dazu telefonieren? Oder denkst du, das kann warten, bis wir uns wiedersehen? 

Die Gruppe solcher Absender spalte sich wiederum in zwei Kategorien auf. Die einen sind wirklich unsicher oder sogar inkompetent, während die anderen offenbar empathische Menschen sind, die Vertrauen und Sympathie mit Kompetenz zusammenbringen können. Der Psychologe Adam Grant nennt das die Macht der machtlosen Kommunikation und meint, dass dies die effektivste Art sein kann, mit seinen Kollegen zu kommunizieren.

Am Ende läuft es auf folgende Erkenntnis hinaus: Wenn andere denken, du versuchst sie zu beeinflussen, werden sie skeptisch und machen die Schotten dicht. Wenn sie aber das Gefühl bekommen, du versuchst ihnen zu helfen oder bist selbst auf der Suche nach der richtigen Antwort und bist in der Lage, deine Unsicherheit zu zeigen, dann werden sie sich öffnen und deine Kommunikation ernst nehmen.

Sechs Strategien der Machtlosen Kommunikation*

  1. Sei bescheiden und zeige Humor: Als dem für seine Bescheidenheit, aber nicht für sein gutes Aussehen berühmten Präsidenten Lincoln vorgeworfen wurde, er habe zwei Gesichter (two-faced = engl. für heuchlerisch), sagte er: "Zwei Gesichter? Meinen Sie wirklich, ich würde dieses Gesicht hier tragen, wenn ich noch ein anderes hätte?"
  2. Bitte um Hilfe und frage um Rat: Umfragen sind im Internet allgegenwärtig und im Allgemeinen ignoriere ich sie. Doch wenn ich von einer geschätzten Website gefragt werde, ob ich mithelfen würde, diese zu verbessern, dann macht es mir die Bescheidenheit, die in dieser Frage mitschwingt, schwer, nein zu sagen.
  3. Verbinde dein Eingeständnis mit Kompetenz: Ein Experiment während einer Quizz-Show hat gezeigt, dass erfolgreiche Mitspieler, die ungeschickt ihren Kaffee über das eigene Hemd oder die Bluse verschütteten, hinterher noch mehr gemocht wurden, als vorher. Sie waren kompetent, aber menschlich, eben nicht perfekt. Mittelmäßige Mitspieler, die ihren Kaffee gleichermaßen verschütteten, wurden hinterher von den Zuschauern weniger gemocht. Mit anderen Worten: Wir wollen sehen, dass kompetente Leute auch nur Menschen sind, sie profitieren von machtloser Kommunikation. Inkompetente Leute jedoch, können sich eine "machtlose Kommunikation" weniger leisten.
  4. Wenn du dich mit jemandem austauschst, stelle dir drei Fragen: Was kannst oder musst du von ihnen lernen? Wie kannst du ihnen helfen oder auf andere Art Wärme ausdrücken? Wie kannst du authentisch deine Persönlichkeit rüberbringen?
  5. Kleide deine Meinungen in Fragen: "Meinst du, das könnte auch auf diese Weise funktionieren...?" Damit geben wir den anderen Raum zu widersprechen.
  6. Sei insgesamt stimmig: Diese Strategien funktionieren nur, wenn du ohnehin einen offenen, authentischen und bescheidenen Stil hast. Wenn diese Strategien plötzlich von solchen Leuten wie meinem ehemaligen Chef genutzt werden, dann glauben wir ihnen kein Wort mehr.

Susan Cain (* ich habe diese sechs Strategien von ihrem Artikel übernommen) findet, dass diese Erkenntnisse insbesondere Introvertierte und Frauen bestätigten, die ohnehin dazu neigen würden, ohne Machtansprüche zu kommunizieren, sich aber dann fragten, ob das nicht zu ihrem Nachteil ist, weil sie schwach rüber kommen. Ich denke auch, dass man sich als kompetente Person - egal ob Mann oder Frau, introvertiert oder sonst wie vertiert - keine Sorgen machen muss, wenn man offen zu seinen Unsicherheiten steht oder bescheiden ist. Ich bin skeptisch, ob Introvertierte und Frauen generell dazu neigen, offen zu ihren Unsicherheiten zu stehen. Das kommt neben vielen individuellen und charakterlichen Eigenschaften auch auf die Umgebung und die dort herrschende Kultur an.

Ich würde mich jedoch freuen, wenn wir alle diesem Pfad der Weisheit in der Kommunikation folgen könnten. Selbst Machtmenschen könnten entdecken, dass ihr Alpha-Tier-Gehabe nur oberflächlich und nicht nachhaltig Macht etabliert. Sie können reifen, sich ändern. Mehr zuhören, helfen, menschlich sein - das sind die wirklichen Wege zu einer Macht, die keine Macht mehr nötig hat. Das wäre eine Macht der Weisheit, die auf Kompetenz und Bescheidenheit fußt und die Macht der Angst lange überdauert.



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6 Kommentare:

  1. Ulrich Schaffer schrieb mal irgendwo, das einzige was die Menschen vermutlich unterscheide, sei der Umgang mit der jeweils eigenen Unsicherheit.

    Als Gruppe kann man da sehr schnell in einer Abwärtsspirale landen, wie auch mit den Brüll-Mails skizziert. Dabei verschleißt man leider die empathiefähigen Mitarbeiter, bis hin zu psychischen Ausfällen. Dabei sind Aufwärtsspiralen genauso denkbar. Es fängt ja schon dabei an, sich mal zu bedanken, wenn jemand was gut macht. Wenn man das mal anfängt, merkt man trotz allem möglichen Ärger, wie viel gut gemacht wird. Leider höre ich dann auch oft: Wieso dankst du mir, ich bekomm doch Geld?

    Kurzum: Jedes Unternehmen, sei es auch noch so klein, entwickelt eine eigene Kultur. Schön wäre es, wenn die menschlich wäre. Ist sie oft aber nicht. Und ich frage mich, warum – es geht doch immer um den Menschen.

    Wer weniger kompetent ist, braucht weniger Macht – und umgekehrt. Deswegen gibt es in vielen Unternehmen auch keine Führungskräfte, sondern nur Aufstiegskräfte-

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    1. Aufstiegskräfte ist ein schönes Wort. Danke dafür!

      Warum es oft nicht menschlich zugeht? Ganz oft liegt es an psychischen Dispositionen gepaart mit mangelnder Erfahrung.

      In der Start-Up Szene wimmelt es von "Selfe-made-men" (seltener women), die noch nie irgendwo gearbeitet haben. Diese Menschen kennen keine "best cases", die sie gegen "worst cases" abgleichen können, um sich und ihre eigene Firma dann entsprechend zu positionieren. Sie kennen aus eigenem Erleben keine geglückte Firmenkultur und in Deutschland gibt es bisher auch die Tradition der erfahrenen Mentoren, die diesen Jünglingen beratend zur Seite stehen könnten, nicht. Das ist in den USA ganz üblich und für viele Stanford Professoren eine lukrative Einnahmequelle. Als solch ein Berater ist man nämlich an Erfolg oder Untergang Firma beteiligt, weshalb die Berater dann auch ihr Bestes geben. In Deutschland ist das noch selten der Fall.

      Wenn dann solch ein unerfahrener und nicht beratener Jüngling das Studium abbricht und eine Firma gründet, dann verwundert es nicht, dass kulturell (oder auch buchhalterisch) kaum etwas richtig gemacht wird. Woher soll das Wissen denn kommen?

      Mischt man dann noch etwas "charakterliche Komplexität" rein, dann wirds spannend.

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    2. Ich kenne auch erfahrene Hasen im Geschäft, bei denen ich es nicht als menschlich empfinde. Ich steig noch nicht dahinter. In meinem Umfeld gibt es z.B. viele Sozpäds und auch bei denen gibt manche Einrichtung, in der nicht sehr menschlich miteinander umgegangen wird. In solchen Fällen finde ich es besonders skurril, da die Leute mit ihrer Clientel dann oft ganz anders sind.

      Im Bereich IT-Business habe ich die Vermutung, dass da einfach ein zu hoher Anteil recht empathie-unbegabter Menschen auf einem Haufen sitzt.

      Ein anderes schönes Wort, allerdings nicht von mir, ist "Gegenarbeiter" als Kontrast zu "Mitarbeiter".

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  2. Da fällt mir spontan das Buch "die 13 Siegel der Macht" ein. Sehr interessante Denkanstösse, insbesondere für Führungskräfte.

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  3. Im geschäftlichen Bereich sind meine persönlichen Erkenntnisse diese, dass es wirklich besser ist, auf Ausrufezeichen und Großschreibung ganzer Worte zu verzichten. Es ist auch so eine Sache, wen man mit cc. in Kenntnis setzt. Diese Funktion habe ich in der Vergangenheit auch schon benutzt, wenn ich wusste, dass im Team ein Problem im Raum stand, über das schon öfter zusammen gesprochen wurde, jedoch ohne (aus meiner Sicht) ein Ergebnis, dass jeder so damit arbeite kann, dass das Team insgesamt etwas davon hat. Sprich: Jeder hatte schlussendlich doch seine eigene Methode. Mein Problem war, dass für mich daraus die weitere Bearbeitung erschwert wurde. Es liegt schon eine Weile zurück, aber ich erinnere mich so, dass im Team auch unter den betreffenden Leuten schon besprochen wurde, wie wir künftig vorgehen. Nur eher sogar nur eine Person, machte ständig und dauerhaft im alten Stil weiter. Ein nochmaliges Gespräch von mir half da auch nicht weiter.
    Und nun zum Thema cc. Ich informierte meine Chefin von dem Problem und beschrieb ihr den Sachverhalt, wie ich das sehe, setzte das Team insgesamt davon in Kenntnis. (Ich wollte eine Entscheidung, die für alle gilt). Auch die Antwort der Chefin leitete ich an das Team weiter oder sie selbst. (Da kann ich mich nicht mehr so genau erinnern).

    Nun habe ich aber im Internet irgendwo einen Beitrag gelesen, dass das nicht sehr gut ankommt. Irgendwie habe ich das auch verstanden. Es zeugt dann von Unsicherheit oder, dass man die anderen oder auch die Chefin unter Druck setzt. Obwohl überhaupt nicht meine Absicht war. Denn mündliche Gespräche werden ja oft wieder verworfen. Man dreht sich im Kreis. Also sollte man aber auch die cc Funktion nur mit äußerstem Bedacht benützen.

    Zum Chef: Ich kann es kaum glauben, dass es so etwas heute gibt. Wie kann ein Chef an einen Mitarbeiter eine Mail schicken, in der der Adressat (der Mitarbeiter) eine Mailadresse hat, die auf "mein.arsch...." lautet. Oder eine Mailadresse mit "Abschussliste"?
    Wenn ein Chef ständig mit Ausrufezeichen und fraglichen Fragezeichen, insbesondere Großschreibung von Worten mit seinen Mitarbeitern kommuniziert, ist er für mich kein Chef. Rein menschlich gesehen, egal in welcher Funktion, sehe ich es so, dass es mir beispielsweise schon auch passieren kann, dass ich die Großschreibung von Worten oder Ausrufezeichen benützt habe. Aber eher dann, wenn ich begeistert war von einer Aussage (im Sinne einer Erkenntnis, die mich übrrascht, weil ich seither dachte, mit dieser Meinung bin ich doch ein Exot) und siehe da, da schreibt jemand das, was ich schon lange dachte. Oder ein schönes Video, das mich begeistert.

    Wenn ich wütend bin, kann es vorkommen dass ich diesen "Ausrufezeichen-Fragezeichen-Großschreibung-Stil" schon benützt habe, aber des Themas wegen und nicht persönlich auf eine Person gerichtet. Und vor allem nicht geschäftlich. Sollte ich da jetzt ein Ausrufezeichen setzen? :-))) Ja, hier würde es für mich schon einen Sinn machen, ein Ausrufezeichen zu setzen, denn geschäftlich geht dieser Stil doch wirklich nicht. Allerdings habe ich Verständnis, wenn eine Person mal ausnahmsweise, wirklich ausnahmsweise, die Fassung verliert.

    Ich meine auch, dass es Missverständnisse mit den Fragezeichen gibt. Sehr gut, was der Psychologe Adam Grant dazu sagt. Ich stimme damit 100%ig überein. Auch mit Susan Cain stimme ich voll überein, dass, eine wirklich nett gemeinte Frage, weil man ehrlich eine Lösung sucht, als Schwäche interpretiert wird. Und man hat dann den Ruf als schwache Person inne, weil man eine nette (aber vielleicht nervige Frage) gestellt hat, womit man dann für sich "erreicht": Ich bin nett, nervig und dumm und werde nicht ernst genommen.

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    1. Danke für diese Schilderungen! Nur damit kein Missverständnis entsteht: Die E-Mail-Adressen oben sind natürlich keine echten. Z.B. steht mein.chef@firma.de für name.nachname@firmenname.de - ich wollte Anonymität waren und lustig sein. Das erste ist mir jedenfalls geglückt ;)

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