24. Februar 2011

Damals, als alles schlechter war, war alles besser

Haben Sie kürzlich mal eine Kamera oder ein Fahrrad gekauft? Ich bin im Osten groß geworden. Da gab es Pentagon für Kameras und MIFA für Fahrräder. Beide Marken hatten ungefähr zwei Modelle für den typischen Konsumenten zur Auswahl. Was nicht nur uns Ostlern die letzten Jahrzehnte gebracht haben, ist unter anderem eine Menge mehr Möglichkeiten. Mehr Möglichkeiten und Wahlfreiheit sind großartig, vor allem, wenn man weiß, was man will. Und das gilt nicht nur für Konsumgüter (die nur der Einfachheit halber als Beispiele), sondern auch für Lebensstile, das Studium, das Arbeitsleben, die Religionen und so weiter. Ständig muss man sich entscheiden und das ist anstrengend. Insofern war "damals" zwar alles schlechter, aber irgendwie eben auch "besser". Folgende vier Dimensionen machen es uns schwer, mit den vielen Möglichkeiten glücklich zu werden:

Rennlenker? Alu? Hard Tail? Naben- oder Kettenschaltung?

Erwartung: Wenn man eine Riesenauswahl an Fahrrädern oder Kameras hat, dann erwartet man, dass die am Ende getroffene Wahl sozusagen perfekt ist. Die Enttäuschung ist da oft schon impliziert, denn die reale Auswahl kann am Ende die hohen Erwartungen nur schwer einlösen.

Kompromiss: Wenn man eine große Auswahl hat, muss man Kompromisse eingehen, eine Wahl darüber treffen, welche Merkmale einem wichtiger sind. Man kann nicht alles haben und je größer die Auswahl, desto komplizierter das Abwägen. Solange man nur die Wahl zwischen zwei Fahrradmodellen hatte, fiel die Wahl leicht und schnell. Jetzt kann ich Tage damit verbringen, Preise, Ausstattungen und Materialqualitäten zu vergleichen. Und immer muss ich Kompromisse eingehen. Das stresst.

Zweifel: Vor, während und nach der Entscheidung kann man ständig zweifeln und seine Entscheidungen hinterher sogar bereuen. Das paralysiert schon vor der Entscheidung viele und lässt manche hinterher mit der Entscheidung unglücklich sein. War es wirklich das am besten für mich geeignete Fahrrad? Hätte ich einen besseren Deal machen können? Ich kenne jemanden, der ein besseres Fahrrad für einen geringeren Preis bekommen hat.

Schuld: Nun, da ich eine Riesenauswahl habe und alle Sonderangebote im Internet nutzen kann, ist es meine eigene Schuld, wenn sich zum Beispiel herausstellt, dass mein Fahrrad nichts taugt oder überteuert war. Ich hätte ja eine bessere Wahl treffen können. Damals, als es nur zwei Modelle gab, waren sie erstens gleichermaßen schlecht oder gut und zweitens war es nicht meine Schuld, dass bei der geringen Auswahl nichts ordentliches rumkam.

Wie oben schon gesagt: Wenn man weiß, was man will, ist eine große Auswahl gut. Wenn nicht, hilft es, sich vorher über die vier Dimensionen im Klaren zu sein und Toleranz zu üben: Nicht zu viel erwarten, bei Kompromissen bereit sein, sich zu begnügen, nach einer Entscheidung nach vorne sehen und aufhören die Entscheidung zu hinterfragen. Dann können auch gar keine Schuldgefühle aufkommen.

Mehr zum paradoxen Verhältnis zwischen Wahlfreiheit und Glück findet sich auf Englisch bei Barry Schwartz, zum Beispiel hier [PDF-Link]: Maximizing Versus Satisficing: Happiness Is a Matter of Choice.

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