29. Dezember 2013

2013 - Was ist aus den guten Vorsätzen geworden?

Und was kommt 2014?

Wie war das Jahr 2013? Schnell war es, anstrengend und lehrreich. Dieses Jahr habe ich vergleichsweise wenig schreiben können. 2011 und 2012 waren es pro Jahr noch 100 Artikel auf Geist und Gegenwart, dieses Jahr habe ich es noch auf 70 gebracht.* Das liegt daran, dass ich bisher nur in meiner Freizeit schreibe und 2013 hatte ich davon deutlich weniger als in den Jahren zuvor.

Das bringt mich gleich zu einem Schwerpunkt, den ich 2014 im Auge behalten muss: Bei aller Leidenschaft für meinen Job als Leiter einer Personalabteilung für rund 1700 Kollegen, muss ich im nächsten Jahr die Balance zwischen meiner Arbeit und meiner Freizeit wieder besser auf die Reihe bekommen. Durch weitreichende Umstrukturierungen in der Firma, hat besonders HR dieses Jahr die Ärmel richtig hochkrempeln müssen. Zehn Arbeitsstunden am Tag waren eher die Regel für uns. Das ist an sich auch gar kein Problem, wenn man nicht "nebenher" auch ein Privatleben mit Leidenschaften, Wünschen und Verpflichtungen hätte.

Mir ist eine Ausgleichszeit zur Arbeit aus mehreren Gründen sehr wichtig: Sei es, um mit meiner Frau tatsächlich ein gemeinsames Leben zu führen, meinen Sport, meine Gesundheit und den Boxsport-Verein nicht zu vernachlässigen oder um mich dem Lesen und Schreiben zu widmen, ohne das ich im Leben stagnieren und nichts mehr dazu lernen würde. Ich hatte mir für 2013 aber auch vorgenommen, mehr raus zu gehen, mehr zu erleben. Das finde ich unheimlich wichtig, denn letztlich zählen im Leben die Erlebnisse, an die wir uns lange erinnern.

Das erste Mal wie ein Profi mit Flaschen tauchen...

24. Dezember 2013

Einfach nur schauen

Der Unterschied zwischen Sehen und Sehen

Wie können wir unsere gefühlte Entfremdung von der Natur überwinden? Durchs genaue Hinsehen vielleicht? Hugo Whately lehrt an Alain de Bottons School of Life in London und meint in Simply Seeing (Link zum englischen Originaltext), dass das Problem mit unserer Natur und Umwelt nicht nur in ihrem Verfall besteht, sondern bereits im Verfall unserer Wahrnehmung von Natur. Achtsamkeit unserer Umwelt gegenüber fängt in unseren Augen an. Ein interessanter Gedanke, den Whately hier mit Goethe entfaltet. Was kann das für uns als Individuen, aber auch für die Menschheit bedeuten? Da der Text nur auf Englisch vorliegt, habe ich ihn in der Hoffnung übersetzt, dass er zu unserem Wohl auch im deutschen Sprachraum die Runde macht...

Unsere wissenschaftliche Weltdeutung narrt uns, wenn wir glauben, dass uns die bloße Anhäufung von Wissen näher an unsere Welt um uns herum heran bringt. Es ist nicht das Wissen, das zählt, wenn wir als Menschen direkte Erfahrung suchen, es ist die Methode. Es gäbe einen "Unterschied zwischen Sehen und Sehen", meint Goethe in seiner Einleitung in die Morphologie und niemand, der aufmerksam schaut, werde die Natur jemals tot und stumm finden.

Gib deiner Wahrnehmung Raum und Zeit (Leaf von dr_tr via Flickr)

Unser Gefühl der Entfremdung von der Natur

Goethes Verständnis der Beziehung zwischen uns und der natürlichen Welt, so wie wir sie wirklich sehen können - mit der ganzen Aufmerksamkeit unseres Bewusstseins - zeigt uns auf, wie entkoppelt und entfremdet wir von der Natur sind. Wenn wir nicht richtig hinsehen, dann werden wir die Welt um uns herum einfach nicht fühlen. Obwohl wir ganz strikt gesagt von der Natur gar nicht abgetrennt sein können, denn wir sind immer in der Natur, wir sind ein Teil von ihr. Wir bestehen aus Natur. Und trotzdem ist das Gefühl der Entkopplung und Entfremdung von der Natur in uns sehr überzeugend, das Gefühl von Distanz zur Natur und Vertreibung aus ihr ist überwältigend. Unser Verdacht, dass wir die Verbindung zur Natur verlieren, lässt uns raus gehen und sie suchen: Tiefes Einatmen einer Brise Wind am Meer, das Panorama von einem Berg oder der kurze Blick auf die zahllosen Sterne an einem späten Abend. Wenn wir uns von der Natur entkoppelt fühlen, dann können wir immer raus gehen und versuchen, in sie einzutauchen. Goethe spricht die andere Seite an: Eine Verbindung mit der Natur entsteht nicht nur dadurch, dass wir raus zu ihr gehen, sondern dass wir sie in uns hineinlassen, dass wir sie sehen.

Der Auffassung des Universalgelehrten, des Philosophen, Schriftstellers, Wissenschaftlers und Politikers Goethe liegt eine etwas sonderbare, für Wissenschaftler vielleicht schamlose Einsicht zugrunde: Unser Verständnis der Welt wird dadurch geschärft, dass wir uns verdammt noch mal die Zeit nehmen, richtig hinzukucken. Im Auge seines Geistes formte Goethe ganz detailliert die Konturen, Kurven und Farben der Steine und Blumen nach, die er studierte. Dieser intensive Blick auf die Dinge war für ihn die Voraussetzung einer richtigen wissenschaftlichen Analyse. Die intime Kenntnis des Gegenstandes war Goethes Wissenschaft. 

Sehen als Form des Seins

Wenn wir die Verbindung zur Natur wieder fühlen wollen, sollten wir unsere Kategorien und Klassifikationen mal für einen Moment zur Seite legen, eine Pause machen und in die Natur schauen. Mal nicht nachdenken, sondern ein Blatt, einen Grashalm oder ein bisschen Erde in die Hand nehmen, anschauen und in unser Bewusstsein aufnehmen. Mit ganz gezielter Aufmerksamkeit tastet unser Auge die Miniaturlandschaft in unserer Hand Millimeter für Millimeter ab, wir tauchen ein ins Detail. Vergessen wir mal alles, was wir je gelernt haben, jedes Wort, dass wir je gesagt haben und versuchen wir, nur zu schauen. Als Spezies, so Goethe, ist der Mensch sehr gut im Sehen. Und wenn wir dem Schauen Zeit und Platz einrichten, geduldig und ohne Ablenkung, dann kann Seen eine Form des Seins werden.

Philosophen und deskriptive Wissenschaftler nennen das "exakte Sinneswahrnehmung", "unmittelbares Bewusstseinserleben" (in der Phänomenologie) oder, um noch einmal ein Wort Goethes zu nutzen: Morphologie als das Studieren der Form, das mit unserer bewussten und gezielten Wahrnehmung beginnt. Um es weiter zu fassen und auf unsere heutige Situation anzuwenden: Das dramatische Problem - so der Goethe Spezialist Jeremy Naydler - mit unserer Natur und Umwelt besteht nicht nur in ihrem Verfall, sondern bereits im Verfall unserer Wahrnehmung von Natur.

Unser Gefühl von Naturdefizit ernst zu nehmen und unsere Entfremdung von der natürlichen Umwelt zu lindern, ist keine Frage der Expertise, sondern eine Frage der Technik, der Methode. Mehr über die Tiere, Berge und Pflanzen zu wissen, ist an dieser Stelle nicht der Punkt. Der Punkt ist, sich darüber klar zu werden, wie wir die Dinge wahrnehmen und uns dann ganz bewusst unserer Aufmerksamkeit den Dingen gegenüber hinzugeben.

Wir müssen nicht noch mehr wissen, sondern nur mehr schauen, langsamer sehen, mit Mut und Bewunderung. Das Blatt, der Grashalm oder das bisschen Erde in deiner Hand sind schließlich Teile dieses Kosmos. Gib ihnen Zeit und Raum in deiner bewussten Wahrnehmung und lass die Natur ins Auge deines Geistes. Man könnte es kognitive Gastfreundschaft nennen, oder eben einfach nur Schauen!


17. Dezember 2013

Sind wir böse? Sind wir dumm? Ist das dasselbe?

Was ist das Böse? Ich denke, darauf erst einmal beispielhafte Antworten zu finden, fällt uns nicht schwer. Denken wir an Serienmörder, Terroristen, den Holocaust oder vielleicht auch an Überschwemmungen, Krankheiten und menschenfressende Tiere. Die Welt ist voll von Bosheit, meistens sind es die Menschen, die böses tun. Böse ist das Gegenteil von gut, die beiden Begriffe sind die Antagonisten unserer Moralvorstellungen. Wenn etwas moralisch richtig ist, dann ist es gut, wenn etwas moralisch falsch ist, ist es böse. So unser modernes Verständnis vom Bösen. Aber wie ist es z.B. mit Naturkatastrophen, die jetzt vermehrt über uns hereinbrechen und wahllos Menschen in den Tod reißen?

Immer wieder in unserer Geschichte, besonders nach ganz großen Katastrophen, stand die Frage im Raum, ob die Welt, so wie sie ist, nicht eigentlich böse sei. Leid und Sterben waren in der Vergangenheit vergleichbar allgegenwärtig, während es heute eher Ausnahmesituationen sind. Wir sind heute, nach der Aufklärung, auch weniger geneigt, Erdbeben, Dürren, Fluten, Tiere oder sonstige Naturphänomene böse zu nennen. Vielmehr machen wir die oben genannte moralische Unterscheidung. Nur wer oder was selbst Entscheidungen treffen kann, kann auch moralisch falsche Entscheidungen treffen und damit böse sein. In früheren Epochen, als die Menschen eine magische Vorstellung von der Welt und ihrer Schöpfung hatten, gab es diesen Unterschied nicht. Das Erdbeben von Lissabon im November 1755 spitzte die Frage zu, wie ein gütiger Gott Tausende Menschen ohne Unterschied in den Tod reißen kann. Es war zuerst undenkbar, dass hier einfach völlig gleichgültige Naturkräfte am Werk waren, die in keinen intentionalen Zusammenhang zu Menschen zu bringen waren. Leibnitz fand darauf die vorläufige Antwort, dass Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen hat und dass uns die unendliche Weisheit fehlt, das in seiner Gänze zu durchschauen. Aber auch heute gibt es nach jeder Naturkatastrophe Schlagzeilen wie "Die Natur schlägt zurück". Dabei steht hier gar nicht zur Diskussion, ob unser Umgang mit der Natur auch solche Folgen wie Erderwärmung inklusive Anstieg des Meeresspiegels hat, sondern der Gedanke, dass die Natur sich rächt. Rache kann in unserem naturwissenschaftlichen Verständnis nur von etwas beseeltem ausgehen, aber nicht von Plattentektonik, Eisbergen oder Vulkanen.

14. Dezember 2013

100 Jahre im Spiegel großer Denker

Die erste Sonderausgabe des Philosophie Magazins

Eine Besprechung inklusive einiger ausgesuchter und manchmal philosophischer Gedanken zu Themen wie Krieg, Diktatur, Demokratie, Ernährung, Terrorismus, Finanzkrise und Informationszeitalter.

Die Redaktion des von mir sehr geschätzten Philosophie Magazins hat eine Sonderausgabe heraus gebracht: 1914 - 2014: Das Jahrhundert im Spiegel seiner großen Denker. Schon der plakative schwarz-rot-weiße Umschlag drückt aus, worum es vor allem gehen wird: um Politik und Geschichte. Der Beginn des ersten Weltkrieges, der Faschismus, die "Stunde Null", die Studentenbewegung, der RAF-Terrorismus, Tschernobyl, Aids, der Fall der Mauer, 9/11, der Drohnenkrieg, Eurokrise und Wikileaks markieren einige der Fixpunkte, an denen sich das Heft entlang bewegt. Für den Leser, der ein Kaleidoskop unsystematisch zusammengestellter intellektueller Blitzlichter der letzten 100 Jahre schätzt, ist das ein empfehlenswertes Heft. Man erlangt durchaus ein Verständnis für die Wahrnehmung der Intellektuellen in ihrer jeweils gegenwärtigen geschichtlichen Verortung. Aber wo ist die Philosophie?

8. Dezember 2013

Willkommen in der Entfremdung

Wenn die Beziehung zur Lebenswelt abreißt


Während meines Philosophiestudiums ging ich durch eine tiefe Krise. Ich hatte ganz plötzlich große Schwierigkeiten, mich selbst in Beziehung zu meiner Umwelt und meinen Mitmenschen zu sehen. Alles um mich herum schien mir ziemlich sinnlos und abstoßend. Ich wusste nicht mehr, was ich selbst tun konnte, um irgendwie sinnvoll an der Welt teilzuhaben.

Ich konnte auch kaum mit jemandem drüber reden, denn niemand verstand, wie es mir ging. Wurde ich doch mal gefragt wie ich das beschreiben würde, was ich erlebte, dann sagte ich, dass ich mich von allen Menschen und den Objekten um mich herum vollkommen entfremdet fühlte.

Damit hatte ich zumindest ein Wort. Dieses Wort war wie der Anfang eines Fadens in einem verknoteten Knäuel. Hier konnte ich ansetzen und langsam versuchen, den Knoten zu lösen, in dem ich den Anfang des Fadens in den Fingern behielt und durch das Knäuel zog, um es zu entwirren. Der Faden, den ich so aufnahm, wurde immer länger und das Knäuel langsam kleiner. Die Dinge fingen wieder an, Sinn zu machen.


.About
Willkommen in der Entfremdung: Was hat diese Welt mit mir zu tun? (Foto: Vincepal via Flickr)


1. Dezember 2013

Optimismus und Okzidentalismus

Von der Utopie des gesellschaftlichen Fortschritts

"Ich gehe davon aus, dass es den europäischen Theoretikern von Nutzen wäre, ihre koloniale, eurozentristische Einstellung beiseitezulegen und den globalen Kapitalismus in seiner Gänze und in allen seinen Regionen zu betrachten." Nadja Tolokonnikova (Pussy Riot)*

"Nadezhda Tolokonnikova" by Dan Witz, London
"Nadezhda Tolokonnikova" von Dan Witz, London (via Flickr)

Ich liebe den Westen, unsere Demokratie, die Meinungsfreiheit und die immer weiter fortschreitende technologische Entwicklung, die unsere Möglichkeiten erweitert, die Lebensstandards verbessert, uns länger und gesünder leben lässt und unseren luxuriösen Lebenswandel zunehmend nachhaltiger gestaltet (Solar- und Windkraft, Elektroautos, ökologische Landwirtschaft etc.).

Der pragmatische Optimismus

Nachdem der eiserne Vorhang aus meinem Leben verschwand und mir völlig neue Möglichkeiten der Entfaltung gab, machte ich mich nach Westen auf. Erst besuchte ich Nordamerika nur, verliebte mich in die unbegrenzten Möglichkeiten und zog schließlich hin, um an der Ostküste zu leben und zu studieren. Anschließend arbeitete ich für Google, den größten, innovativsten und auch international erfolgreichsten amerikanischen Internet-Giganten und lernte dort, die Welt als freundliche, offene und immer wieder positive Herausforderung für den Fortschritt der Menschheit kennen. Diese optimistische Perspektive und die daraus resultierende Pragmatik (alles ist machbar) sind zu einem Teil von mir geworden, den ich nicht mehr missen möchte.

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