15. Januar 2023

Die Letzte Generation steht dem Bürger im Weg

Unsere Kids haben Angst vor dem Untergang ihrer Welt

"Einige Autofahrer schleppten Aktivisten von der Straße, bevor die Polizei anrückte. Die Demonstrierenden setzten sich daraufhin schnell wieder auf die Fahrbahn. Ein Mann sprach [...] die Aktivisten direkt an – sie müssten daran denken, dass die Leute einfach zur Arbeit kommen wollen. Dazu sagten die Demo-Teilnehmer, man müsse aber auch an die jungen Menschen denken, die bei der aktuellen Klimapolitik keine Zukunft hätten." (Berliner Zeitung)

Sie kleben sich auf der Stadtautobahn fest, sie behindern Flugverkehr und Kohlebagger, beschmieren sich mit Öl, besetzen Häuser – und sie verstoßen mit all dem gegen das Gesetz. Ein Angriff auf den Staat, ein Angriff auf uns alle! Bei FAZ, Welt und Cicero fliegt dem Bürger vom spitzen Kopf der Hut. Wieder einmal Weltende, aber diesmal anders. Die Hutschnur platzt schließlich, als dann auch noch Kunstwerke beschmutzt und versaut werden. Da fordern dann Journalisten und Staatsrechtler endlich ein härteres Vorgehen gegen Klimaaktivisten. 

Ölwahn – Aktion der Letzten Generation in Berlin (CC BY 2.0)

Die Formen und Ästhetiken des zivilen Ungehorsams sind dabei durchaus bemerkenswert. Es ist nicht so wie bei den Protesten "besorgter Bürger", die gerne andere an den Pranger stellen: Einwanderer, Politiker, Medien oder Wissenschaftler. Klimaaktivisten spielen mit ihrer eigenen Fragilität, sie kleben sich auf der Fahrbahn fest, schließen ihre Hälse mit Bügelschlössern an Gitter, graben sich in Tunnel ein oder besteigen schwankende Bäume. Der besorgte Bürger wäre für solch einen Protest mit dem eigenen Körper viel zu... na ja – besorgt um sein Wohlergehen. Die Klimaaktivisten scheinen zu zeigen, dass es schlicht keinen Sinn mehr hat, auf die eigene Unversehrtheit zu achten, wenn die Klimakatastrophe unser Leben verunmöglicht. 

Und die Kunstbeschmutzer? Auch sehr symbolisch! Wir fetischisieren klassische Kunst in Museen, retten sie vor der Zeit, restaurieren sie sogar immer wieder, um sie zu erhalten und zahlen unwirkliche Preise, um sie zu besitzen. Unsere Lebensgrundlage unterdessen und die täglich verschwindenden Arten? Keine Erhaltung, kein Restaurieren und immer noch die Ressource, aus der wir das letzte bisschen Geld pressen. Wie passend, wenn man dann die romantisierte Natur eines Monets oder van Goghs Sonnenblumen mit Suppe bespritzt.

Der Bürger ist König

Der Bürger flippt am ehesten dann aus, wenn er in seinem rechtmäßigen Tun behindert wird. Die Suppe auf den Mohnblumen kriegt man wieder weg. Aber eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf maximal 130 km/h wird bleiben, wenn sie einmal Gesetz ist. Und gerade das Festkleben auf den Straßen regt den Bürger auf, denn das behindert ihn auf dem Weg zur Berlin Mall oder zur Arbeit (beides eng miteinander im Zusammenhang stehend).

Daraus spricht ein "konservativer Liberalismus", wie die politische Philosophin Judith Shklar ein individualistisches Freiheitsdenken nannte, das "sich jeglicher kollektiven politischen Veränderung im Namen einer rein individuellen Freiheit" entgegenstellt (Hannes Bajohr, Ethik und Verantwortung. Der Klimawandel: Eine Ungerechtigkeit). Wir sehen diesen egoistischen Liberalismus (konservativ, also erhaltend, ist er ja gerade nicht) jetzt überall. Der Grundgedanke ist eigentlich: "der Kunde ist König" und "ich möchte mit ihrem Vorgesetzten sprechen!"

Ja, ich meine, dass der heute in diesen Auseinandersetzungen deutlich werdende Liberalismus eigentlich ein absolutistisches Konsumdenken ist. Freiheit ist etwas, das einem uneingeschränkt zusteht, das man jeden Tag aufs Neue anzapfen kann, für das man bezahlt hat oder in das man wie ein kleiner König hineingeboren wurde. Und da ist die Linie: Der Bürger wurde zum König durch das Geld. Ob durch Erbe, Arbeit, Begrüßungsgeld oder Schulden ist am Ende egal, wichtig ist nur, dass uns alles zusteht, weil wir ja auch für alles auf die eine oder andere Art bezahlen. Wäre es nicht schön, wenn man mit der Tabaksteuer auch gleich die Krebstherapie bezahlen könnte? Da ist immer noch die Sehnsucht nach dem Ablasshandel in uns. Das wird aber beim Klima nicht funktionieren, weshalb hier natürlich andere Formen des Protestes zum Tragen kommen.

Recht auf Zukunft

Der Klimawandel ist kein natürliches Unglück, in das man sich fügen muss, sondern eine menschengemachte Ungerechtigkeit, gegen die man sich auflehnen muss. Und es ist auch nichts, was in der Vergangenheit passiert ist, an dem man nun nichts mehr ändern kann. Daher sind hier ziviler Ungehorsam und damit auch das Brechen von Recht durchaus legitim, ja sogar moralisch geboten. Natürlich ist es RWEs juristisches Recht, die Kohle unter Lützerath abzubaggern und das bestreitet auch niemand, nicht einmal die Letzte Generation. Aber wie sollen denn diese Betroffenen mit der Rechteabwägung umgehen, wenn sie sehen, dass heutiges Recht regelmäßig das Recht auf die Zukunft dieser Generation untergräbt? Sollen sie zuschauen, wie wir baggern und Kohle verfeuern, obwohl wir so die auch gesetzlich festgeschriebenen Klimaziele nicht erreichen werden? Wahrscheinlich sollten sie besser so protestieren, dass es niemanden stört, dass niemandes Rechte eingeschränkt werden oder am besten gleich so, dass es niemand bemerkt.

Verdammt: Unsere Kids haben Angst vor dem Untergang ihrer Welt. Und zwar zu Recht. Wir Leistungsträger, Autofahrer und Sesselpupser haben dabei lediglich eine Rolle, wenn wir nicht helfen wollen: Fresse halten! Applaudieren vielleicht. Und dann die eigenen Ansprüche zurückschrauben. Es ist Zeit, vom eigenen Freiheitskonsum zurückzutreten und damit den nachkommenden Menschen eine Freiheit zu existieren einzuräumen.


Das passt dazu:

3 Kommentare:

  1. ad Freiheit) "Ohne Grenzen, keine Freiheit" und die Art des Individualismus, welcher heute als Anspruch gelebt wird, der hat etwas Grenzenloses an sich und führt zur Unfreiheit. Er führt direkt in einen faschistisch geprägten Dominanzanspruch.

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    1. So sehe ich das auch, daher der Begriff "autoritärer Liberalismus" oben. Danke für den Kommentar!

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  2. In der Vergangenheit war das Leben weniger vermittelt. Hat man falsch gehandelt, war man in der Regel selbst von den negativen Wirkungen betroffen. Diese unmittelbare Betroffenheit vom eigenen Fehlverhalten war lehrreich. Die Menschen waren in dieser Hinsicht "wissender" als wir heute, die wir "erfahrungsbasierte Evidenz" als Schmähausdruck verwenden. Glauben mussten sie damals nur an Gott. Heute glaubt keiner mehr an Gott (was ich nicht bedauere), aber glauben müssen wir heute eher mehr als damals - nämlich der politischen Wissenschaft (in Anlehnung an Marx politische Ökonomie). Wenn uns diese ihre Wahrheiten über die Gefahren und Verwerfungen unserer Lebensweise präsentiert, können wir dies oft gar nicht mit unserer erlebten Realität abgleichen. Ich habe tatsächlich keine schweren Corona-Fälle in meinem persönlichen Umfeld gehabt, obwohl dieses überwiegend maßnahmenkritisch geprägt und entsprechend sorglos im Umgang miteinander war. Aus Mangel an schlimmen Erfahrungen konnte ich die Warnungen von Politik und Wissenschaft immer weniger ernst nehmen, bis ich sie schließlich für maßlos übertrieben hielt (und bis heute halte). Auch den Klimawandel "erlebe" ich nicht als katastrophisch, weil er als Phänomen auch gar nicht erlebbar ist. Damit will ich ihn nicht leugnen, aber ich verstehe, warum so viele nicht wie die Aktivisten in Alarmismus verfallen. Die Klimaaktivisten berufen sich ständig auf die Wissenschaft und fordern alle anderen auf, man "müsse" dieser endlich glauben, was sie herausgefunden hat. "Tja", sagen da die anderen, die sich selbst wissenschaftlich nicht befasst haben und es so genau auch (noch) nicht wissen (wollen), "dann ist es wohl eine Glaubensfrage" - und weil es sich zu zweit auf 200qm noch recht komfortabel weiterleben lässt mit Klimaanlage und SUVs vor dem Haus, glaubt man halt auch noch nicht ganz so feste dran.

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