2. Januar 2016

Bestandswahrung oder Weiterentwicklung?

Philipp Blom über Alternativen einer europäischen Wilkommenskultur

Was haben der IS, die Pegida, der Front National, Vladimir Putin und christliche Fundamentalisten gemein? Auf den ersten Blick nicht viel und auch untereinander würden sie sich wohl kaum miteinander identifizieren wollen. Der Historiker Philipp Blom analysiert jedoch im Gespräch "Die Flüchtlingsströme markieren eine Zeitenwende" (siehe auch Video der Sternstunde Philosophie weiter unten), dass sie sich alle zurück sehnen nach einer Welt der Völker und der Kollektive mit historischen Gemeinschaften und kulturellen Essenzen, die es zu bewahren gelte.

Solche Zeiten der stabilen völkischen Identitäten wieder herzustellen, ist die gemeinsame Sehnsucht der vermeintlichen Kontrahenten von Islamisten bis Nationalisten. Und wenn man Philipp Blom glaubt, dann wäre auch das Ergebnis einer erfolgreichen rechtspopulistischen und nationalistischen Politik nichts anderes, als der Wunsch ihrer islamistischen Feinde: Ein Untergang Europas, ein Untergang unserer Werte, Freiheiten und Ideen.

Völkerwanderungen waren immer und sind auch heute eine Realität und gerade Europa braucht das. Die Alternative ist kurz gesagt das Ende Europas als politische und wirtschaftliche Präsenz, aber auch das Ende der europäischen Idee der Menschrechte, der Freiheit und Demokratie. Die alte Regel der Geschichte, dass sich Weltmächte nur durch die Vielzahl ihrer Einwohner erhalten können, gilt immer noch. Dass ein Erhalt Europas unter dem Einfluss der Krisen und einer mit Sicherheit auf Jahrzehnte schwierigen Integrationsarbeit gleichfalls nicht garantiert, auf keinen Fall jedoch ein Zuckerschlecken wird, gibt Blom ganz offen zu. Aber es ist dennoch Europas einzige Chance und sie ist keineswegs so unwahrscheinlich, wie wir es heute mitten im krisenhaft wahrgenommenen Geschehen meinen mögen.

Was an Blom so fasziniert, sind seine Klarheit und seine Redlichkeit: Er versteht die Ängste und Motivationen derer, die dem IS oder der Pegida anhängen und sagt doch, dass man dem nicht nachgeben dürfe. Er wirft natürlich Pegida und IS nicht in einen Topf, auch wenn sie denselben Traum haben. Er sagt ganz klar, dass die Menschen weiter hierher kommen werden, egal ob wir Demokraten bleiben oder Rechtspopulisten werden. Er prognostiziert sogar eine Zunahme der Flüchtlinge, wenn die Klimakatastrophe zur Realität wird und viele Regionen im Süden immer unbewohnbarer macht. Er sagt auch nicht einfach naiv "wir schaffen das", sondern wir müssen das schaffen, wenn wir eine Zukunft haben wollen. Völlig unaufgeregt sagt Blom aus dem Verständnis der Geschichte heraus, was sein wird und welche Wege mehr oder weniger erfolgversprechend sind.

Am Ende wird klar: Keine Gesellschaft hat sich je ohne Einwanderung erneuert. Wir haben - wenn überhaupt - die Wahl zwischen Europa als entvölkertes Kulturmuseum, wo alles nur auf Erhalt des Status Quo ausgerichtet ist und der Weiterentwicklung durch die manchmal massenweise Zuwanderung, wie es sie in Europas Geschichte schon immer gab und die Europa so erfolgreich gemacht hat.



Wer mehr von Philipp Blom zu Europa, der Aufklärung, der Moderne und ihrer Philosophie lesen möchte, dem sei sein Buch Böse Philosophen empfohlen, in dem er den Denkern Denis Diderot, David Hume, Laurence Sterne, Jean-Jacques Rousseau und ihrer Suche nach einer wirklich menschlichen Gesellschaft auf die Schliche kommt.



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