Geist und Gegenwart wurde 2009 von Gilbert Dietrich, Philosoph und Personalmanager aus Berlin, gegründet. Michael Blochberger stellt den Autoren und philosophischen Praktiker im Interview vor:
Gilbert, du hast Philosophie in Berlin und den USA studiert und dann bei Google in Dublin gearbeitet. Wie kam es dazu?
Das lag vor allem daran, dass ich neben dem Studium schon immer Projekte im Netz gemacht habe und dann auch in der Uni mit XML und ähnlichen mark up languages gearbeitet habe. Wir wollten an der Uni den Offline/Online-Graben zwischen Literatur und digitalen Medien überbrücken. Eine Professorin hatte mich dabei ganz erheblich gefördert und in ein XML-Projekt an der Brown University gebracht. Mit dieser digitalen Medienkompetenz im Gepäck hatte ich mich bei Google aktiv beworben. Damals brauchten sie Deutsche fast nur für AdWords und sie waren nicht so überzeugt davon, dass ich mich für Werbung eigne. Ich bin aber stur geblieben, habe in irischen Hostels geschlafen und stand immer wieder bei Google vor der Tür, bis sie mich reingelassen haben. Sie hatten dann etwas mit XML-Feeds im Bereich der Produktsuche für mich gefunden. Also habe ich das erste Jahr fast nur solche maschinenlesbaren Feeds entschlüsselt.
Heute leitest du People Teams in Digitalunternehmen. War das für dich eine logische, kontinuierliche Entwicklung?
In meinem ersten Job habe ich eben nach den ersten beruflichen Schritten immer mehr mit dem Team-Management und mit HR-Prozessen zu tun bekommen. Das Management ist bei Google für das Recruiting, die Mitarbeitergespräche und das Performance Management, also auch die Weiterentwicklung der Kollegen verantwortlich. Diese Aufgaben haben mich gereizt und ich habe eine Coaching-Ausbildung und das Google Leadership Program absolviert. Das alles zusammen hat mich am Ende in die Richtung Personalmanagement gebracht. Da bin ich sehr froh drüber, denn hier treffen sich die für mich interessannten wirtschaftlichen und menschlichen Aspekte.
Was ist deine Lebensphilosophie?
Das wichtigste für mich ist, bewusst durch das Leben zu gehen. Meine Umgebung und Mitmenschen zu spüren und meine eigenen Stärken, Macken und Wünsche zu kennen, begreife ich als die Voraussetzung für das weitere Gelingen in meinem Leben, egal ob zu Hause oder auf der Arbeit.
Was ist deine Philosophie als Personalmanager eines innovativen Unternehmens?
Ich habe da keine Philosophie. Ich habe Meinungen, Erfahrungen und Ansichten, auch ein Gefühl von dem, was richtig ist. Generell bin ich eher ein intuitiver Vorwärts-Mensch. Ich versuche Menschen und Verbesserungen nach vorne zu bringen und halte nichts vom ewigen Rumheulen und Beschweren. Da verliere ich die Geduld. Es gibt immer was zu meckern und zu vielen reicht das aus, sie geben sich damit zufrieden zu meckern, anstatt etwas nach vorne zu bringen.
Ich glaube prinzipiell daran, dass Menschen souverän und eigenverantwortlich handeln sollen. Leider konterkarieren viele Prozesse in den meisten Firmen das total. Anstatt die Mitarbeiter wie Erwachsene zu behandeln, werden sie kontrolliert, gegängelt und gemaßregelt. Und dann wundert man sich, dass es wie in einem Kindergarten ist und jeder nur nach seinem Ausgang aus der Maschine sucht. Jeder kann ein Auto kaufen, Kinder erziehen und wählen gehen, aber niemandem trauen wir zu, eigenverantwortlich zu entscheiden, wann sie ihre Aufgaben erledigen können und wie viel Zeit sie dazu benötigen? Das geht nicht mehr.
Bei meinen Entscheidungen lasse ich mich also von solchen Konzepten wie Selbstverantwortung, Verbesserung und Entfaltung leiten. Ich will mehr Eigenverantwortung, Feedback, Kommunikation und Weiterentwicklung in den Unternehmen.
Neben deinem Hauptberuf bist du Coach, Herausgeber von Geist und Gegenwart, aktiver Boxer und interessierst dich für Musik, Fotografie und Philosophie. Wie bekommst du all diese Aktivitäten unter einen Hut?
Man muss sich konzentrieren und kann nicht alles machen. Ich habe Phasen im Leben. Lange hatte ich eine Fotografiephase, habe sogar für einen Akt den Jugendfotopreis von der damaligen Bundesministerin für Jugend Angela Merkel überreicht bekommen. Dann kam die Literaturphase mit einigen Preisen, Lesungen und Veröffentlichungen. Seit dem bin ich eher interessierter Begleiter, lese viel und mache alle paar Jahre die Lyrik-Zeitschrift [SIC] zusammen mit ein paar Freunden. Sport war immer mein Begleiter und Boxen ist einfach eine der aufregendsten, körperlich und psychisch anstrengendsten Sportarten - ich liebe das Adrenalin. Als Coach bin ich freiberuflich immer noch nicht so aktiv, wie ich es gerne wäre, die Zeit fehlt neben der Arbeit. Aber ich coache natürlich auch auf der Arbeit und das hilft mir, da dran zu bleiben und diese Seite auszuleben.
Was möchtest du mit Geist und Gegenwart erreichen?
Geist und Gegenwart ist wichtig für mich, hier kann ich meine neugierige Seite ausleben, mich ausdrücken, etwas ganz allein gestalten, durch Recherche viel dazulernen und an der Philosophie dranbleiben, die mich immer noch wahnsinnig interessiert. Ich sehe es auch als Vorarbeit zu meinem späteren Projekt einer Philosophischen Praxis: Anderen mit Philosophie und Coaching dabei helfen, ein gutes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Geist und Gegenwart geht schon jetzt in diese Richtung.
Außerdem glaube ich daran, dass die Etablierung des eigenen Lebensglückes ein legitimes Ziel eines jeden Menschen ist. Leider sind wir oft in unserem Alltag sehr verstrickt zwischen Partnerbeziehungen, Arbeitsanforderungen und den gesellschaftlichen Normen, die uns sagen, was wir angeblich zu tun und zu lassen haben. Mit anderen Worten: Es ist schwer zu wissen, was man will und zu sehen, wie man es erreichen kann. Das ist auch schwer für mich selbst. Darüber zu schreiben, gibt mir die Hoffnung, selber klar zu sehen und dabei auch anderen interessierten Menschen Gedankenanstöße geben zu können.
Welche Werte und Charakterzüge machen dich besonders aus? Wofür stehst du?
Meinen Charakter kann ich selbst kaum einschätzen, aber ich kenne meine Persönlichkeit inzwischen sehr gut, das war harte Arbeit. Und ich weiß, welchen Idealen ich mich immer weiter annähern möchte, zum Beispiel: Mut, Ehrlichkeit, Authentizität. Also das leben, von dem ich überzeugt bin, dass es nicht nur für mich, sondern für möglichst viele Menschen gut ist. Insgesamt finde ich es wichtig, ein "besserer Mensch" zu werden, wenn man das so pathetisch sagen darf. Zum Beispiel kann ich sehr ungeduldig sein und will dann schnellen Fortschritt ohne Rücksicht auf die Details. Ich muss mich dann selbst zügeln und Geduld und Sorgfalt auch für die Kleinigkeiten aufbringen, die anderen sehr wichtig sind. Ich versuche die Züge an mir zu identifizieren, die ich noch formen möchte, um mit mir und meiner Umwelt im Reinen sein zu können.
Das Interview führte Michael Blochberger, Trainer und Geschäftsführer des Instituts für Corporate Identity & Teamentwicklung.
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