27. April 2014

Die dumme Freude über das schöne Wetter

Ein Wetterwechsel aber genügt, um die Welt und uns selbst gleichsam neu zu erschaffen. 
Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Einfache Freuden (Foto von Martin Talbot via Flickr, Lizenz: CC BY 2.0)

Gibt es nichts Wichtigeres, als das Wetter?

Heute saß ich dösend auf meinem kleinen Balkon zu ebener Erde, vor mir das Gras, der Kirschbaum, die Brombeersträucher. Vögel trällerten ihre Frühlingslieder, die Wolken zogen von Westen über das Blau und wechselten sich ab mit intensiver Sonne. Von hinter dem Haus drangen die Stimmen spielender Kinder herüber, die Bienen summten durch die Blüten um mich herum und ein Flugzeug zog unsichtbar, aber dennoch entfernt hörbar durch die Stratosphäre über mir. Der Sommer kommt und das macht mich glücklich.

Die Freude, die gutes Wetter in uns erzeugen kann, ist auf eine Art absurd. Dankbarkeit für die Sonne gehört in eine Kategorie ganz bescheidener und einfacher Erfüllung. Aus intellektueller Perspektive ist es verführerisch, die Wichtigkeit von Wetter völlig zu leugnen und sich statt dessen auf die vermeintlich substantiellen Probleme wie Wirtschaft und Politik zu konzentrieren, die unsere Leben viel stärker bestimmen. Es sollte uns doch möglich sein, über solchen kleinen Frustrationen wie 11 Tage Regen und ein hartnäckiger Nord-West-Wind zu stehen.

In Wirklichkeit aber, zeigt unser Verhalten eine Hingabe an eine ganz einfache Wahrheit: Unser Vertrauen in uns selbst und unsere Zukunft hängt ganz oft von nichts größerem als der Anzahl der Photonen und der Wärme auf unserer Haut ab. Hitze, eine angenehme Briese, intensives Sonnenlicht und frische Blumen können eine entscheidende Rolle dabei spielen, uns zu ermutigen und nicht aufzugeben. (The Philosophers' Mail)

Es ist keine ganz neue Erkenntnis, dass unsere Stimmungen und unser Wohlbefinden, sogar unsere Gesundheit von so simplen Dingen wie dem Wetter abhängen. Bedenkt man, dass wir ursprünglich Naturwesen sind, dann verwundert es auch gar nicht, denn die Zyklen der Natur spielen in den Lebenszyklen der Tiere - sei es Winterschlaf, Paarungszeit, Nahrungsfülle und -knappheit - eine entscheidende Rolle. Unsere kulturellen Errungenschaften wie Kleidung, Nahrungskonservierung, künstliches Licht und beheizte Räume haben uns etwas vom Rhythmus der Natur emanzipieren können. In den ganz tiefen Rhythmen unserer Stimmungen und Lebensenergien geben die natürlichen Zyklen aber immer noch den Ton an.

Ich habe lange Zeit in Irland gelebt und meine Frau kommt von der französischen Mittelmeerküste. Im Vergleich fällt mir der kulturelle Kontrast auf, der nicht zuletzt auch aus dem Wetter resultiert: In der Provence ist man den ganzen Tag draußen, sonnt sich im Garten oder am Strand, sitzt im Straßen-Café und beobachtet die Leute, die alten Herren trinken Pastis und spielen Boule auf dem Dorfplatz. In Irland befindet man sich dagegen viel mehr in Gebäuden. Um der Geselligkeit willen hat sich die sogenannte Pub-Kultur herausgebildet: Man sitzt sonntags ab dem Vormittag in einer dunklen Kneipe und schaut Pferderennen oder Fußball. Ich weiß, was ich bevorzuge. Dass aber eines der beiden Völker viel glücklicher sei, als das andere, ist mir nicht aufgefallen. Iren sind ja für ihre gute Laune bekannt und Franzosen eher für ihren Pessimismus und ihre Unzufriedenheit. Was aber allen - ob Deutschen, Iren oder Franzosen - gemein ist: Sobald die Sonne rauskommt, fühlen wir uns besser und optimistischer, als in der Winterzeit mit Dunkelheit, Kälte und Schnee oder Regen. Vielleicht brauchen wir sogar diese Zyklen, um glücklich zu sein, also die Abwechslung von Wärme und Kälte, Sonne und Regen?

Natürlich ist mir klar, dass man von Luft und Sonne allein nicht leben kann und auch nicht glücklich wird. Andere Basisbedürfnisse wie Sicherheit, Schlaf und Essen müssen gedeckt sein, um überhaupt Zufriedenheit aufkommen zu lassen. Aber es stimmt mich dennoch sehr optimistisch, dass ich recht wenig benötige, um solch eine intensive Freude aufkommen zu lassen, wie ich sie heute Vormittag auf meinem Balkon gespürt habe. Das gibt mir Hoffnung, dass mein Leben immer okay sein wird oder ich zumindest immer die Möglichkeit habe, Zufriedenheit auf einem ganz basalen Level für mich herzustellen.

Übrigens soll es heute Abend regnen. Darauf freue ich mich auch schon: Was gibt es schöneres, als behaglich bei einem Tee und einem Buch im Zimmer zu sitzen und den Regen auf die Fensterbretter trommeln zu hören?

6 Kommentare:

  1. Wohl, war, wohl war...das schöne Wetter macht doch glücklicher als mancher glaubt. Dann freuen wir uns mal gemeinsam auf den Sommer und viele Stunden beim sonnigen chillen auf dem Balkon. Wünsche viele Sonne im Osten und Grüße in die alte Heimat.

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  2. Für mich ist das eine einfache Sache: Ich war mein Leben lang extrem wetterabhängig in meinen Stimmungen, wobei ich auch gutes Wetter schlechtes Wetter sein kann :-) Worum es dabei geht, sind für mich Licht, Licht, Licht. Die über lange Phasen bleigrauen Himmel Norddeutschlands oder des Bodensees würden mich in den Wahn treiben, auch in Asien gibt es diese trübwarmen, vollkommen verschleierten Tage. Andererseits bieten die grellen, wolkenlosen Mittelmeergegenden ohne Regen auch wenig Reiz. Am schönsten ist das Licht auf den Kanaren und in Spanien und vor allem Portugal an der Atlantikküste.

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  3. Sehr schön geschrieben. Und sehr wahr.
    Meine persönliches Wohlbefinden und damit oft auch meine Leistungsfähigkeit hängt relativ stark von der Witterung ab. Stärker als mir manchmal lieb ist.
    Für mich gilt besonders der letzte Absatz des Artikels: Der Tee, das Buch und vor allem der Regen.
    Interessanterweise deprimieren mich Sonnentage in der Regel, Hitze sowieso. Am wohlsten fühle ich mich bei Regen, Bewölkung, Schnee, Gewitter und anderem interessanten Wetter. Die Zeit meines psychischen Hochs beginnt Oktober und geht bist etwa Mitte März. Ich fühle mich also im Winter deutlich besser. Ich weiß, daß ich da eher die Ausnahme bin. Nichtsdestotrotz kann ich auch von dieser Warte die Abhängigkeit von Wohlbefinden und Glück vom Wetter bestätigen und die Jahreszeiten in unseren Breiten möchte ich auch nicht missen.

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    1. Danke Andreas, für deine Worte! Sehr interessant. Dann geht für dich ja jetzt die miese Sommerzeit los ;) Ich empfehle dir Irland, da gibt es wirklich sehr interessantes und abwechslungsreiches nass-kühles Wetter. Und die Wolken dort sind der Hammer!

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  4. Also ich muss sagen, ich fühl mich im Winter, bei Kälte, Schnee und Dunkelheit, wesentlich besser als im Sommer ;) aber der ganze Kult um's Wetter nervt mich, sobald die Sonne scheint müssen alle rausrennen und ach so fröhlich sein und wenn's dann mal zwischendurch regnet oder etwas kühler ist ist das ein halber Weltuntergang "Ooooh nein es ist gar nicht mehr warm oooh wie furchtbar dieses Wetter". Was aber am schlimmsten ist, ist wenn die Temperaturen täglich wechseln, dann lieber konstant warm oder konstant kalt, da kann sich mein Körper wenigstens mehr oder weniger dran gewöhnen, aber bei ständigem Wechsel fühl ich mich einfach nur schlecht :(

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  5. Ich glaube es gibt mehr Menschen die Wolken und Regen mehr lieben als die Sonnentage als man meint. Viele sagen es nicht, man will ja nicht depressiv erscheinen. Und wie schön einfach ist der small Talk mit dem Nachbarn übers Wetter... Stellen sie sich mal vor wir hätten jedes mal tiefgründige themeb wie Politik. Musikgeschmack ist auch zu komplex oder über Filme diskutieren? Sie wissen was ich meine.... beim Wetter sind sich immer alle einig, es ist immer zu heiß, zu kalt, zu nass.....
    Ich selber liebe die Dämmerung und Nächte, ich mag's warm aber gern bewölkt aus verschiedenen Gründen. Probleme mit Regen habe ich, wenn ich meinen Schirm vergessen habe und ich glaube viele Leute sehen das so. Aber Stellen sie sich mal vor wie der Nachbar guckt wenn sie sagen, ach so schöne Wolken hatten wir lange nicht, endlich mal ein Tag ohne Sonne . ;-)

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