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3. November 2017

Den Planeten managen, ansttat ihn nur zu verbrauchen

Chris D. Thomas' Optimismus im Zeitalter des Aussterbens

Das Leben als Mensch auf diesem Planeten ist eine paradoxe Sache: Wir machen es uns sehr angenehm, mehr als angenehm – luxuriös sogar und der Verlauf der Geschichte zeigt uns, dass es uns in unserem Anthropozän immer besser geht. Dennoch beschweren wir uns fortwährend über die Folgen, die diese zunehmenden Verbesserungen mit sich bringen. Die dramatischsten Spuren hinterlassen wir in unserer Umwelt, was uns wiederum nervös macht, weil wir in dieser Umwelt leben und damit die erreichten Verbesserungen wieder aufs Spiel setzen. Insbesondere haben wir die Tendenz, uns nach einer Zeit zurück zu sehnen, der wir gerade entkommen sind. Im Rückspiegel sieht diese Vergangenheit plötzlich paradiesisch aus.

Warum der Eisbär zum Braunbären werden muss... (Foto: Susanne Miller, Lizenz: public domain CC0)

Dieser verklärende Blick in die Vergangenheit hilft uns leider nicht, denn die Zeit kommt aus der Zukunft, wie Armen Avanessian und die Akzelerationisten sagen. Die Eisbären machen sich schon mal auf den Weg in ihre neue Zukunft ohne Eis. Und wir Menschen täten gut daran, unsere gesamte planetarische Zukunft zu gestalten, anstatt an einer Vergangenheit zu hängen, die es entweder niemals gab oder die zumindest nie wiederkommen wird. Daher fasziniert es mich immer wieder, andere Denkansätze über unser Fortbestehen in der Gegenwart und Zukunft zu entdecken, wie eben bei den Akzelerationisten, bei Bruno Latour oder dem Projekt Dark Mountain.

Leben ist das, was passiert und wir sind ein Teil davon

Eine absolut ideologiefreie Betrachtung auf das Thema Natur- und Umweltschutz bietet uns Chris Thomas, Professor für Biologie an der englischen University of York und Autor des Buches Inheritors of the Earth: How Nature Is Thriving in an Age of Extinction (deutsch etwa: Erben der Erde: Wie die Natur im Zeitalter des Aussterbens gedeiht):

"Leben ist einfach das, was passiert. Leider oder zum Glück hat das Leben keinen Sinn oder letzten Zweck. Es entstand, wird eine Weile bestehen und dann wieder verschwinden. Naturschutz ist eher ein Ding der menschlichen Perspektive auf die Gegenwart oder die nahe Zukunft ..." (Chris Thomas im Interview der NAUTILUS, meine Übersetzung)

Das ist so extrem nüchtern gedacht, dass man meinen könnte, dem Mann fehle jeder Sinn für die Qualität von Leben, für religiöse, spirituelle oder wenigsten ästhetische Zusammenhänge. Aber genau diese Abstraktion im Nachdenken über das Leben hilft hier, mal den Blick zu klären. Es ist ein systemischer Blick, der alle Fragen der Umweltzerstörung in ein ungewohntes Licht rückt. Denn Thomas meint, wir seien einfach ein Teil des Systems "Natur" und damit ein Teil dessens, was eben passiert. Wir müssten aufhören, uns gegen die Natur abzugrenzen, sondern uns als Teil der natürlichen Evolution begreifen. Dann höre auch die Negativität auf, mit der Umweltschützer immer unterwegs seien und es öffne sich der Blick für die Chancen, die sich böten. Die eine große Chance, die Thomas sieht, ist die der angeblich wachsenden Diversität und zwar auch Dank des Einflusses des Menschen:

"Der Klimawandel hat paradoxe Effekte auf die biologische Diversität. Er bedroht eine große Zahl an Spezien. Es gibt dazu einen starken Konsens in den Naturwissenschaften, auch wenn es keinen Konsens dazu gibt, wie viele Spezien eigentlich bedroht sind. Man glaubt, dass es so etwa 10% der Spezien weltweit sind, die gefährdet sind und viele von denen sind welche, die nur in den Bergen vorkommen und nirgendwohin auswandern können." (a.a.O.)

Anders als die Lebewesen am Berg, die nicht mehr höher klettern können, um der Wärme zu entkommen und auch nicht ins Tal gehen werden, um den nächst höheren Berg zu erklettern, werden sich die Lebewesen von dort, wo wir die meisten Spezien finden, nämlich am Äquator, weiter  ausbreiten, so Thomas. Denn, da in den heißen Regionen der Erde die meisten Lebewesen lebten, sei es ganz logisch, dass die Diversität mit der Erwärmung des Planeten zunehme. Für Thomas scheint das panische Anklagen der Naturschützer unverständlich zu sein:

"Die Verdrängung von Spezien ist eine normale Vorgehensweise auf unserem lebenden Planeten. Lebewesen überleben dadurch, dass sie sich von einem Ort zum anderen bewegen und nicht notwendigerweise dadurch, dass sie langfristig an einem Ort festsitzen. Trotzdem laufen viele der Strategien im Umweltschutz darauf hinaus, die Dinge genau so zu erhalten, wie sie sind. Die Natur aber überlebt durch Bewegung und nicht dadurch, dass alles so bleibt, wie es ist." (a.a.O.)

Es gab nie eine Natur im Park des Anthropozäns

Wie gesagt, werden das viele Spezien in den Bergen oder die Eisbären an den nördlichen Rändern nicht ohne weiteres überleben. Thomas' Überzeugung ist jedoch nicht, dass es keine solche Entwicklungen gibt, sondern zum einen, dass man das nicht moralisch betrachten kann, denn das Leben ist eben, was passiert und zum anderen, dass es durch den Klimawandel auch globale Vorteile geben könnte, die es mindestens genauso wert seien, wissenschaftlich untersucht zu werden. Thomas meint, wir sollten stärker dazu übergehen, die Erde zu managen, anstatt sie einfach nur zu verbrauchen und dabei zu versuchen, die Verluste in Grenzen zu halten. Letztlich sagt auch Thomas, dass zu diesem Management ganz zwingend gehört, die Emission der Treibhausgase dramatisch zu drosseln, denn nur das wird das Aussterben für uns wichtiger Spezien bremsen und den bewohnbaren Teil der Erde nicht dramatisch schrumpfen lassen. Dabei meint er auch:

"Ich würde behaupten, dass Umweltschützer ihre offensichtliche Zurückhaltung, Dinge zu tun, die sie unnatürlich nennen, über Bord werfen müssen. Lasst uns sicher stellen, dass in unserer Umwelt positive Dinge passieren, wie auch immer wir das hinkriegen. Warum sollten wir uns die Hände auf dem Rücken fesseln, wenn wir für die Natur kämpfen wollen. Die Mächtigen in der Industrie, von denen wohl einige weniger über die Natur besorgt sind, lassen sich jedenfalls nicht so einfach die Hände auf dem Rücken fesseln." (a.a.O.)

Als Menschen hätten wir ohnehin jegliche Habitate verändert, nichts im Anthropozän ist noch einfach nur "natürlich", weshalb Thomas die Erde auch einen Park des Anthropozäns nennt. Warum Kultur und Natur nicht von einander zu trennen sind und wie komplex die Mechanismen in diesen Sphären sind, kann man in Nous n'avons jamais ete modernes von Bruno Latour nachlesen. Es scheint also ganz logisch, dass wir die Natur als solche und auch als Begriff zurücklassen und statt dessen überlegen, wie wir unsere Umwelt so managen, dass wir auch zukünftig unseren Bedürfnissen gemäß leben können (und dazu gehört nicht nur der Konsum, sondern auch soetwas wie Schönheit und Stille). Das könnte auch heißen, neue Lebensräume zu designen, anstatt immer nur etwas konservieren oder wieder herstellen zu wollen. Thomas erklärt, dass wir sehr wahrscheinlich davon profitieren, wenn die Biodervisität zunimmt, selbst wenn es sich um "eingewanderte" Arten handelt. Pflanzen stabilisieren die Böden, säubern das Wasser, reinigen die Luft – dazu müssten diese Pflanzen nicht notwendigerweise einheimisch sein. Wenn neue Organismen einwandern, dann heißt das auch, dass diese eine ökologischen Fittnes mitbringen und sehr wahrscheinlich positiv in unserer Umwelt wirken.

Gut, wir kennen alle Gegenbeispiele solcher invasiven Spezien, die den heimischen das Essen wegfressen oder mögen uns fragen, welchen positiven Einfluss bitte die asiatische Tigermücke bei uns im Wohnzimmer haben könnte. Eben deshalb könnte ein Übergang von bloßem Hinnehmen des Aussterbens und Einwanderns hin zu einem Design neuer Lebenswelten ein neuer Weg im Management der alten Erde sein. Jeglicher Verlust von Spezien (außer vielleicht solcher Pathogene wie Pocken) ist eine Tragödie und ein Verlust ökologischer Möglichkeiten. Der Eisbär ist übrigens dabei, sich mit dem Braunbären zu hybridisieren. Und das ist auch deswegen schade, weil irgendwann garantiert die nächste starke Eiszeit kommen wird, die den Eisbären gefallen würde. Nur es wird sie dann nicht mehr geben und die Evolution wird neue Wege finden, die Nahrungskette zu managen.



Das passt dazu:

4 Kommentare:

  1. Schön, dass du einen Einblick in die Argumentation des Buches zur Verfügung stellst.
    Ich stimme dem zu, dass wir neue Perspektiven brauchen: Verbrauchen oder/und bewahren führt nicht weiter.
    Was ich nicht verstehe ist, warum du diesen simplen Materialismus „absolut ideologiefrei“ nennst. Und auch die Hauptaussage von Thomas leuchtet mir nicht ein. Schon vor vielen Jahren hat Z. Bauman das Bild des Gärtners für uns moderne Menschen geprägt: wir schaffen Ordnung. Seit Jahrhunderten sind wir damit beschäftigt zu design, zu gestalten und zu managen. Darum spricht doch Thomas auch vom „Park des Anthropozäns“. Dieses managen jetzt als eine neue Lösung für die Probleme des gestalteten Parks darzustellen, verstehe ich nicht.
    Im Gegensatz zu Thomas bin ich bei dem Thema gerade emotional berührt und habe einen kleinen Text geschrieben. Er kann durchaus im Kontrast gelesen werden. Aber auch mich beschäftigt die Frage nach den neuen Perspektiven bzw. Problembeschreibungen: Das Ende ist nahe ...
    http://ingo-diedrich.de/das-ende-ist-nahe/leben-vitalitaet



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    1. Das in meinem Verständnis Neue ist nicht der Park an sich, sondern der Aufruf, nicht einfach nur konservieren zu wollen, sondern aktiv neue und positiv-produktive Umwelten zu gestalten. Zum anderen die Erkenntnis einer zunehmenden Dibversität. Das wäre ein glatter WIderspruch zum allgemeinen (auch deinem) Klagen zum Thema. Und drittens gefällt mir die Infragestellung eines bisher sehr naiven und hilflosen Natur- und Umweltschutzes. Diese Punkte allein sind keine Lösung und das sagt Thomas ja auch sehr deutlich.

      Ideologiefrei ist es, weil es nicht die Logik in den Dienst einer Idee stellt, sondern seine Ideen der Logik folgen. Und das ist besonders bei Umwelt- und Naturthemen sehr selten. Auch in deinem Text, den ich trotzdem wertvoll finde, denn wie ich ja auch schreibe, gehört Emotion bei diesen Themen zum Menschsein.

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    2. Zu 1: solange es das Ideal des Natur gestaltenden Menschen gibt, gibt es auch die Idee vom Zurück zur Natur. Aber wo ist die tatsächlich noch relevant. Es gibt doch keinen Flecken bei uns mehr, der nicht gemanagt wird, sich Effizienz und der Ökonomie unterordnen muss. Selbst im konkreten Naturschutz soll man „effizient planen, managen und umsetzen“. Was nun „aktiv neue und positiv-produktive Umwelten“ sein sollen weiß ich nicht. Für mich ist dieses managen (gerade als Gegenpol zum konservieren) Teil des Problem.
      Zu 2.: da kann ich wenig zu sagen. Hört sich naiv an, aber ich verstehe es auch nicht.
      Zu 3.: OK

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    3. Zu 2.: Wenn ein Naturwissenschaftler solche Behauptungen aufstellt, dann aus empirischen Untersuchungen heraus und nicht aus Naivität.

      Zu 1.: Er tritt ja gerade für ein neues Management ein, also z.B. auch neue Arten anzusiedeln, die es zuvor nicht gab. Schreibe ich ja alles oben im Text und muss ich hier nicht wiederholen.

      Meine eigenen Hoffnungen sind wesentlich begrenzter, als die von Thomas, siehe z.B. Bilder des Trostes, H wie Habicht. Es reicht mir eben nicht zu sagen, "Leben ist alles das, was passiert." Letztlich sind wir als Menschen eben doch ganz wesentlich auf die Qualität dieses Lebens angewiesen und es reicht uns eben gerade nicht, dass es einfach ist.

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