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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

7. Oktober 2016

Warum die Liebe nicht gelingt

Die neue Wertschätzung des Bauchgefühls ist
das Erbe einer kollektiven traumatisierten Reaktion
gegen zu viele Jahrhunderte unvernünftiger Vernunft.
(Alain de Botton, S. 37)

Wie ich neulich schon auf dem Blog der School of Life schrieb, war ich bei einem Vortrag des Gründers der School of Life Alain de Botton. In dem Vortrag ging es darum, wie schädlich die romantische Idee der Liebe für unsere Beziehungen sein kann. Warum?

"Nun, weil die mit diesen Ideen einhergehenden Ansprüche und Erwartungshaltungen kaum zu befriedigen sind und daher für so viele Missverständnisse, den ganzen Frust und die enorme Enttäuschung verantwortlich sind, die nun beinahe jedes einmal so romantisch verliebte Pärchen früher oder später einholen und oft zugrunde richten." (G. Dietrich, Alain de Botton spricht über die romantische Liebe)

Inzwischen lese ich Alain de Bottons neues Buch Der Lauf der Liebe. Es hat die Genrebezeichnung "Roman" und es hat auch romanhafte Elemente, nämlich eine fiktive Geschichte zwischen den zwei erst verliebten und dann verheirateten Kirsten und Rabih. Allerdings hat es auch etwas von einem Lehrbuch, denn die Geschichte wird von meistens kurzen und immer kursiv gedruckten Absätzen mit historischen, psychologischen und philosophischen Einlassungen, Abhandlungen oder Aphorismen unterbrochen. Das ist sicher erst einmal gewöhnungsbedürftig, trägt aber dann erheblich zum Lesespaß bei.

Wenn de Botton im Zitat oben sagt, dass die neue Wertschätzung des Bauchgefühls das Erbe einer kollektiven traumatisierten Reaktion gegen zu viele Jahrhunderte unvernünftiger Vernunft sei, so ist das nicht nur ein cleveres Bonmot, das auch wie die Faust aufs Auge unserer postfaktischen Politik passt, sondern es beschreibt ziemlich genau, warum die Liebe mit dem 19 Jahrhundert plötzlich von der typischen Vernunftehe zu einer romantischen Raserei geworden ist, deren Luftschlösser allenthalben für irdische Enttäuschung sorgen. De Botton schreibt:

"...solche vernünftigen Ehen hinterließen Einsamkeit, Vergewaltigung, Untreue, Schläge, Hartherzigkeit und ein Schreien, das bis ins Kinderzimmer zu hören war. Die Vernunftehe war aus einer ehrlichen Perspektive betrachtet keinesfalls vernünftig... Und deshalb muss das, was die Vernunftehe ersetzt hat – die Gefühlsehe – keinerlei Erklärung für sich selbst abgeben." (Alain de Botton, S. 36f., übersetzt aus der englischen Originalausgabe)

Wir modernen Menschen hatten einfach genug von der Vernunft, jedenfalls in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. So sehr, dass wir es nun romantisch reizend finden, wenn zwei Leute in einem Affekt oder weil sie betrunken sind von einem Elvis-Darsteller in Las Vegas geehelicht werden. Die Enttäuschung kommt schnell. Denn meistens verlieben wir uns ja in den anderen, gerade weil wir ihn noch nicht kennen. Der dann folgende Weg des wirklich intimen Kennenlernens führt paradoxerweise oft in das tiefe Tal der langsames Entfremdung. Mit etwas Glück und Anstrengung kann dieser Weg natürlich auch in eine reife Partnerschaft und somit in wirkliche Liebe führen.

Wie kann die Liebe nun doch gelingen?

Die Kernpunkte des Buchs sind zum einen die genannte Erwartungshaltung zu hinterfragen und einen etwas pragmatischeren Ansatz für zwischenmenschliche Beziehungen zu finden. Der andere kann ganz einfach nicht immer für uns da sein, das Leben zu zweit wird keineswegs immer wundervoll sein und all die Projektionen, die wir aus der Kindheit in eine Erwachsenenbeziehung hineinbringen werden die Quelle unendlich vieler und schmerzhafter Missverständnisse sein. Wir müssen diese Widrigkeiten einfach auch erwarten, anstatt immer wieder über Probleme frustriert zu sein, die eigentlich ganz normal sind.

Zum anderen geht es um das alte philosophische Grundthema des "Gnothi Seautón", das ja auch als Erkenne dich selbst seit jeher ein Motto für Geist und Gegenwart ist. Unser intuitive-naives Selbstverständnis, das auf das Bauchgefühl hinausläuft, dass wir eigentlich ganz OK sind und dass es eine Freude sein muss, mit uns zusammenzuleben, ist eine grobe Täuschung. Erst wenn wir uns selbst als die Wracks erkennen, die wir sind und das auch unseren Partnern gegenüber eingestehen, können wir eigentlich eine erwachsene Beziehung führen, die auch Krisen übersteht.

Mit diesem erwachsenen Selbstverständnis kommt auch ein Vergeben können in unsere Beziehungen. Natürlich ist auch der andere total anstrengend und seine oder ihre Macken sind oft nicht zu ertragen. Aber wenn wir wissen, dass wir selbst kein Stück besser sind, dann können wir das annehmen, anstatt vom anderen nur enttäuscht und genervt zu sein.

Alain de Botton gibt uns in seinem "Liebesroman" viele weitere Hinweise und irgendwie auch tröstende Worte (wir alle teilen dasselbe Schicksal) mit auf den Weg. Zum Beispiel dass es helfen kann, Filme über das Scheitern der Liebe zu sehen oder eben auch Romane zu lesen, die zeigen wie schwer und dennoch möglich und lohnend die Zweisamkeit sein kann. Warum nicht mit Alain de Bottons Lauf der Liebe anfangen? Auf jeden Fall ist diese Lektüre für mich ein lehrreicher und unterhaltsamer Schritt weg vom bloß romantischen Verständnis der Liebe.




Das passt dazu:

Verlosung

Die School of Life Berlin wurde am 21. April 2017 ein Jahr alt! Zu diesem Anlass verlosten wir Eintrittskarten für die Veranstaltung Alain de Botton on Love. Die Karten sind inzwischen vergriffen, aber es kommt bestimmt bald wieder eine Verlosung.

5 Kommentare:

  1. "Unser intuitive-naives Selbstverständnis, das auf das Bauchgefühl hinausläuft, dass wir eigentlich ganz OK sind und dass es eine Freude sein muss, mit uns zusammenzuleben, ist eine grobe Täuschung. Erst wenn wir uns selbst als die Wracks erkennen, die wir sind und das auch unseren Partnern gegenüber eingestehen, können wir eigentlich eine erwachsene Beziehung führen, die auch Krisen übersteht."

    Man nennt es auch "Schattenintegration" - und meist passiert diese Erkenntnis nicht ganz freiwillig, obwohl viele denken, das komme per psychotherapeutischem Selbstfindungsprozess.

    Da dein Artikel die historisch gewachsenen Aspekte betrachtet: wir wird die Zukunft aussehen?

    Im 20. Jahrhundert wurde Sex vom Kinder bekommen getrennt, jedoch an die romantische Liebe gekoppelt. Zumindest offiziell, unter Etablierung eines breiten Schattenbereichs.

    Ich sehe den Trend, Sex auch offiziell von Liebe/Beziehung zu entkoppeln. Nicht in dem Sinne, dass Liebende keinen Sex mehr hätten, sondern als Etablierung der Vorstellung, dass jede/r quasi "Selbstversorger" sein kann und darf: Sex als Hobby (Swinger, Szenen für bestimmte Vorlieben...) sowie als Megatrend virtueller Sex, Fern-Sex per Internet, VR und bald auch Robots (=SICHERER als physischer Sex mit realen Partnern).

    Vielleicht kommt sie ja dann zurück, die alte "Vernuft-Ehe", nämlich als Partnerschaft von Menschen, die Eltern werden wollen.

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    1. Super Ergänzung! Danke dafür. Das sind alles sehr wahrscheinlich eintretende Szenarien. Alain de Botton meint auch, dass in Zukunft zum eingehen einer Partnerschaft ganz selbstverständlich Algorithmen die gegenseitige Verträglichkeit (oder auch im Techniksprech Kompatibilität) prüfen werden. Solange müssen wir uns gegenseitig fragen: "Auf welche Art bist du verrückt?"

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  2. Hallo, schön, dass der Lauf der Liebe hier besprochen wird. Kleine Anmerkung: Ich denke, es ist kein Paradox, dass man sich im besseren Kennenlernen, in der Intimität entfremdet, also nichts, was sich widerspricht, sondern es handelt sich dabei um einen dialektischen Vorgang. Das Kennenlernen ist prozesshaft und Entfremdung und Intimität sind dabei die sich bedingenden und ineinandergreifenden Elemente:)

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    1. Das ist gut analysiert, da will ich nicht wiedersprechen. Es ist zumindest nicht das, was wir gemeinhin erwarten, wenn wir jemanden anderen "romantisch" kennen lernen. Aber ein Paradox ist es nicht.

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