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28. Mai 2016

Schlechte Gefühle aus guten Gründen

Die evolutionären Funktionen schwieriger Emotionen

"Alle negativen Gefühle haben ihre Wurzeln in der Angst und das Gegenteil von Angst ist Vertrauen." Wenn wir solch einen Satz lesen, ertappen wir uns wahrscheinlich dabei, wie wir mit dem Kopf nicken und sogleich an Beispiele aus unserem eigenen Leben denken, die diese Behauptung untermauern. Aber: Stimmt dieser Satz oder stimmt er nicht?

Detail einer Illustration zur Physiognomik, 19. Jahrhundert (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei)

Nein, er stimmt nicht und er zeigt, wie die Psychologie sehr anfällig dafür ist, dass selbsternannte Experten und wir selbst als Erforscher unseres eigenen Seelenlebens mit vereinfachten und zusammengestückelten Halbwahrheiten kompletten Blödsinn als glaubhaft verkaufen und empfinden können. Gerade die sogenannte Positive Psychologie ist der populären Vereinfachung derart zum Opfer gefallen, dass sich solche Ansichten durchgesetzt haben wie, man müsse nur lächeln und schon sei alles nicht mehr so schlimm oder "negative Gefühle" könne man durch "positive Energie" eliminieren.

Das Gute an Langeweile, Trauer, Schuldgefühlen und Angst

Todd Kashdan, amerikanischer Professor für Psychologie beschreibt in Warum wir mehr Wissenschaft und weniger Spekulation über Angst, Trauer und Glück benötigen, wie er in einer Radiosendung den oben zitierten Satz zur Angst als Wurzel aller "negativen Gefühle" hörte, "vorgetragen mit großem Selbstbewusstsein und unter vager Andeutung einer wissenschaftlichen Studie". Kashdan erforscht Zusammenhänge zwischen solchen schwierigen Gefühlen und psychischem Wohlbefinden. Er zeigt sich besorgt über solches Halbwissen, das es den Laien erschwere, die eigenen Gefühle zu verstehen und in ein gelungenes Leben zu integrieren. Alle schwierigen Gefühle, so Kashdans Grundgedanke, haben ihre Funktionen in unserem Leben.
 
Kashdan beschreibt zum Beispiel wie Langeweile körperliche Reaktionen und Verhaltensweisen hervorrufe, die ganz und gar nicht mit Angst vereinbar seien. Langeweile sei ein Zeichen von Unterforderung und nicht von Angst. Das Gefühl der Langeweile motiviert uns dazu, unsere inneren und externen Zustände auf neue Reize hin zu untersuchen und die Unterforderung zu beenden.

Auch Trauer, von den meisten Psychologen selbst als eine Basis-Emotion wie Angst eingestuft, hat keine Wurzel in der Angst, sondern kommt dann in uns auf - und jetzt wird es ziemlich evolutionsbiologisch - wenn es Anzeichen dafür gibt, dass wir ein fundamentales evolutionäres Ziel verfehlen. Ein solches evolutionäres Ziel wäre vielleicht das nach Selbsterhaltung und Fortpflanzung; und es ist einfach zu verstehen, dass der Verlust von Familienmitgliedern, das Herausfallen aus einer gesellschaftlichen Einbindung oder die Beendigung einer Liebesbeziehung dieses Ziel infrage stellen können. Warum agieren wir lethargisch unter Trauer und ziehen uns vom sozialen Leben eher zurück, anstatt schnell etwas "positives", lustiges zu tun, das unsere Laune verbessern könnte und uns die Trauer vergessen ließe? Trauer motiviere uns dazu, mit unseren mentalen, körperlichen und sozialen Energien zu haushalten und sie erst dann wieder anzuzapfen, wenn die Chancen besser stehen, dass der Einsatz dieser Energien zum Erreichen unserer evolutionären Ziele beiträgt.

Oder Schuldgefühle: Sie sind in komplexen Sozialgefügen auch aus evolutionärer Sicht hilfreich. Solche Wesen, die dazu in der Lage sind, eigenes Fehlverhalten zu erkennen, sichtbar und über einige Zeit hinweg die Schuld einzugestehen, das Fehlverhalten wieder gut zu machen und nicht zu wiederholen, können auf haltbare Beziehungen mit großer Chance auf Weitergabe des eigenen Erbguts zählen.



Anpassung, Resilienz und Irrationalität

Und was ist nun mit der Angst? Angst ist nur ein Sammelbegriff für viele verschiedene Ängste, die alle jeweils in verschiedenen Situationen verschiedene hilfreiche Reaktionen hervorrufen: Panik wenn eine unmittelbare Bedrohung offensichtlich ist, Platzangst in einer Umgebung, wo eine Attacke möglich ist, generelle Ängstlichkeit in einer unübersichtlichen Umgebung. Aus Sicht der Evolutionsbiologie gilt für alle beschriebenen Emotionen:

"Gefühle können als durch natürliche Selektion geformte spezialisierte Zustände beschrieben werden, die einen Anpassungsgewinn in spezifischen Situationen bedeuten. Die physiologischen, psychologischen und verhaltensmäßigen Charakteristiken eines spezifischen Gefühls können als Funktionen analysiert werden, die unsere Fähigkeiten erweitern, mit in dieser Situation vorhandenen Bedrohungen und Chancen umzugehen." (Randolph M. Nesse: Evolutionary Explanations of Emotions - PDF-Link)

Schon aus dieser Perspektive leuchtet uns also ein, dass auch "schlechte Gefühle" gute Gründe haben und dass wir sie sogar benötigen. Es ist auch kein Geheimnis, dass Menschen mit einer Unfähigkeit zu bestimmten negativen Gefühlen wie Angst, Schuld, Stolz oder Neid gewisse Nachteile erleiden, obwohl sie psychisch zuerst nicht unter der Abwesenheit solcher schwierigen Gefühle leiden.

Angst, Wut, Trauer und Einsamkeit sind nicht anormal. Solche Gefühle helfen uns im Umgang mit Situationen, die unsere Anpassungsfähigkeit (im Original: fitness, GD) verringern. Um diese Gefühle zu erklären, sollten wir nicht zuerst auf die Hirnfunktionen oder Persönlichkeitsstrukturen schauen, sondern auf die konkreten Lebenssituationen der betroffenen Personen. (Randolph M. Nesse: Evolutionary Explanations of Emotions - PDF-Link)

Nun kann man ja sagen: "Toll, dass sich das evolutionär so hingeschuckelt hat, aber was hat das mit mir zu tun? Ich will meine Gene sowieso nicht weitergeben oder kann das sogar ohne blöde Gefühle." Aber es gibt eben auch andere Gründe, schwierige Gefühle zuzulassen, ja sie als nötige Zutat zu einem gelungenen Leben zu begreifen. Der Philosoph Alain de Botton stellt zum Beispiel den Zusammenhang zwischen schwierigen Gefühlen und Resilienz her:

"Zu erfahren, dass wir überleben können, ist eine ganz wichtige Lektion des Lebens. Resilienz bedeutet am Ende, dass wir akzeptieren, dass das Leben okay ist, selbst wenn alles schief geht." (Flow Nummer 15)

Solche Erfahrungen, aus denen wir auch noch gestärkt hervorgehen, können wir kaum ohne schwierige Gefühle machen. Durch den Versuch, schwierige Gefühle zu verdrängen oder durch "positive" Gefühle zu ersetzen, lernen wir gar nichts. Aber was ist schließlich mit der Weisheit, die uns lehrt, nicht "zu emotional" zu sein? Gerade die Irrationalität, so meint Nesse, ist unter Berücksichtigung der Situationen, in denen solche Gefühle von uns Besitz ergreifen, eine wichtige Bedingung: "Liebe, Wut, Schuld und Angst können ihrem Zweck nur dann genügen, wenn sie nicht durch das Denken außer Kraft gesetzt werden." In diesem Sinne: Lassen wir den Wahnsinn doch einfach mal auf uns zukommen!



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19 Kommentare:

  1. Ein spannender Artikel!
    Zunächst einmal: Die evolutionsbiologische Sicht, die im Artikel vielfach zitiert wurde, überzeugt mich persönlich nicht so. Das ist mir zu „direkt“ und zu „mechanistisch“.
    Vielleicht spielt in diese Bewertung auch rein, daß sich meiner Erinnerung nach einst ein befreundeter Wissenschaftler mir gegenüber negativ zu Ideen der Evolutionsbiologie äusserte. Dieses anzugeben, bin ich schuldig.
    Vielleicht gehe ich auf einige Sätze näher ein:
    „Langeweile sei ein Zeichen von Unterforderung und nicht von Angst.“
    Ich habe das so gelernt, daß Langeweile eigentlich eine Fluchtreaktion sein kann, um sich nicht mit unangenehmen Gefühlen auseinandersetzen zu müssen. Langweile verleitet mich zum Beispiel zum „Gambeln“, zum Internetspielen, stundenlang. Psychologen sagten: Sie wollen sich nicht mit ihrer existentiellen Situation beschäftigen, mit unangenehmen Gefühlen wie Einsamkeit. Stimmt das so?
    „Auch Trauer… kommt dann in uns auf ,wenn es Anzeichen dafür gibt, dass wir ein fundamentales evolutionäres Ziel verfehlen. „
    Das kann bei Scheitern von Beziehungen so sein. Wichtige Unterstützung geht verloren. Bausteine des Lebens gehen verloren, wenn ein naher Angehöriger stirbt. Aber da Trauer mit zunehmender Lebensdauer wohl immer häufiger im Leben kommen wird: Gibt es da im Alter immer noch einen evolutionsbedingten Grund dafür?
    „mit unseren mentalen, körperlichen und sozialen Energien zu haushalten“.
    Soweit ich weiß, muß man niemals haushalten. Ich bin überzeugt, daß so mancher Mensch das Fünffache an Energie ausgeben wird wie der Durchschnittsmensch.
    „Liebe, Wut, Schuld und Angst können ihrem Zweck nur dann genügen, wenn sie nicht durch das Denken außer Kraft gesetzt werden." In diesem Sinne: Lassen wir den Wahnsinn doch einfach mal auf uns zukommen!“
    M.E. gibt es sehr oft unangemessene Angst und Schuld. Auch Wut.
    Wut: Wenn ich nicht erkenne, bsp.weise, daß eine starke Wutbereitschaft vielleicht von emotionalem Mißbrauch oder von „Nichtakzeptanz“in der Kindheit herrühren kann, dann werde ich die Wut einfach immer wieder in 1000 Situationen spüren, ohne ihr auf den Grund gegangen zu sein.
    Schuld: Es ist bekannt, daß es irrationale Schuldgefühle gibt. Vielleicht passen aber meines Vaters unbewusste Schuldgefühle in die evolutionsbiologische Schublade: Er überlebte den Krieg, der vermeintlich deutlich talentiertere Bruder musste sterben!
    Angst: Ich kenne sehr viele Personen, die einfach unangemessene Angst haben. Das ist eine Angst oft, die schlicht LEBEN verhindert – weil sie zu häufig auftritt, immerfort, zu allen möglichen Anlässen, sozusagen eine Grundangst. Hier von Zweckmässigkeit von Angst zu reden, fällt schwer.
    Danke fürs Lesen
    Gerhard

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    1. "Gibt es da im Alter immer noch einen evolutionsbedingten Grund dafür?"

      Das Alter interessiert die Natur/Evolution gar nicht. Ist der Fortpflanzungsjob erledigt oder unerledigt geblieben, aber nicht mehr möglich, erlischt sozusagen das evolutionäre Interesse am Individuum.
      Das heißt aber nicht, dass entwickelte Gefühlsverhaltensweisen nun ganz aufhören, denn wir sind ja "nicht fürs Alter entwickelt". Heißt: es gibt keine "natürliche" Unterstützung für Veränderung in bestimmter Richtung. Lediglich eine allgemeine Schwächung, die dem Verfall geschuldet ist.

      Aber: Man könnte auch positiv sagen: im Alter sind wir dem Projekt Mensch so nah wie nie, denn nun kommt es wirklich auf uns selbst an, was wir draus machen - weit weniger vom "Schleier der Hormone" motiviert als je zuvor.

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    2. Danke für die Kommentare! So wie Claudia sagt, kann man nur aus der angenommenen evolutionären Entwicklung von Gefühlen nicht darauf schließen, dass im Individuum jedes dieser Gefühle auch "Sinn" macht. Evolutionsbiologie sagt ja auch nicht, weil Ängste evolutionär erklärbar sind, brauchen wir uns um Angsterkrankungen nicht zu kümmern.

      Ein anderes Beispiel ist die "Verführbarkeit" zu Computerspielen in der Langeweile. Das Verhalten wird sicher nicht zur Entdeckung neuer Herausforderungen führen, die dann unser Leben positiv verändern. Aber der Zusammenhang zwischen dem Suchen nach neuen Reizen und dem Aufgreifen, dessen, was wir heute dazu zur Verfügung haben (TV und PC sind oft näher als der nächste Kletterfelsen) wäre auch naheliegend.

      Die Evolutionsbiologie will auch nicht alles erklären, zum Beispiel nicht, was genau ein Gefühl ist, welche biochemischen Abläufe einem Gefühl zugrunde liegen und wie es heute unser Leben prägt. Was sie zu erklären versucht, ist die Funktion eines Gefühls, seine Entstehung und warum es das Gefühl überhaupt gibt.

      Was bringt es dann in diesem Zusammenhang hier? Ich mein, dass es zumindest eine Erinnerung daran ist, dass auch schwierige Gefühle eine Berechtigung haben und nicht einfach medikamentös stillgelegt werden sollten. Vielleicht hilft uns das Wissen über die Herkunft in der täglichen und oft frustrierenden Akzeptanz dieser "blöden Gefühlen"? Das heißt jedoch nicht, dass wir destruktive Ausprägungen von Gefühlen einfach erdulden müssen und uns in psychische Probleme begeben sollten. Jede normale Entstehungsweise von Phänomenen lässt immer auch deren Extremformen und Entartungen zu. Und da muss man dann zum Arzt.

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    3. Claudia hat recht. Meine Anmerkung zum Alter und Evolution war ziemlich blöd.

      "Was sie zu erklären versucht, ist die Funktion eines Gefühls, seine Entstehung und warum es das Gefühl überhaupt gibt"
      Du meinst primär, wieso das Gefühl einst entstand?? Es kann ja jetzt auch in durchaus anderen Diensten stehen. Ich weiß, daß alles an uns einst evolutionären Ursprung hatte, gewiss (!), aber der Gedanke, da wollen mir Gefühle helfen, mein "evolutionäres Ziel" nicht zu verfehlen, klingt für mich zu absolut. Vielleicht ist das Ganze aber subtiler zu betrachten.
      Gerhard

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    4. Das sind gute Punkte, Gerhard! Ich meine nicht unbedingt, "wieso das Gefühl entstand", sondern dass es sich durchsetzte.

      Phänomene werden durch natürliche Auslese nicht erschaffen, sondern die erfolgreichen werden weniger schnell und weniger häufig (in der Regel nach Weitergabe ihrer Gene) "ausgelesen". Das bedeutet für unsere Gefühle also, dass die Ausprägungen, die der frühen Weitergabe der Gene zuträglich waren eher überlebt haben, als die, die hinderlich waren.

      Daneben muss man sich eine Fülle von Eigenschaften vorstellen, die weder zuträglich noch hinderlich waren. Für diese ist die Evolution blind und sie werden dann durchschnittlich weiter gegeben. Ich würde also nie behaupten, alle Gefühle helfen, das "evolutionäre Ziel" zu erreichen.

      Indikatoren für solche, die für eine evolutionsbiologische Entstehungsgeschichte infrage kommen, sind Gefühle, die uns allen eigen sind (Angst, Wut, Lust etc.) und die dem "evolutionären Ziel" zuträglich sind - Lust mit dem vielleicht deutlichsten Zusammenhang.

      Übrigens gibt es zur Erstehungsgeschichte - und hier ist jetzt viel Spekulation im Spiel - von Gefühlen noch eine viel basalere Vorgeschichte: Primitive Tierchen wie Ruderkrebse oder so haben kein Gehirn und sicher keine Gefühle, aber ihre Sinnesorgane an den Antennen o.ä. reagieren auf einem biochemischen Level und stimulieren die Ruderbeinchen entweder auf eine Quelle (nahrhafter biochemischer Komponenten) zu zu rudern oder weg von einer Quelle (toxischer Komponenten) zu rudern. Auch unser Geruchssinn funktioniert so, aber er ist nicht "hart mit den Beinen verdrahtet", sondern hat eine Software-Komponente dazwischen, die wir Gefühle oder vom Lateinischen "in Bewegung bringen" Emotionen nennen können.

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    5. Bezüglich der Ruderkrebse: Abstossung/Anziehung gibt es sicher in vielen Stufen. Ich denke, angefangen mit der Chemie, in der es günstige und weniger günstige Reaktionen gibt, was zum Teil mit erklären hilft, aus welchen Bausteinen das Leben aufgebaut ist. Auch bei Pflanzen ist schon bekannt, daß sie über "Sinne" verfügen, um ihre Umwelt wahrzunehmen. Zwar haben sie kein Gehirn und auch kein Nervengeflecht, aber, z.b. erst kürzlich gelesen, können sie sich über bestimmte Moleküle (Prionen) "merken", wann der letze Frost war und somit, wann es Zeit ist zu blühen.
      http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-20114-2016-04-26.html

      Es gibt sicher Untersuchungen/ Ideen, wieso der Mensch Emotionen entwickelte, wo es doch solche einfachen Mechanismen wie die vorgenannten gibt. Emotionen müssen einen Vorteil ergeben haben. Auch hier spekuliere ich: Emotionen sind vielleicht zusammen mit Bewusstsein entstanden und halfen, sich mit der Umwelt nachhaltiger auseinandersetzen zu können.
      Auch das eher weiche Gedanken.
      Gruß
      Gerhard

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    6. Wenn Bewusstsein meint, die Fähigkeit zu reflektieren, dann denke ich, gibt es Emotionen schon viel eher und bei viel weniger komplexen Wesen. Wer würde einem Kaninchen Lust absprechen wollen, ohne ihm zugleich Bewusstsein zuzuschreiben.

      Auf jeden Fall aber geht es in die gleiche Richtung: Je weniger "Software" (z.B. Emotionen) und je stärker "hartverdrahtet" ein Organismus ist, desto "festgestellter" ist er auch. Damit ist er an eine sehr stabile Umwelt gebunden und kann sich nicht leicht "umorientieren" (siehe Pflanzen). Die Ruderkrebse sind also daran gebunden, dass ihre biochemischen Nahrungsmoleküle in der Umwelt vorkommen, damit er dorthin rudern kann und seinen Energiehaushalt in Gang halten kann.

      Ein Kaninchen hingegen kann viel flexibler auf seine Umwelt reagieren und sich sogar in verschiedenen Umwelten zurechtfinden. Ein Bär oder ein Affe haben wiederum höhere Bewusstseinsstufen mit noch weniger Instinkten und noch differenzierteren Emotionen und können noch flexibler auf ihre Umwelten einwirken und sie sogar zu ihren Gunsten ändern. Menschen dann sind dank ihrer geringen Instinkgebundenheit und ihrer flexiblen Kognitionsfähigkeiten zu denen auch ein breites Spektrum an Emotionen gehört gewissermaßen frei von jeder Umweltgebundenheit. Wir sind die einzigen Tiere, die jeglichen Flecken auf der Erde bewohnen können, weil wir unsere Umwelt immer für uns einrichten. Der Nachteil: Wenn wir das nicht können, weil wir keine Werkzeuge oder kein Material haben, dann halten wir es in der Wildnis auch gar nicht aus. Die Anthropologie hat für den Menschen Begriffe gefunden wie "das nicht festgestellte Tier" oder auch "das Mängelwesen". Uns mangelt es an Instinkten, Kräften, Schnelligkeit, sogar an Wahrnehmungsfähigkeit (sehen im Dunklen, gut hören oder riechen) und Fell. Dafür haben wir aber ein reiches und kreatives Oberstübchen. Die ganz grobe Entwicklungslinie wäre also etwa:

      Biochemische Rezeptoren -> Instinkte -> Emotionen

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    7. Ja, das mit den Emotionen kann man mindestens für Säugetiere so feststellen.
      Martin Hubert schreibt in seinem Buch "Ist der Mensch noch frei?"über Überlegungen von Jaak Panksepp: Die Basisemotionen...sind evolutionär entstanden, weil biologisch wichtige Situationen mit bestimmten subjektiven Reaktionen des Lebewesens verknüpft wurden".
      Verkürzt: Bei Hunger ist es hilfreich, mit Neugier nach Essbarem zu suchen. Bei Verteidigungssituationen ist Agression günstig ect.
      Diese häufigen Koppelungen wären als Folge verdrahtet worden.
      Gerhard

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  2. Ich denke mir einfach diese Gefühle sind alle normal und gehören einfach zur Bewältigung des Lebens dazu. Manche sind eben wichtiger und sollten genauer hinterfragt werden. Bei mir ist es eben so, dass diese gegensätzlichen Gefühle sehr ambivalent sind und sich gegenseitig einen "täglichen" Kampf liefern. Es ist doch ganz einfach das "Gut" gegen "Böse", das uns allen zu schaffen macht. Am Ende des Tages oder auch Lebens wird sich zeigen, was wir daraus gelernt haben.

    Ob es evolutionäre Gründe dafür gibt oder nicht, ist für mich nicht relevant und sollte nicht wirklich kaputtdiskutiert werden, denn dies ist schon wieder ein anderes Thema.

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  3. Was viele nicht verstehen: Ein Gutteil der Wellness-Spiritualität, wie sie auch auf Portalen wie mymonk.de propagiert wird, arbeitet mit Versatzstücken, die nur in einem größeren Framework überhaupt stimmen und funktionieren können. In etlichen spirituellen Systemen war/ist es usus, den Adepten wenigstens am Anfang seiner Reise durch eine Guru-Phase zu schicken, um ihn auf bestimmte Überzeugungen einzuschwören. Gu-Ru ist hier wörtlich zu verstehen, "(von) Dunkel/Leid zu Hell/Erlösung". Zu diesem Behufe wird auch heute noch gerne mit Techniken gearbeitet, welche die Solarplexus-Region stressen, stellvertretend für das Ausgeliefertsein an die Welt, um durch ein selbstreferenzielleres neuropsychologisches System - was Wunder - die Erlösung zu ermöglichen. "Angst" ist in solchen Kalender-Sprüchlein, die zu Provokations-Zwecken auch schon mal ganz "swag" daherkommen, das, was neurophysiologisch/neuropsychologisch geschehen kann, wenn der Adept in eigentlich dekonditionierte Zustände zurückfällt. Das "wei" in "wu wei", das Nicht-der-sündigen-Welt-Gestorben-Sein im christlichen Kontext, der nicht einspitzige Geist usw. "Vertrauen" oder Ähnliches ist dabei traditionell immer aufs Göttliche zu beziehen - Vertrauen per se dürfte die Kohäsionskraft abgehen, zumal solche Ratschläge sich nie an den Intellekt richten.

    Mit anderen Worten: Solche Sprüche können als Erinnerungshilfe für spirituelle Adepten wirklich stimmen, aber ohne größeres Bezugssystem kaum.

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    1. Lieber Kommentator, haben Sie sich verlaufen, wollten Sie zu MyMonk? Wir sind Geist und Gegenwart und halten wenig von Wellness-Spiritualität (vielleicht sogar mehr von Wellness als von Spiritualität).

      Oder genauer gefragt: Wenn Sie sagen "solche Sprüche können als Erinnerungshilfe für spirituelle Adepten wirklich stimmen, aber ohne größeres Bezugssystem kaum", welche Sprüche genau meinen Sie?

      Vielen Dank für eine eventuelle Klärung.

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  4. Nur solche wie ganz am Anfang - no worries, mate.

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    1. Got it, mate! Der erste Kommentar war sehr implizit und mir nicht gleich verständlich.

      Auch der zweite Teil mit den Referenzen an östliche und westliche Übungssysteme klingt hermetisch spannend, aber ich glaube, ich bräuchte einen echtzeitlichen Austausch, der sofortige Nachfragen gestattete, um das alles zu begreifen.

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  5. Übrigens halte ich es für wichtig, dass mal wieder jemand für Rationalität eintritt, diese beschreibt und ihren guten Sinn begründet - für all jene, die mittlerweile fast zu einer Art Gefühls-Diktatur neigen. ("Ich will keine Debatten, ich will von meinem Schwmerz sprechen. Dass ich mich schlecht fühle, muss reichen...").

    Leider widmen sich Philosophen ungern solchen Basis-Bildungsaufgaben. Und bemerken nicht, wie die Basis ihres Verstanden-Werden-Könnens erodiert!

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    1. Bin ich absolut bei dir!

      Siehe meine Artikel zu z.B Verschwörungstheorien oder Warum wir unserer Intuition misstrauen sollten, Warum irren wir uns systematisch? oder der zur Frage wie uns unbewusste stereotype Entscheidungen täglich behindern. Oder meintest du etwas ganz anderes?

      Im Übrigen: In welchem Zusammenhang kommst du jetzt gerade bei diesem Artikel darauf?

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    2. Nur weil es um Gefühle geht, mehr Bezug war nicht.

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  6. Ich hab mir die Artikel angesehen. Sie treffen nicht das, was ich meine. Das ist etwas viel Basaleres, was für mein Empfinden aus dem "KnowHow der Masse", speziell bei Jüngeren, zunehmend verschwindet: Das Wissen um die Notwendigkeit und die Methoden rationaler Debatten. Die Grundlagen des Denkens und Debattierens, das Streiten mit Argumenten, mit Logik und mit Belegen - all das tritt zurück zu Gunsten von Befindlichkeits-Politiken, um es mal so zu verkürzen.

    Der viel beklagte "Hass im Netzt" geht aus meiner Sicht einher mit einer zunehmenden Unfähigkeit, im "realen Leben" F2F (von Angesicht zu Angesicht) Dissenz auszuhalten und Konflikte diskursiv auszutragen. Die Orientierung an Gefühlen dominiert jene an Vernunft, an Begründungen und dem Ringen um gemeinsame Werte.

    Vielleicht ist mein Eindruck ja abseitig, marginal, nur subjektiv - und ich würde mich freuen, wenn ich mich irre.

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    1. Natürlich ist das subjektiv und einseitig, aber das heißt ja nicht, dass nichts da dran ist. Und am Gegenteil ist auch etwas dran: Es gibt hervorragende Ecken der logischen Debatten und Themen im Internet. Kommt vielleicht darauf an, wo du dich rumtreibst?

      Die Artikel treffen "es" nicht? Also den ganz speziellen Gedanken, den du hattest? Na, das wäre ja auch geradezu magisch :)

      Was ich meine ist, dass man dem Verlust der Ratio in all diesen Themen aktiv begegnen muss. Man muss z.B. Verschwörungstheoretiker mit ihren Mechanismen konfrontieren und entlarven.

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  7. Nun, man sollte dann auch das Streben der Menschen nach etwas Höherem nicht einfach nur so als "esoterisch" und deshalb unsinnig diskriminieren. Es gibt spirituelle Interessen der Menschen, die abseits alltäglicher ökonomischer Marktverhältnisse relevant sind - und mehrtausendjährige Traditionen und Lehrgebäude, die immer noch Bedeutung haben. Es gibt nicht nur Pop-Spiritualität - dass wusste auch Heidegger und die deutschen Idealisten sowieso.

    Das alles kann man aber gar nicht sinnvoll besprechen, wenn die Grundlagen der Logik, das Debattieren, die "intellektuelle Redlichkeit" in Vergessenheit gerät. Dann gibt es nämlich keine Verständigungsopition mehr zwischen so und anders Fühlenden - sondern nurmehr den Krieg.


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