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9. Juli 2025

Moral für ein neues Mittelalter

Alasdair MacIntyres moralische Orientierung in unübersichtlichen Zeiten

Die Botschaft des kürzlich verstorbenen Philosophen Alasdair MacIntyre hat für viele eine besondere Resonanz – insbesondere für jene, die nach Orientierung inmitten des kulturellen Lärms der Gegenwart suchen.  

Ein Artikel von Christopher Akers

Alasdair MacIntyr, London, March 24, 1992 (Levan Ramishvili, Public Domain)

25. November 2024

Warum der Populismus (immer) siegt

Ein Artikel von Erich Feldmeier

Prolog 

"Zugleich tragen viele Demokraten ihre vermeintliche moralische Überlegenheit in unerträglicher Arroganz vor sich her. Ihre Selbstgerechtigkeit ist oft atemberaubend, und dass die Demokraten in der Mitte des Landes kein Bein auf den Boden kriegen, liegt daran, dass sie absolut keine Ahnung haben, was die Menschen dort bewegt“ (Trump wird zurückkommen, SZ, 12.12.2021)

1. Oktober 2022

Critical Thinking

Was heißt es, kritisch zu denken?

Wir fordern andere – seltener uns selbst – oft auf, kritisch zu denken. Nur, was bedeutet das eigentlich? Wie können wir kritisch denken? Dieser Artikel bietet einen allgemeinen Überblick darüber, was es heißt, ein kritischer Denker zu sein, und skizziert sowohl traditionelle als auch neuere Ansätze des kritischen Denkens.

Dieser Text der Philosophin Carolina Flores erschien auf 1000-Word Philosophy auf Englisch und kann dort im Original mit Fußnoten gelesen werden.

Wenn "p" und "aus p folgt q" dann "q" (Wikipedia CC BY-SA 4.0)

1. Was ist kritisches Denken?

Allgemein gesprochen besteht kritisches Denken darin, auf sorgfältige Weise zu argumentieren und zu hinterfragen, um die eigenen Überzeugungen auf der Grundlage guter Gründe zu bilden und zu aktualisieren. Ein kritischer Denker ist jemand, der typischerweise auf diese sorgfältige Weise argumentiert und nachfragt, relevante Fähigkeiten beherrscht und die Neigung entwickelt hat, sie anzuwenden.

13. April 2022

Prekär geborgen in der letzten Kugel

Eine (fast unmögliche) Kurzfassung zu Peter Sloterdijks Sphären Band II von Paul-Heinz Schwan

Globalisierung oder Sphäreopoiese im Größten ist das Grundereignis des europäischen Denkens das seit zweieinhalbtausend Jahren nicht aufhört, Umwälzungen in den Denk- und Lebensverhältnissen der Menschen zu provozieren. (Peter Sloterdijk)

Das Leben – eine runde Sache?

Das Runde, Bergende, Harmonische begeistert. Es zieht uns schnell in seinen Bann. Es fasziniert zunächst und beherrscht dann diejenigen, die so "beherrscht" – heute würde man sagen: geführt – werden möchten. Rundes ist einnehmend, bewegend. Es inspiriert das Gefühl. Es schmeichelt dem Wohlsein. Der runde Tisch, die gesellige Runde. Das runde Lenkrad für die vielen PS. Wir sprechen vom "Runden" wenn wir beruhigen oder verführen wollen. Wir sitzen gesellig an runden Tischen, sind Teil einer illusteren Runde. Wer möchte nicht, dass der Tag, das Projekt, ja sein Leben eine "runde Sache" wird. 

Atlas, der die Welt hält und von 12 Frauen umgeben ist, die die 12 Tierkreiszeichen darstellen (gemeinfrei)

Irgendwie rundet man immer auf oder ab und wenn es nur der Schnaps zum Abschluss der Verhandlungsrunde ist. Sonst fehlt was. Rundungen wirken architektonisch immer. Die Portale einer Kirche und deren Decken sind rund. Wer im Altertum Herrschaft oder Schutz begründen wollte hielt eine Kugel in der Hand oder stand auf einer. In eine Ecke wird man gestellt und bestraft. In die Runde wird aufgenommen, kann die Mitte finden. Alles menschliche Leben beginnt in einer Rundung, in einer "Kugel". Dass wir auch an den Rand einer Rundung geraten können, dass wir auf einer Kugel wohnen die die einzige und letzte sein könnte, dass uns eine Kugel treffen kann, all diese Schrecken sitzen auch tief. Wie kann denn das Bergende auch unser Vernichter werden?

16. Januar 2022

Verschwörungstheorien... Warum nicht?

Eine unvoreingenommen philosophische Betrachtung

Die NASA hat die erste Mondlandung vorgetäuscht... Die US-Regierung orchestrierte die Anschläge am 11. September... Eine eingeschworene Gruppe Satan anbetender Pädophiler betreiben einen globalen Kindersexhandelsring und plant ein Komplott...

Mini Mondlandung (Eric Kilby, Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Jede dieser Behauptungen wurde als "Verschwörungstheorie" angeprangert. Aber was sind Verschwörungstheorien? Und sollten wir jemals eine akzeptieren? Wenn ja, wann? Auf diese Fragen bietet dieser Essay von Jared Millson, Assistant Professor der Philosophie in Memphis USA erste Antworten.

24. Dezember 2021

Und nun lägest du dort in der eigenen inneren Krippe

Eine Interpretation der heiligen Nacht von Paul-Heinz Schwan

Weihnachtswunder – eine kleine, kindliche Lösung

Sich etwas versprechen und für den anderen suchen, was uns verloren schien. Ein unbeschreibliches Gefühl in einer unendlichen Geschichte. Solch eine Einstimmung macht uns erwartungsvoll. Bisher klang diese Geschichte immer wie ein Bußgang durch eine entbehrungsreiche Zeit zu einem Stall, hin zu einer unglaublich kleinen, kindlichen Lösung. Irritiert hat das kaum jemanden, wir haben gestrahlt und sind zum Alltag übergegangen, als sei niemand geboren. Seit Jahrtausenden und jedes Jahr wiederholen wir den Refrain, der bald nur noch eine Deckadresse für freie Tage unter Stress wurde.

Gemälde: Die Heilige Nacht von Antonio da Correggio
Ausschnitt von Antonio da Correggios Die Heilige Nacht (zwischen 1522 und 1530), gemeinfrei

Was aber, wenn uns nun wirklich etwas entgegenkäme, wir nicht suchen und warten müssten, einfach so, unglaublich, unbeschreiblich. Wenn da in dem Stern über unserem Stall stünde: Du bist schon geboren, befreit und reich, ganz ohne Sünde, ohne Schuld. Auch wenn es bis gestern so aussah, als dass wir durch unsere Taten und Untaten immer wieder die Schuld suchten. Und nach jeder Schuld die Schuld größer wurde.

27. November 2021

Wir sind Plazentatiere und suchen Herbergsschirme

Eine (fast unmögliche) Kurzfassung zu Peter Sloterdijks Sphären Band 1 von Paul-Heinz Schwan

"Für Philosophie im eigentlichen Sinne hatte ich kein Organ", vermerkte Goethe einst bescheiden, auf die ich Peter Sloterdijk nach ca. 250 Jahren antworten lasse: "Alle denkenden Säugetiere verfügen über eine Intelligenz, die vage Erinnerungen an den Aufenthalt in einer vollkommenen Sphäre ins Leben mitbringt." Aber was wird aus den Erinnerungen, Herr Sloterdijk, zumal wenn sie vage sind? Seine Philosophie sei spekulativ-realistisch, denn er wolle eine andere Sprache für diese unsagbare-folgenreiche, von der Philosophie bisher übergangene Tatsache finden.

Wir werden als Sphärenexperten geboren. Leonardo Da Vinci: Embriologia (Ausschnitt, gemeinfrei)

Folgen wir ihm mit unserem eigenen Ariadnefaden ausgestattet und fragen mit ihm nach dem Ort der Menschen: Wo sind sie, wenn sie zu Praline und Rotwein greifen, ihre Lieblingsmusik hören, im Kino einen der besten Filme seit langem sehen, wenn sie ein Essen genießen, in das sie sich "hineinlegen könnten", im Urlaub auf einem hohen Gipfel stehen, das Wunder der Geburt erleben? Und was haben sie verloren, wenn ihnen das alles sinnlos erscheint? Wenn sie den Auftrieb verloren haben, gar ein grausames "Nichts" sie fängt, oder wenn die Anderen die Hölle sind? 

9. Oktober 2021

Die Religion des Kapitals

Ein Gastbeitrag von Georg Spoo / agora24

Auf den ersten Blick haben Kapitalismus und Religion kaum etwas gemeinsam. Doch von Ludwig Feuerbach und Karl Marx kann man lernen, wie eng beide miteinander verwandt sind.


Ludwig Feuerbach und Karl Marx
Ludwig Feuerbach und Karl Marx über Religion und Kapitalismus (Bild gemeinfrei)

Ludwig Feuerbach: Der Mensch als Paradoxon und der Ursprung der Religion

Um zu verstehen, warum sich Kapitalismus und Religion so ähnlich sind, muss man zunächst einen näheren Blick auf Feuerbachs Kritik der Religion werfen, die wiederum auf seinem Verständnis des Menschen aufbaut: Der Mensch, so Feuerbach, ist zum einen ein einzelnes und unverwechselbares Individuum mit besonderen Eigenschaften und Merkmalen, das sich von allen anderen Individuen unterscheidet. Er ist zum anderen aber als Mensch immer auch noch mehr als ein einzelnes Individuum, nämlich ein Teil der Menschheit. Mit der Menschheit meint Feuerbach nicht nur die Summe der Individuen, sondern auch die allgemeine Idee des Menschen und des Menschseins. Feuerbach vertritt nun die Auffassung, dass wir uns nicht nur als einzelne Individuen, sondern immer auch unabhängig von unseren individuellen Merkmalen allgemeiner als Menschen überhaupt verstehen. Der Mensch ist in gewisser Weise ein Wesen, das zwischen sich selbst als Individuum und der Menschheit, deren Teil er ist, aufgespalten ist. Der Mensch ist, in Feuerbachs Worten, sowohl Einzelwesen als auch Gattungswesen. Diese Spaltung macht unser Menschsein wesentlich aus: Wir können uns als Einzelwesen ganz auf unsere Innenperspektive und unser Eigeninteresse zurückziehen und uns von der Menschheit abwenden. Wir können als Gattungswesen aber auch über uns hinauswachsen, von uns absehen und uns als Teil von etwas Größerem verstehen. Als Menschen sind wir aufgespannt zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen dem Verbleiben im Innenraum unserer Einzelexistenz und dessen Überschreiten hin zum Außenraum unserer Gattungsexistenz.

6. April 2020

Den Zusammenbruch akzeptieren, die Krise meistern

Warum krampfhaft erhalten, was dem Untergang geweiht ist? 

Ein Text von Frank Augustin

Zwingt uns die Corona-Krise endlich eine neue Bereitschaft für eine neue Wirtschaftswelt auf? Zu hoffen wäre es, gerade auch, weil wir die letzte Krise um 2008 dazu nicht genutzt hatten. Denn bisher gab es auf der einen Seite nur die hoffnungslosen Romantiker, die sich Veränderung auf die Fahnen schreiben, aber weder vom Bösen im Menschen noch von Systemzwängen etwas wissen wollen und auf der anderen die Anhänger der Wachstumsfortschrittsreligion, die sich, von Verlustängsten und Orientierungslosigkeit geplagt, ans Alte klammern. Nun muss unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie allen klar werden, dass das Alte einfach nicht mehr funktioniert. Aber ist ein Ausstieg aus dem Alten ohne unzumutbare Härten überhaupt möglich? Der folgende Text erschien zuerst in der philosophischen Wirtschaftszeitung Agora42, Ausgabe 1/2020 Innovation.

Hoffnung und Angst in einem Bild (NASA and ESA pollution monitoring satellite, Public Domain)

14. Dezember 2019

Das Leben durch luzide Träume verändern

Der Traum in der Philosophie und seine Nutzbarmachung

Die Philosophen haben sich bis zum kometenhaften Aufstieg der Psychologie seit dem 19. Jahrhundert gern einmal mit dem Träumen auseinandergesetzt. Besonders viel wurde dem Träumen bis zur Romantik nie zugetraut. Für Platon war der Traum lediglich der Ausdruck der vernunftlosen Seelenanteile, aus dem wir uns keinerlei Erkenntnis erhoffen konnten. Aristoteles nahm immerhin die Abhängigkeiten des Traumes von Sinneseindrücken zur Kenntnis, die während des Träumens unabhängig von der Realität bewegt werden konnten. Armseligerweise ist die größte Bedeutung des Traumes für die moderne abendländische Philosophie in Descartes' methodischem Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Bewusstseinsinhalte zu sehen. Die Romantik dann endlich begreift das Träumen als ergänzende und dem Denken mindestens ebenbürtige Bewusstseinstätigkeit mit sogar transzendentaler Potenz zum Göttlichen. 

Franz Marc: Liegender Hund im Schnee (gemeinfrei)

Mit der Psychologie verschwindet der Traum aus der Philosophie und wird letztlich nur noch funktional besprochen: Wie kommt es zum Träumen und was nutzt uns das? Diese funktionalen Fragen passen in unser modernes Zeitalter der individuellen Selbstoptimierung und so verwundert es nicht, dass die Phänomene des Traumes nach ihrem Nutzen befragt und auf seine durch uns aktiv kontrollierbaren Anteile hin gewertschätzt wird. Dem Klarträumen kommt dabei in Freud'scher Tratition die Bedeutung zu, die Verwandlung von unbewussten und nicht kontrollierbaren in bewusste und steuerbare Geistesinhalte auf die Spitze zu treiben. Wie das funktioniert, beschreibt Sebastian Jacobitz von schlafenguru.de in den folgenden Absätzen ...

30. Mai 2019

Kulturpsychologie – Interview mit Steven Heine

Von Marianna Pogosyan und ihren Studenten

Wie sehr beeinflussen die Gene unser Verhalten? Ist die menschliche Natur gut oder schlecht? Was eint alle Menschen auf der Welt? Meine gute Freundin und ehemalige Studien-Kollegin Dr. Marianna Pogosyan hat mit ihren Studentinnen und Studenten den renomierten kanadischen Psychologen Steven J. Heine von der University of British Columbia zu seinen Erkenntnissen aus der Kulturpsychologie befragt. Ihr Text und das Interview erschienen zuerst in Englisch auf Psychology Today und wurden für Geist und Gegenwart ins Deutsche übersetzt.

Wir sind eine eigenartige Familie, wir Menschen. Bei all der bemerkenswerten Sorgfalt und Empathie, die wir unseren Mitmenschen entgegenbringen, können wir auch sehr gut erkennen, was uns voneinander unterscheidet. Bei jeder Begegnung von Menschengruppen kommt es zu einer schnellen mentalen Einschätzung der jeweiligen Unterschiede – von unserem Geschmack bis zu unseren Werten. Dieses Talent nimmt olympische Ausmaße an, wenn wir unsere Gruppen verlassen und kulturelle Grenzen überschreiten. Interkulturelle Unterschiede scheinen uns zwar auf den ersten Blick erkennbar, aber Forscher der Kulturpsychologie haben lange die kulturellen Eigenarten untersucht, die in die tiefsten Strukturen unseres Lebens eingedrungen sind – die Art und Weise, wie wir denken, die Art und Weise, wie wir uns fühlen, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir unsere Beziehungen leben. Unsere Kulturen – vielfältig und großartig – prägen unsere Wahrnehmung der Welt, und offenbaren das Wunder, ein Mensch zu sein. Dazu nun die folgenden 10 Fragen an Dr. Steven Heine, einen der führenden Kulturpsychologen.

24. November 2018

Die Zeit soll fließen, nicht drängen

Ein Text von Thomas Marti

Eine Ethik des Gleichmutes ist die Grundlage, um Synchronisationskrisen zu entschärfen oder zu verhindern und die Spannung zwischen Lebenszeit, Echtzeit und einem sich zersetzendem kollektiven Zeitrhythmus zu lösen.

Sind wir nicht alle wie Migranten auf der Flucht?

Was könnte der Mensch jenseits der Geburt, des Konsums, der Effizienz und des Selbstverkäufertums sein? Was könnte er sein, jenseits der Maxime, dass Leistung und Performanz ihm einen Platz auf dieser Welt zuweisen? Und was könnte das Wirtschaften jenseits von Indentitätsmarketing sein? Ich stelle mir diese Fragen als unsichtbare und verstellbare Wände von Räumen vor, in denen Denken Weiterdenken bedeutet. Weiterdenken in diesem Sinne könnte bedeuten, dass wir Brücken zwischen dem Unverfügbaren und dem Unvorhersehbaren bauen. Erst dann sind wir unterwegs!

Wohlfühlen, wo wir nicht hingehören 

Erst wenn wir uns auch da niederlassen und wohlfühlen können, wo wir nicht hingehören, wenn wir uns gelöst haben von Flucht und Migration, können wir Passanten in dieser einen und endlichen Welt sein. Erst in den Räumen der eingangs genannten Fragen wird ein Änderungsprozess zu einem echten Unterwegsein. Das könnte bedeuten, sich von den Sitzplätzen einer "Guided-Tour" zu erheben und sich von so immunisierten Fragen zu lösen wie "Was brauche ich, um mich entwickeln zu können?" "Wozu brauche ich das?" "Wie bediene ich das?" "Mit wem vernetzte ich mich?"

Ein gutes und gedeihendes Leben zu führen, könnte bedeuten, ein Leben im Sinne einer "Ethik des Gleichmutes" zu führen. Dieses Leben wäre geprägt von der Würde als Muster des Handelns und Tuns. Eine solche Ethik widerspricht dem Gedanken der Migration und setzt ihr Resonanz als Beziehungsmodus entgegen.

27. Juni 2018

FOMO, die Suche nach der besten aller möglichen Welten

Ein Artikel von Keyvan Haghighat Mehr

Marcus Tullius Cicero ließ sich Briefe aus Rom schicken, wenn er mal nicht zugegen war, um über jegliche Geschehnisse informiert zu werden. Gute zwei Jahrtausende später fragt man nicht mehr nach Briefen, sondern bekommt sie einfach – rund um die Uhr, wenn man das möchte – und auch nicht nur dann, wenn man gerade nicht da ist.

Wofür sich Cicero entschied, war, an zwei Orten gleichzeitig zu sein – psychisch in Rom, physisch wo auch immer er gerade hin verreist war, denn er hatte wohl Angst, etwas zu verpassen. Angst davor, nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein, wenn er wieder zurückkehrte, denn das nicht informiert Sein resultierte vielleicht in schlechtem Ansehen, verschlechtertem zwischenmenschlichen Dasein.

Die Menschen des zweiten Millenniums würden bei ihm wahrscheinlich FOMO diagnostizieren – die fear of missing out – die Angst davor, etwas nicht zu erleben und vor den dadurch auftretenden Konsequenzen. 

24. Dezember 2017

Erinnerungen und was sonst von der Kindheit bleibt

Acht Kindheitserinnerungen von acht Autoren

Vor zwei Wochen schrieb ich einen kleinen Text über das Erinnern, die Nostalgie und die Kindheit. Seitdem haben mich viele Zuschriften von Freunden, Autoren und Bekannten erreicht, in denen sie von ihren Erinnerungen berichten, ein paar spontane Erinnerungen kann man auch in den Kommentaren unter dem ursprünglichen Artikel lesen. Ohne weitere Worte will ich einige der mir zugesandten Erinnerungen einfach hier wiedergenben. Viel Spaß beim Lesen und Erinnern und vielen Dank an die Autoren!

Io und Beat, Foto von Elisabeth Göhring

1. Oktober 2017

Von der Würde im Alltag

Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt 

Ein Artikel von Thomas Marti

Für jeden Menschen ist es wichtig, dass er selber Entscheidungen treffen kann. Abhängigkeit von anderen Menschen fühlt sich unangenehm an. Menschen haben grundsätzlich das Bestreben, solche Situationen zu vermeiden, oder ihnen aus dem Weg zu gehen. Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ist ein hohes Gut. Wenn der Schweizer Philosoph Peter Bieri in seinem Buch Eine Art zu leben: Über die Vielfalt menschlicher Würde (Amazon-Link) von Würde spricht, so meint er Würde als einen Lebensentwurf. Er beschreibt Würde als ein "Muster des Denkens, Erlebens und Tuns" (Ebd., S. 10), als "innerer Kompass unseres Lebens" (Ebd., S. 15). Bieri unterscheidet drei Dimensionen von Würde: Erstens geht es um die Art und Weise, wie andere mich behandeln, zweitens geht es um die Frage, wie ich andere behandle und drittens steht mein Selbstbild, und damit die Frage, wie ich mich selbst behandle, im Vordergrund.

 
Wichtig für diesen Zusammenhang ist auch Bieris Argumentation, wie und unter welchen Bedingungen Würde verloren gehen kann. Werden Menschen als Subjekte missachtet, so entsteht ein Gefühl von Demütigung. Bieri beschreibt Demütigung als eine Erfahrung von Ohnmacht. Ohnmacht ist dann gegeben, wenn eine bestimmte Macht fehlt: die Macht einen für das eigene Leben entscheidenden Wunsch zu erfüllen. Um noch einmal Peter Bieri zu zitieren; "Demütigung ist demonstrierte Ohnmacht" (Ebd., S. 13). Auch Willkür als das bewusste Auslassen von Handlungsoptionen, fällt damit unter Ohnmacht, die mit Demütigung verbunden ist. In dieser Situation ist die Würde stark in Gefahr oder geht verloren.

2. September 2017

Zeit, Schönheit und Leben

Ein Artikel von Thomas Marti

Unser Alltag ist voll von Zeitphänomenen, die unser Leben mehr oder minder beeinflussen: Langeweile, Öffnungszeiten, Jet-Lag, Rentenalter, Stress, Weihnachten, der Termin beim Zahnarzt usw. Unendlich viele Zeiten, alle mit ihren eigenen Rhythmen, Symbolen und Konnotationen durchdringen unser Leben. Wir können sogar gleichzeitig in verschiedenen Zeiten sein: Ich kann z.B. innerhalb von drei Minuten, in denen ich nach dem Bus rennen muss, der um 8 Uhr 12 fährt und den ich kriegen muss, um pünktlich zu erscheinen spüren, wie mein Pulsschlag immer schneller zu klopfen anfängt, mir die Passanten etwas verwundert nachsehen und mir einige Ideen für das gemeinsame Nachtessen heute Abend durch den Kopf jagen. Zeit ist ein explizit soziales Phänomen: Zeit wird sozial konstruiert, kommuniziert und wie nur in einem sozialen Kontext relevant. Jede Zeitlichkeit und jegliche zeitliche Ordnung und Struktur sind Konstruktionen von Beobachtern und nicht das Wesen von Objekten und damit schliesslich soziale Zeit.

1. Juli 2017

Nur Lifestyle? Sind west-östliche Synthesen sinnvoll?

Über Sinn und Bedeutung der Absichtslosigkeit

Ein Artikel von Bernita Müller


Ob private Wünsche oder berufliche Herausforderungen: Alles, was wir tun, dient dazu, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, an dem wir manchmal über die Maßen festhalten. Diese Vorgehensweise entspringt nicht nur einem natürlichen Trieb, sondern ist auch gesellschaftlich konditioniert. Ein Blick auf andere Kulturen zeigt: Es geht auch anders.

Moderne Form gemeinsamer Absichtslosigkeit: Flashmob (CC BY 2.0, Marialba Italia)

25. Mai 2017

Ein kurzes Vibrieren vom Glück entfernt?

Ein Artikel von Sara Volkmer. Sara brennt für die wissenschaftliche Untersuchung der positiven Aspekte des menschlichen Erlebens und Verhaltens und arbeitet deswegen an einer Studie, die Zusammenhänge zwischen Glückserleben und Handynutzung aufdecken möchte. Und ihr könnt dabei mitmachen (Update 1. 6. 2017: Umfrage inzwischen beendet) und nach Ausfüllen des kurzen Tests sofort eure Auswertung lesen! Ich hab das getan und fand es faszinierend. Aber lest erst einmal selbst:


Erfahre, wie glücklich oder unglücklich dich dein Handy macht!  

Smartphones sind heutzutage aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie sind ja auch super praktisch. Man kann schnell ein Foto machen, oder nachschauen, wie man am schnellsten nachhause kommt, wann der Hausarzt offen hat und wie die Kinder von Angelina Jolie heißen. Manchen Leuten wird die Omnipräsenz des Smartphones allerdings zu viel, sodass es inzwischen sogar Apps gibt, die einen für das Ignorieren des Smartphones belohnen. Beinahe jeder hat eine Meinung zu Handys und wie sie sich auf die Lebensfreude wohl auswirken, aber niemand weiß irgend etwas genaues, weil die Forschung dazu fehlt. Mich interessiert, ob es tatsächlich einen direkten Zusammenhang zwischen individuellem Wohlbefinden und dem Ausmaß der Handynutzung gibt und ob es dabei eine Rolle spielt, wie achtsam eine Person ist.

27. Juli 2016

Die drei Phasen des Feuers

Eine Grundfrage der Philosophie: Was ist der Mensch?

Von Marian E. Finger

Seit mehr als zweitausend Jahren diskutieren Philosophen, Theologen und Wissenschaftler über diese Frage. Meistens geht es darum, ob der Mensch durch Gott, die Seele oder sein Schicksal, durch Gene oder Umwelt oder durch seinen freien Willen bestimmt ist. Die verschiedenen Positionen sind entweder idealistisch oder materialistisch oder eine Mischung aus beidem. In der Nacherzählung unserer Menschwerdung zeichnet sich eine weitere Perspektive ab, die den klassischen Gegensatz zwischen idealistisch und materialistisch auflöst und den Menschen stattdessen einfach als evolutionsbiologische Neuheit begreift.

Eine übermächtige Erscheinung: Waldbrand (John McColgan, 2005)

Die Geschichte unserer Menschwerdung begann vor etwa fünf Millionen Jahren, als unser schimpansenähnlicher Vorfahre sein Leben in den Regenwäldern aufgab und in die Savannenwälder zog. Was er dort suchte, war die Nahrung, auf die er sich spezialisiert hatte, eventuell war es die Yamswurzel. Das Leben in den Bäumen gab der Waldaffenmensch deswegen noch lange nicht auf. Erst zweieinhalb Millionen Jahre später entwickelte er mit dem aufrechten Gang, dem schwächeren Unterkiefer und einem größeren Gehirn die ersten menschlichen Züge. Es ist kein Zufall, dass das Auftauchen dieser Merkmale mit dem Beginn einer neuen Eiszeit in eins fällt. Die Vereisung des Nordpols führte in Afrika zu einer langanhaltenden Dürre, die die Fruchtbäume in den Savannen verschwinden ließ und unseren Vorfahren endgültig auf den Boden zwang.

Neben Tundra, Taiga und Steppe ist die Savanne ein Ökosystem, in dem Feuer ein häufig auftretender Umweltfaktor ist. Vor zweieinhalb Millionen Jahren begegnete unser Vorfahre in der nunmehr von extremer Trockenheit geprägten Savanne dem Phänomen, das seinen weiteren Werdegang entscheidend prägte: dem Feuer.

12. März 2016

Selbstversuch: Ausstieg aus dem Rausch

Gregor F. über Cannabis, den Reiz des Ritus und das Aufhören

Er hat über Jahre hinweg heftig Cannabis konsumiert und ist nun entschlossen, das zu ändern. Hier erzählt Gregor warum er es ändert und wieso das so schwer ist. Wer Tipps zum Aufhören sucht, kann gleich zum letzten gleichnamigen Abschnitt runterscrollen...

Die Lungen mit Rauch füllen, ist wie eine Aneignung von Welt (Bild: gemeinfrei)

Meine Liebe zum Joint

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin kein Junkie und war es nie. Ich habe einen festen Medien-Job für den ich nicht gerade brenne. Aber ich bin ziemlich gefestigt dabei, ich habe eine geliebte Lebenspartnerin, Freunde, fahre viel Fahrrad und stelle meine Fotos erfolgreich in kleinen Galerien aus. Ich bin sogar Nichtraucher (wenn man das so sagen kann), aber ich liebe Cannabis, kiffe schon jahrelang regelmäßig jeden Abend, ohne dass es mich irgendwie im Alltag behindert oder meine Gesundheit darunter leiden würde. Das Inhalieren von Rauch hatte immer etwas Magisches für mich, so als wenn ich mir die Welt nicht nur durch hören, sehen und essen, sondern auch auf diesem Weg aneignen könnte. Jetzt habe ich beschlossen, aufzuhören. Für immer? Nein, dazu liebe ich es zu sehr. Aber für mindestens ein halbes Jahr.

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