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1. August 2025

Angst und autoritäre Persönlichkeit

Warum wir Grausamkeit wählen

Wenn die Herabsetzung anderer wichtiger ist, als gute Politik und die eigene Lebensqualität 

Immer wieder kratze ich mir am Kopf, weil ich nicht verstehe, wieso so viele Menschen solchen clownesken Autokraten und Möchtegerndiktatoren wie Orban, Le Pen oder Trump hinterher laufen oder warum sie Parteien wie die AfD wählen, die durch grausame Sprache auffallen, immer nur andere herabwürdigen und in alle Richtungen bittere Galle versprühen. Das ist doch höchst unattraktiv! Wenn man dann noch beobachtet, dass die eigentliche Politik dieser Autokraten den Unterstützern eher noch schadet (siehe Abschaffung von Sozialleistungen und das Ruinieren der Wirtschaft etc.), dann bin ich komplett ratlos.

Da diesem Phänomen mit philosophischen und politischen Analysen schon gar nicht beizukommen ist, wird es Zeit für ein bisschen Psychologie und Soziologie. Ganz knapp zusammengefasst: die tragisch-grausamen Clowns werden nicht trotz, sondern wegen ihrer Grausamkeit gewählt. Aber warum wählen wir Grausamkeit überhaupt?

 
Was die Wähler sehen wollen: "Illegal aliens are returned to Ecuador" (DoD, Public Domain*)

3. Dezember 2023

Küsst du mit diesem Mund auch deine Mutter?

Anstand, Tugend und Würde in der Öffentlichkeit

Kaiser Nero: Man-child, Gopnik, Peter Pan (Abraham Janssens van Nuyssen: Nero, Ausschnitt)

Wir kennen alle die Geschichte vom Kaiser Nero als größenwahnsinnigen Tyrannen, der lasterhaft und mit Grausamkeit das antike Rom beherrschte. Inspiriert von Neros Niederbrennens seiner eigenen Stadt, wies Adolf Hitler am Ende des zweiten Weltkrieges mit dem sogenannten "Nerobefehl" die Zerstörung der deutschen Infrastruktur an. Wir alle haben sicher auch schon von Iwan dem Schrecklichen gehört, der schon als Kind durch Sadismus gegenüber Tieren auffiel und später seinem Volk Massenhinrichtungen, grausamste Foltermethoden und andere Grausamkeiten wie diese zukommen ließ:

"Einmal ließ er einen Fürsten in ein Bärenfell einnähen und auf das Eis bringen. Als seine großen Hunde den vermeintlichen Bären in Stücke rissen, belustigte der Zar sich so sehr, dass er vor Freude nicht wusste, auf welchem Bein er stehen sollte." (Peter Petrejus: Historien und Bericht im Großfürstenthumb Muschkow. Leipzig 1620 – Wikipedia)

Ich glaube, diesen historischen Figuren wurde in Games of Throns die Figur King Joffrey (Baratheon) gewidmet. Ein tyrannisches und grausames Kind mit absoluter Macht über ein ganzes Königreich und seine beklagenswerten Einwohner.

3. September 2022

Nichts glauben und lieber selbst recherchieren?

Vom Selberdenken und den Tücken der Wahrheitsfindung

"Soll das ein Witz sein? Quantenmechanik –
darüber diskutieren wir hier? Bleiben Sie bei ihren Leisten!"
Walter White zu Saul Goodman in Better Call Saul

Wie das nervt, wenn ich von skeptischen Mitmenschen ermahnt werde, doch bitte nicht so ein Schaf zu sein und alles zu glauben, was mir von "angeblichen" Wissenschaftlern erzählt wird. Hier ein paar Beispiele:


Sie glauben immer noch nicht an Reptiloide unter uns? (Chris Gold, CC BY-NC 2.0)

  • Es gibt keine außerirdischen Reptiloiden unter uns, die aussehen wie Menschen und uns alle steuern? Ja, Reptiloide – das klingt erst einmal nach Fantasy, aber wenn man sich die gut recherchierten Dokumentationen auf YouTube ansehe, dann falle es einem "wie Schuppen von den Augen" (pun intended).
  • Unsere heutigen Klimakatastrophen seien menschengemacht? Ich kennte wohl die Arbeiten des norwegisch-amerikanischen Physikers und Nobelpreisträgers Ivar Giaever nicht? Dieser habe nachgewiesen, dass es keinen Klimanotstand gäbe... 
  • Impfschäden? Übersterblichkeit? Wirkungslose Homöopathie? Diese angeblichen Wissenschaftler sind doch alle von der Pharma-Lobby gekauft. Bist du wirklich so naiv?

23. August 2022

Karma oder Schadenfreude? Zum Tod einer Tochter

Wie ist es moralisch zu bewerten, wenn wir uns diebisch freuen?

Ist es legitim, sich über das Unglück eines anderen Menschen zu freuen? Schadenfreude ist menschlich, so viel ist klar. Aber ist sie nicht auch verwerflich, also aus einer Perspektive der Ethik betrachtet falsch?

Was steckt hinter der Schadenfreude?

Schadenfreude ist die Freude über einen Schaden, der für jemanden anderen eingetreten ist. Eigentlich freut man sich ja nicht über Schäden, die auftreten, sondern über etwas positives, das einem selbst oder anderen widerfährt. Warum kann es also überhaupt Freude über einen Schaden geben? Na offensichtlich, weil man dem anderen eben genau diesen Schaden gewünscht oder nach Möglichkeit sogar selbst zugefügt hätte und weil man meint, dass einem selbst durch den Schaden des anderen etwas Gutes widerfahren sei. Auch ein vereinfachtes und unklares Gerechtigkeitsgefühl kann eine Rolle spielen. Die Freude ist offenbar auch dadurch noch gesteigert, dass der Schaden eingetreten ist, ohne dass man selbst dafür sorgen musste.

Kurz gesagt: Man profitiert vom Schaden eines anderen. Aus ethischer Perspektive kann man also argumentieren, dass die Freude über den eingetretenen Schaden moralisch nicht besser ist, als der Akt des Zufügen eines Schadens selbst. Man könnte vielleicht sogar behaupten, dass die "billige" Schadenfreude des Zuschauers noch perfider ist, als der Akt des Schadenzufügens, denn hier freut man sich ohne eigenes Risiko. Ein interessantes Beispiel, wie die Rechtssprechung von der Moral abweicht, denn egal wie moralisch verwerflich – für Schadenfreude wird man nicht vors Gericht gestellt.

Auch nach den bekannten goldenen Regeln und ethischen Imperativen, nach denen man anderen nichts zufügen oder wünschen solle, dass man nicht auch für alle inklusive sich selbst wünschte, ist Schadenfreude also ganz klar moralisch verwerflich. Einen Ausweg gäbe es, wenn man sich über eine harte Strafe freut, die man sich auch selbst für ein Fehlverhalten wünscht. In religiösen Kontexten kann man das sehen, wenn jemand sündigt und sich erst besser fühlt, nachdem er dafür auch Buße tun konnte. Die Selbstgeißelung wäre solch ein Beispiel. Wer sich über das Auspeitschen eines anderen freut und für alle inklusive sich selbst in Anspruch nimmt, bei vergleichbaren Vergehen auch ausgepeitscht zu werden, der wäre bei dieser Art Schadenfreude fein raus.

22. Mai 2022

Von der Sorge und vom Denken

Warum ist das Denken so unbeliebt?

Denken hat heutzutage nicht unbedingt den besten Ruf. Lange habe ich mich am Kopf gekratzt, wenn ich mitbekam, dass Menschen um mich herum in Zweifel zogen, dass das "Philosophieren" ein guter Weg wäre, einen Zugang zur Welt und zur eigenen Position in dieser Welt herzustellen.

Zuviel denken macht krank! Solche Aussagen haben mich immer sehr irritiert. Oder: Meditieren, statt denken! Wir müssen im Hier und Jetzt sein. Oder: Nicht immer nur denken, auch mal machen! Das hat sich mir dann schon eher erschlossen, wenn ich auch immer umgekehrt dachte, dass zu viel machen ohne genügend nachgedacht zu haben, das eigentliche Problem sei. Besser verstanden habe ich das Problem bei typischen Fagen wie: Wie kann ich es abstellen, dass meine Gedanken immer so rasen?

Es geht bei all den oben so unbehaglich problematisierten kognitiven Vorgängen gerade nicht ums Denken. Wie soll denn denken, krank machen können? Und gerade beim Denken bin ich doch am ehesten im Hier und Jetzt! Und denken schließt doch das Handeln nicht aus, ist hier vielleicht "zögern" gemeint? Und "rasende Gedanken" ist eigentlich schon das Gegenteil von denken.

13. April 2022

Prekär geborgen in der letzten Kugel

Eine (fast unmögliche) Kurzfassung zu Peter Sloterdijks Sphären Band II von Paul-Heinz Schwan

Globalisierung oder Sphäreopoiese im Größten ist das Grundereignis des europäischen Denkens das seit zweieinhalbtausend Jahren nicht aufhört, Umwälzungen in den Denk- und Lebensverhältnissen der Menschen zu provozieren. (Peter Sloterdijk)

Das Leben – eine runde Sache?

Das Runde, Bergende, Harmonische begeistert. Es zieht uns schnell in seinen Bann. Es fasziniert zunächst und beherrscht dann diejenigen, die so "beherrscht" – heute würde man sagen: geführt – werden möchten. Rundes ist einnehmend, bewegend. Es inspiriert das Gefühl. Es schmeichelt dem Wohlsein. Der runde Tisch, die gesellige Runde. Das runde Lenkrad für die vielen PS. Wir sprechen vom "Runden" wenn wir beruhigen oder verführen wollen. Wir sitzen gesellig an runden Tischen, sind Teil einer illusteren Runde. Wer möchte nicht, dass der Tag, das Projekt, ja sein Leben eine "runde Sache" wird. 

Atlas, der die Welt hält und von 12 Frauen umgeben ist, die die 12 Tierkreiszeichen darstellen (gemeinfrei)

Irgendwie rundet man immer auf oder ab und wenn es nur der Schnaps zum Abschluss der Verhandlungsrunde ist. Sonst fehlt was. Rundungen wirken architektonisch immer. Die Portale einer Kirche und deren Decken sind rund. Wer im Altertum Herrschaft oder Schutz begründen wollte hielt eine Kugel in der Hand oder stand auf einer. In eine Ecke wird man gestellt und bestraft. In die Runde wird aufgenommen, kann die Mitte finden. Alles menschliche Leben beginnt in einer Rundung, in einer "Kugel". Dass wir auch an den Rand einer Rundung geraten können, dass wir auf einer Kugel wohnen die die einzige und letzte sein könnte, dass uns eine Kugel treffen kann, all diese Schrecken sitzen auch tief. Wie kann denn das Bergende auch unser Vernichter werden?

16. Januar 2022

Verschwörungstheorien... Warum nicht?

Eine unvoreingenommen philosophische Betrachtung

Die NASA hat die erste Mondlandung vorgetäuscht... Die US-Regierung orchestrierte die Anschläge am 11. September... Eine eingeschworene Gruppe Satan anbetender Pädophiler betreiben einen globalen Kindersexhandelsring und plant ein Komplott...

Mini Mondlandung (Eric Kilby, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Jede dieser Behauptungen wurde als "Verschwörungstheorie" angeprangert. Aber was sind Verschwörungstheorien? Und sollten wir jemals eine akzeptieren? Wenn ja, wann? Auf diese Fragen bietet dieser Essay von Jared Millson, Assistant Professor der Philosophie in Memphis USA erste Antworten.

12. Dezember 2021

Über Misanthropie: Hass und Verachtung reflektiert

Ein Gespräch über enttäuschte und missglückte Menschenliebe

Im Sommer sprach der Journalist Rolf Cantzen mit mir über Negativität, Misanthropie und verwandte Variationen des menschlichen Erlebens. Das Ziel war Cantzens Radio Feature Über Misanthropie: Missglückte Menschenliebe, das schließlich am 5. Dezember im Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde.


Im Folgenden kann man das Zweiergespräch als Transkript lesen. Allerdings lege ich jedem ernsthaft ans Herz, sich das gesamte Feature anzuhören, es lohnt sich und ist überraschend komisch.

21. Februar 2021

Drogen – Extase und Vernunft

Die Sucht nach Inexistenz, erste und zweite Philosophie

Ich würde mich einen Menschen der vorsichtigen Ekstase nennen, einen, der gern mal Grenzbereiche auslotet, mindestens ausleuchtet. Eines meiner Lieblingsbücher in der Adolesenz war Die Pforten der Wahrnehmung. Himmel und Hölle. Erfahrungen mit Drogen von Aldous Huxley. Seit seiner Lektüre stellte ich mir die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass der Drogenrausch kein Mittel der außerordentlichen Erkenntnis mehr ist, sondern zu einem Alltagsphänomen wurde. Ich stelle mir immer vor, dass der Rausch für vormoderne Völker viel wichtiger gewesen sein muss als für uns. Zugleich wichtiger und auch eingeschränkter. Der Rausch wird nur in zeremoniellen Momenten und für wenige Repräsentanten verfügbar gewesen sein, zum Beispiel Schamanen oder Stammesangehörige an einem ganz bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben. Heute ist es umgekehrt: Wie in Huxleys Schöne Neue Welt und seiner Droge Soma gehört der Rausch in Form von Alkohol und anderen Drogen einfach dazu. Rausch ist täglich verfügbar und gehört mindestens am Wochenende zum guten Ton. Damit einher geht natürlich eine Entwertung, eine Vulgarisierung: Bis auf den gesundheitsgefährdenden Zeitvertreib bedeutet der Drogenkonsum heute nichts mehr. Oder?

Natürlich bedeuten alle Dinge mehr, als man ihnen auf Anhieb ansieht, was ja der Grund der philosophischen Neugierde ist. Die Frage nach dem Rausch geht interessanterweise einher mit der Frage nach der Philosophie überhaupt, denn anfangs sind Philosophie und Rausch gar nicht von einander zu trennen.

12. Dezember 2020

Glücklich durch die Pandemie

Meine Überlebensstrategien in Krisen

Es kann ziemlich niederschmetternd sein, dieses Jahr so zu beenden, wie es anfing: beschränkt in unseren Sozialkontakten, besorgt über uns selbst und unsere Nächsten, behindert in unserem Bewegungsdrang. Hinzu kommen all die idiotischen Zumutungen durch ängestigende Nachrichten, unklare Zufunftsaussichten oder tatsächliche Einkommenseinbrüche. Mich nerven auch verwirrte Mitmenschen, die sich nicht anders zu helfen wissen, als gegen die objektive Realität anzustürmen, indem sie sich weigern Masken zu tragen, indem sie so tun, als seien sie unverwundbar und/oder indem sie ihrer Verwirrtheit mit messianischem Eifer über Verschwörungsgeschrei Ausdruck geben müssen. 

Ab in den Wald ist eine meiner Strategien (Bild von mir, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE)


Ich verstehe sehr gut, dass man das alles am liebsten gar nicht wahr haben möchte. Und ich denke auch, dass all die Maßnahmen noch lange nach Corona nachwirken werden und dass wir einen Preis dafür zahlen werden. So mache ich mir beispielsweise Sorgen über unseren noch nicht ganz fünfjährigen Sohn, der in einem Alltag auwfächst, der von Infektionsangst geprägt ist. Ich weiß nicht, welche langfristigen Ängste all das tägliche Fiebermessen, die maskierten Gesichter und die vielen Verbote im Umgang miteinander nach sich ziehen werden. Es würde mich nicht wundern, wenn wir als eine langfristige Folge mit zunehmenden Angsterkrankungen unter Erwachsenen und Kindern zu kämpfen haben würden: ständige Angst vor Infektion, Angst vor körperlicher Nähe und Agoraphobien zum Beispiel.

Hier sind ein paar Strategien, die mir und meiner kleinen Familie helfen, durch diese Zeit zu navigieren. Über all dem steht so ein bisschen das populäre royale Mantra in Vorbereitung der Briten auf den zweiten Weltkrieg:

22. Februar 2020

Psychologie und Philosophie der Pferdestärken

Das Auto als Mutterersatz und Antidepressivum?

Wir haben ein Auto. Meistens steht es rum, in unserer Freizeit bringt es uns in den Wald, an den See oder in den Urlaub. Werden wir Menschen das Auto jemals wieder loswerden können? Das frage ich mich manchmal, wenn ich einerseits sehe, wie wenig sinnvoll, wie klimaschädlsich ein eigenes Auto ist und wenn andererseits klar ist, dass es industriell gar keinen Schwenk weg vom Auto gibt. Statt vernunftorientiert in der Breite auf öffentliche Verkehrsmittel zu setzen, sehen wir momentan das Hinüberretten des Individualverkehrsmittels Autos in eine Zeit, nach dem Verbrennungsmotor. Das lässt vermuten, dass es beim Individualverkehr gerade nicht um Vernunft geht. Was steckt denn vielleicht philosophisch und tiefenpsychologisch hinter diesem Fetisch Auto?

Fetisch Auto: Ausschnitt aus "Natural Beauty" von Sebastian Schrader

11. Januar 2020

Im Hier und Jetzt leben!

Was ist das Problem mit dieser gutgemeinten Aufforderung?

Gestern Abend rief Dominik vom Deutschlandfunk Nova an und fragte mich, was ich von solchen Aufforderungen, wir müssten wieder mehr im "Hier und Jetzt" leben, hielte.



Ich verstehe schon, was damit gemeint ist: Weniger Ablenkung, weniger Notification, einfach mal den Augenblick genießen. Nur gibt es damit einige Probleme, wenn man solche eigentlich ganz selbsstverständlichen Dinge so hyped und verabsolutiert. Beispielsweise diese hier:

  1. Das ist ja schon wieder eine Aufforderung, die gar nicht so leicht umzusetzen ist und gerade dadurch auch schon wieder Druck erzeugt: "Jetzt leb doch endlich mal im Hier und Jetzt! Kannst du das etwa nicht? Was stimmt denn mit dir nicht?"
  2. Es ist eine Fluchbewegung und wie alle solche Fluchtbewegungen, löst sie Probleme aus, sie hinterlässt Wüsten und macht die Flüchtenden schutzlos gegenüber "Menschenfängern" oder Schleppern.
  3. Die Fähigkeit, nicht im Hier und Jetzt zu leben, ist eine sehr wertvolle Fähigkeit, die uns Menschen auszeichnet und von den meisten anderen Lebewesen, die nämlich weder weit zurück in die Geschichte schauen, noch ihr Leben in die Zukunft entwerfen und planen.

14. Dezember 2019

Das Leben durch luzide Träume verändern

Der Traum in der Philosophie und seine Nutzbarmachung

Die Philosophen haben sich bis zum kometenhaften Aufstieg der Psychologie seit dem 19. Jahrhundert gern einmal mit dem Träumen auseinandergesetzt. Besonders viel wurde dem Träumen bis zur Romantik nie zugetraut. Für Platon war der Traum lediglich der Ausdruck der vernunftlosen Seelenanteile, aus dem wir uns keinerlei Erkenntnis erhoffen konnten. Aristoteles nahm immerhin die Abhängigkeiten des Traumes von Sinneseindrücken zur Kenntnis, die während des Träumens unabhängig von der Realität bewegt werden konnten. Armseligerweise ist die größte Bedeutung des Traumes für die moderne abendländische Philosophie in Descartes' methodischem Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Bewusstseinsinhalte zu sehen. Die Romantik dann endlich begreift das Träumen als ergänzende und dem Denken mindestens ebenbürtige Bewusstseinstätigkeit mit sogar transzendentaler Potenz zum Göttlichen. 

Franz Marc: Liegender Hund im Schnee (gemeinfrei)

Mit der Psychologie verschwindet der Traum aus der Philosophie und wird letztlich nur noch funktional besprochen: Wie kommt es zum Träumen und was nutzt uns das? Diese funktionalen Fragen passen in unser modernes Zeitalter der individuellen Selbstoptimierung und so verwundert es nicht, dass die Phänomene des Traumes nach ihrem Nutzen befragt und auf seine durch uns aktiv kontrollierbaren Anteile hin gewertschätzt wird. Dem Klarträumen kommt dabei in Freud'scher Tratition die Bedeutung zu, die Verwandlung von unbewussten und nicht kontrollierbaren in bewusste und steuerbare Geistesinhalte auf die Spitze zu treiben. Wie das funktioniert, beschreibt Sebastian Jacobitz von schlafenguru.de in den folgenden Absätzen ...

7. Dezember 2019

Die Philosophie des Marquis de Sade

Eine pornografische Aufklärung

Was kann uns die philosophische Pornographie des Marquis de Sade heute über Vernunft, Aufklärung, Moral und den Reiz der inzwischen immer verfügbaren und mitunter ziemlich sadistischen Pornographie sagen?

Foto von Jim Champion (CC BY-SA 2.0)

Im Artikel Egoistische Wollust und darüber hinaus hatte ich auf einen Aspekt der Pornographie hingewiesen, der symptomatisch für ein allgmein großes Risiko unserer aufgeklärten Moderne steht: die Objektivierbarkeit des anderen und damit der Abriss gemeinschaftlicher Werte wie die Menschenwürde, Mitgefühl und Gleichbehandlung. Das Problem entsteht nicht durch die mediale Darstellung von solchen Szenen, in denen andere Menschen objektiviert werden (z.B. eine Frau oder ein Mann in einer SM-Szene), denn das haben wir in Theatern, Filmen und anderen Inszenierungen auch. Das Problem entseht, wenn Konsumenten auf breiter gesellschaftlicher Ebene das Verständnis dafür verlieren, dass es sich um eine Inszenierung handelt und sie das Dargestellte stattdessen für ein Ab- oder Zielbild der Normalität halten.

30. Mai 2019

Kulturpsychologie – Interview mit Steven Heine

Von Marianna Pogosyan und ihren Studenten

Wie sehr beeinflussen die Gene unser Verhalten? Ist die menschliche Natur gut oder schlecht? Was eint alle Menschen auf der Welt? Meine gute Freundin und ehemalige Studien-Kollegin Dr. Marianna Pogosyan hat mit ihren Studentinnen und Studenten den renomierten kanadischen Psychologen Steven J. Heine von der University of British Columbia zu seinen Erkenntnissen aus der Kulturpsychologie befragt. Ihr Text und das Interview erschienen zuerst in Englisch auf Psychology Today und wurden für Geist und Gegenwart ins Deutsche übersetzt.

Wir sind eine eigenartige Familie, wir Menschen. Bei all der bemerkenswerten Sorgfalt und Empathie, die wir unseren Mitmenschen entgegenbringen, können wir auch sehr gut erkennen, was uns voneinander unterscheidet. Bei jeder Begegnung von Menschengruppen kommt es zu einer schnellen mentalen Einschätzung der jeweiligen Unterschiede – von unserem Geschmack bis zu unseren Werten. Dieses Talent nimmt olympische Ausmaße an, wenn wir unsere Gruppen verlassen und kulturelle Grenzen überschreiten. Interkulturelle Unterschiede scheinen uns zwar auf den ersten Blick erkennbar, aber Forscher der Kulturpsychologie haben lange die kulturellen Eigenarten untersucht, die in die tiefsten Strukturen unseres Lebens eingedrungen sind – die Art und Weise, wie wir denken, die Art und Weise, wie wir uns fühlen, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir unsere Beziehungen leben. Unsere Kulturen – vielfältig und großartig – prägen unsere Wahrnehmung der Welt, und offenbaren das Wunder, ein Mensch zu sein. Dazu nun die folgenden 10 Fragen an Dr. Steven Heine, einen der führenden Kulturpsychologen.

1. Dezember 2018

Die Enge der Zeit ist die Wurzel des Bösen

Hans Blumenberg und die Moral der Sterblichen

Der 1920 geborene und 1996 gestorbene, stets im Verborgenen denkende Philosoph Hans Blumenberg ist bekannt für seine intellektuellen Untersuchungen darüber, was es heißt, ein Mensch zwischen Mythen, Metaphern und existenzieller Obdachlosigkeit zu sein. Allein die Titel seiner vielen Werke lassen uns die zahllosen Möglichkeiten ahnen, das Leben zu verstehen: "Die Lesbarkeit der Welt", "Schiffbruch mit Zuschauer", "Höhlenausgänge", "Die Vollzähligkeit der Sterne" oder "Zu den Sachen und zurück". Das sind lyrisch-philosophische Titel, die ein ganzes Metaphernkonzert des Welterklärens in einem anklingen und uns so verstehen lassen, dass unsere Vorstellung von Wirklichkeit nie ganz logisch-begrifflich erschlossen werden kann, sondern dass wir auf Bilder angewiesen sind, um uns zu orientieren. Das ist beides: radikal klug und wunderschön.


Das poetische Weitwinkelobjektiv des Blumenberg'schen Geistes

In seiner Schrift Lebenszeit und Weltzeit geht Blumenberg unter anderem der Frage nach, was uns Menschen zur Bosheit und zu unmoralischem Handeln treibt. Den Rahmen bildet ein "Absolutismus der Wirklichkeit", dem wir nicht entkommen können: Die Sterblichkeit, die Endlichkeit des einzelnen Menschen vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die Welt weiterexistiert, auch wenn wir als Individuum verschwinden werden. Generell hält Blumenberg im Anschluss an Arnold Gehlens Anthropologie für den Einzelnen und die Gattung "Mensch" die überlieferten Mythen für einen entlastenden Aspekt angesichts der menschlichen Mangelhaftigkeit. Die Kränkung jedoch, dass man selber sterben müsse, während das "Umeinenherum" einfach weiter existiere, ist auch mit Mythen nicht für jeden zu heilen:

16. September 2018

Souveräne Vorbilder oder von den Umständen überfordert?

Nicht nur für Eltern: zur Selbsterziehung in den Wald

Mein zwei Jahre alter Sohn hatte heute früh Schwierigkeiten, seinen LKW mit Kastanien zu beladen und sagte plötzlich laut und frustriert "fuck!" Als ich klein war, haben Erwachsene ihren Kindern noch den Mund mit Seife ausgewaschen, dabei war es doch schon immer so offensichtlich, dass sie sich wohl besser selbst den Mund hätten waschen sollen. Denn schlimme Wörter oder Verhaltensweisen entwickeln Kinder ja nicht aus sich selbst heraus, sondern sie übernehmen das von uns vorgelebte Verhalten. Das macht mir ehrlich gesagt große Sorgen und ich komme zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben unter den Druck, auch in der Freizeit ein gutes Vorbild für jemanden anderen sein zu müssen.

Selbsterziehung im Wald (Foto: Gilbert Dietrich, CC BY-SA 2.0)

21. Juli 2018

Dein Gehirn ist zum Gehen da

Protest gegen die tägliche Tretmühle

Wozu haben wir ein Gehirn? Der Neurowissenschaftler Daniel Wolpert sagt, damit wir uns bewegen können. Deswegen brauchen stationäre Lebewesen wie Bäume auch kein Gehirn. Sein schönstes Beispiel für die Plausibilisierung seiner These ist die sogenannte Seescheide (Ascidiae). Dieses Tier bewegt sich am Anfang seines Lebens, um einen geeigneten Platz zu finden, auf dem sie siedeln kann, damit sie sich für den Rest des Lebens nicht mehr bewegen muss. Und was passiert dann?

"...beim Ansiedeln auf dem Felsen, wo sie immer bleiben wird, verdaut sie als erstes ihr eigenes Gehirn und Nervensystem als Nahrung. Sobald man sich nicht mehr bewegen muss, braucht man den Luxus eines Gehirns nicht mehr." (Daniel Wolpert: Der wahre Grund für Gehirne)

Das Bewegen, das Gehen, das Wandern sind nicht zuletzt deswegen auch immer schon beliebte Themen der Philosophie gewesen. Denn die Liebe zur Weisheit (wörtliche Übersetzung von Philosophie) hat ja gewissermaßen das Gehirn als seinen Fetisch und ohne Bewegung kein Gehirn und ohne Gehirn keine Weisheit und erst recht keine Liebe.

Gehen in der Schlucht von Verdon, Frankreich

27. Juni 2018

FOMO, die Suche nach der besten aller möglichen Welten

Ein Artikel von Keyvan Haghighat Mehr

Marcus Tullius Cicero ließ sich Briefe aus Rom schicken, wenn er mal nicht zugegen war, um über jegliche Geschehnisse informiert zu werden. Gute zwei Jahrtausende später fragt man nicht mehr nach Briefen, sondern bekommt sie einfach – rund um die Uhr, wenn man das möchte – und auch nicht nur dann, wenn man gerade nicht da ist.

Wofür sich Cicero entschied, war, an zwei Orten gleichzeitig zu sein – psychisch in Rom, physisch wo auch immer er gerade hin verreist war, denn er hatte wohl Angst, etwas zu verpassen. Angst davor, nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein, wenn er wieder zurückkehrte, denn das nicht informiert Sein resultierte vielleicht in schlechtem Ansehen, verschlechtertem zwischenmenschlichen Dasein.

Die Menschen des zweiten Millenniums würden bei ihm wahrscheinlich FOMO diagnostizieren – die fear of missing out – die Angst davor, etwas nicht zu erleben und vor den dadurch auftretenden Konsequenzen. 

17. März 2018

Was ist Spiritualität wirklich?

Erfahrungsbasierte Formen von Erkenntnis und Ethik

"Ich behaupte, dass die einzige Spiritualität
die Unbestechlichkeit des Selbst ist."
Jiddu Krishnamurti

Wenn jemand zu uns sagt, er oder sie lebe spirituell, dann stellt sich die Frage, was meint diese Person damit? Nicht selten geht es um eine alternative "Weltanschauung" von Menschen, die eine als kalt erlebte wissenschaftliche Welt ohne einen übergeordneten, absoluten Sinn ablehnen, ohne gleichzeitig an einen spezifischen Gott glauben zu wollen.


Spiritualität und Ekstase sind nicht dasselbe (Quelle: Paul M. Walsh, CC BY 2.0)

Was ist Spiritualität nicht?

Da hört man dann Dinge wie "alles ist Geist" oder "die Wahrheit liegt in mir", da ist schnell von Seelenpartnern die Rede, von Karma, Schicksal, Reinkarnation oder gar solchen esoterischen Konzepten wie Astralkörper. Aber das kann es doch eigentlich nicht sein. Solche Ideen zeugen eher von einer Abwesenheit eines geistigen Anspruchs an sich selbst. Eine wirkliche Spiritualität möchte genau das andere: ethische und intellektuelle Integrität als eine "innere Form von Tugend oder Selbstvervollkommnung" (Thomas Metzinger, Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit, PDF-Link).

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