Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.
28. Februar 2016
22. Februar 2016
Unschuld und das Leben in totalitären Systemen
Jonathan Franzen und das Internet
"Das Internet bedeutet Tod [...] Das Ziel des Internets und der mit ihm verbundenen Technologien, war es, die Menschheit von den Aufgaben zu 'befreien' - Dinge tun, Dinge lernen, Dinge erinnern - die dem Leben zuvor einen Sinn gegeben, die das Leben ausgemacht haben. Nun schien es, dass die einzige Aufgabe, die noch etwas bedeutete, die Suchmaschinenoptimierung war." (Purity, S. 492*)
Jonathan Franzen ist einer der größten lebenden Autoren der US Literatur. Angeblich schreibt er seine Bücher mit Noise-Cancelling-Kopfhörern in abgedunkelten Räumen und - wen wundert es - ohne Internetzugang.
Ich habe seine Bücher The Corrections (Die Korrekturen) und "Freedom" (Freiheit) sehr geliebt. Franzens Bücher sind immer enorme Wälzer, die ich aber in einem schnellen Rausch weg gelesen habe. Ich glaube das lag daran, dass The Corrections und Freedom sehr menschliche Geschichten von wirklich menschlichen Charakteren sind, die sich in existenziell beispielhaften Situationen und Beziehungen befanden. Etwas anders ist es mit seinem letzten Buch "Puriy" (Unschuld). Was Franzen auch hier wieder hervorragend gelingt, ist die Authentizität der Gedankenströme seiner Figuren. In Purity sind diese Figuren jedoch allesamt Stellvertreter gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie selbst sind so exemplarisch verstrickt in politische Geschehnisse, dass es schwer fällt, sich mit ihnen zu identifizieren. Das ist aber allein noch kein Manko. Einige der größten Figuren der Literatur sind alles andere als Identifikatoren, ich denke zum Beispiel an Gregor Samsa. Ich verlange von Literatur ja nicht, dass sie sich wegliest wie ein Kinderbuch, sondern dass sie zu mir spricht.
Für alle, die wie ich ihre Jugend in der heimeligen Enge der DDR verbracht haben und dann irgendwie ohne viel Übergangszeit kopfüber in das grenzenlose digitale Zeitalter gestürzt sind, muss dieses Buch besonders deutlich sprechen. Zum ersten Mal lässt Franzen seine Figuren nicht überwiegend in Nordamerika spielen, sondern in Berlin und Leipzig, Bolivien und den USA. Die Hauptfigur Andreas Wolf macht genau diese von mir erlebte Zeitreise aus der Enge Ost Berlins in die Weite des globalisierten Netzes. Es gibt natürlich den großen Unterschied, dass Andreas Wolf immer irgendwie im Auge des Orkans steht, sei es die Stasi und ihre Beseitigung oder sein "Sunshine Project", so eine Art WikiLeaks, das er aus Bolivien steuert.
Jonathan Franzen hat für dieses Buch beileibe nicht nur Applaus geerntet. Es scheint so, dass das Internet ihn mindestens genauso hasst, wie umgekehrt. Einige aus der Internetgemeinde bezeichneten das Buch als "wertloses Stück Scheiße". Dahinter steckt vor allem eine Ablehnung eines als überkommenen wahrgenommenen links-liberalen amerikanischen Realismus, als dessen Vorreiter oder Totengräber der mild-skeptische Intellektuelle Jonathan Franzen mit seiner Liebe für Vögel, vögeln und die anderen üblichen East-Coast-Probleme gilt. Und wenn man in das essayistische Herzstück des Romans vordringt, in dem Franzen das Internet als totalitäres System charakterisiert, dann muss man schon attestieren, dass es Franzen nicht gelingt, die heutigen Probleme entweder adäquat oder radikal zu analysieren. Waren die Corrections und Freedom noch nah am Erleben der amerikanischen Mittelschicht dran, so befindet sich Purity irgendwie in einem Limbo zwischen allzu menschlichem und ganz großen historischen Entwicklungen.
Um zum Punkt dieses Artikel über das Internet als totalitäres System zu kommen: Im Wesentlichen zieht Franzen die drei folgenden Parallelen zwischen dem Internet und der DDR, um zu zeigen, dass es sich auch beim Internet um ein totalitäres System handelt, das uns zu Funktionären oder zu Funktionen seiner selbst macht.
20. Februar 2016
Glück ist kein Ego-Trip und hat mit Erfolg nichts zu tun
Es gibt sieben Milliarden Wege zum Glücklichsein
Ich rege mich ja immer wieder mal gern über Ratgeber, Esoterik, New Age und anderen Bullshit auf, mit dem man uns das Leben erklären will. Um so begeisterter war ich, als ich im Philosophischen Radio des WDR ein Gespräch mit dem Psychiater, Theologen und Philosophen Manfred Lütz (Autor von Irre! - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen) hörte, der einen "Anti-Ratgeber" geschrieben haben will. In diesem Buch erklärt er zum einen, warum Ratgeber vor allem eine "Anleitung zum Unglücklichsein" sind und zum anderen erzählt er eine inspirierende Philosophiegeschichte des Glücks, aus der hervorgeht, dass es um ein je individuelles Gelingen des Lebens geht und nicht um Erfolg oder die Suche nach Glück als Ego-Trip.Warum uns Gurus und Ratgeber unglücklich machen
Noch schlimmer als bloße Ratgeber sind die Leute, die Lütz "Glücksgurus" nennt, also Autoren oder Trainer, die meinen, die allgemeingültige Antwort auf die Frage nach dem Glück gefunden zu haben und die Glück außerdem oft mit Erfolg verwechseln. Die armen Seelen, die solchen oft sehr überzeugenden Gurus aufsitzen, bezweifeln nach und nach, dass das, was sie bisher in ihrem Leben gemacht haben und was sie und andere vielleicht sogar gut fanden, irgend einen Wert hatte, denn es entspricht nicht dem, was der Guru als Glück oder Weg zum Glück "entdeckt" und offenbart hat. Wer solchen Rattenfängern folgt, hat die eigene Suche für das Versprechen einer Instant-Lösung aufgegeben. Dabei - so könnte man mit einem Lieblingssatz der Gurus kontern - ist doch der Weg das Ziel. Wer gleich am Ziel ankommen möchte, der kann sich auch Heroin spritzen, denn das löst sofort Glücksgefühle aus.7. Februar 2016
Warum wir so erschöpft sind
Tagträume und andere Rezepte zum Überleben
Im letzten Flow (siehe Bild links) las ich im Interview mit dem Neurowissenschaftler Daniel Levitin, dass ein erwachsener Mensch heute fünfmal mehr Informationen aufnimmt, als noch vor 30 Jahren (Flow Nr. 12, S. 59). Ob in der Freizeit oder auf der Arbeit, die Dichte, die Schlagfrequenz an Informationen ist enorm angewachsen. Nicht verwunderlich, dass sich ein allgemeiner Erschöpfungszustand breit macht, den viele dann gern damit verbringen, ihr Hirn noch mehr zuzumüllen, mit dem was das Internet so bietet. Denn größer als die Erschöpfung ist nur noch das sogenannte FOMO (fear of missing out), die Angst, etwas zu verpassen. Ich setze dem zunehmend das JOMO entgegen: joy of missing out. Das ist dann in Unterhaltungen immer wieder lustig, wenn Freunde sagen: "Was, davon hast du nichts gehört? Das war doch überall auf Facebook!" Ich freue mich dann heimlich an meiner Unwissenheit.Neulich hatten wir einen Coach im Unternehmen, der sich auf Themen wie Stress und Burn Out konzentriert. Ich habe ihn eine Stunde gebucht und er schloss mich mit Kabeln an einen Computer an, der meine Stresslevel visualisierte. Wir machten ein paar Experimente, um meine Level durch tückische Fragen hochzutreiben und mit Durchatmen wieder abzubauen. So naheliegend es klingt, so sehr vernachlässigen wir es täglich: Das bewusste Atmen ist eine der Tätigkeiten, die uns schnell helfen können, Stress abzubauen. Seine Diagnose des heutigen Arbeitsumfeldes war klar: Das kann nur im Stress enden, wenn man nicht auf sich aufpasst.
Schlafen auf der Arbeit? Klar, bei SoundCloud in Berlin (Photo: Geist und Gegenwart, CC BY-SA 2.0) |
4. Februar 2016
Die Befreiung des Selbst
Über die Philosophie als Lebensform von Nicholas Wenzel
Die Philosophie kann uns die Möglichkeiten an die Hand geben, aus dem Alltag ein Übungsfeld der Weisheit machen, meint Nicholas Wenzel. Er erinnert uns daran, wie wir im Grunde nicht viel mehr als unsere Gewohnheiten sind und dass wir in unseren Gewohnheiten den größte Hebel finden, um gute Menschen zu sein. Lesen Sie selbst...Vom Autor empfohlen |
"Mein Bester, du bist Athener, ein Bürger der größten und durch Bildung und Macht berühmtesten Stadt, und du schämst dich nicht, dich darum zu kümmern, wie du zu möglichst viel Geld kommst, aber um die Vernunft und Wahrheit und darum, dass du eine möglichst gute Seele hast, kümmerst du dich nicht?"
Als Sokrates starb, verurteilt zum Tod durch den Giftkelch, starb mit ihm der vielleicht berühmteste Verfechter eines kompromisslosen Strebens nach Selbsterkenntnis. Zuvor hatte er zwei Möglichkeiten, sich dem Todesurteil zu entziehen, entschieden in den Wind geschlagen: das öffentliche Bekenntnis, nicht mehr zu philosophieren, und die von seinen Freunden angebotene Fluchtmöglichkeit aus dem Kerker.
1. Februar 2016
10 Thesen für eine aktuelle Philosophie
Das Philosophische Manifest des Magazins HOHE LUFT
"Verändern wir die Welt!" Das ist der Schlachtruf des philosophischen Magazins HOHE LUFT. Dazu hat das Magazin im letzten Jahr ein Manifest herausgegeben, dessen Lektüre mich heute sehr begeistert hat. Warum? Weil es mir zeigt, dass es einen neuen Zeitgeist gibt, der nach Philosophie fragt, die anwendbar auf unser modernes Leben ist. Aus diesem Bedürfnis heraus ist schließlich auch Geist und Gegenwart gegründet worden. Wir benötigen einen geistigen, sinnvollen, ja auch spirituellen Zusammenhang in unserem Leben und die dafür zuständigen Institutionen (z.B. Kirche), scheinen sich für viele überlebt zu haben, während New-Age-Spiritualität und Esoterik vielen einfach zu dumm und manipulativ sind. Mit diesem Manifest wird handgreiflich gemacht, wie Philosophie heute sein muss, um in diese Sinnlücke unserer Leben vorzustoßen.
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