16. Januar 2022

Verschwörungstheorien... Warum nicht?

Eine unvoreingenommen philosophische Betrachtung

Die NASA hat die erste Mondlandung vorgetäuscht... Die US-Regierung orchestrierte die Anschläge am 11. September... Eine eingeschworene Gruppe Satan anbetender Pädophiler betreiben einen globalen Kindersexhandelsring und plant ein Komplott...

Mini Mondlandung (Eric Kilby, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Jede dieser Behauptungen wurde als "Verschwörungstheorie" angeprangert. Aber was sind Verschwörungstheorien? Und sollten wir jemals eine akzeptieren? Wenn ja, wann? Auf diese Fragen bietet dieser Essay von Jared Millson, Assistant Professor der Philosophie in Memphis USA erste Antworten.

1. Definition von Verschwörungstheorien

Erstens, was ist eine Verschwörung?

Verschwörungen sind Handlungen oder Pläne, die von einer kleinen Gruppe von Personen durchgeführt werden, die im Geheimen daran arbeiten, gemeinsame Ziele zu erreichen. Diese Ziele müssen nicht finster sein: Der Afrikanische Nationalkongress hat sich jahrzehntelang verschworen, um das Apartheidregime in Südafrika zu stürzen – eine noble Verschwörung.

Zweitens, was ist eine Theorie?

Im Allgemeinen versuchen Theorien, eine Reihe von (angeblichen) Tatsachen oder Ereignissen zu erklären, normalerweise durch die Identifizierung ihrer Ursachen. Die ersten beiden obigen Beispiele (die Berichterstattung über die Mondlandung und die Anschläge vom 11. September) versuchen, diese Ereignisse zu erklären, indem sie Behauptungen darüber aufstellen, was sie verursacht hat.

Zusammengenommen ergibt sich diese Definition: Eine Verschwörungstheorie ist die Erklärung einer angeblichen Tatsache oder eines angeblichen Ereignisses durch den Bezug auf Aktionen, die von einer kleinen im Geheimen arbeitenden Personengruppe durchgeführt werden.

2. Häufige Missverständnisse

Verschwörungstheorien werden oft als von Natur aus irrational oder per Definition falsch angesehen. Aber da einige Verschwörungsvorwürfe berechtigt sind, sollte eine Definition nicht davon ausgehen, dass Verschwörungstheorien problematisch sein müssen. Unsere oben vorgeschlagene Definition spiegelt das wider und korrigiert damit dieses häufige Missverständnis.

Tatsächlich akzeptieren die meisten Menschen einige Verschwörungstheorien – z. B. die Behauptung, dass die Anschläge vom 11. September von al-Qaida verübt wurden. Oder, wenn Sie jemandem von einer kürzlich besuchten Überraschungsparty erzählt haben, dann haben Sie ein Ereignis unter Bezugnahme auf eine kleine im Geheimen arbeitenden Personengruppe erklärt und somit eine glaubhafte Verschwörungstheorie angeboten!

Verschwörungstheorien müssen keiner "offiziellen Geschichte" oder Erklärung von Ereignissen widersprechen, die die meisten Menschen akzeptieren. Wenn dies der Fall wäre, würde eine Verschwörungstheorie aufhören, eine zu sein, wenn beispielsweise offizielle Quellen widersprüchliche Geschichten hergeben, wenn es einfach keine offizielle Darstellung gibt oder wenn die Verschwörungstheorie von offiziellen Beamten übernommen wird.

3. Bewertung von Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien sind also manchmal wahr und es ist manchmal vernünftig, sie zu akzeptieren. Aber wann?

Verschwörungstheorien behaupten die Existenz einer Verschwörung. Verschwörer, die Informationen über ihre Aktivitäten preisgeben oder "durchsickern" lassen, wären ein guter Beweis für eine Verschwörungstheorie. Aber nur wenige Menschen geben zu, direkt in Verschwörungen verwickelt zu sein, daher fehlt Verschwörungstheorien normalerweise diese Unterstützung.

Einige behaupten, dass bei erfolgreichen Verschwörungen eben keine Informationen durchsickern werden. Aber das Fehlen solcher Beweise untergräbt eine Theorie natürlich. Und je ehrgeiziger eine Verschwörung ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ihre Aktivitäten geheim bleiben. Es ist ziemlich schwierig, Menschen dazu zu bringen, an langfristigen, komplexen Projekten zusammenzuarbeiten – erst Recht im Verborgenen.

Verschwörungstheorien behaupten oft, Aspekte zu erklären, die der offiziellen Geschichte widersprechen oder von ihr absichtlich ausgelassen werden. Allerdings erklären sie in Wirklichkeit selten mehr als die "offiziellen" Theorien, da sie oft ihre eigenen fehlenden oder widersprüchlichen Daten haben. Beispielsweise können Verschwörungstheorien über den 11. September nicht erklären, warum sich Osama Bin Laden per Video zu den Anschlägen bekannte. Verschwörungstheorien erklären Geschehnisse also oft nicht besser als die offiziellen oder konkurrierenden Theorien.

Da sie sich eher auf eine Ursache (d.h. das Ziel der Verschwörung) als auf viele Ursachen berufen, scheinen Verschwörungstheorien einfacher zu sein als ihre Rivalen – z. B. wenn ein internationales Freihandelsabkommen durch den geheimen Wunsch der Führer nach einer Weltregierung erklärt wird und die vielen anderen nationalen und internationalen Interessen an solchen Abkommen ignoriert werden.

Verschwörungstheorien fügen jedoch oft – verschwörerische – Ursachen zu den Erklärungen hinzu, die von ihren nicht-verschwörerischen Rivalen angeboten werden. So erklärt die "Pizzagate"-Verschwörungstheorie zum Beispiel die Anwesenheit von Kindern in einer Pizzeria nicht mit der Pizza, sondern mit der Pizza und der gleichzeitigen Anwesenheit eines böswilligen Kartells. Diese Verschwörungstheorie ist also wie so viele nicht einfacher, sondern komplizierter.

Einige Kritiker sehen die Probleme nicht in den Verschwörungstheorien selbst, sondern bei ihren Anhängern, die selten neue Vorhersagen machen, sondern dazu neigen, fehlgeschlagenen Vorhersagen Rechnung zu tragen, indem sie Ad-hoc-Änderungen an ihrer Theorie vornehmen, anstatt sie aufzugeben. Einige blähen den Umfang einer Verschwörung auf, um ihre Theorie zu retten: Wenn z. B. die Artikel einer Zeitung einer Verschwörungstheorie widersprechen, schließen sie daraus, dass die Mitarbeiter der Zeitung ebenfalls an der Verschwörung beteiligt sind.

Eine andere Kritik an Verschwörungstheoretikern ist, dass sie keinen Expertenrat einholen, was zu Theorien führt, die den Aussagen von Experten widersprechen. Verschwörungstheoretiker begründen ihr Misstrauen oft damit, dass Experten selbst Teil der Verschwörung seien oder von ihr getäuscht worden seien. Damit wird der Umfang einer Verschwörung weiter aufgebläht, was ihre Existenz noch unwahrscheinlicher macht.

Wieder andere Kritiker behaupten, dass das Misstrauen gegenüber Experten eher eine schädliche Auswirkung als eine Ursache für Verschwörungstheorien sei. Da vieles, was wir wissen, von Experten und öffentlichen Institutionen (z. B. der Regierung, der Presse, der Wissenschaft und Berufsverbänden) stammt, beraubt uns das Akzeptieren von Verschwörungstheorien wichtiger Wissensquellen. Verschwörungstheorien können also das Vertrauen in die Gesellschaft insgesamt erschüttern. Natürlich erfordern nur jene Theorien, die Verschwörungen mit allgegenwärtigem Einfluss auf unsere öffentlichen Institutionen postulieren, eine so weit verbreitete Skepsis.

Obwohl Verschwörungstheorien nicht von Natur aus irrational oder falsch sind, bieten nur sehr wenige bessere Erklärungen der Wirklichkeit als die Theorien von Experten oder etablierter Medien.

4. Warum Verschwörungstheorien?

Dennoch finden viele Menschen Verschwörungstheorien reizvoll. Indem sie uns auffordern, selbst zu recherchieren und "für uns selbst zu denken", versprechen diese Theorien, eine komplizierte Welt auch für diejenigen ohne spezielle Ausbildung oder Expertenwissen verständlich zu machen. Indem sie behaupten, dass eine kleine Gruppe von Übeltätern hinter tragischen Ereignissen steckt, bieten sie einfache Lösungen für komplexe Probleme an.

Was auch immer ihr Reiz sein mag, wir sollten Verschwörungstheorien so angehen, wie wir es mit jeder Theorie tun würden – d.h. indem wir ihre Vorzüge mit denen anderer Theorien über dieselben Phänomene vergleichen. Weitreichende Verschwörungen sind selten erfolgreich, daher könnten die plausibleren Verschwörungstheorien diejenigen sein, die versuchen, eine kleinere Bandbreite von Ereignissen zu erklären, indem sie sich auf eine Verschwörung mit begrenzten Zielen berufen. Diese Theorien sollten dann aber auch nicht das Urteil von Experten in Frage stellen, ohne angemessene Beweise für deren Unzuverlässigkeit zu liefern.

Wird irgendeine der heute einflussreichen Verschwörungstheorien diesen Anforderungen gerecht? Wahrscheinlich nicht.


Dieser Artikel erschien im Dezember 2020 auf Englisch auf 1000wordphilosophy.com und wurde mit Genehmigung des Autors zur Veröffentllichung hier übersetzt. Sämtliche Fußnoten wurden hier weggelassen und können im Original nachgelesen werden.

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