30. Oktober 2016

Postwachstum: Müssen wir uns gesundschrumpfen?

"Degrowth" statt "Wachs oder stirb!"

Die Ausbreitung des Ökologischen Imperativs über die letzten 30 Jahre kann sich den kapitalistischen Entfremdungsdynamiken nicht entziehen. Wie alles gut gemeinte, kann das populäre Ökobewusstsein unter dem Strich nicht mit ausschließlich gewünschten Ergebnissen, also etwa gesunkenem Ressourcenverbrauch oder mehr Natur punkten: Windparks statt Wälder, SUVs statt Käfer und Billig-Bio im Discounter. Zugrunde liegt auch ein Prinzip, nachdem uns effizientere Technologien nicht zum Sparen bringen, sondern dazu, mehr davon zu nutzen und damit zum selben oder zu einem größeren Ressourcenverbrauch zu kommen.

Was hat die Schnecke dem Menschen voraus? Sie kennt keinen Konsumstress zum Beispiel.

Es ist so ähnlich, wie wir auch nicht mehr Freizeit dadurch bekommen, dass wir die Dinge nun schneller erledigen können, denn wir machen dann eben einfach mehr und kommen so unter Zeitdruck. Und wie ökologisch (un-) verträglich die Fertigung und Entsorgung all der Akkus für unsere Elektroautos sein wird, die nun bald den Verbrennungsmotor ersetzen sollen, wird sich noch zeigen. Der Post-Wachstums-Blues macht sich breit.

21. Oktober 2016

Der allwissender Gott – Reloaded

Technische Trenszendenz und Weltgewissen

Ich mag den neuen Peter Sloterdijk, der sich in seiner Essay-Sammlung Was geschah im 20. Jahrhundert? als Konservativer im ökologischen Sinne outet. In einigen Essays des Buches äußert er sich mahnend dazu, was es für uns Menschen heißt, ein ganzes geologisches Erdzeitalter als Anthropozän zu prägen oder wie kurzfristig unser Leben der Verschwendung und jenseits jeder Normalität sein dürfte.

Sputnik 1: "Dawn of the Space Age" (Gregory R Todd CC BY-SA 3.0)

Im Essay "Starke Beobachtung: Für eine Philosophie der Raumstation" (kann auch in der NZZ nachgelesen werden) bringt Sloterdijk eine unerwartete Parallele ins Spiel – die von Technik und Gott, oder genauer gesagt von Satellitentechnik und einem allwissenden, alles sehenden und am Ende jeden richtenden Gott. Sloterdijk geht darin über die bisherige Technikphilosophie hinaus, die Technik immer als Prothesen und Erweiterungen der menschlichen Sinne und Aktionsradien beschreibt. Zum einen ist die Raumstation keine bloße Erweiterung menschlicher Fähigkeiten oder ein Vordringen in neue Räume, sondern ein wirklich neues Erschaffen von "Weltraum", in dem sich der Mensch aufhalten kann: "Die Einpflanzung einer Welt in ein vormaliges Nichts" (Sloterdijk, S. 179). Zum anderen ist es die erste wirklich gottgleiche Perspektive, die hier von Menschen erschaffen wird. Während sich die verschiedenen Religionen noch streiten und im Kern erodieren (Wer fühlt sich heute schon in seinem sündhaften Treiben von oben beobachtet?), "hat die Astronautik bereits eine pragmatische Form von gemeinsamer Transzendenz hervorgebracht, die alle [...] in gleichem Abstand umkreist und gleichmäßig überblickt."

18. Oktober 2016

Die unerwartete Leichtigkeit, Eltern zu sein

Ich bin erst spät Vater geworden, das hat viele Vorteile, unter anderen den, dass ich nicht das Gefühl habe, viel verpasst zu haben. Viele Eltern (laut YouGov etwa 20%) bereuen später, Kinder gezeugt zu haben, weil sie z.B. unter dem Eindruck sind, ihre persönlichen Entfaltungs- und Karrieremöglichkeiten hätten gelitten. Dazu will ich nicht zählen. Verschiedene Partnerschaften, um die Häuser ziehen, Reisen, lange studieren, an anderen Orten leben, verschiedene Arbeiten ausprobieren und sonst auch Dummheiten machen und unvernünftige Risiken eingehen... all das möchte ich als Vertreter der in die Länge gezogenen Jugend nicht missen. Und lange dachte ich, ich möchte auch nicht unbedingt Vater werden und all die Einschränkungen der Freiheit hinnehmen, die diese Rolle zwangsläufig mit sich bringt. Es ist ein anderes Leben.

Faszination Baby: Plötzlich ein Star (Elvis Presley und Priscilla mit Lisa Marie, Februar 1968)

Nun waren wir gerade zu Besuch bei meinen Schwiegereltern in Frankreich, der erste lange Road Trip mit dem drei Monate alten M. Natürlich ist so eine Reise auf viele Arten anders und auch anstrengender, als wenn man zu zweit oder gar allein unterwegs ist. Pausen sind häufiger und drehen sich um den Kleinen und seine elementaren Bedürfnisse. Wir hören beim Fahren nicht mehr laute Rockmusik oder Hip Hop, sondern entweder nur den Motor oder leicht verträgliches Gedudel. Ich könnte viele Dinge aufzählen, die anders und auch anstrengender sind und die ich auch erwartet hatte. Ich möchte aber auf eine Sache eingehen, die ich gar nicht erwartet hatte: Ein Element der Leichtigkeit, seit dem ich Vater geworden bin.

14. Oktober 2016

Fakten helfen nicht gegen Populismus, was dann?

Es hilft nur eins: Stimmung machen!

Hilflos sagen deutsche Politiker nach der Konfrontation mit dem Mob in Dresden: "Die wollen sich ja gar nicht argumentativ mit uns auseinandersetzen!" Und fassungslos schaut die Mehrheit der Amerikaner und Europäer auf Trump und fragt: "Warum folgt dem überhaupt jemand, wo er doch aus seiner Charakterlosigkeit, seinen niederen Beweggründen und seiner Unehrlichkeit keinen Hehl macht?" Wir Vernünftigen haben das alles komplett missverstanden. Es geht nicht um Argumente oder Ehrlichkeit! Es geht um Stimmung und das müssen wir endlich verstehen und vor allem ernst nehmen, wenn wir nicht gegen die Populisten und Wahnsinnigen verlieren möchten.

Männer wie Donald Trump und Organisationen wie die AFD bieten ein Ventil für all die, die sich nicht mit einer Kultur identifizieren können, die auf Gleichberechtigung, Toleranz und Anstand besteht. Endlich, so empfinden viele Anhänger solcher Populisten, sagt mal jemand öffentlich, was sich andere nicht trauten. Zu sehr scheinen sich zu viele Menschen von der herrschenden "Political Corectness" bevormundet zu fühlen.

Trump in Stimmung (Karikatur von DonkeyHotey, CC BY-SA 2.0)

7. Oktober 2016

Warum die Liebe nicht gelingt

Die neue Wertschätzung des Bauchgefühls ist
das Erbe einer kollektiven traumatisierten Reaktion
gegen zu viele Jahrhunderte unvernünftiger Vernunft.
(Alain de Botton, S. 37)

Wie ich neulich schon auf dem Blog der School of Life schrieb, war ich bei einem Vortrag des Gründers der School of Life Alain de Botton. In dem Vortrag ging es darum, wie schädlich die romantische Idee der Liebe für unsere Beziehungen sein kann. Warum?

"Nun, weil die mit diesen Ideen einhergehenden Ansprüche und Erwartungshaltungen kaum zu befriedigen sind und daher für so viele Missverständnisse, den ganzen Frust und die enorme Enttäuschung verantwortlich sind, die nun beinahe jedes einmal so romantisch verliebte Pärchen früher oder später einholen und oft zugrunde richten." (G. Dietrich, Alain de Botton spricht über die romantische Liebe)

Inzwischen lese ich Alain de Bottons neues Buch Der Lauf der Liebe. Es hat die Genrebezeichnung "Roman" und es hat auch romanhafte Elemente, nämlich eine fiktive Geschichte zwischen den zwei erst verliebten und dann verheirateten Kirsten und Rabih. Allerdings hat es auch etwas von einem Lehrbuch, denn die Geschichte wird von meistens kurzen und immer kursiv gedruckten Absätzen mit historischen, psychologischen und philosophischen Einlassungen, Abhandlungen oder Aphorismen unterbrochen. Das ist sicher erst einmal gewöhnungsbedürftig, trägt aber dann erheblich zum Lesespaß bei.

Wenn de Botton im Zitat oben sagt, dass die neue Wertschätzung des Bauchgefühls das Erbe einer kollektiven traumatisierten Reaktion gegen zu viele Jahrhunderte unvernünftiger Vernunft sei, so ist das nicht nur ein cleveres Bonmot, das auch wie die Faust aufs Auge unserer postfaktischen Politik passt, sondern es beschreibt ziemlich genau, warum die Liebe mit dem 19 Jahrhundert plötzlich von der typischen Vernunftehe zu einer romantischen Raserei geworden ist, deren Luftschlösser allenthalben für irdische Enttäuschung sorgen. De Botton schreibt:

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