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18. Juli 2025

Über Moderne, Mythos und Maschinen

Was vom Menschen übrig bleibt – Fortschritt, Krise und Selbstverlust

In Zeiten radikalen Wandels – technologisch, ökologisch, existenziell – stellt sich eine alte philosophische Frage mit neuer Dringlichkeit: Was heißt es heute, Mensch zu sein? Dieser Text ist eine intime Reflexion über Fortschritt, Grenzen, das Dazwischen und das Unverfügbare – über das, was uns zu Menschen macht, gerade in dem Moment, in dem wir es aus der Hand geben.

Die englische Originalversion des Textes wurde am 17. 7. 2025 in Xavier Faltots Radioshow Cashmere Talks Zuper Wok #00: Escaping the Dark Hole gelesen. 

18. Februar 2023

Waffen und Moral

Wie wären Panzer und Haubitzen philosophisch zu bewerten?

Eine Zeitenwende ethisch betrachtet

Von einem langen europäischen Frieden verwöhnt, haben wir es uns angewöhnt, Waffenlieferungen in Kriegsgebiete für verwerflich zu halten, oder ganz kurz gesagt – Waffen überhaupt. Da ist immer auch ein bisschen Kapitalismuskritik dabei und die ist nicht unberechtigt, denn es ist schwer erträglich, dass es Leute gibt, die mit dem Tod eine Menge Profit machen. Ich denke also, dass man es ganz absolut gesehen erst einmal rechtfertigen kann, Waffen generell abzulehnen. Denn gäbe es gar keine Waffen, dann wäre die Welt vermutlich ein besserer Ort. Vor dieser Logik ist jede zusätlich produzierte oder gelieferte Waffe eine mehr, die uns weiter weg von unserem Sehnsuchtsort einer besseren Welt bringt.

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C-17 Globemaster, Ungarn (gemeinfrei, U.S. National Archives)

Nun leben wir in einer Welt, in der absolute Standpunkte, wie beispielsweise gesinnungspazifistische Standpunkte, nicht leicht zu vertreten sind, denn die Wechselwirkungen, in die alles in dieser inzwischen sehr verdichteten Menschenwelt verwoben ist, zeigen jedem Standpunkt Konsequenzen auf, die der den Standpunkt einnehmende nicht wünschen oder manchmal nicht einmal akzeptieren kann. Bleiben wir bei unserem gesinnungspazifistischen Beispiel: In einer Welt, in der "die anderen" Waffen haben und einsetzen, drohen ganz offensichtliche unwünschbare Konsequenzen, wenn man selbst auf seiner friedlichen Insel radikal pazifistisch ist und sich nicht darauf vorbereitet, sich im Ernstfall verteidigen zu können.

9. Juli 2022

Maschinen, denken, Tod

Individuen, fühlen, Leben

Dies ist ein Update zum Artikel Von der Sorge und vom Denken vom 22. Mai 2022. Dort beschrieb ich u.a., wie Hannah Arendt das Denken als eine Art ethischen Imperativ sah, denn das Denken ist Voraussetzung für das gelingende Ringen um richtig oder falsch im Individuum. Wer nicht denkt, kann nicht moralisch fundiert handeln.

Beispielhaft wurde das für sie in der Figur Eichmanns, dessen Prozess in Jerusalem sie begleitete. Hier war ein durchschnittlicher Mensch von normaler Intelligenz, der das Zwiegespräch über richtig und falsch in sich selbst abgebrochen hatte und sich so zu einem gut geölten Rädchen in der Holocaustmaschine der Nazis hat machen lassen. (Von der Sorge und vom Denken)

Apropos Maschine

Die Maschine hat dem Individuum hier das Denken gewissermaßen abgenommen. Sie entlastet, wie Arnold Gehlen sagt, den Menschen vom Denken und das gebiert mitunter grausame Unmenschlichkeiten, wie wir z.B. am Holocaust sehen. 

Auf eine paradoxe Art führt uns das zu einem weiteren Grund, warum das Denken so unpopulär geworden ist. In seiner Vorlesung Einführung in die Systemtheorie (siehe oben: original Tonaufnahme aus dem Wintersemester 1991/92 an der Universität Bielefeld) geht Niklas Luhmann (ungefähr ab Minute 50 in der Aufnahme, siehe Markierung oben im Player) darauf ein, dass das rationale Denken im Westen – obschon im Aufschwung befindlich – spätestens seit und mit der Romantik immer auch deskreditiert wird.

21. Mai 2020

Fortschritt und Enttäuschung

Modernisierung als Entlastung und Verdichtung

"Sie wollten den Fortschritt und 
was sie bekommen haben, 
ist die Komplexität." 
(Peter Sloterdijk)


In diesem Artikel werden wir sehen, wie der falsche Begriff zur falschen Zeit eine ganze Gattung an einen Abgrund von unermesslichen Kosten und tiefer Enttäuschung führt.

 
Fortschritt ist etwas, ohne das wir uns heute gar nicht denken können. Wir verstehen uns als Ergebnis und Urheber des Fortschritts. Er muss überall sein, ansonsten macht unsere Existenz keinen Sinn. Und er weist immer linear von einem defizitären Moment aus der Vergangenheit in einen besseren Moment in der Zukunft. Dabei war bis zur Antike nur eine runde Sache eine gute Sache. Die Welt war gut und alle Entwicklungen liefen als ewige Wiederholungen ab. Das war das große Rad des Lebens. Heute kennen wir das nur noch aus dem Recycling und auch das ist nur nötig, weil wir das Ressourcenproblem (die Erde als ein geschlossenes System) noch nicht gelöst haben. Diesen Rohstoffkreislauf werden wir aber mit Müllkippen auf dem Mond und Rohstoffminen auf anderen Planeten auch bald abschaffen. Woher kommt dieses Denken in geraden Linien, dieses Denken in Bahnen des Fortschritts, das uns unermessliche Schulden und eine tiefe Enttäuschung einbrachten? Peter Sloterdijk macht dafür einen tiefgreifenden Sinneswandel am Beginn der Moderne verantwortlich:

22. Februar 2020

Psychologie und Philosophie der Pferdestärken

Das Auto als Mutterersatz und Antidepressivum?

Wir haben ein Auto. Meistens steht es rum, in unserer Freizeit bringt es uns in den Wald, an den See oder in den Urlaub. Werden wir Menschen das Auto jemals wieder loswerden können? Das frage ich mich manchmal, wenn ich einerseits sehe, wie wenig sinnvoll, wie klimaschädlsich ein eigenes Auto ist und wenn andererseits klar ist, dass es industriell gar keinen Schwenk weg vom Auto gibt. Statt vernunftorientiert in der Breite auf öffentliche Verkehrsmittel zu setzen, sehen wir momentan das Hinüberretten des Individualverkehrsmittels Autos in eine Zeit, nach dem Verbrennungsmotor. Das lässt vermuten, dass es beim Individualverkehr gerade nicht um Vernunft geht. Was steckt denn vielleicht philosophisch und tiefenpsychologisch hinter diesem Fetisch Auto?

Fetisch Auto: Ausschnitt aus "Natural Beauty" von Sebastian Schrader

1. Juli 2019

„We are nature defending itself“

Auf dem Weg zu einem neuen Naturverhältnis

Dieser Text von Christoph Sanders und Martin Krobath erschien zuerst in der Ausgabe 2/2019 des philosophischen Wirtschaftsmagazins Agora42.

Die Kamera wackelt und zoomt näher an eine erschöpfte junge Frau im Wald. Eine Stimme bittet sie: "Magst du erzählen, was gerade passiert ist?" Winter, so steht ihr Name unter dem Videoclip, ist offensichtlich gerade von Polizisten aus ihrem Baumhaus im Hambacher Forst geräumt worden. In voller Kampfmontur, die Frau an Körpergröße weit überragend, stehen zwei Polizisten neben ihr. Sehr bewegt und mit großer Bestimmtheit erklärt sie in die Kamera, warum sie sich gegen die Rodung des Waldes einsetzt:

Aktivistin Winter UP22 berichtet von Räumung im Hambacher Wald (Quelle: Politische Bildung)

In diesem Statement wird klar, dass Winter nicht wegen abstrakter Messungen zum Klimawandel einen Baum besetzt hat, sondern dass es ihr vielmehr um die Frage geht, wer wir als Mensch sein wollen und wie wir uns zur Welt und zur Natur in Beziehung setzen. Damit wird ein Aspekt sichtbar, der bislang in der Diskussion um Klima und Natur wenig präsent ist: Wie wir mit Natur umgehen, hat direkt etwas mit uns selbst zu tun, mit unserem Bild von der Welt und unserem zwischenmenschlichen Umgang.

9. Juni 2019

Das große Andere

Shoshana Zuboff: Es will uns lediglich automatisieren!

Wie Jonathan Franzen in "Purity" (auf Deutsch: "Unschuld") warnt die Sozialpsychologin und Philosophin Shoshana Zuboff vor einem technischen Totalitarismus, der uns längst schon konsumiere. Orwell habe – so wie wir alle – in die falsche Richtung geschaut, als er in 1984 vor einem neuen Totalitarismus in Form eines Big Brothers warnte. Der Totalitarismus, vor dem wir Westler uns fürchteten, ist der altbekannte Staatsterror mit Überwachen und Strafen, so wie wir das vielleicht von Nord Korea annehmen und in China sehen können. Zuboff meint in ihrem neuen Buch Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, dass die auf den Staatsterror fokussierte Angst eine offene Flanke gegenüber einer ganz neuen Bedrohung gelassen habe, der wir nun beinahe ungeschützt ausgeliefert sind: dem Überwachungskapitalismus, wie sie das nennt.

5. Juli 2018

Wie es kam, dass wir die Erde beherrschten

Ein Mängelwesen wird durch Fiktionen zu Gott

Wer Geist und Gegenwart kennt, weiß, wie sehr es mir die Philosophische Anthropologie angetan hat, also die Frage: Was ist der Mensch? Bei aller Skepzis am Humanismus, also der religiösen Verherrlichung des Menschen und seiner unteilbaren Würde, ist es doch zulässig und eigentlich auch unumgänglich festzustellen, dass dem Menschen eine Sonderstellung im uns bekannten Kosmos zukommt. Katzen sind niedlicher und weicher, Hunde irgendwie knuffiger und liebenswürdiger, Gazellen sind schneller und Fische können besser unter Wasser atmen und schwimmen. Menschen jedoch beherrschen ganz buchstäblich die Welt mit allen Vor- und Nachteilen, die das für alle bringt.

Auf dieser Platte finden wir das Geheimnis unserer göttlichen Macht (Quelle: NASA, gemeinfrei)

Von den Vorteilen, ein Mensch zu sein

Vielleicht muss man zu den Vorteilen noch etwas sagen, denn die Nachteile für alle, die keine Menschen sind und auch für viele Menschen, liegen ja auf der Hand. Ein riesiger Vorteil für den Menschen selbst ist, dass es ihm gelungen ist, wie der Comedian Louis CK festgestellt hat, sich selbst aus der Nahrungskette herauszunehmen. Das sei ein "massive upgrade", so CK. Für die meisten Tiere ende das Leben damit, gefressen zu werden, nur Menschen stürben regelmäßig alt im Bett und könnten sich weinerlich von ihren Liebsten verabschieden. Da hat er schon Recht, ich würde es auch hassen, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit immer aufpassen müsste, dass ich nicht von Raubtieren angefallen und aufgefressen werde. Und auch, anderen aufzulauern, um ihnen die Kehle durchzubeißen, würde mir nicht immer gefallen.

27. Juni 2018

FOMO, die Suche nach der besten aller möglichen Welten

Ein Artikel von Keyvan Haghighat Mehr

Marcus Tullius Cicero ließ sich Briefe aus Rom schicken, wenn er mal nicht zugegen war, um über jegliche Geschehnisse informiert zu werden. Gute zwei Jahrtausende später fragt man nicht mehr nach Briefen, sondern bekommt sie einfach – rund um die Uhr, wenn man das möchte – und auch nicht nur dann, wenn man gerade nicht da ist.

Wofür sich Cicero entschied, war, an zwei Orten gleichzeitig zu sein – psychisch in Rom, physisch wo auch immer er gerade hin verreist war, denn er hatte wohl Angst, etwas zu verpassen. Angst davor, nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein, wenn er wieder zurückkehrte, denn das nicht informiert Sein resultierte vielleicht in schlechtem Ansehen, verschlechtertem zwischenmenschlichen Dasein.

Die Menschen des zweiten Millenniums würden bei ihm wahrscheinlich FOMO diagnostizieren – die fear of missing out – die Angst davor, etwas nicht zu erleben und vor den dadurch auftretenden Konsequenzen. 

11. Februar 2018

Fortschrittsmüde? Bitte wach bleiben!

Warum wir das Vertrauen in die Zukunft verlieren

Warum haben die Römer vom ersten Aufbruch nach Norden ca. 400 Jahre gebraucht, bis sie über den Kanal nach Großbritannien übersetzten, während Kolumbus im Jahr 1492 in nicht einmal 10 Wochen einen neuen Kontinent entdeckte? Der Grund ist derselbe, weshalb wir heute in einer Wissenschafts- und Fortschrittsgesellschaft leben: Wir wissen um das Unbekannte da draußen. Wir streben an, es zu finden, zu kartografieren und so zum schon Bekannten hinzuzufügen.

Erst blinde Flecken machen Lust auf Entdeckung (Frederick de Wit, 1662)

25. Mai 2017

Ein kurzes Vibrieren vom Glück entfernt?

Ein Artikel von Sara Volkmer. Sara brennt für die wissenschaftliche Untersuchung der positiven Aspekte des menschlichen Erlebens und Verhaltens und arbeitet deswegen an einer Studie, die Zusammenhänge zwischen Glückserleben und Handynutzung aufdecken möchte. Und ihr könnt dabei mitmachen (Update 1. 6. 2017: Umfrage inzwischen beendet) und nach Ausfüllen des kurzen Tests sofort eure Auswertung lesen! Ich hab das getan und fand es faszinierend. Aber lest erst einmal selbst:


Erfahre, wie glücklich oder unglücklich dich dein Handy macht!  

Smartphones sind heutzutage aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie sind ja auch super praktisch. Man kann schnell ein Foto machen, oder nachschauen, wie man am schnellsten nachhause kommt, wann der Hausarzt offen hat und wie die Kinder von Angelina Jolie heißen. Manchen Leuten wird die Omnipräsenz des Smartphones allerdings zu viel, sodass es inzwischen sogar Apps gibt, die einen für das Ignorieren des Smartphones belohnen. Beinahe jeder hat eine Meinung zu Handys und wie sie sich auf die Lebensfreude wohl auswirken, aber niemand weiß irgend etwas genaues, weil die Forschung dazu fehlt. Mich interessiert, ob es tatsächlich einen direkten Zusammenhang zwischen individuellem Wohlbefinden und dem Ausmaß der Handynutzung gibt und ob es dabei eine Rolle spielt, wie achtsam eine Person ist.

28. März 2017

Die Angst vor der unmenschlichen Stadt

New York City: Hart aber schön

Wenn morgens um 6 Uhr das Heulen der Sirenen zunimmt und das laute Geratter der Baumaschinen bis ins Bett im 20. Stock meines Hotelzimmer vordringt, suche ich tastend nach meinen Kopfhörern, damit ich einigermaßen human mit Naturgeräuschen aufwachen kann. New York ist eine harte Stadt. Und das liegt nicht nur an dem Blizzard, der gerade überall zerfetzte Plastikplanen durch die eisigkalten Häuserschluchten treibt. Es liegt auch nicht nur an den langen scharfen Schatten, die die Wolkenkratzer in die Schluchten werfen, in denen die Menschen zur Arbeit eilen. Es liegt auch nicht nur an den hohen Preisen überall – ein Frühstück kriege ich hier nicht mehr unter 20 Dollar und ein bescheidenes Abendessen liegt schnell bei 40 Dollar.

Interstate 495 W nach NYC: Man hat Glück, wenn man abends in die City will (G. Dietrich CC BY-SA 2.0)

Die Mieten sind exorbitant. Ein Kollege zahlt über 700 Dollar pro Monat für ein Zimmer einer Wohnung, die er sich mit drei anderen in Brooklyn teilt. In Manhattan, wo sich das Büro befindet, wären es 1000 Dollar oder mehr für ein Zimmer. Man sieht entsprechend viele Obdachlose und eigentlich kann sich niemand in der City leisten, dort zu leben, wo er auch arbeitet. Lange Pendelzeiten und Dauerstaus morgens und abends sind nur die offensichtlichste Folge.

Die Härte kommt auch aus einem sehr individualistischen Dahinhetzen. Kopfhörer auf, Augen auf dem Smartphone, ständig in Eile, immer den direkten Weg durch die Menschenmassen und die hupenden Autos. Für rote Ampeln ist keine Zeit, allein auf dem Weg schnell ein Stück Pizza reinschieben, weiter laufen. Never stop! Interessanterweise schaffen es die New Yorker dann aber meistens doch, freundlich zu bleiben, wenn man mal aneinander rempelt oder jemanden mit einer Frage aufhält. Als Besucher genieße ich New York, die Energie und Vielfalt der Stadt, die Aufregung und die Freundlichkeit in den Gesprächen. Aber würde ich hier leben wollen? Eher nicht.

12. November 2016

Was ist Künstliche Intelligenz und was heißt das für uns?

Wenn Utopie und Dystopie in der Technik zusammenkommen

Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Robotik werden die meisten von uns arbeitslos machen und den Rest von uns in extreme Gering- und extreme Hochverdiener spalten.

Nein, das ist nur die vierte Stufe einer industriellen Revolution, von der wir alle in ungeahntem Ausmaß profitieren werden.

Das waren in etwa die zu erwartenden Positionen auf der Littler Konferenz in Berlin letzte Woche zur Frage, welche Herausforderungen Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Robotik an unsere Gesellschafts- und speziell die Arbeitsorganisation und Legislative stellen. Wer hat nun Recht, der Pessimist mit seinem Szenario von Arbeitslosigkeit und weiterer gesellschaftlicher Spaltung oder der Fortschrittsoptimist? Nun, die Antwort lautet wie immer: Es kommt darauf an. 

Ganz so harmlos wird die Zukunft wohl nicht aussehen

30. Oktober 2016

Postwachstum: Müssen wir uns gesundschrumpfen?

"Degrowth" statt "Wachs oder stirb!"

Die Ausbreitung des Ökologischen Imperativs über die letzten 30 Jahre kann sich den kapitalistischen Entfremdungsdynamiken nicht entziehen. Wie alles gut gemeinte, kann das populäre Ökobewusstsein unter dem Strich nicht mit ausschließlich gewünschten Ergebnissen, also etwa gesunkenem Ressourcenverbrauch oder mehr Natur punkten: Windparks statt Wälder, SUVs statt Käfer und Billig-Bio im Discounter. Zugrunde liegt auch ein Prinzip, nachdem uns effizientere Technologien nicht zum Sparen bringen, sondern dazu, mehr davon zu nutzen und damit zum selben oder zu einem größeren Ressourcenverbrauch zu kommen.

Was hat die Schnecke dem Menschen voraus? Sie kennt keinen Konsumstress zum Beispiel.

Es ist so ähnlich, wie wir auch nicht mehr Freizeit dadurch bekommen, dass wir die Dinge nun schneller erledigen können, denn wir machen dann eben einfach mehr und kommen so unter Zeitdruck. Und wie ökologisch (un-) verträglich die Fertigung und Entsorgung all der Akkus für unsere Elektroautos sein wird, die nun bald den Verbrennungsmotor ersetzen sollen, wird sich noch zeigen. Der Post-Wachstums-Blues macht sich breit.

21. Oktober 2016

Der allwissender Gott – Reloaded

Technische Trenszendenz und Weltgewissen

Ich mag den neuen Peter Sloterdijk, der sich in seiner Essay-Sammlung Was geschah im 20. Jahrhundert? als Konservativer im ökologischen Sinne outet. In einigen Essays des Buches äußert er sich mahnend dazu, was es für uns Menschen heißt, ein ganzes geologisches Erdzeitalter als Anthropozän zu prägen oder wie kurzfristig unser Leben der Verschwendung und jenseits jeder Normalität sein dürfte.

Sputnik 1: "Dawn of the Space Age" (Gregory R Todd CC BY-SA 3.0)

Im Essay "Starke Beobachtung: Für eine Philosophie der Raumstation" (kann auch in der NZZ nachgelesen werden) bringt Sloterdijk eine unerwartete Parallele ins Spiel – die von Technik und Gott, oder genauer gesagt von Satellitentechnik und einem allwissenden, alles sehenden und am Ende jeden richtenden Gott. Sloterdijk geht darin über die bisherige Technikphilosophie hinaus, die Technik immer als Prothesen und Erweiterungen der menschlichen Sinne und Aktionsradien beschreibt. Zum einen ist die Raumstation keine bloße Erweiterung menschlicher Fähigkeiten oder ein Vordringen in neue Räume, sondern ein wirklich neues Erschaffen von "Weltraum", in dem sich der Mensch aufhalten kann: "Die Einpflanzung einer Welt in ein vormaliges Nichts" (Sloterdijk, S. 179). Zum anderen ist es die erste wirklich gottgleiche Perspektive, die hier von Menschen erschaffen wird. Während sich die verschiedenen Religionen noch streiten und im Kern erodieren (Wer fühlt sich heute schon in seinem sündhaften Treiben von oben beobachtet?), "hat die Astronautik bereits eine pragmatische Form von gemeinsamer Transzendenz hervorgebracht, die alle [...] in gleichem Abstand umkreist und gleichmäßig überblickt."

16. September 2016

Wer hat Angst vor Cookies?

Wie viel Sorgen müssen wir uns um unsere Privatsphäre machen?

Das gerade erschienene Philosophie Magazin trägt den Titel "Wie berechenbar sind wir?" und hebt damit auf eine Angst ab, die sich inzwischen in den Mainstream reingefressen hat. Dabei haben es der Redaktion besonders die sogenannten Cookies unserer Internet-Browser angetan. Und es stimmt schon, dass es die Cookies sind, die bestimmte Aktionen unseres Surf-Verhalten aufzeichnen und diese Informationen zur Verwendung durch den Website-Anbieter bereit halten. Dadurch müssen wir uns z.B. nicht immer wieder neu anmelden, wenn wir eine Seite wie Amazon wiederholt besuchen und können dort andere personalisierte Services wie virtuelle Warenkörbe und flüssige Navigation sogar nach einem Verbindungsabbruch nutzen.

Eine gespenstische Herrschaft der Cookies?

Chefredakteur Wolfram Eilenberger sieht gar Gott im Cookie wieder auferstehen und auch Maurizio Ferraris, ein Vertreter des neuen Realismus, sieht eine gespenstische Herrschaft durch die Cookies.

29. August 2016

Die Vermessung des Angestellten

Welche Daten zukünftig über uns erhoben werden

Secrets are Lies
Sharing is Caring
Privacy is Theft
The Circle

Mein berufliches Spezialgebiet ist derzeit, was man auf Business-Deutsch People Analytics nennt. Einige von euch kennen noch den Vorgänger aus der BWL, Fachrichtung Personalwesen, als "Kennzahlen-Reporting" oder so. Geschäftsführer wollten damals wissen, wie viele Leute eigentlich im Betrieb arbeiten (es gibt immer noch Unternehmen, die das nicht wissen), wie viele im letzten Monat krank waren und was der ganze Spaß gekostet hat.


Big Data als Fetisch in HR, hier Visualisierung einer Netzwerkanalyse (Wikipedia)

Heute ist das oft schon ein bisschen weiter. Die am weitesten verbreitete Frage der People Analytics ist heute die nach der sogenannten Attrition. Das ist ein Begriff aus dem Militär und bedeutet so viel wie Abrieb, Verschleiß – Schwund also. Bei den sich sorgenden Arbeitgebern ist das der Teil der Mitarbeiter, die das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlassen. Unter uns Personalern ist das so ein typischer Fetisch: Sag mir deine Attritionrate und ich sage dir, was für ein Arbeitgeber du bist. Dahinter steht die Annahme, dass Arbeitgeber mit guten Bedingungen, interessanten Aufgaben, einer transparenten Geschäftsführung und angemessenen Vergütung relativ geringen Schwund haben.

12. August 2016

Donald Trump ist ein Politroboter aus der Zukunft

Die Künstliche Intelligenz hat noch ein paar Bugs

Es ist oft beobachtet worden, dass Donald Trump kein Politiker (im herkömmlichen Sinne) ist, etwa mit Überzeugungen, Werten oder einer Agenda. Vielmehr erstaunt er alle Beobachter dadurch, wie er innerhalb von wenigen Minuten eine Sache und ihr Gegenteil behaupten kann und wie er es schafft, selbst Verbündete zu erbitterten Gegnern zu machen. Das liegt vor allem daran, dass seine Agenda keine andere ist, als Aufmerksamkeit zu erzeugen und zu erhalten. Aber damit gibt es ein Problem...


Trump mag zwar keine Überzeugungen und Werte haben, aber er hat eine binäre Methode. Cathy O'Neil (aka Mathbabe) hat gezeigt, dass hinter Trump ein ganz einfacher, aber fehlerhafter Algorithmus stecken könnte. Cory Doctorow von Boingboing erklärt die Technik so:

27. Juli 2016

Die drei Phasen des Feuers

Eine Grundfrage der Philosophie: Was ist der Mensch?

Von Marian E. Finger

Seit mehr als zweitausend Jahren diskutieren Philosophen, Theologen und Wissenschaftler über diese Frage. Meistens geht es darum, ob der Mensch durch Gott, die Seele oder sein Schicksal, durch Gene oder Umwelt oder durch seinen freien Willen bestimmt ist. Die verschiedenen Positionen sind entweder idealistisch oder materialistisch oder eine Mischung aus beidem. In der Nacherzählung unserer Menschwerdung zeichnet sich eine weitere Perspektive ab, die den klassischen Gegensatz zwischen idealistisch und materialistisch auflöst und den Menschen stattdessen einfach als evolutionsbiologische Neuheit begreift.

Eine übermächtige Erscheinung: Waldbrand (John McColgan, 2005)

Die Geschichte unserer Menschwerdung begann vor etwa fünf Millionen Jahren, als unser schimpansenähnlicher Vorfahre sein Leben in den Regenwäldern aufgab und in die Savannenwälder zog. Was er dort suchte, war die Nahrung, auf die er sich spezialisiert hatte, eventuell war es die Yamswurzel. Das Leben in den Bäumen gab der Waldaffenmensch deswegen noch lange nicht auf. Erst zweieinhalb Millionen Jahre später entwickelte er mit dem aufrechten Gang, dem schwächeren Unterkiefer und einem größeren Gehirn die ersten menschlichen Züge. Es ist kein Zufall, dass das Auftauchen dieser Merkmale mit dem Beginn einer neuen Eiszeit in eins fällt. Die Vereisung des Nordpols führte in Afrika zu einer langanhaltenden Dürre, die die Fruchtbäume in den Savannen verschwinden ließ und unseren Vorfahren endgültig auf den Boden zwang.

Neben Tundra, Taiga und Steppe ist die Savanne ein Ökosystem, in dem Feuer ein häufig auftretender Umweltfaktor ist. Vor zweieinhalb Millionen Jahren begegnete unser Vorfahre in der nunmehr von extremer Trockenheit geprägten Savanne dem Phänomen, das seinen weiteren Werdegang entscheidend prägte: dem Feuer.

17. Juli 2016

Die Zeit kommt aus der Zukunft

Gespräche zum Akzelerationismus und zum Augenblick

"Wer es rundweg ablehnt zu spekulieren, 
liefert sich dem Gegebenen aus. Der spekulative
Realismus entdeckt neue Möglichkeiten, indem
er eine neue Zeit denkt." (Armen Avanessian)

Ein gutes philosophisches Gespräch zeichnet sich dadurch aus, dass der Zuhörer hin und her gerissen ist und nicht weiß, wem er Recht geben soll. Solch ein Gespräch findet sich im aktuellen Philosophie Magazin zwischen dem "Resonanztheoretiker" Hartmut Rosa und dem "Akzelerationisten" Armen Avanessian. Schon die beiden Begriffe Resonanz und Akzeleration (Beschleunigung) scheinen miteinader in Feindschaft zu stehen: Der erste Begriff zielt auf ein "orphisches" Weltverhältnis des "Hörens und Antwortens" ab (und was könnte daran falsch sein?!) und der andere Begriff zielt auf die "prometheische" Machbarkeit durch Technik und eine Verfügbarkeit über die Zukunft. Schließt sich das gegenseitig aus? Meine Oma hätte gesagt: Alles zu seiner Zeit!

Armen Avanessian und Svenja Flaßpöhler im Gespräch (Foto: Gilbert Dietrich)

Apropos Zeit: Wo kommt die Zeit her? Läuft sie aus der Vergangenheit durch uns in die Zukunft? Diese Frage stellte Avanessian heute beim Sonntags-Talk der School of Life in Berlin und beantwortete sie gleich: Die Zeit komme aus der Zukunft auf uns zu und fließe in die Vergangenheit ab. Wenn wir zurück in die Geschichte blicken, dann können wir sehen, wie sich die alte Zeit dort sammle. Was aber heißt das für unser Handeln? Vor allem, dass wir es an der Zukunft ausrichten müssen, denn die Vergangenheit kann uns kaum die Antworten geben, die den heutigen Anforderungen ans Morgen genügen. Und das ist der Grund, warum Avanessian den Trend so stark angeht, den er Achtsamkeitsfanatismus nennt. Während wir meditieren oder Achtsamkeit üben, wird über uns weiter verfügt, sagt Avanessian auf dem Podium. Oder im Philosophie Magazin:

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