2. April 2012

Wechselwirkungen von Bewusstein und Kreativität

Der folgende Artikel erschien zuerst auf den Blog Der rauhe Stein (inzwischen offline) unter dem Titel Die Hemmer und Verstärker unserer Kreativität. Ich habe mir die Frage gestellt: Was fördert oder hemmt eigentlich unsere Kreativität und in welchem Zusammenhang steht das zu unserem Bewusstsein? Wenn Sie sich das ganze Blabla sparen wollen, können Sie auch gleich die 10 Tipps für mehr Kreativität lesen.

Kreative Visualisierung: Teilhabe an Bewusstsein und Kreativität

Kreativität kommt sicher in der Natur vor, aber kein Lebewesen hat sie so ausgebaut, wie der Mensch. Kreativität ist eine Fähigkeit, die besonders den Förder- und Blockiermechanismen der Gesellschaft unterliegt. Zum Beispiel verlieren wir viel unserer Kreativität, sobald wir als Kinder mehr und mehr gesellschaftlichen Verpflichtungen wie Schulbesuch, Pünktlichkeit, Respekt unterliegen. Wir lernen, unsere Kreativität zu unterdrücken (to inhibit) und tauschen sie gegen gesellschaftliche Akzeptanz ein. Gruppenzwang und Angst vor gesellschaftlichen Sanktionen behindern unsere Kreativität. Außerdem erlernen wir über die Sprache immer mehr Clichees, sodass wir z.B. mit “blau” eben “Himmel” oder “Meer” assoziieren, aber seltener Veilchen oder Schlumpf. Kreativität fällt also der Faulheit - physiologisch gesprochen: dem Energiesparen und anthropologisch gesagt: der Entlastung - zum Opfer. Wir verknüpfen die naheliegenden Assoziationen und darüber hinaus wird es schon anstrengend.

Was ist Kreativität und wodurch wird sie gehemmt?
Auf chemischer Ebene würde man solche hemmenden Faktoren Inhibitoren nennen. Und damit sind wir mitten im eigentlichen Problem der Kreativität. Psychologisch wie gesellschaftlich ist Kreativität auf die Abwesenheit von Inhibitoren angewiesen. Kurz gesagt ist Kreativität die Neukombination von Informationen, die vorher in keinem Zusammenhang standen. Das setzt einen freien, wenn nicht gar chaotischen, in jedem Falle aber unzensierten Fluss von Assoziationen voraus.

Hirnphysiologisch erwerben wir diese Hemmschwellen in unserer Kindheit. Der präfrontale Cortex - dort, wo über gut und böse entschieden wird - dehnt sich aus und gewinnt an Dichte. Erst dadurch erlangen wir die Fähigkeit zur Impulskontrolle und zur zielgerichteten Aufmerksamkeit - beides 1a Inhibitoren der Kreativität. Bestätigt wird diese Theorie durch die Beobachtung, dass große Teile des präfontralen Cortex deaktiviert werden, wenn wir z.B. bei Musik-Improvisationen kreativ werden (vergl. Charles Limb, Johns Hopkins University). Andere Teile des großen Frontallappens, besonders jene, die divergentes Denken und Assoziationen unterstützen, werden unter dem Einfluss des Neurotransmitters Noradrenalin besonders aktiv.

Bewusstsein und Kreativität
Interessanterweise finden kreative Prozesse gerne unter Ausschaltung des Bewusstseins statt. Da ist beispielsweise das berühmte drüber Schlafen. Und natürlich auch Meditation. In solchen Zuständen urteilen wir nicht, sondern lassen dem Gehirn die Freiheit, Gedanken und Eindrücke neu zu sortieren oder einfach durcheinander zu mischen. Unter Ausschaltung von gesellschaftlichen Inhibitoren (Urteil von gut und böse, richtig und falsch) und neuen Informationen von außen, kombiniert unser Gehirn Gedanken zu neuen Ideen - es ist also ohne Anstrengung kreativ (siehe dazu auch: Nichts los. Und was macht eigentlich mein Gehirn gerade?). Und wer war nicht schon überrascht - oder gar geschockt - von der Kreativität der eigenen Träume?

Das Urteil der Gesellschaft über eine Idee, aber auch das eigene Urteil, sind die größten Hemmer von Kreativität. Übrigens ist das einer der Gründe, warum Brainstorming nicht funktioniert: Druck der Gruppe. Auf der anderen Seite ist klar, dass Bewusstsein eine Grundvoraussetzung für jede Art von Kreativität ist. Denn - auch auf die Gefahr hin, dass ich trivial werde - das Bewusstsein ist das Einfallsfenster für all unsere Eindrücke, Bilder, Assoziationen und letztlich unsere Gedanken. Man kann sich das verdeutlichen mit unterschiedlichen Graden der Teilhabe an Bewusstsein, z.B. (beinahe?) gar keine Teilhabe an Bewusstsein bei Pflanzen, sehr wenig bei Insekten oder Fischen, etwas mehr bei Katzen und Krähen und letztlich mehr und mehr bei Primaten bis hin zum Menschen. Bewusstsein und Kreativität gehen miteinander einher. Wir Menschen haben einerseits das größte Potential, kreativ zu sein. Andererseits haben wir auch die größten Inhibitoren oder Hemmer von Kreativität. Wenn es uns gelingt, diese Hemmer zu identifizieren und wenigstens zeitweise auszuschalten, dann können wir unsere Kreativität maximieren.

Wie das geht lesen Sie hier: 10 Tipps für mehr Kreativität.

5 Kommentare:

  1. Prima, die Tipps - also nicht nur die, auch der ganze Artikel :-)

    Ich wollte noch hinzufügen: Neugier. Kreativität hat für mich ganz besonders mit der Eigenschaft Neugierde zu tun, und auch mit Offenheit. Schön im Artikel formuliert: "Gruppenzwang und Angst vor gesellschaftlichen Sanktionen behindern unsere Kreativität." Ja, das finde ich auch, mit Angst vor Ablehnung wird Offenheit schwierig, und Neugier wird im Keim erstickt.

    Wenn ich auch noch einen Tipp hinzufügen darf: Die Dinge nicht so selbstverständlich nehmen, die man zu kennen glaubt. EIn Glas ist ja nicht nur ein Trinkglas, sondern auch eine Blumenvase, eine Sammelstelle für 1-Cent-Stücke, ein Insektenfangwerkzeug, ein Musikinstrument (wenn mundgeblasen), Teelichthalter, Dessertform, Kreisschablone, Stifthalter... Das ist ein einfaches Beispiel - und ein tolles Spiel (nicht nur) mit Kindern :-)

    AntwortenLöschen
  2. Vielen Dank, für den Kommentar und den schönen Tipp. In der Tat - Dinge für etwas anderes nutzen, als für den Zweck, für den sie entwickelt wurden, öffnet unsere kreativen Kanäle. Ich habe so ein Spiel in Gruppen gemacht, um die Kreativität zu stimulieren: Jedes Grüppchen bekommt ein Blatt Papier und 10 Minuten Zeit, so viele verschiedene Anwendungsbeispiele für eine Büroklammer aufzuschreiben, wie möglich. Da kommen die lustigsten Sachen raus und am Ende sind alle in der Stimmung, alte Probleme von einer ungewöhnlichen Seite her neu zu betrachten.

    AntwortenLöschen
  3. So ein Quatsch. Die Philosophen können noch nicht mal eine zirkelfreie Definition von "Bewusstsein" liefern, da werden irgendwelche Korrelationen geliefert von "B." + "X.".
    Der Mensch hat 100% Bewusstsein, der Schimpanse 70%?

    Es gibt bewusste mentale Prozesse. Wobei man die "bewussten Prozesse" hier auch noch genauer beschreiben müsste (Damasion z.B.). Ob es "das Bewusstsein" als ontologische Kategorie gibt, ist fraglich.

    Und "Kreativität" als menschliche Eigenschaft wird hier auch einfach so hingesetzt. Was ist das? Freiheit von "Inhibitoren"? Waren Menschen in Diktaturen nicht besonders "kreativ" im Umgehen der "Inhibitoren"? Ist unsere rezente von vielen gescholtene "Kreativlosigkeit" nicht grade der Freiheit geschuldet?

    LG EW

    AntwortenLöschen
  4. Ich denke, es kommt darauf an, was mit "Inhibitoren" gemeint ist, und das ist im Fall der Kreativität, wenn man sie als Schaffens- oder Schöpfungsfähigkeit sieht, von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Auf das Beispiel der Diktatur bezogen: Es gibt Menschen, die hier geradezu vor Angst gelähmt sind, d.h. Angst ist ein Inhibitor, während andere aus Hoffnung? Mut? Verzweiflung? Liebe? Angst vor Schlimmerem? trotzdem kreativ im Sinne von schöpferisch denkend und handelnd werden können. Hier könnte man auch nahtlos an die Biochemie anknüpfen, das limbische System wird bei Angst aktiv, Noradrenalin wird ausgeschüttet u.s.w. Die "Kreativität" beschränkt sich jetzt auf's Überleben.

    Schöpferisches Handeln und Denken im Sinn einer kulturellen Entwicklung braucht also ein geschütztes Umfeld (s.o.). Die Freiheit, wirklich kreativ zu sein, nehmen sich dank gesellschaftlicher Eingliederung nicht viele. Schaut man sich z.B. die "Kreativen" der Renaissance an, so stellt man fest, dass es sich um sehr exzentrische Persönlichkeiten handelte, die heute wahrscheinlich psychopathologisch mit irgendwelchen Diagnosen versehen werden würden. Aber sie wurden trotz ihrer exzentrischen Lebensweise in der Gesellschaft dank Mäzen/Herrscher integriert. Heute haben wir die Demokratie, exzentrisch leben muss man sich leisten können, und m.E. hat sich also seitdem nicht so viel geändert, wir wissen nur mehr! Wir wissen zum Beispiel, dass jeder die Freiheit hätte, kreativ zu sein, wenn er sich aus der Komfortzone herausbewegen würde und darauf vertrauen könnte, nicht gleich aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden.

    AntwortenLöschen
  5. Wie viele "geschützte Umfelder" soll es noch geben? Und wer "schützt" die? Der Staat?
    Erstmal sollen die Leute ihr Handwerk beherrschen. Dazu kann dann vielleicht auch "Kreativität" kommen? 90% ist Wissen und Routinen, 10% "Kreativität"? Was immer das sein soll? Erfahrung z.B.?
    Um es mal platt mit Popper zu sagen: "Leben ist Problemlösen".

    PS: "Das limbische System" ist auch so ein Gehirnmythos. Weder anatomisch, noch funktional lässt sich das eindeutig abgrenzen:
    Aus Martin Trepel "Neuroanatomie": "Wir sind derzeit noch nicht in der Lage, die anatomisch-physiologische Entstehung und Funktionsweise der intellektuellen und emotionalen Vorgänge unserer Persönlichkeit befriedigend erklären zu können, weshalb man mit entsprechenden Mutmaßungen auf diesem spannenden, aber auch umstrittenen Gebiet zurückhaltend sein muss."

    LG EW

    AntwortenLöschen

Top 5 der meist gelesenen Artikel dieser Woche