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1. September 2019

Wie wir die schamlose Schockpolitik besiegen

Pow, zack, boom: Rekonstruktion des öffentlichen Interesses

Dass Schocks ein enorm wirksames Mittel für extreme politische Maßnahmen sind, ist nichts neues. Durch die Jahrtausende haben Herrscher und Putschisten sich Krisen, Katastrophen oder auch nur vermeintliche Bedrohungen zunutze gemacht, um Ausnahmezustände zu verhängen, Kriege anzuzetteln oder ganze Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren und zu vernichten.

"Der Begriff 'Schock-Strategie' beschreibt die oft brutalen Taktiken, die öffentliche Desorientierung nach einem kollektiven Schock – Kriege, Putsche, Terrorattacken, Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen – zu nutzen, um radikale [...] Maßnahmen durchzudrücken..." (Naomi Klein, No Is Not Enough: Defeating the New Shock Politics, S. 2, eigene Übersetzung)

Neu ist vielleicht, dass wir uns jetzt wieder von diesen alten Taktiken vereinnahmen lassen, angetrieben u.a. von einer enormen Verwirrungsmaschine, den sozialen Netzwerken, die als neue Massenmedien den alten Fernseher mit seinem analogen Verblendungspotenzial blass aussehen lassen. Neu ist auch, dass wir es in der Zwischenzeit mit Regierungen zu tun bekommen, die zwar demokratisch gewählt sind und die trotzdem keinen Hehl daraus machen, dass sie mit einer permanenten Schockpolitik die Demokratie in weiten Teilen demontieren. Und die Demontage frisst sich auch ein in Länder wie Deutschland oder Frankreich, die sich nach wie vor als Bollwerk der Domkratie verstehen, einfach weil sie sich willig solchen Formulierungen wie "Flüchtlingskrise" hingeben und damit sich selbst meinen und nicht etwa die Flüchtlinge, die sich in einer tatsächlichen Krisensituation befinden. Die USA sind spätestens seit Donald Trump einen großen Schritt weiter und führen einen internen Kampf auf Leben und Tod der Demokratie:

"Das Ziel, sagte [Steve Bannon], war die 'Dekonstruktion des administrativen Staates' (womit er die Legeslative und die Behörden meint, deren Aufgabe es ist, die Bürger und ihre Rechte zu schützen). Und 'wenn man sich die nominierten Kabinettsmitglieder ansieht, wurden sie zu einem Zweck ausgewählt: Zerstörung.'" (A.a.O., S. 3)

Die agressive Offenheit der Trump-Regierung und die Schamlosigkeit, mit der der Abbau der Demokratie angekündigt wird, ist ein neues Kennzeichen moderner reaktionärer Populisten. Naomi Klein beschreibt das als "nackte kapitalistische Übernahme, die seit Jahrzehnten vorbereitet wurde" (A.a.O., S. 4). Die USA sind in dieser Hinsicht etwas besonders, denn sie haben effektiv nur zwei Parteien, die beide in der Hauptsache einfach nur eine neoliberale Politik des Marktes vorantreiben, die einen ohne und die anderen mit sozialer Maske. Bezogen auf die letzten Präsidentenwahlen im Jahr 2016 kann beispielsweise niemand mit auch nur einem Hauch von linkem oder sozialem Bewusstsein auf die Wahl von Hillary Clinton, dem Liebling des großen Geldes in den USA, gehofft haben. Trump ist lediglich Politik für Reiche ohne Maske und auf die Spitze getrieben.

die ganze reaktionäre Show hat einen wahrhaftigen Kern: Der Schutz der Interessen der Leute, die von einem harten kapitalistischen Markt profitieren.


In diesem Sinne ist er ehrlicher (der bessere Ausdruck ist "schamloser") als die Bush-, Clinton- oder Obama-Clans. Er ist aber auch gefährlicher für alle, die auf öffentliche Bildung, Krankenkassen oder sonstigen staatlichen Schutz angewiesen sind. Er ist gefährlicher für die gesamte Welt in ökonomischer, ökologischer und politischer Hinsicht, denn er repräsentiert die entschiedene und aggressive Abkehr vom öffentlichen Interesse, dem einzigen Interesse, dem Politik verpflichtet ist. Denn sein Abbau jeglicher legislativer Regulation bedeutet mehr Ausbeutung Abhängiger, mehr Ausbeutung der Natur und das Zurückdrehen jeglicher die Zertsörung der Öffentlichkeit hemmender Gesetzgebung, sodass große Unternehmen und die extrem Reichen ein freies und offenes Spielfeld haben, ihre Interessen ungehindert zu verfolgen.

Die Täuschung ist der Sinn der ganzen Show

Interessant ist nun, dass solche Regierungen nicht nur Schocks für sich nutzen, sondern dass sie mit ihrer Politik dafür sorgen, dass die Schockwellen nicht abreißen. Die Demontage des Staates schafft selbst die Schocks, die für weitere Demontagen einen Vorwand bieten. Wie kann man aus solchen Teufelskreisen wieder ausbrechen?

Ein Zustand des Schocks, so Klein, kommt nicht daher, dass etwas großes und schlimmes passiert, "es muss etwas großes und schlimmes sein, das wir noch nicht verstehen."

"Ein Zustand des Schocks resultiert aus dem Auseinanderklaffen zwischen dem was passiert und unserer Fähigkeit dieses Vorkommnis zu erklären. Wenn wir uns in so einer Situation befinden, ohne Erklärung und ohne Stabilität, werden viele von uns anfällig für authoritäre Führungspersonen, die uns weismachen, dass wir uns gegenseitig zu fürchten und dass wir unsere Rechte zugunsten eines höheren Gutes aufzugeben haben." (A.a.O., S.7)

Mit anderen Worten, wir müssen auf dem Pfad der Aufklärung bleiben, um nicht permanent geschockt zu sein und dabei über den Tisch gezogen zu werden. Trump und den reaktionären Populismus zu verstehen heißt, nicht mehr von ihm geschockt zu sein und schnell einen Weg aus der eigenen Unmündigkeit und Handlungsunfähigkeit (was etymologisch dasselbe ist) zu finden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu verstehen, dass die Leugnung der Realität (z.B. Klimawandel), all die Lügen und Fake News, all die Skandale und das öffentliche Drama keine Dummheiten dieser reaktionären Populisten sind, sondern dass an dieser "alternativen Realität" (ein dummes Oxymoron) die ganze Show hängt. Ob eine Story "wahr oder falsch ist, ist irrelevant. Es geht darum, die Massen zu mobilisieren, es ist Teil der Show." (A.a.O., S. 53) Wir dürfen jetzt also aufhören, uns über die Lügen zu empören, denn die sind Blendwerk. "Nein ist nicht genug", so der Originaltitel von Kleins Buch. Es geht darum, dieser Show etwas Wahrhaftiges entgegen zu setzen. Was könnte das sein?

Nein und Ja zugleich: eine bessere Zukunft ist denkbar

Um die reaktionären Populisten zu stoppen, müssen wir sie erstens genau verstehen und zweitens eine eigene und attraktive Zukunftsvision entwickeln. Noch einmal zusammengefasst, die ganze reaktionäre Show hat einen wahrhaftigen Kern: Der Schutz der Interessen der Leute, die von einem harten kapitalistischen Markt profitieren. Als Beispiel: Den Klimawandel ernst zu nehmen, hieße beispielsweise, die Öl-Magnaten von ihrer Quelle des Reichtums abzuschneiden, es hieße, die Steuern auf schädlichen Konsum zu erhöhen und in fortschrittliche und emmisionsarme Technologie zum öffentlichen Wohl zu investieren. Öffentlicher Nahverkehr, Schiene, grüne und dezentralisierte Energieversorgung, lokale und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion, oder auch soziale Sicherheit und eine tolerante und offene Gemeinschaft – das alles wären notwendige Investitionen, die gegen die Interessen der relative kleinen aber einflussreichen Gruppe derer gehen, die von Spaltung, Zerstörung, Privatisierung und Deregulierung profitieren.

"Zuzugeben, dass der Klimawandel existiert, heißt, zuzugeben, dass das neoliberale Projekt am Ende ist. Deswegen befindet sich die Rechte in einem Aufstand gegen die Physik, gegen die Wissenschaft ... Der Grund, warum die Wissenschaft zu einem Kriegsschauplatz wurde, ist, dass sie immer wieder enthüllt, dass das neoliberale business as usual uns in eine Katastrophe führt, die die menschliche Spezies selbst bedroht." (A.a.O., S. 81f.)

Die reaktionären Populisten sind keineswegs doof, nur sie verkaufen uns für doof:

"Auf eine Art haben die Mitglieder von Trumps Kabinett – mit ihrer verzweifelten Leugnung der Erderwärmung und dem Runterspielen ihrer Folgen – eine fundamentale Wahrheit verstanden: Um das Klimachaos zu stoppen, müssen wir die kapitalistische Ideologie über Bord werfen, die die Welt seit den 80er Jahren erobert hat. Wenn du der Nutznießer dieser Ideologie bist, dann wird dich das natürlich sehr unglücklich machen. Das ist verständlich." (A.a.O., S. 82)

In dieser Hinsicht, sind solche Witzfiguren wie Trump, die mit ihrer schockierenden und auch komischen Art die Nachrichten dominieren und "nebenher" den die Bürger schützenden Staat demontieren, keinesfalls witzig, dumm oder auch nur schockierend und überraschend. Sie sind einfach die logische Reaktion auf breite progressive Tendenzen in unseren Gesellschaften und die Notwendigkeit, eine drastische Kurskorrektur hinzulegen, damit wir als Spezies eine Zukunft haben. Jetzt, da wir das verstanden haben, schockieren die Reaktionären uns nicht mehr und wir werden handlungsfähig.

"Das entschiedenste Nein muss von einem mutigen und fortschrittlichen Ja begleitet werden – einem Plan für die Zukunft, der glaubhaft und attraktiv genug ist, damit eine Mehrheit der Menschen diese Vision verwirklicht sehen möchte, selbst wenn man ihnen Schocks und Ängste wie Knüppel zwischen die Beine schmeißt." (A.a.O., S. 9)

Bei dem, was wir tun können, müssen wir nicht ganz von vorn anfangen, denn in einiger Hinsicht ist die moderne Geschichte seit der Aufklärung eine Geschichte des gesellschaftlichen Fortschritts, mit der wir vor allem weiter machen müssen (z.B. Toleranz, soziale Sicherheit, Naturschutz). In mancherlei Hinsicht ist dieser Fortschritt auch kontraproduktiv, zum Beispiel in seiner Abkehr von der Gemeinschaft hin zu einem krassen Individualismus.

Eine wertebasierte Zukunftsvision, so schlägt Klein vor, müsse von den Schockserien weg und hinführen zu einer lebenswerten gemeinschaftlichen Idee des Zusammenkommens über ethnische, religiöse Differenzen und Geschlechtergrenzen hinweg, damit wir in eine neue Stabilität kommen, aus der heraus wir auch die großen gemeinschaftlichen Herausforderungen angehen können wie allem voran die Erderwärmung und auch den fehlenden politischen und sozialen Frieden in unseren Gesellschaften. Wir brauchen die Hoffnung auf ein spürbar besseres Leben!

Wie das genau aussehen soll? Darauf hat auch Naomi Klein keine Antwort, aber sie verweist auf kollaborative Bewegungen, die sich gegen Umweltzerstörung, Militarismus, Nationalismus und einen agressiven Kapitalismus wehren. Hier erkennt sie wenn auch frühe so doch vielversprechende Bewegungen, die in einem Verständnis gründen, dass wir eine sichere und menschliche Welt gestalten müssen. Was wir dazu benötigen, ist eine vereinte, fokussierte und zielstrebige Version unseres kollektiven Selbsts. Beispiele sehen wir heute in der jungen Bewegung Fridays for Future, aber auch anti-sexistische und anti-rassistische Bewegungen. Ein bisschen mehr "soziale Marktwirtschaft" wird das Problem nicht lösen. Hingegen haben wir immer wieder gesehen, wie anfänglich kleine und begrenzte Bewegungen gegen Krieg, Umweltzerstörung und sexuelle Repression große gesellschaftliche Folgen zeigten. Eben diese progressiven Folgen von Bürgerbewegungen sind es, gegen sie sich eine kleine, reiche und einflussreiche Gruppe mithilfe des reaktionären Populismus zur Wehr setzt. Das macht Mut und den brauchen wir dringend.

Es ist ein bisschen wie der Showdown in einem Superhelden Comic: Das Böse hat den Helden bereits besiegt, da bäumt sich der Held noch einmal auf und pow, zap, boom streckt er den Bösewicht nieder.



Das passt dazu:

5 Kommentare:

  1. "Eine wertebasierte Zukunftsvision, so schlägt Klein vor, müsse von den Schockserien weg und hinführen zu einer lebenswerten gemeinschaftlichen Idee des Zusammenkommens über ethnische, religiöse Differenzen und Geschlechtergrenzen hinweg, damit wir in eine neue Stabilität kommen, aus der heraus wir auch die großen gemeinschaftlichen Herausforderungen angehen können"

    Was heißt das? Was lese ich da?
    Wie soll denn eine "gemeinschaftlichen Idee des Zusammenkommens" gelebt werden?

    Ich vermisse konkrete Ideen, wie so etwas möglich sein soll. Noch nie in der Menschheit gab es eine grössere Bewegung dieser Art.

    Sorry.

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    1. Hallo Gerhard, danke für deinen Kommentar und kein Grund, "sorry" zu sagen! Um eine Antwort auf deine Frage zu erarbeiten (und da sind wir alle gefragt, nicht nur Naomi Klein, auch du sollst nachdenken, wie so etwas aussehen könnte), zitiere ich einen Satz aus dem vorletzten ABsatz meines Textes:

      "Beispiele sehen wir heute in der jungen Bewegung Fridays for Future, aber auch anti-sexistische und anti-rassistische Bewegungen." Also ganz konkret sind Beispiele solch einer "gemeinschaftlichen Idee des Zusammenkommens" heute und aus der Vergangenheit:

      -Fridays for Future
      -Black Lioves Matter
      -Me Too
      -Friedensbewegung
      -Hippie-Bewegung
      -The Dark Mountain
      -Slow Grow
      -Akzelerationismus
      -Das terrestrische Manifest Bruno Latours
      -Ökumenische Bewegungen

      Etc. Das sind doch alles "lebenswerten gemeinschaftliche Idee des Zusammenkommens über ethnische, religiöse Differenzen und Geschlechtergrenzen hinweg". Nicht alle sind erfolgreich, aber aus der Rückschau haben einige der historischen Bewegungen (man mag heute über sie lachen oder nicht) einiges erreicht. Ohne die Hippies wären viele progressive und inklusive heutige Praktiken gar nicht denkbar. Ähnlich ist es bei Friedens- und Umweltbewegungen, die alle aus den 68ern entstanden und viel erreicht haben. Ich bin da also ganz anderer Meinung als du. Es geht darum, nicht resigniert die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: So etwas hat doch noch nie funktioniert, sondern Ideen und Plattformen (wie die Vorgenennten) zu entwickeln, von denen sich vielleicht die eine oder andere eignet, gemeinschaftlich zusammenzukommen.

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    2. Was meinst Du mit "gemeinschaftlich zusammenkommen"?
      Ich sprach nicht von kleineren Gruppierungen, sondern von einer umspannnenden Gemeinsamkeit.
      Was nutzt es, wenn Menschen, um ein Beispiel zu nennen, auf Urlaubsflüge verzichten, wenn die Zahl derer, die es nicht tun, um den Faktor 100 (in der Grössenordnung) grösser ist.

      Von den Menschen, die ich kenne, ist kaum einer in einer dieser genannten Gruppierungen.

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    3. Ich habe oben 10 Beispiele genannt, in denen Menschen "gemeinschaftlich zusammenkommen". Dass die Leute, die du kennst, dort nicht mitmachen ist ja kein besonders valides Argument dafür, dass sich dort nicht große Gruppen von Menschen engagieren. Natürlich sind die Leute, die sich nicht organisieren viel mehr als die, die es tun. Aber das ist ja ganz normal, so fängt jeder Wandel an. "Fridays for Future" ist doch ein eindrucksvolles Beispiel, wie aus anfänglich einer streikenden Studentin inzwischen eine weltweite Bewegung mit ca. 1,4 Millionen Teilnehmern (März 2019) geworden ist.

      Findest du das nicht eindrucksvoll, gibt das nicht Hoffnung?

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  2. Hier mal ein positiver Politikentwurf:

    Progressive Regierung Unser System braucht ein Update
    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutschland-braucht-neue-ideen-fuers-regieren-gastbeitrag-a-1285670.html

    Und hier eine elaborierte Warnung, wie "Machtergreifung" hier und heute funktionieren könnte:

    Ein Volkskanzler
    https://verfassungsblog.de/ein-volkskanzler/

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