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26. November 2014

Wir können nicht endlos hin- und hergebogen werden

Catherine Malabou empfiehlt Plastizität, anstatt Flexibilität


"Das Problem liegt darin, dass der Kapitalismus
den Begriff der Plastizität pervertiert, indem
er ihn mit der Flexibilität verwechselt."
(Catherine Malabou, Philosophie Magazin)

Eine Eigenschaft, die von uns als modernen Menschen offenbar mehr als jede andere erwartet wird, ist die Flexibilität. Wir sollen anpassbar sein an die Gegebenheiten, mit denen uns die moderne Gesellschaft, insbesondere im Arbeitsleben konfrontiert. Wir sollen "Ja" sagen zu Veränderungen, die oft Zumutungen sein können. Wenn Firmen von sich sagen, sie seien "flexible Unternehmen" verbirgt sich dahinter oft einfach ein Mangel an Strategie und Planung. Aber auch epochale Veränderungen wie sich global aufschaukelnden Systeme in Technik, Gesellschaft und Wirtschaft verlangen von uns eine immer größere Agilität angesichts schwindender Planungssicherheit. Als Belohnung für unsere Bereitschaft, auf Sicherheiten und Annehmlichkeiten zu verzichten, gibt es neue Chancen, Karrieren und vielleicht sogar flexible Arbeitszeiten.

"Menschen können nicht endlos hin- und hergebogen werden" (Bildlizenz: CC0 Public Domain)

Was beim Nachdenken darüber stören muss, ist die Einseitigkeit des Konzepts Flexibilität: Wir sollen auf eine sich ständig ändernde Umwelt mit Anpassung (z.B. durch neu Lernen, Verzicht oder Umzug) reagieren. Da kriegt man schon beim bloßen Zuhören ein Gefühl von ausgeliefert sein: Entweder wir reagieren flexibel auf die Anforderungen wie ein junger Grashalm auf den Wind oder sie brechen uns wie der Sturm einen alten trockenen Strohhalm. Das sind eigentlich keine akzeptablen Alternativen. Wie können wir den Wandel und unseren souveränen Umgang damit neu denken?

Die einzig mögliche philosophische Haltung

Was in dem einseitigen Konzept von Flexibilität fehlt, ist das, was uns vom Grashalm unterscheidet: Wir sind den Umständen nicht ausgeliefert, sondern können zurückwirken, umgestalten und die Umstände nach unseren Vorstellungen ändern. Die Philosophin Catherine Malabou, Autorin solcher Bücher wie Was tun mit unserem Gehirn? bietet den Begriff Plastizität als eine Alternative an:

Bei Hegel kennzeichnet die "Plastizität", die im Vorwort zur "Phänomenologie des Geistes" auftaucht, die logische Seinsweise des Subjekts in seinem Verhältnis zu dem, was ihm widerfährt. Es gibt drei Mögliche Arten, dieses Verhältnis zu denken. Entweder das Subjekt ist starr und verweigert sich dem Wandel. Oder es ist völlig verformbar und unbeständig; es verzichtet darauf, dem Wandel Widerstand entgegenzusetzen, und nimmt stattdessen ständig neue Identitäten an. Oder aber es öffnet sich der Veränderung und widersteht zugleich der Deformierung. Damit haben wir die Starrheit, den Polymorphismus und die Plastizität. Für Hegel ist die letzte Haltung die einzig mögliche philosophische Haltung: Das Subjekt erhält seine eigene Form, aber niemals passiv - es formt das, wodurch es geformt wird. (Catherine Malabou, Philosophie Magazin 01/2015, S. 70)

Malabou hält die Plastizität sogar für ein grundlegendes Merkmal allen Lebens. Auf uns Menschen bezogen kennen wir es aus der Epigenetik, wo Gene nicht bedingungslos unser Leben vorherbestimmen, sondern auf die Umwelteinflüsse reagieren, die wir wiederum beeinflussen können und natürlich als zentrales Konzept der Neurobiologie: "Wenn das Gehirn auch teils genetisch determiniert ist, so ist es doch auch das, was es aus sich macht." (Catherine Malabou, Philosophie Magazin 01/2015, S. 70) Es ist die Fähigkeit des Gehirnes, seine Areale je nach Nutzung in Größe und Eigenschaft zu variieren. Das besondere dabei ist nicht, dass sich das Gehirn nur anpasst, sondern dass es sich entwickelt und damit seinerseits die Wirklichkeit verändert und neue Möglichkeiten der Reaktion auf die Umstände entwickelt. Aber was ist Plastizität in Abgrenzung zur Flexibilität genau? Malabou erklärt es so:

Plastizität bedeutet: Vermögen, geformt zu werden. Geschmeidigkeit, Anpassungsfähigkeit, aber auch Widerständigkeit. Formt man einmal sogenanntes plastisches Material, kann es nicht zu seiner Ausgangsform zurückkehren. Die Menschen sind plastisch und nicht flexibel, sie können nicht endlos hin- und hergebogen werden. Indem man schleichend das Konzept der Plastizität durch das der Flexibilität ersetzt, gibt man sich einem repressiven und normierenden Unterfangen hin. (Catherine Malabou, Philosophie Magazin 01/2015, S. 72)

Das Spannende ist hier die Verschränkung des Biologischen mit dem Gesellschaftlichen. Malabou geht es um die Wechselseitigkeit der Beeinflussung, um den Fakt, dass wir nicht irgendeiner gesellschaftlichen, materiellen oder biologischen Vorherbestimmtheit ausgeliefert sind, sondern dass wir die Freiheit haben, die Dinge zu interpretieren und zu beeinflussen. Wir können uns immer auch anders entscheiden, egal was Autoritäten sagen. Es ist der Unterschied zwischen passiver Anpassung und aktiver Gestaltung der Rahmenbedingungen. Denken wir das nächste Mal daran, wenn Flexibilität von uns gefordert wird. Kehren wir es um und gestalten wir, anstatt uns nur anzupassen. Forme, wodurch du geformt wirst!



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1 Kommentar:

  1. Wie auch immer das Dingen nun heißt, das Problem ist meines Erachtens, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber oft nicht in einer symmetrischen Beziehung stehen. Oder, anders gesagt: Wer gibt, möchte auch bekommen. Der Wandel könnte hier sein, dass Geld als Gegenwert nicht mehr ausreicht oder ausreichen kann. Zeit fürs und Sinn im Leben sind auch gefragt. Wer Überstunden gibt, will auch Freizeit bekommen. Und zwar, wenn es in der Firma gerade nicht so abgeht, auch flexibel. Hier kommt dann der Konflikt: Ist der Laden so auf Kante genäht, dass es andauernd rumort, dann geht das nicht. Oder es fehlt schlicht schon die Bereitschaft von oben. Es kann dann das Gefühl entstehen, dass einer immer nimmt und einer immer gibt. Und wie in Liebesbeziehungen auch geht sowas irgendwann in die Brüche.

    Und ich vermute stark, dass bei allen verqueren Analysen meiner "Generation Y" dieser Faktor nicht deutlich genug angesprochen wird. Stattdessen heißt es pietistisch oft: Die wollen halt nix schaffen.

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