13. Februar 2011

Glück haben oder die Wahrnehmung des Unverhofften

Mit viel Glück: Sind die Amerikaner einfach nur verrückt oder clever?
Auf YouTube gibt es eine Aufzeichnung einer Rede des CEOs von Zappos, Tony Hsieh, bei Google. Man könnte sagen, Zappos ist in einiger Hinsicht verrückt, gerade aus deutscher Perspektive betrachtet: Sie verkaufen zwar Schuhe, ihr Motto ist jedoch "Deliver Happiness" - also Glück und Zufriedenheit bringen. Zappos betreibt das exzessiv und versucht wirklich jeden Kundenwunsch über zu erfüllen - und es funktioniert hervorragend. So etwas spricht sich herum und schlägt sich sehr bald in der Kundenloyalität und den Gewinnzahlen des Online-Händlers herum.

Entsprechend rigoros und kreativ ist auch der Einstellungsprozess für neue Angestellte. Zum Beispiel werden die Bus- oder Taxifahrer, die Bewerber zum Büro gebracht haben, befragt, wie sie von den Bewerbern behandelt wurden. Denn einer der Grundwerte der Firma ist: "Sei bescheiden." Eine für mich sehr interessante Frage im Einstellungsgespräch geht auf den Anspruch zurück, unternehmungslustig, kreativ und offen für neue Erfahrungen zu sein und lautet...

"Auf einer Skala von 1 bis 10 - Wie viel Glück hast du im Leben?"
  • 1: "Ich weiß nicht, warum ich immer Pech habe."
  • 10: "Irgendwie habe ich immer Glück im Leben."
Die Wahrnehmung des Unverhofften
Diese Einstellungsfrage basiert auf einer Studie von Richard Wiseman, einem Psychologen der University of Hertfordshire. Wiseman fand 400 Personen im Alter von 18 bis 84 Jahren, die von sich behaupteten entweder vom Glück oder vom Pech verfolgt zu sein. Wiseman behauptet durch Befragungen und Tests herausgefunden zu haben, dass zwar die Teilnehmer nicht wussten, warum sie so viel Glück oder Pech hatten, dass aber ihre eigenen Gedanken und Verhaltensweisen zum Großteil dafür verantwortlich waren und nicht etwa das Schicksal. Als illustrierendes Beispiel - und das ist der Punkt, an dem es für Zappos interessant wurde - nennt Wiseman folgenden Versuch:

Einer buntgemischten Gruppe von vom Glück oder Pech verfolgten Teilnehmern gab man eine Zeitung mit der Aufgabe, alle Fotos zu zählen, die sich in der Zeitung befanden. Was die Teilnehmer nicht wussten: Es war keine normale Zeitung, sondern sie war extra angefertigt und enthielt unter anderem folgende Überschrift: "Hör auf zu zählen, die Antwort ist 43." Ein paar Seiten weiter noch einmal: "Hör auf zu zählen. Sag dem Personal, dass du das hier gefunden hast und du gewinnst £250." Diese Überschriften waren extra groß und fett gedruckt und eigentlich nicht zu übersehen. Die Teilnehmer, die nach eigenem Glauben weniger Glück im Leben hatten, benötigten im Schnitt zwei Minuten, die vom Glück verfolgten jedoch nur einige Sekunden.

Die vom Pech verfolgten Teilnehmer hatten die komischen Überschriften jedoch gar nicht erst wahrgenommen und fleißig gezählt, während den Teilnehmern, die von sich behaupteten, oft Glück zu haben, die Überschriften häufiger auffielen, woraufhin sie früher fertig waren und noch extra Geld ausgezahlt bekamen. Wisemans - und auch Zappos - Schlussfolgerung daraus war nun, dass Glück haben damit korrespondiert, wie offen man Möglichkeiten gegenübersteht, die sich unverhofft bieten. Für die Firma ist das interessant, weil sich hier die Bewerber mit einer positiven und offenen Herangehensweise und einem Sinn für das Ergreifen von außergewöhnlichen Möglichkeiten schnell finden lassen. Darüber hinaus - und darauf ging der CEO natürlich nicht ein - sahen sich die Bewerber, die sich ohnehin vom Pech verfolgt fühlten, wieder einmal bestätigt. Denn sie bekamen den Job nicht, sondern die Glückspilze bekamen ihn. Frei nach dem unfairen Motto: Wer hat dem wird gegeben.

Die Prinzipien der Glückskinder
Wiseman meint weiterhin, dass vom Glück verfolgte Menschen in der Regel viel entspannter seien, während Angst, Besorgnis und übermäßiges Bemühen bei Menschen mit weniger Glück dazu führe, dass sie das Unerwartete erst gar nicht wahrnehmen würden. Wiseman fand vier "Prinzipien der Glücklichen":
  1. Ihnen fällt es leicht, außergewöhnliche Möglichkeiten zu erkennen oder zu erschaffen
  2. Sie treffen glückliche Entscheidungen, indem sie auf ihre Intuition hören
  3. Durch positive Erwartungen schaffen sie sich selbsterfüllende Prophezeiungen
  4. Sie sind nachgiebig gegenüber "Pech" und wandeln es um in "Glück" (Glück im Unglück)
Wisemans Hauptpunkt (Siehe Artikel im Telegraph) ist jedoch, dass man es lernen kann, mehr Glück zu haben - eine Chance, die man den Pechvögeln bei Zappos nicht geben will. Es ist eben doch eine Firma, die zuerst einmal Geld verdienen muss und dann erst Happiness unter die Menschen bringen kann.

Geld oder Liebe?
Übrigens: Hat man es geschafft, bei Zappos eingestellt zu werden und die erste interne Trainingswoche zu durchlaufen, werden einem 3000 Dollar angeboten, wenn man auf der Stelle hinschmeißt und Zappos nach dem ersten Training gleich wieder verlässt. Das klingt teuer und verrückt. Hsieh sagt jedoch, dass es sich rechnet und die Geldmenge sogar immer noch angehoben wird, weil nicht genügend der neu eingestellten das Angebot annehmen. Der Trick: Die, die das 3000-Dollar-Angebot ausschlagen und am Montag wiederkommen, haben eine bewusste Entscheidung getroffen, das Geld zugunsten der Zukunft in der Firma ausgeschlagen. Sie sind nun übermäßig motiviert, das Beste daraus zu machen. Sie - so die Theorie - sind einfach glückliche Mitarbeiter, die ihren Job lieben. Die anderen hatten wahrscheinlich während der ersten Woche festgestellt, dass es doch nicht das Richtige für sie war. Solche Mitarbeiter trotz ihrer Zweifel und geringen Motivation weiter zu beschäftigen, wird auf die Dauer mehr als 3000 Dollar kosten.

2 Kommentare:

  1. Ja, das Gas hab voll zu sehen, hilft wirklich weiter, so zumindest auch meine Wahrnehmung.
    Darf ich den letzten Absatz übermorgen auf Initiative Wirtschaftsdemokratie in Deinem Namen posten?
    Viele Grüße
    Martin

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