30. Januar 2012

Downshifting - Legenden vom Kürzertreten

Psychologen vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit haben in einer Studie mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie herausgefunden, dass die Gehirne von uns Stadtmenschen Strukturen im limbischen System und der Amygdala ausbilden, die uns anfälliger für Stress machen. Depressionen und Angststörungen seien bei Stadtmenschen häufiger und wer auch in einer Stadt geboren und aufgewachsen ist, hat ein höheres Risiko, an Schizophrenie zu erkranken. Wir haben es doch immer schon geahnt: Unser Leben stresst uns und macht krank. Raus aufs Land, weniger arbeiten und mehr lesen - das ist für die meisten leider keine Alternative.

Die Idee vom Aussteigen ist in Mode gekommen (gefunden auf Cabin Porn)

29. Januar 2012

Neuer Newsletter bei Geist und Gegenwart

Seit dieser Woche habe ich einen neuen Newsletter-Anbieter. Ich bin von Googles Feedburner zu Mail Chimp umgezogen, weil Feedburner entweder nach jeder Artikelveröffentlichung eine E-Mail an alle Abonnenten schickt oder gar nicht. Bei bis zu vier Artikel wöchentlich hatten meine Feedburner-E-Mails zuletzt schon fast Spam-Charakter. Wer also ganz gepflegt wöchentlich über neue Artikel auf Geist und Gegenwart informiert werden will, sollte sich jetzt eintragen. Denn außer dass es funktioniert, sieht es auch noch super schön aus.

25. Januar 2012

Charakter, Temperament und Persönlichkeit

Psychologie ist ein Gebiet, bei dem wir alle gerne mitreden. Zu Recht, denn sie geht uns alle an. Jeder unserer Tage ist durchdrungen von psychischen Ereignissen wie von physischen. Die körperlichen Ereignisse wie die Verdauung, der Herzschlag oder das Niesen üben jedoch nicht solche Faszination auf uns aus. Sie scheinen leicht erklärlich, während die psychischen Ereignisse uns immer wieder vor Rätsel stellen.

Und auch der Umgang mit den psychischen Ereignissen scheint uns schwieriger. Es scheint uns unheimlich schwer zu sein, den Geist zu beeinflussen, unsere Stimmungen, Temperamente und Überzeugungen. Wir kommen natürlich später noch dazu, dass man körperliche Ereignisse gar nicht so simpel von psychischen trennen kann: Die Persönlichkeit ist die Organisationsebene des Individuums, wo sich Biologisches, Soziales und Psychisches treffen.

Aus dieser Faszination heraus, angefeuert durch die relativ einfache Verfügbarkeit von einschlägigen Informationen erklärt sich das große Interesse an diesen Themen. Bei aller scheinbaren Einfachheit, an Informationen zu kommen, lädt jedoch gerade das Internet dazu ein, sich mit Halbwissen zu begnügen. Will man tiefer in die Materie einsteigen, dann ist das schon wieder mit Recherche, also Arbeit verbunden. Etwas, das wir in aller Regel nicht in unserer Freizeit oder mal so zwischendurch im Büro vom Internet wollen. So geht es mir jedenfalls und oft muss ich mich disziplinieren, nicht dem Reiz der Oberfläche zu verfallen. So fiel mir kürzlich auf, dass ich fleißig über Persönlichkeit schreibe und dabei mit Wörtern wie Charakter und Temperament jongliere, ohne inne zu halten und die Beziehung dieser Konzepte untereinander zu klären.

Was ist Persönlichkeit?
Der Psychologe und Experte für Persönlichkeitsstörungen Theodore Millon beschreibt Persönlichkeit als Organisationsprinzip, das die basalen biologischen und die höheren sozialen Einflüsse zusammenführt. Alle biologischen Einflüsse auf die Persönlichkeit eines Menschen werden durch das sogenannte Temperament repräsentiert. Dazu zählen die neurologischen Gegebenheiten ebenso wie vererbte Merkmale. Alle sozialen oder organisatorischen Einflüsse auf die Persönlichkeit - also etwa über die Familie, die Kollegen oder die Gesellschaft insgesamt - werden Charakter genannt.
"Persönlichkeit repräsentiert die komplexe Interaktion von Charakter und Temperament, also die individuellen Ausprägungen aller Eigenschaften einer Person." (Theodore Millon, Personality Disorders in Modern Life, S. 9)


Die hier fehlenden Axen: I - Klinische Syndrome, V - Ganzheitliche Bewertung des Funktionierens

Verhältnis von Persönlichkeit und psychischen Erkrankungen
Warum ist der Begriff der Persönlichkeit in der Psychologie so wichtig? In meinem Artikel Schizoid - die Angst vor dem Ich-Verlust ging es um eine spezielle Persönlichkeitsstörung. Solche Störungen verringern unsere Möglichkeiten, mit störenden Einflüssen wie Stress, Verlust oder Ungewissheit umzugehen. Ausweichverhalten, soziale Konflikte und Krankheiten können die Folge sein. Theodore Millon vergleicht die Persönlichkeit mit einem Immunsystem:
"Robuste Immunsysteme bekämpfen mit Leichtigkeit die meisten infektiösen Organismen, während ein geschwächtes Immunsystem der Krankheit erliegt. Psychologische Erkrankungen können mit denselben Mustern erklärt werden. Hier ist es nun nicht das Immunsystem, sondern unsere Persönlichkeitsmuster - also Bewältigungsstrategien und Anpassungsfähigkeit -, die uns entweder konstruktiv mit unserem psychosozialen Umfeld umgehen lassen oder uns daran scheitern lassen. Auf diese Art betrachtet, sind Strukturen und Charakteristiken unserer Persönlichkeit die Grundlage für unser gesundes oder krankes Verhalten. Jeder Persönlichkeitsstil ist damit also auch ein Bewältigingsstil und Persönlichkeit ist eines der obersten organisierenden Prinzipien, durch die alle Psychopathologie verstanden werden sollte." (übersetzt nach Theodore Millon, Personality Disorders in Modern Life, S. 9)
Solche Persönlichkeitsstörungen existieren jedoch nicht als singuläre Phänomene, sie sind keine eigenständigen Krankheiten, denn Persönlichkeit reflektiert die zahlreichen interpersönlichen, kognitiven, psychodynamischen und biologischen Charakteristiken einer Person. Und alle diese Charakteristiken wirken zum Teil rückkoppelnd aufeinander und das Verhalten ein, weshalb Persönlichkeitsstörungen so komplex und schwer zu beschreiben sind. Die Störung und ihre Symptome sind nicht eindeutig verlinkt und Persönlichkeitsstörungen mithin schwer zu therapieren. Genau so wie die Schwächung des Immunsystems ist die Persönlichkeitsstörung selbst keine singuläre Krankheit.
"Genauso, wie wir über biologische Stabilisatoren verfügen, die störende physische Defekte korrigieren, so verfügen wir über psychologische Mechanismen, die unbewusste Ängste und Konflikte mildern können. Und genauso, wie biologische Schutzreaktionen des Körpers manchmal zerstörerischer sein können, als die ursprüngliche körperliche Beeinträchtigung, können die psychischen Korrekturmechanismen sich als störender erweisen, als die ursprüngliche Quelle der psychischen Schwierigkeit." (Millon, Masters of the Mind, 2004, S. 246)
Die Angst vor den Schubladen und Horoskope für Gebildete
Auch jenseits von Störungen, spricht man in der Persönlichkeitspsychologie von fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit (Big Five): Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Rigidität (Gewissenhaftigkeit). Diese fünf Faktoren haben sich als weitgehend unabhängig von unterschiedlichen Kulturkreisen erwiesen. Wir finden sie in verschiedenen Persönlichkeitstests und -typologien wieder. Wenn immer man über Persönlichkeitstypen spricht oder schreibt, wird man garantiert von einigen zu hören bekommen, dass man hier doch einfach Menschen in Schubladen stecke. Das könne man doch nicht machen, Menschen seien doch vielmehr als das und ließen sich darauf nicht reduzieren.

Natürlich! Es wäre geradezu hirnverbrannt, das Gegenteil zu behaupten. Persönlichkeitstypologien behaupten auch nicht, dass Menschen nicht noch viel mehr Dimensionen haben, sondern beschreiben die individuellen Unterschiede in einzelnen psychologischen Merkmalen und in den relativ überdauernden Persönlichkeitseigenschaften von verschiedenen Menschen. Das Faszinierende am Verständnis der eigenen Persönlichkeit (und ihren mehr oder weniger milden Störungen) ist, dass man die Probleme, die man im Umgang mit der Umwelt entwickelt, voraussagen und eventuell managen oder ihnen entgegen steuern kann. Das und die Suche nach Erklärungen, warum das eigene Leben ist, wie es ist, sind die Gründe dafür, dass viele Menschen gerne über Persönlichkeitstypen lesen. Sie hoffen sich in der einen oder anderen Beschreibung wieder zu erkennen und damit sich selbst besser zu verstehen. Man könnte auch sagen: Horoskope für Gebildete.


23. Januar 2012

Für ein Logo sterben? - Die Macht der Zeichen

Elisabeth Göhring von Marketing-Springer fragt, wie die Kraft ins Symbol kommt und was unsere kulturellen Werte damit zu tun haben. Schließlich: Wie arbeitet man mit konkurrierenden Werten in großen Organisationen wie internationalen Konzernen? 

Schlendern Sie mit mir durch das Stadtmuseum! In einem der Säle sind alte Fahnen ausgestellt. Es gibt da viele, viele Kombinationen von Farben, Mustern und Zeichen auf brüchigem, alten Stoff. Sie erkennen die Lilien der Bourbonen und die Leoparden Richards, des "englischen Löwen" sofort. Dazwischen finden Sie den Adler, farbige Rauten, Sterne und Streifen, Halbmonde und Sicheln. Wie belanglos doch dieses Durcheinander von Zeichen ohne Bedeutung auf Sie wirkt. Und trotzdem wissen Sie, dass wegen solcher Fahnen Blut geflossen ist.

Thomas Nasts "The Union Flag" Print (gefunden auf The Civil War)

21. Januar 2012

Frauen und Männer sind verschieden

Unser Autor Erich Feldmeier kommt mit sensationellen Neuigkeiten: Frauen und Männer sind verschieden. Also doch! Wir haben es irgendwie schon immer geahnt. Und nun?

Die Wissenschaft hat uns wieder einmal eine bahnbrechende Erkenntnis geliefert: Männer und Frauen sind verschieden. Das ist ja doll, mag die geneigte Leserin einwenden. Wenn man die Augen aufmacht, fällt das jedem noch so vertrottelten Deppen auf. Doch in diesem Fall lohnt es tatsächlich genauer hinzusehen.

18. Januar 2012

Fromm und Alltag, Dienst und Schnaps

Elisabeth Göhring von Marketing-Springer nimmt ein sehr schön einleuchtendes Zitat von Erich Fromm und denkt über ein Problem nach, das viele von uns kennen: Grenzziehungen auf der Arbeit. Kann es im Büro Freunde geben oder nur Kollegen?
"Die konkreten Beziehungen zwischen den Menschen haben ihren unmittelbaren und humanen Charakter verloren. Stattdessen manipuliert man einander und behandelt sich gegenseitig als Mittel zum Zweck. [...] Es ist, als ob es sich nicht um Beziehungen zwischen Menschen, sondern um solche zwischen Dingen handelte." (Erich Fromm in Authentisch leben)

16. Januar 2012

Schizoid - die Angst vor dem Ich-Verlust

Der folgende Artikel ist ein sehr persönlicher Bericht zu meiner schizoiden Disposition. Vielleicht hilft er anderen Betroffenen sich selbst besser zu verstehen. Er ist keine strikt wissenschaftlich-psychologische Betrachtung und dient weder zu Diagnose- noch Therapiezwecken. Tipps zu weiterführender Literatur zum Thema gibt es in meiner Bibliothek unter Bücher speziell für Schizoide empfohlen


Mitten im Studium überfiel mich meine psychische Grundstimmung hinterrücks. Mit Panik und Angst lähmte sie mich wochenlang. Die Uni, die Studenten, Kollegen und Freunde - sie alle gingen mir verloren, waren für mich nicht mehr erreichbar. Weil sie mich nicht verstanden und ich sie nicht verstand. Schlimmer noch: Ich hatte den Wahn, unsichtbar zu sein und erschrak immer, wenn mir bewusst wurde, dass ich nicht unsichtbar war. Es dauerte Jahre, bis mir klar wurde, was passiert war und noch länger, bis ich verstand, die Angst zu meistern.

Ausschnitt aus Dragan Bibins "Vid the Vampire" (gefunden bei Dark Silence In Suburbia)

Eines der ersten psychologischen Bücher, die ich noch vor der Abiturstufe las, war Fritz Riemanns Grundformen der Angst: Eine tiefenpsychologische Studie. Es ist ein herrliches Buch für alle, selbst Heranwachsende, die mehr über sich selbst lernen möchten. Wunderbar einfach zu lesen und bei der pubertären Sinn- und Selbstentdeckung äußerst hilfreich. Damals ahnte ich noch nicht, dass es mich auf die große Krise meines Lebens vorbereiten würde.

Es gibt einen starken anhaltenden Drang bei uns allen, uns irgendwie zu klassifizieren. Besonders in der Adoleszenz, wenn wir danach suchen, wer wir wirklich sind. Riemanns Buch hat mir sehr dabei geholfen. Für meine Eltern jedoch war es anstrengend, denn ich ließ fortan keine Gelegenheit aus, meinen Erzeugern unter die Nase zu reiben, was sie angeblich bei der Aufzucht falsch gemacht haben. In den Grundformen der Angst geht es nämlich darum, wie uns ganz frühe Kindheitserlebnisse zu mehr oder minder gestörten Persönlichkeiten mit unterschiedlich gewichteten Ausprägungen von Urängsten machen. Riemann war also Psychoanalytiker und seine Arbeit zeigt das mit allen einschlägigen Fragwürdigkeiten und Problemen. Als Beispiel: Riemann sieht in den vier Grundformen der Angst eine Entsprechung zu den kosmischen Kräften, also der Rotation der Erde um die Sonne, der Eigenrotation der Erde, der Schwerkraft und der Fliehkraft. Das ist schön gedacht, sehr poetisch und genau das Problem, das psychoanalytischen Theorien immer wieder vorgehalten wir: Sie sind empirisch nicht herleitbar, können experimentell nicht überprüft werden oder - wie Vladimir Nabokov sagen würde, sind lediglich eine Anwendung griechischer Mythen auf die Geschlechtsteile (siehe Kritik der Psychoanalyse). Aber genug der Häme, hier sind die vier Grundformen nach Riemann zusammengefasst:

14. Januar 2012

Die Kritik und Rechtfertigung der Psychoanalyse

Ich selbst mag die Psychoanalyse als Nährboden für Ideen. Sie ist eine Art Literatur: Geschichten werden erzählt und mit Symbolen und Sex aufgeladen. Das ist toll. Außerdem hat mich schon immer Freuds grundsätzliches Problem vom Individuum, das sich an der Gesellschaft und seinen Institutionen einerseits stößt und andererseits in und durch sie gedeiht, interessiert. Kultur versus Natur war auch für Freud das große Thema. Trotz des großen und von Freud bedauerten und bekämpften Konflikts zwischen Es (Natur) und Kultur, war Freud ein Verfechter der Kultur und ihren Fortschritts und nicht etwa ein Romantiker. Das macht mir ihn sympathisch.

Die Psychoanalyse wurde mitunter auch hart kritisiert, gar verspottet. Vladimir Nabokov, wie Freud von Sex fasziniert, ließ keine Gelegenheit aus, die Psychoanalyse eine pseudowissenschaftliche Hermeneutic zu nennen, von der er als Genie sich nicht durch lachhafte Erklärungsversuche entzaubern lassen wollte:
"Lasst die gutgläubigen und vulgären glauben, dass alle mentalen Nöte mit einer täglichen Anwendung von griechischer Mythologie auf die Geschlechtsteile kuriert werden können." (Nabokov, Strong Opinions, New York 1973)

11. Januar 2012

Was wir bereuen, wenn wir sterben

Meine Uroma Hertha

Man kann das Leben nicht aufschieben

Wenn es darum geht, Änderungen bei sich selbst voranzubringen, hilft es oft, sich radikale Fragen zu stellen. Zum Beispiel: "Was möchte ich auf dem Sterbebett über mein Leben sagen können?" Viel radikaler weil real, sind die wirklichen Dinge, die Leute auf dem Sterbebett sagen. Meine Uroma zum Beispiel war ihr Leben lang bekennende Kommunistin, ob in der Nazizeit, anschließend in der DDR oder zum Ende wieder im vereinten Deutschland. Als sie dann im Sterben lag, erzählte sie uns, dass Gott zu ihr gesprochen hätte und das alles in Ordnung wäre. Das war für alle sehr überraschend und für die meisten war es auch nicht einfach, damit umzugehen. Ich habe sie ermuntert, mir mehr darüber zu erzählen, weil ich das Gefühl hatte, dass es etwas positives für sie war. Viel besser jedenfalls, als wenn sie angefangen hätte, ihr Leben zu bereuen oder den Momenten nachzutrauern, die sie nicht erleben konnte.

An diese letzte Episode mit meiner Uroma wurde ich erinnert, als ich auf den Artikel einer Palliativ-Krankenschwester aufmerksam wurde, die von den fünf meist gehörten Dingen berichtet, die Menschen auf dem Sterbebett bereuen. Leider kann man die Validität des Artikels nicht einfach nachprüfen, da er laut Herausgeber per E-Mail eingegangen ist (Update am 7. 2. 2012: der Artikel scheint auf Bronnie Ware und ihren Blog zurückzugehen). Nach dem Lesen finde ich aber, dass ich die fünf Punkte hier übersetzen sollte. Ob die Rahmenhandlung erfunden ist oder nicht, spielt eigentlich keine große Rolle, solange die Geschichte zum Nachdenken über uns selbst, unser Verhalten und unsere Entscheidungen anregt.

Die Krankenschwester sagt, dass Menschen extrem über sich hinauswachsen, wenn sie mit dem eigenen Tod konfrontiert sind. Eine breite Palette von Gefühlen, die zuvor oft verschüttet waren, werde dann zugänglich. Natürlich gäbe es das Leugnen des Unausweichlichen, die Angst davor, Wut und Reue. In jedem Fall stand am Ende jedoch die Akzeptanz, oft gemischt mit der Trauer um die verpassten Dinge des Lebens:

8. Januar 2012

Vampire, Werwölfe und Zombies

Wir zwischen Tier, Tod und Wissenschaft

Vampire sind diese unangenehmen Unzeitgenossen, die schönen jungen lebendigen Frauen in die weißen Nacken beißen und sich nach getaner Untat zurück ins Grab begeben. Werwölfe sind die tierischen Brüder dieser Zombies, oft wird berichtet, wie sich die Untoten in Tiere verwandeln und auf allen Vieren Menschen anfallen und mit dem Maul zu zerreißen versuchen.

Für Literaturwissenschaftler ist klar, was hier passiert: Wir sind uns unserer Stellung als Menschen im Verhältnis zu den Tieren nicht ganz sicher. Und das nicht erst seit Darwin. Wir haben schon immer animalische Instinkte, wir versuchen sie zu verdrängen, wenigstens im Zaume zu halten und nur im Privaten oder in der Phantasie auszuleben. Nicht immer gelingt das, wir tun anderen unmenschliches an und werden dafür dämonisiert. Wir können Krankheiten und Störungen haben, die uns wild und aggressiv machen. Das macht uns Angst und wir versuchen die Angst mit Geschichten zu bannen. Mit schönen Geschichten, Angstblüten geradezu. Oder der Tod: Schrecklich, diese brutale Endgültigkeit, das Nicht-mehr-Zurückkommen unserer Lieben oder gar von uns selbst. Was für eine furchtbare Vorstellung. Noch furchtbarer ist nur das Gegenteil: Wenn doch jemand zurückkommt, der eigentlich tot ist. Auf dem Friedhof der Kuscheltiere finden wir die ganze Ambivalenz unserer Gefühle zum Tod. All diese gruseligen Grenzgänger sind letztlich nur die Schatten unserer Ängste, die sich auf den Weg aus unserem Unbewussten in unsere Bücher und auf unsere Kinoleinwände gemacht haben.

6. Januar 2012

Die Verdichtung der Zeit...

...und wie wir damit umgehen können

In der ersten Ausgabe von 2012 der Zeitschrift Human Resources Manager las ich ein interessantes Interview mit dem Zeitforscher Karlheinz Geißler. Seit der Erfindung der Uhr vor etwa 600 Jahren - so Geißler -, lebten wir in einer vorwiegend monochronen Zeit:

"Das heißt, die Vielfalt der Gefühle, die wir im Hinblick auf Zeit haben, wurde zentriert auf den Blick zur Uhr. Allein die Uhr gibt die gültige Zeit an. Polychrone Gesellschaften hingegen orientieren sich an vielen Zeitgebern, am Stand der Sonne, den eigenen Gefühlen, der sozialen Umwelt, der Natur und der Uhr."

Das muss man sicher etwas relativieren. Die Uhr mag eine herausgehoben wichtige Stellung haben, aber die alleingültige Zeitangabe liefert sie nicht. Zum Beispiel essen wir meistens dann, wenn wir Hunger haben. Wir gehen ins Bett, wenn wir müde werden und wir werden müde, wenn das Licht schwindet und deswegen das Melatonin unser Hirn überschwemmt. Dennoch sind viele dieser Vorgänge wiederum an die Uhr rückgekoppelt: Mittagspause mit den Kollegen um 12, ins Bett 23:30 und aufstehen, trotz großer Müdigkeit und fehlender Morgensonne mit dem Wecker um 6:30.

1. Januar 2012

Unsere sexuellen Phantasien - No Man's Land der Psychen

Glücksfall
Letztens las ich in der New York Times den Artikel SEXUAL FANTASIES: WHAT ARE THEIR HIDDEN MEANINGS? Mich hat der Artikel sehr an die zwei Bücher erinnert, die mein Vater in einer besonderen Schublade seiner Bibliothek aufbewahrte: Die sexuellen Phantasien der Frauen und Die sexuellen Phantasien der Männer von Nancy Friday. Natürlich fand ich als neugierig Pubertierender diese beiden Bücher in Null Komma Nichts. Und ich glaube es war ein absoluter Glücksfall. Es beflügelte meine Lust am Lesen nur noch mehr, brachte mich selbst dazu, mit dem Schreiben anzufangen und außerdem lernte ich in der Tat eine Menge über Sex und Psychologie. Vor allem lernte ich, wie viel eigentlich ganz normal ist und dass ich mir selbst über meine manchmal abgründigen Vorstellungswelten keine Sorgen machen musste. Friday stellte in ihrem Buch verschiedene Personen vor, ging etwas auf deren Lebensgeschichte ein und zitierte dann wortwörtlich ihre sexuellen Phantasien, die diese Personan vorher auf Band gesprochen oder aufgeschrieben hatten. Leider sind die zwei deutschen 80er-Jahre Ausgaben von Rowohlt vergriffen und nicht wieder aufgelegt worden. Es gibt aber eine Goldmann-Ausgabe des Nachfolgers "Befreiung zur Lust: Frauen und ihre sexuellen Phantasien". Sollten Sie also Kinder im kritischen Alter haben, dann machen Sie es wie mein Vater: Verstecken sie das Buch dort, wo ihr Kind es garantiert findet und geben Sie ihm Raum und die Zeit zur Entdeckung seines Selbst im Abgleich mit den Vorstellungswelten der anderen.

Gemessen an dem, was ich bereits als Pubertierender aus Nancy Fridays Büchern aus den 70ern wusste, kommen mir die in der New York Times angezettelten angeblich neuen Diskussionen in der US-Amerikanischen Psychologie wie aufgewärmter Kaffee vor. Im wesentlichen geht es darum, ob man durch seine Phantasien bestimmt wird oder nicht. Ist man schon ein Triebtäter, wenn einen die Vorstellung von erzwungenem Sex erregt? Sind wir homosexuell, wenn wir gleichgeschlechtliche Phantasien haben oder pädophil, wenn uns Lolita reizt?

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