7. April 2016

Was machen Geisteswissenschaftler nach dem Studium?

Interview mit der Universität Leipzig

Macht, was euch Spaß macht und worin ihr gut seid!

Gerade fragte das Human Resources Manager Magazin, ob wir im Beruf auch Philosophen sein müssten (siehe Bild). Leipziger Studenten hingegen trieb die Frage um, was Philosophen eigentlich überhaupt für Berufsaussichten hätten. Claudia Schoder vom Career-Service der Universität meint, die "Verzweiflung" unter den Studierenden sei recht groß, weil ihnen zum einen ein konkretes Bild von dem fehle, was nach dem Studium kommen könnte und ihnen zum anderen das Bewusstsein über das eigene Können und Wollen fehle. Also hat sie mich dazu befragt und um ein paar Tipps gebeten...

Claudia Schoder: Was machst Du in Deiner derzeitigen Position genau?

Im Wesentlichen manage ich ein Team. Das Team sorgt dafür, dass in einer internationalen Technologie-Firma solche Prozesse wie Bezahlung, Weiterbildung, Übersiedlung aus dem Ausland, das Erlangen und Verlängern von Visa, Personal-Kennzahlenreporting usw. funktionieren und weiter entwickelt werden. Es handelt sich also um Personalwirtschaft, aber ich habe zuvor bereits Marketing- und Support-Teams geleitet, denn das Managen von Teams ist leicht übertragbar und ich als Manager muss nicht unbedingt alle Details selber kennen.

HRM Magazin, "Kompetenzen", April 2016, S. 10

CS: Was sind die Vor- und Nachteile Deines Jobs?

Das Managen von Teams hat auf der einen Seite viel mit Psychologie, Kommunikation und Empathie zu tun und erfordert auf der anderen Seite auch Struktur, Strategie und Entscheiden. Ich mag diese Bandbreite. Auch das Personalwesen selbst ist heute sehr auf Unternehmenskultur ausgerichtet, daher sind viele Prozesse konzeptuell sehr komplex und müssen durchdacht und ständig weiter entwickelt werden. Hinzukommt, dass man durch das Personalwesen mit allen Unternehmensteilen in Verbindung kommt und dadurch immer dazu lernt. Das alles gefällt mir. Ich will aber auch vor dem typischen Personalwesen in eher traditionellen Unternehmen warnen, denn man kann sich schnell in einem sehr administrativen Job wiederfinden, indem man Formulare bearbeitet und ansonsten nicht viel bewegen kann. Alles steht und fällt mit der Unternehmenskultur. Wenn die inspiriert, dann ist auch das Personalwesen spannend und bietet Raum zur Kreativität.

CS: Wie bist Du dahin gekommen?

Als Philosoph hatte ich keinen vorgezeichneten Berufsweg. Vielmehr habe ich mich schon in den 90ern in der Freizeit sehr für Internettechnologie und digitale Textverarbeitung interessiert und das dann auch in mein Studium mit aufgenommen. Später stellte sich heraus, dass das Verständnis dieser Technologien sehr interessant für Suchmaschinen war, weshalb ich meinen ersten Job bei Google bekommen konnte. Dort wiederum wuchs ich durch das starke Wachstum des Unternehmens ins Team-Management hinein und bekam auch sehr gute Weiterbildungen dazu. Dadurch wurde das Team-Management dann mein Beruf.

CS: Gab es Umbrüche in Deinem Leben? Wie bist Du damit umgegangen?

Ja, die gab es zuhauf. Erst einmal musste ich mein Abitur mit 20 Jahren nachholen, weil ich es in der DDR nicht machen konnte. Dann hatte ich alle möglichen Jobs vom Fahrradkurier, über Reitlehrer bis hin zum Türsteher. Mein Umgang mit Umbrüchen war schon immer eher neugierig. Ich habe Spaß an neuen Situationen und nehme sie in Kauf, auch wenn es so etwas wie eine gradlinige Karriere verhindert. Dafür ist das Leben umso aufregender.

CS: Wie "verkaufen" sich Geisteswissenschaftler am besten?

Wir sind stark, wenn es zum Umgang mit Sprache kommt, wenn es darum geht, komplexe Sachverhalte zu verstehen und zu vermitteln. Wir sind oft Visionäre, weil uns nichts zu fern liegt, um es nicht in Erwägung zu ziehen. Und wir sind oft konzeptionell stark. Das alles sind Eigenschaften, die in einer Welt des ständigen Wandels und der komplexen Beziehungen und Technologien mehr wert sind, als eine ausgeprägte Fachidiotie. Das muss man erst einmal selbstbewusst verinnerlichen und dann am besten in der Praxis anwenden. Der Erfolg stellt sich ein, wenn andere auf unsere könnerische Bandbreite aufmerksam werden.

CS: Welche Tipps würdest Du den Studierenden geben?

Aus meiner Sicht ist es unbedingt wichtig, dass ihr euch auf etwas praktisch anwendbares spezialisiert. Wenn ihr euer Fach anguckt, dann fragt euch, wie kann ich das relevant für die Menschen „da draußen“ machen? Philosophie hat zahlreiche praktische Elemente, die der Welt fehlen. Praktika waren eine gute Erfahrung für mich, um auszuprobieren, was mir liegt. Macht davon Gebrauch! Und natürlich hat mir mein Auslandsaufenthalt sehr geholfen. Ich habe ein Jahr in den USA studiert. Es war nicht ganz einfach da heran zu kommen, aber beim zweiten Anlauf hat es geklappt und es hat mein Leben verändert. Nicht nur war es dadurch leichter, einen Job zu bekommen, auch meine Persönlichkeit hat sich durch den Kontakt mit vielen internationalen Menschen sehr verändert. Aber vor allem: Macht, was euch Spaß macht und worin ihr gut seid! Und wenn euch die Uni liegt und ihr gern dort bleiben und lehren wollt, dann ist auch das großartig.


Quelle: Newsletter des Career Service der Universität Leipzig, April 2016

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7 Kommentare:

  1. Ich tu mir ja schwer mit Tipps, weil ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Aber: "Macht worin ihr gut seid" würde ich ergänzen wollen mit: "Macht, was euch leicht fällt!". Irgendwann musste ich lernen, dass das nämlich nicht das gleiche sein muss. Der Ernst des Lebens ist Geschwätz, aber nach dem Studium wird es schon anders, man ist härter darauf angewiesen, dass dann auch wirklich zu machen. Irgendwann kommen äußere Belastungen hinzu, man bekommt vielleicht Kinder, die Eltern werden älter und hilfsbedürftiger – es ist dann auch schön, für andere da und verantwortlich zu sein. Gut ist es, wenn man dann nicht alle Seelenpower verbrät, weil man beruflich etwas macht, das man zwar gut kann, das einen aber auch sehr anstrengt.

    Ich bin selbst Geisteswissenschaftler und arbeite offiziell in Teilzeit als Projektmanager. Da bin ich aber auch reingekommen, weil ich als Musiker so viel Manager bin und so viel auf die Beine stelle und strukturiere. Was ich damit sagen will: Je weniger es eine 1:1 Stellenbeschreibung zum Abschluss gibt, desto mehr ist es wichtig, sich auf seine wahren Fähigkeiten zu besinnen. Auch solche, die man gar nicht im Studium direkt erworben hat.

    Und dann gibt es all das, was man früher nebenher im Studium aufgesogen hat, das seit Bachelor/Master in albernen Schlüsselqualifikationskursen reingetrichtert werden soll. (Ich darf darüber lästern, ich habe sowohl Bachelor als auch Master.) Das ist mindestens genau so viel wert wie die fachliche Qualifikation.

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  2. Aber: "Macht worin ihr gut seid" würde ich ergänzen wollen mit: "Macht, was euch leicht fällt!"
    Sehr wichtige Ergänzung. Das worin man gut ist, macht nicht immer Spaß aber man macht es, weil es einem leichter fällt als anderes. Und vor allem kommt man damit leichter in den "Flow".
    Mir fällt zum Beispiel leicht. Ich bin auch in anderen Sachen gut, aber wenn ich danach gehe, was ich am liebsten mache, ist es das Schreiben in meinem Blog, in eBooks und Büchern.

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    1. Danke für die Ergänzung. In meinem Text (und der 3. Überschrift) heißt es ja nicht, "Macht, worin ihr gut seid", sondern "Macht, was euch Spaß macht und worin ihr gut seid!" Ich dachte, damit die beiden Dimensionen aufgefangen zu haben.

      Wobei ich beim zweite Nachdenken darüber auch zweifle, ob "leicht fallen" und/oder "Spaß machen" als Maximen uns nicht auch davon abhält, anfangs schwieriges und schweres auszuprobieren und damit dazu zu lernen. Siehe dazu auch mein Beitrag zu Was sind Stärken?.

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  3. Habe gerade den folgenden Artikel gelesen und dachte, ich teil ihn mal hier:

    http://www.zeit.de/2016/15/geisteswissenschaften-abschaffen-japan-gesellschaft-grossbritannien-usa

    Liebe Grüße, Ellie

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  4. Also: es geht in drm link bzw. Artikel um die langsame Abschaffung der Geisteswissenschaften speziell in Japan. Die geisteswissenschaftlichen Fakultäten werden angehalten ihre marktorientierte Effizienz, ihren praktischen Nutzen zu beweisen. Allein das Forschen um der Erkenntnis willen reicht nicht mehr.
    Liebe Grüße, Ellie

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    1. Danke, Ellie, für den Artikel! Das ist ein Besorgnis erregender Trend! Insbesondere, weil man kulturelle Bildung nicht 1:1 auf Wirtschaft übertragen kann und anderseits lebenswerte moderne Kulturen ohne Geisteswissenschaften nicht langfristig denkbar sind.

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    2. Nunja, das ist eben der Trend unserer Zeit: Alles wird in Geldwert gemessen, und wenn der Geldwert nicht fassbar ist, weil unermesslich wertvoll, dann ist es nichts wert. Hätte man den Philosophen der Aufklärung auferlegt, Bücher zu schreiben, die guten Absatz machen, wo wäre man da hingekommen? Im Englischen gibt es das schöne Wort "invaluable", man könnte es wörtlich nehmen als: "unmöglich, dem einen Wert zuzuordnen", die Übersetzung ist aber "außerordentlich Wertvoll".

      Gesellschaftliche Diskurse, und vielleicht eine der wichtigsten aller Fragen, nämlich "Wie wollen wir leben?" werden aber von Geisteswissenschaftlern vorangebracht, nicht von Ingenieurswissenschaftlern. Nur sehen das zunehmend weniger Leute ein und gefährlich wird es, wenn der Staat das nicht mehr einsieht.

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