31. Dezember 2011

Müssen unsere guten Vorsätze auch 2012 wieder scheitern?

Den falschen Ansatz verfolgt (von Design You Trust)
Unser Autor Erich Feldmeier hat sich zum Jahresende Gedanken gemacht, wie wir mit dem noblen Wahnsinn der guten Vorsätze in 2012 umgehen sollen. Es ist nicht weniger nötig, als rund 4 Millionen Jahre Evolution an entscheidenden Stellen zu korrigieren. Sollten Sie sich weniger um die Menschheit als um Ihre eigenen guten Vorsätze sorgen, dann lesen Sie bitte unten Gilbert Dietrichs Tipps zu den privaten guten Vorsätzen, bevor Sie uns morgen Champagner-selig das Blaue vom Himmel versprechen.

"Programme, die sexuelle Enthaltsamkeit zum Schutz vor Aids propagieren, sind in den USA ebenso erfolglos wie in Entwicklungsländern", schreibt Kristen Underhill im British Medical Journal (1). Ganz öffentlichkeitswirksam wurde dies in Sarah Palins Feldzug gezeigt. Die konservativ auftretende Mama war bei der Wertevermittlung gegenüber ihrer minderjährigen Tochter nicht ganz erfolgreich. Dass sich vollmundige Versprechen durch unsere Taten oft in ihr Gegenteil verkehren, ist nichts grundlegend Neues. Aber warum ist das so? Etwas ganz Vergleichbares wird seit Jahrzehnten, aus den Diät- und Übergewichts-Programmen berichtet. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass Aufklärung und Information nicht ausreichend sind, um unser Ess- und Bewegungsverhalten dauerhaft zu verbessern", sagt Manfred Müller, Ernährungsmediziner an der Universität Kiel. Und Johannes Hebebrand, Kinderpsychiater an der Universität Duisburg-Essen, ergänzt: "Die wenigen Programme, die es bei uns gibt, richten nichts aus, weil sie den falschen Ansatz verfolgen. Da wird viel Geld versenkt." Auf internationaler Ebene ist das übrigens genauso. Carolyn Summerbell, Ernährungsmedizinerin aus England, kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass "die überprüften Präventionsprogramme großteils keinen Einfluss auf das Gewicht der Teilnehmer hatten."  (2)

All das ist nicht nur verschwendete Energie und Geld, sondern produziert auch Leiden und Frustration bei den 'Erduldenden', die sämtliche ihrer guten Vorsätze – wie passend zu Neujahr – scheitern sehen. Wenn gar nichts mehr geht, dann hilft oft nur der motivierende Gang ins Theater: Wer Lysistrata kennt, weiß, dass Enthaltsamkeit schon immer schwer durchzuhalten war und trotzdem zum Erfolg führen kann. Jedenfalls, wenn man Enthaltsamkeit erpresserisch nutzt.

Aber nochmals die Frage: Warum investieren wir trotz besseren Wissens (!) viel Energie in dieses vorhersehbare Scheitern? Fehlt es uns an Verstand oder an Phantasie? Warum stecken wir, wie oben beschrieben, öffentliche Mittel in Projekte, die faktisch monokausal nicht zu erklären sind und nur mit einem interdisziplinären Ansatz, der unbedingt neurobiologisch-evolutionäre Fakten berücksichtigen muss, jemals zu lösen sein werden? Ist das Vorsatz? Der Bund der Steuerzahler sollte sich damit mal auseinandersetzen.
"Sich den zugänglichen Freuden zu enthalten oder lieber spätere als sofortige Resultate zu verfolgen, ist eine der furchtbarsten Strapazen des menschlichen Willens." (Nassau William Senior, Ökonom und Zeitgenosse/Antagonist von Karl Marx)
Wozu warten? Wer weiß schon, wann es wieder etwas zu essen gibt? (gefunden auf Hrana)

Aufgeschobene Gratifikation und Verlustaversion haben bereits unseren evolutionären Vorfahren große Probleme bereitet. Genau betrachtet ist die aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung eines der wesentlichen Merkmale, die uns von Tieren unterscheiden. Zwar sammeln und lagern auch einige Tiere Nahrung, aber so systematisch das Leben auf die Zukunft auszurichten und die Befriedigung in der Hoffnung auf ein Return on Investment aufzuschieben, ist ein kulturell-menschliches Phänomen. So viel wir wissen, verbuddeln Eichhörnchen die Früchte lediglich, um im Winter wieder an sie heranzukommen. Wir Menschen hingegen, verbuddeln alles mögliche, damit es sich vermehrt. Was gesellschaftlich Sinn macht, fällt uns individuell schwer. Klar müssen wir alle Verzicht üben und den Gürtel enger schnallen. Aber wenn die Schokolade neben mir steht, dann kann mich nur die unmenschlichste Anstrengung davon abhalten, zuzugreifen. Außerdem: Wer weiß schon, wann ich das nächste Mal an kohlehydrat- und fetthaltige Nahrung komme? Mein Zwischenhirn jedenfalls nicht.
"Eine neue Gewohnheit anzunehmen ist leicht, weil eine der Hauptfunktionen des Nervensystems darin besteht, als gewohnheitsbildender Mechanismus zu wirken; mit einer Gewohnheit zu brechen ist dagegen eine beinahe heroische Leistung des Geistes oder des Charakters..." (Arthur Koestler, siehe 3
Die "schmerzhafte Aufwendung an Gehirnenergie" (3), die uns auch von Innovationen aller Art zuverlässig fern hält, hält unseren Willen gefangen. Und wir wissen in der Regel nichts davon, wie wir in den neurobiologischen Aspekten unseres Entscheidungsverhaltens gelesen haben. Eine kulturelle Großtat wäre es doch, die evolutionsbiologisch bedingten ultimaten Gründe der Verhaltensmuster bei uns selbst zu verstehen und wo nötig diese Muster zu verändern. Wir wären mit einem Schwung viele unserer Sorgen und Gewissensbisse bezüglich nachhaltigem Verhalten los. Und 2012 würde als das Jahr in die Geschichte eingehen, in welchem gute Vorsätze endlich etwas gebracht haben. Ein wahrer Segen.

Und unsere privaten guten Vorsätze?
Wie können wir sicher stellen, dass wenigstens unsere eigenen Vorsätze trotz der oben genannten Gründe funktionieren?
  1. Erst einmal pausieren wir und gratulieren uns dazu, was wir geschafft haben und wer wir sind. 
  2. Wenn dann immer noch etwas über bleibt, dass wir im nächsten Jahr angehen wollen, dann müssen wir es auch wirklich wollen. Nicht die Ehepartner, die Kinder, Eltern oder Chefs dieser Welt wollen etwas für uns, sondern wir selbst. Wenn es nicht für uns selbst fundamental wichtig ist, dann können wir uns Zeit, Geld und Energie sparen (siehe oben). 
  3. Wir dürfen nicht an unserem Gehirn und seiner evolutionären Bedingtheit vorbeiplanen. Wir müssen eiskalt und glasklar verstehen: Es wird hart werden. Mit dem Rauchen aufzuhören oder mit dem Sport anzufangen, ist ein Brechen mit Gewohnheiten, ein Versuch gegen die Trägheit. Wenn wir nicht bereits eine Strategie für den Rückfall haben, dann sind die Erfolgsaussichten gleich Null.
Erzählen Sie uns von Ihren Vorsätzen und wie sie diese zu verwirklichen gedenken. Geist und Gegenwart wünscht einen guten Rutsch!




Anmerkungen:
1) No-sex programmes are not effective against HIV infection
2) Aktionismus gegen Dicksein, (SZ 21.04.2007)
3) Bewährter Brauch, Arthur Koestler, Künsterkolonie Berlin

2 Kommentare:

  1. Ich habe mir es in den letzten 3 Jahren zur Gewohnheit gemacht, das Jahr jeweils unter ein bestimmtes Motto zu stellen. Dann mache ich eine Mindmap/Cluster-Brainstorming und finde heraus, was dazu alles passt. Ich notiere Dinge die ich machen will, weil mein Inneres dabei "HURRA!!!" schreit. Dann picke ich mir eine Sache aus und fange damit an. In winzigen Schritten.
    Dadurch, dass es ein Motto gibt, hat man gar keinen Druck mit den Vorsätzen, sondern kann sich auf die Veränderung von schlechten Gewohnheiten konzentrieren. Hat bisher sehr gut geklappt!
    Guten Rutsch!

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  2. Wow, das ist ja sauber ausgeklügelt. Postest du bei dir, was dieses Jahr für 2012 rauskommt? Glückwunsch zu deinem 2011 mit bestandener Prüfung und Dankbarkeitstagebuch!

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