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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

8. Januar 2017

Das Geräusch der Stille

Gibt es noch irgendwo Freiheit vom Lärm?

"Es ist unser Recht per Geburt,
ruhig und ungestört den Lauten
der Natur zu lauschen und ihnen
den Sinn zu entnehmen,
den sie uns erschließen."
(Gordon Hempton)

Wie hört es sich an, wenn Schnee fällt und niemand in der Nähe ist? Erinnert ihr euch an den Sound des Sommerwinds im Gras? Oder das Rauschen der Blätter im Herbstwald? Und wer sehnt sich nicht manchmal nach Stille, richtiger Stille – etwas Raum und Zeit ohne Familie, Kollegen, Nachbarn, Verkehr, Werbung oder Radio und Fernseher? Für mich ist die Sehnsucht nach Stille so etwas wie ein metaphysischer Durst. Stille nährt nicht wie Wasser und Luft meinen Körper, sondern sorgt dafür, dass mein Geist gesund bleibt. Auf der Suche nach Stille treibt es mich zum Beispiel in die Wälder und an die Seen im Nordosten Europas. Manchmal muss ich dann tatsächlich ins Wasser und untertauchen, um überhaupt so etwas wie Stille zu finden. Denn immer öfter fällt mir auf, dass wir keine Orte mehr haben, an denen wir für längere Zeit keinen Lärm hören. Selbst im dünn besiedelten Nordosten Deutschlands gibt es nur weniger Wälder, in denen man nicht den Verkehr auf der nächsten Landstraße oder Autobahn hört. Oder die Traktoren und Mähdrescher, die ein Feld bewirtschafteten. Mindestens aber hört man alle paar Minuten ein Flugzeug, dass über unsere Köpfe hinweg den nächsten Flugplatz ansteuert. Wo gibt es noch Stille? Ja, was überhaupt ist Stille?

Ein Moment der Stille im Wald (Foto: Gilbert Dietrich, CC BY-SA 4.0)

Grenzwerte: Was ist Stille?

Wir müssen wohl erst wieder lernen, so etwas Grundlegendes wie Stille wertzuschätzen. So ähnlich wie wir in den letzten Jahrzehnten lernen mussten, dass saubere Luft oder klares Wasser grundlegende Zutaten zu unserem Leben sind, die wir wertschätzen und aktiv schützen müssen. Sauberes Wasser und saubere dürfen Luft keine Luxusgüter sein und auch die Stille ist etwas essentielles für uns Menschen, das uns abhanden zu kommen droht. Es gibt Grenzwerte für das, was wir als sauber in Hinsicht auf Wasser und Luft bezeichnen. Was aber sind die Grenzwerte für Stille?

Ich habe Kopfhörer, die Lärm rausfiltern und mich nur das hören lassen, was ich hören möchte, perfekt übrigens für das Hören der Aufnahme von Stille, die unten eingebettet ist. Viele von uns schlafen mit Ohropax und bei mir im Büro gibt es sogar Ruhekammern, in die man sich zurückziehen kann. Aber diese Hilfsmittel gegen den Lärm sind keine Lösung, denn sie ermöglichen es uns nicht, mit den natürlichen Räumen um uns herum wieder in Kontakt zu treten. Vielmehr schirmen diese Maßnahmen uns von der Möglichkeit richtiger Stille ab.

Der US amerikanische Akustikökologe Gordon Hempton definiert absolute Stille nicht als eine Abwesenheit von Geräuschen, sondern als eine Präsenz von Raum ohne Lärm.

"Stille ist nicht die Abwesenheit von etwas, sondern die Präsenz von allem. [...] Es ist die Präsenz der Zeit, ungestört. Wir können es in der Brust spüren. Stille nährt unsere Natur, unsere menschliche Natur und lässt uns wissen, wer wir sind. [...] Stille kann gefunden werden und sie kann dich finden. Sie kann verloren gehen und auch wieder entdeckt werden. Aber wir können uns Stille nicht einfach vorstellen, auch wenn die meisten das glauben. Um das die Seele bereichernde Wunder der Stille zu erfahren, muss  man sie hören." (Gordon Hempton, meine Übersetzung einer Passage von One Square Inch of Silence)
Hört euch die folgende Minute Stille, die Gordon Hempton in einem nordamerikanischen Seengebiet and der Grenze zwischen Kentucky und Tennessee aufgenommen hat, am besten mit Kopfhörern an:



Das ist das Geräusch der Stille: keine Abwesenheit, sondern eine Präsenz ohne Lärm. Es ist der Output des natürlichen Akustiksystems, eine Art akustischer Fingerabdruck eines Ortes abseits jeglicher menschlich/maschinell erzeugter Geräusche. Hempton zufolge ist der Ort in den USA, an dem es das geringste Lärmlevel gibt, der Olympic National Park im westlichen Teil des US-Bundesstaates Washington auf der Olympic-Halbinsel. Wenn man sich das auf der Karte ansieht, versteht man aber auch, dass selbst dort – genauso wie übrigens am Nordpol – hin und wieder Flugzeuge zu hören sein müssen, die beispielsweise eine Landung im nur etwa 100 Kilometer entfernten Seattle ansteuern. Es gibt keine ewige und absolute Stille in unserer Welt mehr. Nirgends.

Die Grenzwerte für Stille werden heute in sogenannten "lärmfreien Intervallen" gemessen. Der Grenzwert für die Aufnahme in Hemptons Liste der letzten lärmfreien Orte der Erde beträgt 15 Minuten ohne jeden Lärm in der Zeit zwischen Sonnenauf- und untergang. In dem riesigen Gebiet der USA mit seinen weiten unbewohnten Landstrichen, konnte Hempton lediglich 12 solcher Orte finden, an denen es über den Tag mindestens einmal 15 Minuten ohne jeden Lärm gab. Erschreckend, denn ich wette, dass es hier im westlichen Europa nicht mal einen Ort geben wird.

Gutes Miteinander braucht Ruhe

Stille erleben ist nicht nur um unserer Selbst Willen essentiell. Stille lehrt uns, auch einander richtig zu zuhören. Hempton spricht darüber, dass Menschen in Umgebungen mit viel Lärm einander weniger helfen, als Menschen, die in ruhigen Gegenden leben. Dem zugrunde könnte zum einen liegen, dass wir Stille brauchen, um die wichtigen Informationen vom anderen Rauschen zu unterscheiden. Aber auch, so Hempton, bringt Stille ein Element der Sicherheit in unser Leben. Stille signalisiert in der Natur, dass alles ok ist, wir nicht bedroht sind. Und das ist eine Voraussetzung dafür, dass wir auch in Gemeinschaften gut mit einander umgehen.

Die kleine Stille im Alltag zurück erobern

Nun können nicht alle von uns oft genug zu entlegenen Orten reisen, manchmal komme ich für Wochen nicht in einen Wald oder irgendwie nah an die Stille, die ich brauche. Wir brauchen für den Alltagsgebrauch eine etwas laxere Definition von Stille. Ich lebe in Berlin und wenn ich für meine Familie und mich etwas Stille schaffen möchte, dann muss es reichen, wenn ich die Tür und die Fenster schließe, technische Geräte ausschalte und einfach für ein bisschen in den Geräuschen lebe, die wir selbst produzieren, indem wir atmen, über das Parkett laufen, den Tee mit zischendem Wasser aufgießen oder mit einem leisen Rascheln eine Seite im Buch umblättern. Ich kann dann nur hoffen, dass für ein paar Minuten mal kein Müllwagen oder der DHL-Bote vor der Tür hält oder dass mal niemand seine alten Flaschen in den Glascontainer schmeißt. Solche Minuten sind es schon, die mir heute im Alltag etwas menschliche Stille und damit Nahrung für eine gesunde Seele geben. Bis ich endlich wieder allein in den Wald gehen kann oder für ein paar Sekunden unter die Oberfläche eines Sees eintauchen und mich dort in die knackende Stille der Unterwassernatur einwickeln kann.

Nicht zuletzt können wir uns natürlich auch alle darin üben, weniger Lärm zu machen. Harken wir doch den Garten, anstatt teure Laubbläser zu nehmen oder fahren wir mal mit dem Fahrrad, anstatt mit dem Auto. Stellen wir einfach mal die Klingel, das Radio und den Fernseher ab. Unser Recht auf Stille erfordert unsere Aufmerksamkeit und Mitwirkung genauso wie den gelegentlichen Rückzug zu unserer Regeneration. Wer mehr dazu hören möchte, findet hier ein langes Interview mit Gordon Hempton (in English) für die Sendung On Being, das helfen kann, das Hören wieder zu erlernen.



Das passt dazu:

20 Kommentare:

  1. Sehr schöner Artikel, auf den ich fast meine, eigens gewartet zu haben.
    Es gibt soviel dazu zu sagen!
    Einer meiner Bundesligaeinsätze im Schach führte mich in den 80ern in eine Stadt, wo wir ein Hotel mitten in der City bezogen. Ich war damals sehr lärmempfindlich, konnte dort kaum schlafen und musste völlig unausgeruht am nächsten Morgen zur Partie antreten. Ich hatte das Gefühl, daß von 2 Uhr bis 4 Uhr draussen „Ruhe“ war, also etwa keine Strassenbahn zu hören war. Aber ich war um 2 Uhr schon völlig kirre gewesen!
    In meiner Arbeitssituation stosse ich fast tagtäglich auf Lärmbelästigung, die mich mal mehr, mal weniger stört. Besonders ein Kollege pflegt stundenlang am Stück zu telefonieren. Ich konnte bisher nichts ausrichten und muß das so hinnehmen. Ohrenstöpsel will ich nicht ständig anhaben.
    Bei uns im Wald, das ist fast 30 Jahre her wohl, hatte ich mal so eine Phase absoluter Stille. Kein menschliches Getöse, keine Autos und Flugzeuge. Auch Tiere waren in dem leichten Gestrüpp nicht zu hören. Sowas erschlägt einen fast, weil es so ungewohnt ist.
    In einer asiatischen Großstadt hatte ich mal 2001 einen Moment, in dem mich wirklich Panik ergriff. Ich hatte Kopfweh und zig Lärmquellen agierten miteinander und gegeneinander. Ich flüchtete quer über einen Platz, in Hoffnung auf irgendeine Gasse, in der ich vielleicht nur mit 3,4 Lärmquellen zu tun hatte. Das gelang mir tatsächlich: Nur Gespräche ab und an in einer kleinen Bude, ein kleines Radio und Strassenverkehr etwas weiter weg.
    „Gesunde Seele“: Ich denke, auch die Neurowissenschaft müsste zum Thema Lärm deutlich etwas zu sagen haben. Da unser Hören ja, soweit ich weiß, auf Empfangsraster stösst, müsste doch ständiger Lärm das ganze System in Unordnung bringen können.

    Danke.
    Gerhard
    Kopfundgestalt.com

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    1. Vielen Dank für deine Worte und die wie immer sehr persönlichen und interessanten Erfahrungen. Du hast völlig Recht: Obwohl Robert Koch bereits vor 110 Jahren vorausgesagt hatte, dass nach den großen Seuchen der Lärm zu bekämpfen sei, um die Menschheit gesund zu halten, ist dieses Feld nach wie vor völlig unter-erforscht.

      Wir wissen, dass Lärm Stress pur ist und sogar zur Folter taugt. Dennoch tun wir kaum etwas dagegen, im Gegenteil: überall wird ein Sound-Teppich untergelegt. Vielleicht gehören Menschen wie du und ich zu den sensibleren und es stört die Mehrheit nicht.

      Ich kann nur wiederholen: Für mich hat dieses Stille-Bedürfnis die Intensität von einem sehr starken Durst. Andere Menschen halten mich manchmal für bekloppt oder schwerhörig, z.B. weil ich keinem Gespräch folgen kann, das es in einem Restaurant stattfindet. Ich höre sozusagen alles (die Gesprächsfetzen anderer, das Klimpern des Geschirrs, die Schuhe der Kellner auf dem Boden, das Eingießen und Schlucken um mich herum) und kann das Wesentliche des Gesprächs, an dem ich teilnehmen soll, nicht rausfiltern.

      Was mir auf Arbeit in ähnlichen Situationen wie deiner hilft ist mein Kopfhörer, der Lärm eliminiert, während ich gleichzeitig Klaviermusik oder Naturgeräusche höre. Ich habe dazu extra Playlists bei SoundCloud angelegt.

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    2. Gilbert, ich bin ein durchaus ambivalenter Mensch, was "Ruhe" anbelangt.
      Da eines meiner wirklich "ernsten" Leidenschaften Musikhören ist, konkurriert das oft mit dem Lesen oder anderen Dingen. Ich habe immer das Gefühl, zu wenig Zeit für alles zu haben! Ich möchte alles GREIFEN.
      Allerdings gibt es in letzter Zeit des öfteren Abende, in der die Anlage aus ist. Richtig machen kann man eigentlich nur eine Sache gleichzeitig, das muß in meinen Kopf. Aber da ich so hungrig bin, weigere ich mich, das anzuerkennen.
      Das was Du über das Restaurant schreibst, kenne ich nicht so, aber dafür meine Partnerin! Gleichzeitig haben wir oft Keramiksessions nachts an den Wochenenden, wo wir interessante Musik laufen lassen, meist experimentelle Sachen, die uns einfach zusätzlich bereichern.

      Das war mir jetzt recht wichtig, damit nicht ein falscher Eindruck entsteht.

      Was ich schlimm finde,ist, in einem Bus oder in einem Urlaubsort irgendwelcher Dutzendware an Musik ausgesetzt zu sein. Das ist manchmal Folter pur.
      Also geht es primär UM GERÄUSCHE, die ich so nicht will und die mir nichts geben: Huben von Autofahrern, Hochzeitskorsos, laute aufdringliche Gespräche (hatte mal so eine Kernsituation bei einem wunderbaren Jazzkonzert in einem Jazzgarten, in der eine junge Frau ihrem Partner gegenüber ständig über die bösen Fleischesser lästerte und garnicht auf die Musik achtete. Ich hätte sie fragen wollen: Sind jetzt 3, 4 oder 5 Musiker auf der Bühne???)

      Gerhard

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  2. Antworten
    1. Danke schön. Ich würde mich über eine Empfehlung in Ihrem weit reichenden Netzwerk freuen.

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  3. Das Geräusch der Stille ist auch Thema eines relativ bekannten Musikstücks: 4'33" von John Cage. Es besteht aus drei Sätzen, die jeweils nur aus Pause bestehen und wir klassisch am Klavier aufgeführt. Ich hatte das Glück, einmal im Musikunterricht eine Referendarin zu haben, die dieses Stück tatsächlich für die Klasse aufgeführt hat. Natürlich hat man sofort die Leute, die das alles für Banane halten und für spleenigen Kunstkack, aber es gibt auch die, die eben wegen der Konzertatmosphäre die Ohren offen halten und eben dann all diese Geräusche erfahren, die in der (Nicht)Stille des Saals da noch sind. Für John Cage hing 4'33" wohl auch mit dem Besuch eines schalltoten Raums zusammen, da gibt es hier eine interessante Erwähnung: https://de.wikipedia.org/wiki/4%E2%80%B233%E2%80%B3

    Nämlich die, dass man in einem schalltoten Raum noch immer die Geräusche des eigenen Körpers hört. Übrigens, schalltote Räume tun dem Menschen auf Dauer gar nicht gut. Nach wenigen Stunden drohen bereits psychotische Reaktionen. Schon die nahezu vollkommene Stille macht uns also wahnsinnig.

    Wie gut, das es sie meist nicht gibt. Naturgeräusche hingegen empfinden wohl die meisten als Stille, obwohl sie gar nicht still sind. Und leider sind sie – wie im Post auch erwähnt – durchsetzt von "Menschenmaschinenlärm". Wer wie ich mal immer wieder mit einem Recorder und windgeschützten Studiomikrofonen in der Natur war, hört irgendwann anders, zumindest wahlweise: Zunächst war das Flugzeug im Wald gar nicht wahrnehmbar, nur hinterher auf der Aufnahme, da war es auf einmal. Irgendwann lernt man, anders zu hören. Fast überall ist Lärm, wenn auch nur leise. Und wohl auch Lärm, auf den der Mensch biologisch nicht eingestellt ist.

    Als Musiker brauche ich die Stille, für viele ist das paradox. Weil ich gelernt habe, anders zu hören. Vor allem natürlich bei Musik. Deswegen kaufe ich gerne im Discounter ein: Dort läuft keine Hintergrundmusik. (Viele Menschen bemerken diese Tatsache erst, wenn man sie ihnen erzählt oder sie aufschreibt, also genau jetzt.)

    Zwei alte "Werke" von mir, die sich mit dem Klang der Natur (bzw. auch Nicht-Natur) auseinandersetzen, und deren vorangegangen "Aufnahmereisen" auch die Grundlage für oben erwähnte Erfahrungen sind:
    http://em.drni.de/em004
    http://em.drni.de/em006
    (Download kostenfrei dort)

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    1. Danke für diese Schilderungen. Besonders interessant finde ich, dass man hinterher auf der Aufnahme etwas hört, das mal vor Ort gar nicht bemerkt hat. Kann ich mir gut vorstellen, sind wir doch bereits so eingestellt, alles mögliche herauszufiltern, das uns in der Situation nicht weiterhilft.

      Wusstest du, dass das menschliche Ohr optimal eingestellt ist – nicht etwa auf die Frequenzen der menschlichen Stimmen, sondern auf die Frequenzen von Vogelgesang?! Denn dieser signalisierte umherziehenden Horden, wo sich ein Gebiet mit Wasser und Nahrung findet, nämlich dort, wo sich Vögel aufhalten. Der Gesang von Vögeln ist das Geräusch, das wir über etliche Kilometer hinweg noch hören können.

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    2. Insgesamt sehr schön und wichtig, was Du sagst, Toc6.
      Habe mir die erste Compilation auf http://em.drni.de/em004 angehört.
      Ungeheurer Lärm eigentlich, aber wir Menschen filtern das aus, wenn wir in der Natur sind und nicht gleichzeitig überreizt.
      Es gibt doch schon seit vielleicht 20 Jahren eine Musikrichtung, die nicht Hörbares, Unterschwelliges zu Gehör bringt, indem es diese Gehörquellen verstärkt. Vergaß den Namen dieser Richtung. Du kennst das bestimmt.

      Danke!

      Gerhard

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    3. Gilbert, es war Jahrmillionen Zeit, so etwas zu entwickeln. Es ist ungeheuer, was man so alles entdeckt in diesen Tagen!
      Gerhard

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    4. Korrekt, leider ist heute das Hören von Vögeln kein evolutionärer Vorteil mehr.

      Wir können uns heute auch gar nicht mehr die Massen an Singvögeln vorstellen, die es noch vor wenigen Jahrhunderten in unseren Breiten gab. Wir haben Vogelgesang gegen Maschinenlärm eingetauscht.

      Heute ist es überlebenswichtig und ein evolutionärer Vorteil, wenn ich das Auto kommen höre, dass mich zu überfahren droht.

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    5. Dass das menschliche Gehör nicht linear arbeitet, wusste ich. Von Vögeln hingegen noch nichts. Es gibt auch anderer Erklärungsansätze, die behaupten, das Gehör sei auf menschliche Sprache optimiert. In dem Zusammenhang interessant ist die sog. Fletcher-Munson-Kurve, hier verzeichnet: https://de.wikipedia.org/wiki/Geh%C3%B6rrichtige_Lautst%C3%A4rke

      Kann man auch selbst beobachten, zuhause. Man nehme ein Musikstück mit tiefen Bässen und drehe es leiser an der Hifi-Anlage. Die Bässe scheinen bei leiser Gesamtlautstärke "weniger da". Vielleicht nimmt man es auch eher anders herum wahr: Ein Musikstück fängt an zu Wummern, wenn man es laut hört. Viele moderne Beschallungssysteme haben heutzutage digitale Controller eingebaut, die auf Basis solcher psychoakustischer Erkenntnisse die Höhen und Tiefen lautstärkeabhängig anpassen.

      Flechter & Munson haben sich schon in den 30er Jahren damit beschäftigt. Auf die Tontechnik haben solche Erkenntnisse "in Serie" wohl eher so in den letzten 30 Jahren Einfluss gehabt. Umso trostloser ist es dann, wenn ausgeklügelte Aufnahmen gemacht werden von Vollprofis mit Top-Equipment, die dann auf Mobiltelefonlautsprechern abgespielt werden.

      Um den Bogen zu schlagen und überhaupt: Letzteres nervt mich sehr sehr schnell. Überall dudelt es. Aber vor allem wie es dudelt, da wäre jeder gescheite Ghettoblaster ein Ohrenschmaus dagegen. Trotz Gedudel.

      Vielleicht bin ich da auch auf eine besondere Art überempfindlich. Ich habe das Hinhören gelernt, durch Aufnehmen, Mischen, Musizieren... und kann z.B. bei Stadtfesten nicht mehr ohne Unwohlsein unterwegs sein, da die meisten Bühnen einfach nur schlimm klingen. Da tut's einfach weh. Dann lieber Vögel, einen Stall voll von mir aus... :-)

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    6. Toc6: Das ist einfach das Dilemma des Experten. Hat man sich eine Hörkultur angeeignet, kann man nicht mehr zurück.
      Im Schach etwa gilt es als verbürgt, daß Weltmeister Michail Tal immer wieder selbst gegen "blutige" Amateure spielte, wenn die eine Partie mit ihm spielen wollten. Wieso er das tat, keine Ahnung!
      @Gilbert: Wie ist es denn in den Wissenschaften oder der Philosophie? Hat man dort ein gewisses Niveau erreicht, wer will dann mit Leuten, die sich kaum je da getummelt haben, über bestimmte Dinge diskutieren?
      Ich finde generell, daß es nicht "gesund" ist, ein Zuviel an Expertentum, eine nochmalige Steigerung, aufzubauen, für einen selbst nicht und auch nicht das Umfeld.

      Gerhard

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    7. Ja, es ist eine schwierige Balance... Bestimmte Standards und ein hohes Reflexionsniveau gehören schon dazu, wenn man sich über solche Themen sinnvoll austauschen will. Auf der anderen Seite bin ich ein Verfechter von Offenheit solcher Themen und Relevanz für den Alltag aller. Das ist nicht immer einfach zu navigieren. Aber ein Glück bin ich ja selbst kein Elfenbeinturm-Besetzer und habe ein eher hemdsärmliges Verständnis von Philosophie. Ich bin gern Dilettant.

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  4. Vielen Dank für ihren schönen Artikel, Hr. Dietrich!

    Als ich ihn zum ersten Mal las, lag ich gerade im Bett und wartete darauf, dass das Rödeln meines Kühlschrankes und die Geräusche meiner Nachbarn aufhören. Augenbinde und Ohrstöpsel liegen ebenfalls immer auf meinem Nachtkästchen, auch wenn ich das nicht immer verwenden will. Im Sommer, wenn die Fenster offen sind, sind diese jedoch unabdingbar.

    Das Abtauchen in Stille als metaphysische Nahrung zu bezeichnen, finde ich ansprechend. In der Stille findet man sich selbst, die Reize der Umwelt sind herunter gefahren und man kann seine Gedanken auf sich richten und aus sich heraus neu schöpfen, Ideen, Zusammenhänge generieren. Ich denke, wenn wir zu wenig Zugang dazu haben, werden wir gehetzt unruhig unschließlich krank. Dabei ist mir aufgefallen, das "weniger empfindliche" oft einfach nur nicht merken, dass es ihnen an Ruhe fehlt und auch nicht darüber nachdenken. mir ist aufgefallen , das gerade die erkranken, die eher unempfindlich wirken. Ich hingegen merke ziemlich schnell wenn es mir zu viel wird, und ziehe mich zuück und meistens reicht mir schon eine kurze Pause.

    Akkustische Umweltverschmutzung wird viel zuwenig beachtet. In verschiedenen Firmen, gerade im handwerklichen, mechanischen Bereich, mussten Mitarbeiter erst Symptome wie Burn-Out oder Hörstürze erleiden, damit die Sache ernster genommen wird. Mittlerweile gehört Gehörschutz zum gesetzlich vorgegebenen Standart für Arbeitssicherheit.
    Die Möglichkeit sich in der Firma für einige Augenblicke zurück zu ziehen um zu entspannen oder denken, sehe ich als großen Fortschritt. Leider wird zum Beispiel in meiner Firma so etwas abgewehrt.
    Ich kenne keinen großen Wissenschaftler der besonders geistreich im tosendem Lärm war. Für Denkleistung scheint Ruhe besonders wichtig zu sein.
    Und dazu scheint nicht nur die Nacht und der Schlaf ausreichend zu sein, sondern man muss die Stille bewusst wahrnehmen können.

    Die ständige Überrreizung von Umwelt und Gesellschaft scheint dem Menschen zumindest aktuell nicht so gut zu tun. Wahrscheinlich muss er sich erstmal darauf einstellen. Schließlich wohnen wir erst ziemlich kurze Zeit so eng und laut aufeinander.

    Liebe Grüße
    L.It.

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    1. Ja, ganz ähnlich Gedanken habe und Beobachtungen mache ich auch. Nur, dass sich der menschliche Organismus an ständige Überreizung je gewöhnen wird, bezweifle ich.

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  5. Toller Artikel der mir Neues gelernt hat über etwas, das ich liebe - die Stille. Bei der Lektüre bin ich draufgekommen, dass es aber nicht die "richtige" Stille ist, mit der ich mich meist umgebe. Es bleibt bei mir meist die Stille des Zimmers in dem ich lese oder schreibe oder am Laptop sitze ... Und das ist wohl nur die Abwesenheit von Lärm und nicht mehr als das.

    Die Audio-Aufnahme habe ich mir mit meinen sündteuren "Voice-Cancelling" Kopfhörern angehört, die ich bereits vor der Lektüre am Kopf hatte. Und jetzt habe ich so sehr Lust nach Natur und Stille in der Form von Präsenz von Lärm, dass ich einen Abendspaziergang machen werde, was ich in meinem bisherigen Leben noch kein einziges Mal getan habe.

    Danke für die Inspiration,
    ich lese hier sicher bald wieder vorbei!

    Bis dann,
    Philipp

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    1. Vielen Dank für den Kommentar, Philipp! Freut mich, dass der Artikel solch eine Resonanz bei dir hat. Ich würde aber auch sagen, dass es nicht unbedingt so etwas wie "falsche Stille" gibt, sondern eben unterschiedliche. Die Stille des Zimmers tut dir ja sicher auch immer wieder gut. Aber es sollte vielleicht nicht die einzig erlebte Stille sein.

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  6. Es ist schon so viel gesagt worden.
    Deshalb lassen Sie mich nur eines sagen: DANKE

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  7. Diese Stille, die wir suchen muss heutzutage wirklich hart erkämpft werden. Sei es um überhaupt dorthin zu gelangen, ist Folter pur. Umso schöner ist dann das "Gespür" der Stille. Es gibt nichts Schöneres für einen Menschen der in der Stadt wohnt. Es fehlt einfach dieser Ausgleich: Lärm - Stille. Es sollte sein wie Tag und Nacht, leider ist es nicht so.

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  8. Die Stille - als introvertierter Mensch ist es eines meiner Lieblingsthemen. Ich habe mich sehr über diesen ausführlichen Artikel dazu gefreut.
    Ich habe mich auf meinem Blog auch bereits dem Thema Stille gewidmet - und mir dabei nicht nur über die äußere Stille (die Abwesenheit von Geräuschen) Gedanken gemacht, sondern auch über die innere Stille. Gerade als Introvertierte mit einem reichhaltigen Innenleben tut es manchmal gut, die eigene innere Stille zu finden.
    Inspiriert zum Thema Stille wurde ich von einem kleinen Büchlein von Erling Kagge: Stille. Ein Wegweiser. Das kann ich an dieser Stelle sehr empfehlen.
    Viele Grüße
    Lena

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