5. Mai 2022

Wie Abtreibung in den USA wieder illegal werden könnte

Wie man amerikanischen Frauen die Rechte an ihren Körpern wieder zu entziehen versucht

Seit rund fünfzig Jahren (50!) haben amerikanische Frauen in allen Bundesstaaten prinzipiell ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Dieses Recht könnten sie nun wieder einbüßen, weil der Oberste Gerichtshof der USA laut einem Entwurf plant, dieses Grundrecht wieder zu kassieren. Sollte es dazu kommen, dann wird es auf die Gesetzgebung des jeweiligen Bundeslandes ankommen, wie die Gesetzeslage rund um Abtreibung gehandhabt wird. 

(Update 25.6.2022: Inzwischen ist die Entscheidung tatsächlich so gefallen und alle Konjunktivformen in diesem Artikel müssen nun als Indikativ gelesen werden.)

Upside down – Wenn eine Minderheit die Mehrheit politisch dominiert
 
In manchen Ländern, die wie zum Beispiel Irland in dieser Frage lange rückständig waren, drehen sich die Uhren zwar langsam, aber wenigstens nach vorn. Das heißt, Frauen wird zugestanden, auf Kosten des ungeborenen Lebens, die Entscheidung selbst zu fällen, ob sie dieses Leben austragen und in die Welt setzen wollen oder nicht. Die Abwägung ("auf Kosten des ungeborenen Lebens"), die dabei stattfindet, nimmt sich die Frage zum Angelpunkt, ab wann das gezeugte Leben zu einem Menschen mit Grundrechten wird. Das ist natürlich eine schwierige Frage, denn Leben, Menschwerdung, Individualwerdung, Bewusstsein etc. sind alles graduelle Phänomene, bei denen es schwer fällt, ganz klar zu trennen in ein Vor oder ein Danach.

Es gäbe jetzt viel dazu zu sagen, was amerikanischen Frauen und der Gesellschaft mit dem Verlust dieses seit langem etablierten Grundrechtes drohen würde. Es wird zu vielen ungewollten Schwangerschaften kommen inklusive der damit einhergehenden Härten und Schäden für Familien und ihre Kinder. Es wird zu illegalen Abtreibungen kommen, zu weiten Wegen in andere Bundesländer etc. All das verdient viel mehr Betrachtung, als ich sie hier geben könnte. Ich will daher die Frage besprechen, wie es in einem äußerst modernen Land dazu kommen kann, dass ein ganz etabliertes und auch beliebtes Recht wieder einkassiert werden kann. Rund 70% der US-Amerikaner sind dagegen, dass dieses Recht angefasst, verändert oder gar abgeschafft wird.

Mit welchem Grund soll das Recht abgeschafft werden?

Was nun sagt eigentlich der Oberste Gerichtshof in seiner Begrünung dieses Entwurfes? Er sagt schlicht, es gäbe kein Recht auf Schwangerschaftsabbruch, denn das ist etwas, das aus der Verfassung der USA nicht ableitbar sei. Und schon hier sehen wir wieder die Fragilität der Politik in den USA, denn wenn das als Argument reicht, dann können noch ganz andere Dinge wieder einkassiert werden. Zum Beispiel gab es in der Verfassung von 1789 auch kein ableitbares Recht auf Privatsphsäre und dennoch sind sich heute alle einig, dass das ein wichtiges modernes Recht ist. Was ist eigentlich mit Empfängnisverhütung, mit Homosexualität, mit Selbstbefriedigung und Analverkehr? All das steht auch nicht in der Verfassung. Der oberste Richter Alito, Verfasser dieses Entwurfes, beruhigt die Kritiker mit Hinweis darauf, dass es da nicht um Föten gehe. OK, aber das passt ja nicht zum eigentlichen Argument. Und auch über Föten sagt die amerikanische Verfassung keinen Ton. Aber da das nur ein Entwurf ist und die ganze Argumentation noch nicht vorliegt, muss man auf "bessere" Argumente vielleicht noch warten. 

Wie kann in einer Demokratie eine so unpopuläre Entscheidung getroffen werden?

Wie kommt es nun aber, dass so ein föderales Gesetz gegen die überwältigende Mehrheit der Amerikaner geändert werden kann? Im Grunde liegt es an den veralteten und undemokratischen Strukturen, die wir schon in Wie die US-amerikanische Demokratie (nicht) funktioniert besprochen haben: Die Stimmen der Menschen in ländlichen Gebieten in den USA sind durch ihre Bündelung in Wahlmännern (und Frauen) in den Wahlentscheidungen überräpresentiert und die Stimmen der Mehrheit der Bevölkerung in den Städten sind unterrepräsentiert. So kommt es, dass in den letzten sechs Präsidentschaftswahlen (hier ohne die Wiederwahlen gezählt) immer die Mehrheit der Wähler für die demokratischen Kandidatinnen und Kandidaten gestimmt haben, aber in dieser Zeit nur drei Demokraten zu Präsidenten gewählt wurden. Denn weite Landstriche, wo nur wenige Menschen wohnen, können durch genau so viele Wahlmänner repräsentiert werden wie dieselbe Fläche mit einer zigfachen Einwohnerzahl. Dieser archaische Ansatz führt dazu, dass eine Minorität seit Jahrzehnten die Mehrheit der Menschen in den Städten mit ihrer rückwärtsgewandten Politik in Geiselhaft nimmt.

Daneben gibt es weitere Ungereimtheiten, wie die Besetzung des Obersten Gerichtshof von diesen im Grunde nicht demokratisch gewählten Präsidenten. Die Richter werden immer auf Lebenszeit benannt, können also nicht abberufen werden und die Republikaner sind einfach agressiver in ihrem Vorgehen, haben etwa Obama verunmöglicht kurz vor den Wahlen Posten zu besetzen, nur um dann Trump in derselben Situation und noch viel kürzer vor seiner anstehenden (und letztlich gescheiterten) Wiederwahl das Besetzen zu ermöglichen. Wie schon beschrieben, stehen all diese Vorgehensweisen nicht in amerikanischen Gesetzen, sondern gründen auf gelebte Praxis, weswegen sich die agressivere Partei durchsetzen kann. 

Reaktionäre Politik muss sich offenbar selbst besiegen

Was nun? Ehrlich gesagt müssen wir abwarten, was nun passiert. Man sieht das auch an den Reaktionen der Republikaner, die keinesfalls die sich abzeichnende Änderung der Gesetzeslage als Sieg feiern, sondern lediglich das Durchsickern der Pläne beklagen. Es stimmt auch, dass das Bekanntwerden des Entwurfes für die Republikaner, die in den kommenden Zwischenwahlen die Kontrolle im Kongress (der Legislative) zurückerobern wollen, zur Unzeit kommt. Denn wie gesagt sind diese Vorhaben zwar sehr populär unter der extremen Rechten in den USA, aber selbst viele Wähler der Republikaner lehnen diese Archaic ab. Das könnte die kommenden Wahlen in den USA stark beeinflussen.

Das passt zu meiner Überzeugungen, dass man die reaktionäre Rechte nur dadurch besiegen kann, dass sie zwischenzeitlich Fakten schafft, die allen vor Augen führen, welches Geistes Kind sie sind. Reaktionäre Politik muss unverdaulich, ekelhaft und in ihren Konsequenzen unannehmbar werden, erst dann werden sich genügend Wähler angewidert abwenden.


Das passt dazu:

4 Kommentare:

  1. Hallo Gilbert,

    für mich steht das Selbstbestimmungsrecht der Frau über Ihren Körper klar über dem Recht auf Leben des ungeborenen Kindes. Peter Singer ( der australische Philosoph ... sicher umstritten ... mag auch nicht alles von ihm ) hat mal geschrieben das der Embryo erst ab dem 28. Tag der Schwangerschaft empfindungsfähig ist. Ähnliches kann man ja auch von Medizinern und anderen Experten nachlesen. Bis dahin sehe ich ehrlich gesagt kein moralisches Problem auch wenn es natürlich klar sein muss das eine Abtreibung keine nachträgliche Verhütung sein sollte. Eine gewisse Sensibilität ist da sicher Notwendig.

    Debatten und Streit über das Thema gibt es ja seit der Antike. Da wird es wohl nie eine einvernehmliche Lösung für alle geben. Ich gehe da halt sehr sachlich ran. Irgendwann werden wir Menschen uns eh in unserer Reproduktion einschränken müssen weil wir gar keine andere Wahl haben werden. Es sei denn wir finden und erreichen tatsächlich einen anderen Planeten auf dem wir expandieren können. Das ist halt ein unbequeme Wahrheit die uns komplett in unserer freiheitlichen Weltanschauung erschüttert aber ist halt so. Die Antinatalisten kann man sehen wir man will ... völlig Falsch liegen die nicht denke ich.
    Abgesehen davon ist es seelische Folter eine Frau zu zwingen ein Kind auf die Welt zu bringen das durch eine Vergewaltigung entstanden ist. Das geht gar nicht. Es ist auch unter Umständen Folter für dieses Kind wenn es irgendwann erfährt das es durch einen Akt der Gewalt entstanden ist.

    Was ganz konkret die Vereinigten Staaten angeht so habe ich die Vermutung bzw. These das es sehr vielen Abtreibungsgegnern einen Schei** um ethische und moralische Gesichtspunkte geht. Insbesondere vermögende libertäre Yankees wollen das sich Armut reproduziert so das die Ihre ökonomische und politische Macht erhalten.

    Es ist doch so; ärmere ungebildetere Menschen bekommen mehr Kinder.
    Das ist überall auf der Welt so. Das will ich gar nicht werten, das steht mir gar nicht zu. Aber es ist so. Reichere gebildetere bekommen weniger Kinder. Reichtum wird vererbt und Armut wir genauso vererbt. Was sind schon Roundabout 15 oder 16 Jahre?! Kaum auf der Welt und Mittellos kann in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten ohne nennenswerte soziale Absicherung ein Kind "schön" ausgebeutet werden. Sichert den reichen Ihre Privilegien und nimmt "den Armen" die Möglichkeit aus der Spirale herauszukommen.

    Es ist meiner Ansicht nach alles nur kühle demographisch-ökonomische Berechnung die dahinter steht; können ärmere ungebildete Frauen abtreiben und haben so die Möglichkeit "die Kurve zu kriegen" sind ein zwei Dekaden später einfach zu wenige Menschen da die ausgebeutet, erniedrigt und ausgenutzt werden können. Das Abtreibungsrecht ist extrem wichtig für die soziale Gerechtigkeit und die Umverteilung. Aber das wollen die ganzen Gordon Gekkos und Ayn Rands natürlich nicht zulassen. Ich will nicht wissen wie viele radikale reiche Abtreibungsgegner schon selbst anonym abgetrieben haben weil die ihn ihrer verkorksten sozialdarwinistischen und kulturrassistischen Weltsicht sich selbst ja eh für "besser" oder "wichtiger" halten

    Ich steh als Mann in dem Punkt absolut 100%ig hinter den Frauen die für die Abtreibung sind.

    gruß

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  2. Danke für den Kommentar. Wie gesagt, ich will jetzt gar nicht über "Notwendigkeit" von Abtreibungen sprechen oder die schwierige moralische Abwägung zwischen "ungeborenem Leben" und moderner Freiheit machen. Da gibt es überall gute Argumente und das ist nicht so leicht in einem Kommentar zu erörtern.

    Mich interessiert v.a., wie es dazu kommen kann, dass in der "Mutter aller modernen Demokratien", in einem der modernsten Länder überhaupt, die demokratisch errungenen Fortschritte, zu denen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung auch weiterhin steht, wieder abgebaut werden könnten.

    Du vermutest, das sei "alles nur kühle demographisch-ökonomische Berechnung". Das wäre ein Interpretationsversuch, den man genauer untersuchen müsste. Er klingt auch ein bisschen nach einer Verschwörung einer kleinen ökonomischen Elite gegen die große "dumme Mehrheit". Meinst du das so?

    Meiner Beobachtung nach, die ich ja oben beschrieben habe, ist es so, dass eine kleine radikale Minderheit die große Mehrheit in Geiselhaft nimmt, weil die politischen Strukturen es zulassen. Aber du legst den Finger in die Wunde: Ich habe gar nicht überlegt, warum diese Minderheit das Recht auf Abtreibung überhaupt abschaffen möchte.

    Wie gesagt, deine Interpretation ist eine mögliche, aber dagegen sprechen einige Dinge, wie z.B. dass die wirtschaftlichen Eliten eher "liberal" sind und sehr für das Recht auf Abtreibung, weil es nämlich die nötige Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht, die es zur vernünftigen "Ausbeutung" benötigt. Andere mögliche Interpretationen:

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    1. 1. Die extreme Rechte hat immer Angst vor einem "Austausch" der bestehenden Bevölkerung durch Immigranten und sie sehen mit Grausen, dass etablierte Amerikaner eher verhüten und Immigranten eher nicht. Sie haben schlicht Angst, dass "der weiße Mann" ausstirbt. Langfristig wird er das vielleicht auch, aber wenn man kein Rassist ist, muss man sich davor nicht ängstigen.

      2. Ein großes Land braucht nach historischen Maßstäben immer auch eine große Bevölkerung, um es zu bewirtschaften, zu verteidigen und um internation ernst genommen zu werden. Abtreibungen helfen da offenkundig nicht.

      3. Beim "Schutz des ungeborenen Lebens" handelt es sich um ein ideologisches Wahrzeichen christlicher Fundamentalisten. Das heißt, es geht gar nicht um logische Argumente, denen die Ideen folgen, sondern es handelt sich um dogmatische Ideen, denen die Logik zu folgen hat (Ideologie). Die extreme Rechte in den USA hat gar keine Argumente, warum Abtreibung verboten werden muss, denn der ausnahmslose "Schutz des ungeborenen Lebens" ist ganz einfach der identifikationsstiftende Gedanke dieser Gruppe. Wenn man den wegnimmt, bleibt nicht viel, so die Angst.

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  3. In der Tat glaube ich, dass es wirklich einfach 3. ist, was hier den Ausschlag gibt. Man sieht das z.B. daran, dass die Besetzung des Supreme Courts durch mehrheitlich konservative Richter eben 50 Jahre gedauert hat und in dieser Zeit an dieser Ideologie immer einfach ohne jede Not (denn es gab ja keine negativen Folgen des Abtreibungsrechts) fesgehalten wurde. In dieser Zeit wurden die extrem Konservativen in den USA immer bei Laune gehalten und motiviert, für eine immer extremere reaktionäre Politik zu stimmen, einfach nur, damit Abtreibung gestoppt würde.

    Jetzt sind wir an diesem Punkt angekommen und man versucht das Versprechen einzulösen, um die Gruppe weiter zu mobilisieren. Dahinter steckt aber schon lange nicht mehr der Gedanke, Abtreibungen zu verbieten. Vielmehr war das nur die Karotte für die Wahl extremer reaktionärer Kräfte wie Donald Trump (kein Abtreibungsgegner), die mit einem radikalen Rückbau des Staates eine Oligarchie etablieren wollen, damit sich die reaktionären Eliten nicht durch Gesetzgebung in der Mehrung ihres Reichtums behindert sehen.

    Im Grunde ist Putins Russland die Blaupause für das, was die extreme reaktionäre Politik erreichen möchte. Ein Land, in dem nicht gewählt, nicht informiert, nicht kritisiert, und nicht protestiert wird; ein Land, in dem man wie ein König herrschen und in Sauß und Brauß leben kann, wie die russichen Oligarchen.

    Soweit mein Erklärungsversuch, der in seiner Konsequenz ja auch nicht weit weg ist von der Konsequenz deiner Interpretation: Einige wenige wollen sich auf Kosten der Mehrheit bereichern. Siehe dazu auch: Eine Superelite für das Volk: Neoliberale Eliten und reaktionärer Populismus.

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