3. September 2011

Angst oder Tod: Plädoyer einer Getriebenen

eine Antwort auf Das Streben nach Glück (und Tod) von Eva-Maria Oberauer

Selbstakzeptanz. Überall wird heutzutage davon gesprochen. Zumindest von zahllosen Coaches und Selbsthilfebüchern. Wenn es nach ihnen geht, ist Selbstakzeptanz die höchste aller postmodernen menschlichen Qualitäten: Sei furchtlos. Sei nachsichtig mit dir selbst. Sei stolz auf das, was du erreicht hast, selbst wenn es gar nichts ist. Zuviel Getriebenheit treibt uns unweigerlich in den Wahnsinn.

Hör nur zu und lerne, stimmt mein innerer Coach dem eifrig zu.
SCHWACHSINN!! keift dagegen meine innere Schriftstellerin.

Denn wo wäre mein Leben ohne dieses nagende Schuldgefühl, das mich immer ausgerechnet dann anficht, wenn ich gerade ein wenig Spaß habe - mit Freunden, bei einer Party oder einfach nur auf der Couch beim unschuldigen Gedaddel in meinem Facebook-Account? Was wäre es ohne den unbändigen Drang, diesen Satz, diesen Absatz, dieses Manuskript nur noch ein einziges wirklich allerletztes Mal zu überarbeiten? Ohne die lähmende Angst mancher Tage, dass all die Mühen ohnehin umsonst waren, da ich ja eine einzige talentfreie Zone bin?

Mein Leben wäre glücklicher, könnte man jetzt sagen. Wahrscheinlich stimmt das auch. Aber diese glückliche Welt wäre auch eine ohne ein fertiggestelltes Buch - ohne eines, auf das ich so richtig stolz bin, weil jedes Wort aufpoliert ist wie Dagobert Ducks Taler.

Angstschweiß ist nicht nur der Treibstoff für Schriftsteller, sondern, wage ich zu behaupten, für viele, die sich ihre Ziele hoch stecken. Unlängst habe ich in Andre Agassis hervorragender Autobiographie dazu einen Textabschnitt gefunden, in dem ich mich sehr stark wiedergefunden habe. Darin fragt Agassi, der gerade erfolgreich ein Karrieretief gemeistert hat und nun mit fast 30 kurz davor steht, die größten Erfolge seiner Tenniskarriere zu feiern, seinen damaligen Trainer Brad Gilbert:

“Ich habe so viel Vertrauen in mein Spiel, und ich finde einen neuen Sinn darin, auf dem Tenniscourt zu stehen. Also warum habe ich immer noch so viel Angst? Hört die Angst denn jemals auf?”
“Ich hoffe nicht”, sagte Gilbert daraufhin. “Angst ist dein Feuer, Andre. Ich möchte nicht miterleben, wie es wäre, sollte es jemals verlöschen.”

Obwohl ich weit von Agassis Beruf und auch Erfolgen entfernt bin, geht mir dieses Gespräch nahe. Denn auch wenn Angst und Zweifel uns oft im Weg stehen - sie können uns anfeuern auf dem langen Weg zum Ziel und darüber hinaus. Wenn ich an meinen bisherigen Weg als Schriftstellerin denke, dann war es oft die Angst, die mir den notwendigen Tritt in den Hintern versetzt hatte. Die Angst, nicht gut genug zu schreiben. Die Angst, mich selbst und alle, die an mich glauben, mit Mittelmaß zu enttäuschen. Ich weiß, das hört sich jetzt alles recht negativ an. Aber das Resultat war etwas sehr Gutes. Besser als gut - etwas Euphorisches.

Zufriedenheit funktioniert für mich als Schriftstellerin einfach nicht. Glauben Sie’s ruhig! Ich weiß es aus erster Hand, denn in den letzten Monaten hatte ich eine ungewöhnlich lange “Scheiß-drauf-ich-genieß-einfach-mein-Leben”-Phase. Und ach! Was für eine wunderbare Zeit! Viel gelesen, viel gekocht, viel gecoucht - wie habe ich es geliebt! Alles bestens - nur mein derzeitiges Manuskript hat währenddessen Staub gesammelt. Kein einziger Absatz, kein einziges Wort störte seine Ruhe. Rein gar nichts. Ich hatte einfach keine Lust, und niemand war da, um mir deswegen die Leviten zu lesen. Alles war gut so, wie es war. Und wie es war, brachte es nichts Neues.

Zufriedenheit motiviert mich schlicht und einfach nicht. Es ist eine einzige, riesige, gemütlich flauschige Komfortzone, die mein Schreiben ersticken würde mit ihrer trägen Selbstzufriedenheit, wenn es da nicht meine innere Getriebenheit gäbe.

Und nun die Preisfrage: Macht es einen Unterschied ob ein Buch von mir veröffentlicht wird oder nicht? Sicher nicht für das Universum. Global gesehen höchstwahrscheinlich auch nicht. Aber möglicherweise macht es einen Unterschied für ein paar der Menschen, die es lesen. Und es macht verdammt nochmal einen großen Unterschied für mich! Und deshalb werde ich mich wohl auch in Zukunft mehr abstrampeln “als notwendig”.

Aber das ist schon in Ordnung so. Dank zahlreicher Coaching-Sessions habe ich diese Seite meines Selbsts inzwischen vollkommen akzeptiert...

Was meinen Sie? Treibt uns nun die Zufriedenheit in den Abgrund oder doch die Getriebenheit?



Dieser Text erschien zuerst auf Englisch unter dem Titel Pursuit of Happiness, Part II: Drive or Die. Eva-Maria Oberauer ist Schriftstellerin, Texterin und ausgebildeter Coach. Ihr erster Roman "Wie du mir" erscheint noch dieses Jahr unter ihrem Pseudonym Ellen Dunne. Außerdem pflegt sie ihre Extraversion auf ihrer Fanpage und ihrem englischsprachigen Blog inallthewriteplaces.com, ihre Introversion mit Lesen.

4 Kommentare:

  1. Den einen das eine, den anderen das andere. ;-)

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  2. Eine sehr salomonische Antwort - vielen Dank, Alex :)

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  3. Diese Art von Angst als Antrieb kann man sich leisten, wenn man ein gesichertes Umfeld hat, das einen auffängt, wenn man scheitert, wenn man weiß, von welchem Geld man das Brötchen morgen kaufen kann und wo man übernachten kann. Wenn man das aber nicht hat, dann lähmt die Angst statt den kreativen Prozess anzuregen, und man ist auch nicht in der Lage die kreative Seite der Angst zu reflektieren.

    Ich glaube, hier sollte philosophisch korrekter differenziert werden: Angst ist die Angst vor dem Unbestimmten, d.h. vor den Folgen existenzieller Mittellosigkeit bis zur Angst vor dem Tod, während Furcht auf ein konkretes Ereignis/einen Gegenstand bezogen ist. Und wie immer im Leben lässt sich mit dem Konkreten leichter leben als mit dem Diffusen...

    Auf der körperlichen Ebene passiert bei Angst und Furcht dasselbe: Der Körper schüttet Adrenalin aus, was mach macht und Kräfte weckt, solange alles im sozial gesicherten Bereich ist - man spricht vom "Eustress", der Stress, der glücklich macht. Zuviel Angst ohne Sicherheit macht nervös und stresst - der "Disstress", der schadet.

    Ich stimme zu, Zufriedenheit motiviert nicht, dann wäre das Rad sicher nicht erfunden worden, aber es braucht einige Rahmenfaktoren an Persönlichkeit und sozialem Umfeld, um Angst als kreativen Faktor ins Leben integrieren zu können.

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  4. Ganz vielen Dank für diesen interessanten ergänzenden Kommentar, Claudia! Als nicht-Philosophin hatte ich die Begriffe Angst und Furcht in diesem Artikel als Synonym verwendet.

    Zum Glück treibt mich bei meiner schriftstellerischen Tätigkeit keine Existenzangst. Als Freiberuflerin (Online- und Werbetexterin) ist aber sehr wohl auch meine wirtschaftliche Existenz (und Möglichkeit, mein kreatives Schreiben zu finanzieren) von der Abrufbarkeit meiner Kreativität abhängig.

    Wo die Grenze zwischen der lähmenden Angst vor dem Entzug der Lebensgrundlage (Todesangst möchte ich ohnehin ausklammern) und der Furcht, die uns zu Höchstleistungen anspornt (die sprichwörtlich erfinderisch machende Not) liegt, bestimmt dann wohl unsere individuelle Toleranz gegenüber Unsicherheit.

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