9. Juni 2013

Fühl dich keiner Sache absolut gewiss!

Bertrand Russells Grundsätze für ein Leben in Mut und Weisheit

Der liberale Phiosoph des 20. Jahrhunderts schlechthin ist sicherlich Bertrand Russell. Die modernen Liberalen seit dem 17. Jahrhundert waren einst die fortschrittlichsten Revolutionäre, mit einer Bandbreite ihrer Ansichten, die von der Freiheit und Gleichheit aller bis hin zur Anarchie reichte. Diesen Liberalen ging es jedoch weniger darum, einer kleinen Speckschicht der Gesellschaft zu ermöglichen, weniger Steuern zu zahlen, wofür die Liberalen heute in Deutschland bekannt sind.

Der politisch-philosophische Liberalismus wandte sich gegen vererbte Rechte und Privilegien, gegen Staatsreligion und Monarchie. Kaum einer lebte diesen Liberalismus so konsequent und aktiv wie Bertrand Russell, der damit auch zu einem Vorbild für gesellschaftliche Intellektuelle wie zum Beispiel Jean Paul Sartre wurde. Mich hat Russells Aufrichtigkeit, Mut und Weisheit immer fasziniert. In seiner Autobiographie gibt er zehn Regeln für solch ein exemplarisches Leben, an deren Anfang der Satz steht: Fühle dich keiner Sache absolut gewiss.

Keine Angst vor verrückten Meinungen: Bertrand Russell (Quelle: Wikimedia)

Weisheit, Mut und Politik

Russell war Zeit seines Lebens ein erklärter Anti-Imperialist, ein aktiver Kriegsgegener und ein Feind eines jeden Totalitarismus, ob links oder rechts. Dieser Aktivismus brachte ihm sogar den Rausschmiss aus der Univesraität und eine sechsmonatige Gefängnisstrafe ein. Auch in den USA, wo er 1940 lehrte, wurde er wegen seines Pazifismus und seiner libertären Ansichten zur Moral angefeindet und von seinem Posten geschmissen. Albert Einstein verteidigte ihn damals mit seinen inzwischen berühmt gewordenen Worten:

Große Geister haben stets heftige Gegnerschaft in den Mittelmäßigen gefunden. Diese letzteren können es nicht verstehen, wenn ein Mensch sich nicht gedankenlos ererbten Vorurteilen unterwirft, sondern ehrlich und mutig seine Intelligenz gebraucht und die Pflicht erfüllt, die Ergebnisse seines Denkens in klarer Form auszusprechen.

Im stolzen Alter von 89 Jahren musste Russell erneut wegen seiner Teilnahme an einem Anti-Atomkrieg-Protest für ein paar Tage ins Gefängnis.

Bertrand Russell (mitte) beim Anti-Kriegs-Protest 1962 (Quelle: Tony French, Wikimedia)

Russell selbst ging es darum, sein Leben einer persönlichen und gesellschaftlichen Vision zu widmen:

Persönlich: das wichtig nehmen, was edel, schön und sanft ist, sich Momente der Einsicht gestatten und Weisheit auch in alltäglichen Momenten zu schenken. Gesellschaftlich: die Vorstellung der Gemeinschaft, die wir gestalten sollten, wo Individuuen sich frei entfalten können und wo Hass, Habgier und Neid absterben, weil für sie keinen Anlass mehr gibt. An diese Sachen glaube ich und die Welt mit all ihren Schrecken hat mich nicht untergeriegt.

Russell starb 1970 mit fast 98 Jahren. Seine Asche wurde in den Walisischen Bergen verstreut, eine kirchliche Zeremonie lehnte er strikt ab. Zeit seines Lebens hielt er Religionen für gefährlich. Sie versuchten das Wissen zu unterdrücken, Angst und Abhängigkeit unter den Menschen zu befördern und seien für viele Kriege und vermeidbare Katastrophen der Menschheit verantwortlich.

Mein erster Philosophielehrer hat mich mit dem Werk Bertrand Russells bekannt gemacht und seitdem hat mich Russell durchs Studium und das Leben danach begleitet. Bertrand Russell stand in der englischen Tradition der Empiristen, konnte dem deutschen Idealismus nichts abgewinnen und hatte mit seinen mathematisch-logischen Arbeiten entscheidenden Anteil an der Begründung der modernen analytischen Philosophie. Zu allem Überfluss erhielt Russell - der nie Literatur schrieb, sondern immer Philosophie betrieb und politisch intellektuell aktiv war - 1950 sogar den Literatur Nobelpreis. Das sagt eine Menge über Russell: Er war einer jener seltenen Philosophen, die sich absolut verständlich in seinen Büchern, Zeitungsartikeln und seinen Radiosendungen an alle die wenden konnte, die sich für Politik, Gesellschaft und Philosophie interessierten. Er versuchte - so wie Alain de Botton heute wieder - die Philosophie praktisch anwendbar in den Alltag zu überführen. Wer sich für Philosophie interessiert, ohne jedoch tiefe Vorkenntnisse zu haben, dem kann ich Russells witzig, interessant und sehr verständlich geschriebene Philosophiegeschichte Philosophie des Abendlandes und Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung (Deutsche Nationalbibliothek) empfehlen.

Zehn Grundsätze des philosophischen Liberalismus

Bertrand Russel scheint in seinem Leben jenen zehn Grundsätzen gefolgt zu sein, die er auch in seiner Autobiographie niedergeschrieben hat. Sie sind der intelektuellen Offenheit, der Wahrheit, dem Mut und dem Widerstand in allen Lebenslagen gewidmet. Wenn ich sie lese, dann wird mir klar, wie zeitlos sie sind und wie viel diese Grundsätze mir heute noch geben. Wir sollten uns ab und zu an sie und an Bertrand Russell erinnern.
  1. Fühl dich keiner Sache absolut gewiss. 
  2. Versuche nicht, durch das Verbergen von Fakten weiterzukommen, denn die Wahrheit kommt doch ans Licht.
  3. Versuche nie, jemanden am Denken zu hindern, denn es könnte dir gelingen. 
  4. Wenn du Widerstand begegnest, selbst wenn es deine Kinder sind, versuche ihn mit Argumenten zu überwinden, denn ein Sieg durch Autorität ist nur eine Illusion.
  5. Habe keinen Respekt vor der Autorität anderer, denn du wirst immer eine entgegengesetzte Autorität finden.
  6. Versuche nicht, Überzeugungen, die du für schädlich hältst, mit Macht zu unterdrücken, denn sonst werden diese Überzeugungen am Ende dich unterdrücken.
  7. Habe keine Angst, eine verrückte Meinung zu haben, denn jede heute akzeptierte Meinung war einmal verrückt.
  8. Freue dich mehr über intelligenten Widerspruch, als über passive Zustimmung, denn wenn du Intelligenz schätzt, wirst du tiefere Zustimmung im ersten finden.
  9. Sei penibel wahrhaftig, selbst wenn die Wahrheit unangenehm ist, denn noch unangenehmer ist es, wenn du versuchst, die Wahrheit zu verbergen.
  10. Beneide nicht das Glück derer im Narrenparadies, denn nur Narren halten das für Glück.



Philosophie des Abendlandes: Für alle empfohlen, die sich für die Entwicklung der Philosophie von der Antike bis ins 20. Jahrhundert im Kontext der gesellschftlichen Entwicklungen interessieren, ohne jedoch tiefe Vorkenntnisse zu haben. Russell schrieb diese witzige, interessant und sehr verständliche Philosophiegeschichte bereits 1945 unter dem Titel A History of western Philosophy.
Taschenbuch: 864 Seiten
Verlag: Piper Taschenbuch; Auflage: 7 (1. Dezember 2004)
ISBN-10: 3492242081
ISBN-13: 978-3492242080 

Link zur Deutschen Nationalbibliothek


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3 Kommentare:

  1. Danke für Text und Leseempfehlung! Ich kenn mich zu wenig wirklich aus mit den Philosophen; bin da nur halb-gebildet. Weiß aber, dass ich zunehmend-abnehmend Texte lesen mag, deren Inhalt sich jenseits von praktisch-Erlebbarem tummelt und - scheinbar - zuerst dafür da ist, den Intellekt des Verfassers zu preisen.
    B. Russell hab ich schon länger auf meiner virtuellen to-be-concerned-with-Liste stehen - das jetzt war ein guter Anschub, mich endlich dranzumachen!
    Grüße, Angela

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  2. Schön geschriebener Text! Die Regeln sind toll. Ich ihnen nur voll und ganz zustimmen.

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  3. Ich bin ergriffen und gerührt, das geht ins Herz

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