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12. Dezember 2020

Glücklich durch die Pandemie

Meine Überlebensstrategien in Krisen

Es kann ziemlich niederschmetternd sein, dieses Jahr so zu beenden, wie es anfing: beschränkt in unseren Sozialkontakten, besorgt über uns selbst und unsere Nächsten, behindert in unserem Bewegungsdrang. Hinzu kommen all die idiotischen Zumutungen durch ängestigende Nachrichten, unklare Zufunftsaussichten oder tatsächliche Einkommenseinbrüche. Mich nerven auch verwirrte Mitmenschen, die sich nicht anders zu helfen wissen, als gegen die objektive Realität anzustürmen, indem sie sich weigern Masken zu tragen, indem sie so tun, als seien sie unverwundbar und/oder indem sie ihrer Verwirrtheit mit messianischem Eifer über Verschwörungsgeschrei Ausdruck geben müssen. 

Ab in den Wald ist eine meiner Strategien (Bild von mir, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE)


Ich verstehe sehr gut, dass man das alles am liebsten gar nicht wahr haben möchte. Und ich denke auch, dass all die Maßnahmen noch lange nach Corona nachwirken werden und dass wir einen Preis dafür zahlen werden. So mache ich mir beispielsweise Sorgen über unseren noch nicht ganz fünfjährigen Sohn, der in einem Alltag auwfächst, der von Infektionsangst geprägt ist. Ich weiß nicht, welche langfristigen Ängste all das tägliche Fiebermessen, die maskierten Gesichter und die vielen Verbote im Umgang miteinander nach sich ziehen werden. Es würde mich nicht wundern, wenn wir als eine langfristige Folge mit zunehmenden Angsterkrankungen unter Erwachsenen und Kindern zu kämpfen haben würden: ständige Angst vor Infektion, Angst vor körperlicher Nähe und Agoraphobien zum Beispiel.

Hier sind ein paar Strategien, die mir und meiner kleinen Familie helfen, durch diese Zeit zu navigieren. Über all dem steht so ein bisschen das populäre royale Mantra in Vorbereitung der Briten auf den zweiten Weltkrieg:

16. September 2017

Arbeit und das Recht auf die eigene Persönlichkeit

Zur Insel-Sensibilität für das Thema Introversion

Gestern erschien in der Zeitung Die Welt der Artikel So starten introvertierte Mitarbeiter im Job richtig durch, für den man mich interviewt hatte. Leider war die Zeitung weder in der Lage, mir ein Belegexemplar zur Verfügung zu stellen, noch mir wenigstens rechtszeitig ein PDF zuzusenden. Meinen Versuch, ein Online-Abo abzuschließen habe ich an dem Punkt abgebrochen, als ich las, dass ich einen Brief schreiben und in die Post geben muss, um das Abo wieder zu kündigen. Einen Vertrag online abschließen, den man nur offline kündigen kann? Das ist "Digitalisierung made in Germany" und absolut unseriös. Die Logik ist durchsichtig: Einen Brief zu schreiben, bedeutet eine größere Hürde, als im Online-Konto das Abo zu kündigen. Man rechnet einfach damit, dass Abonnenten den Aufwand scheuen und so wider Willen zahlende Kunden bleiben.

Der vielleicht schönste Arbeitsplatz für Intorvertierte (Swativ28 - CC BY-SA 4.0)

Aber kommen wir zurück zum Thema Introversion und Arbeit. Der Artikel zitiert mich natürlich nur in einigen ausgewählten Sätzen und kann dem Thema aus meiner Perspektive nicht ganz gerecht werden. Da unterliegt jeder Journalismus der Tagespresse ganz verständlichen Beschränkungen wie Kürze und Lesbarkeit für ein breites Publikum. Deshalb könnt ihr hier meine ungekürzten Antworten zu den Interviewfragen lesen, wenn ihr möchtet.

5. Februar 2017

Introversion und Beruf

Ein kurzes Interview dazu, wie stille Menschen im Büro überleben




In diesem kurzen Interview spreche ich mit Marc Röösli vom Berufungskongress für Hochsensible darüber, wie introvertierte Menschen den Arbeitsalltag überleben und dabei auch erfolgreich sein können. Insbesondere reden wir über drei relativ einfach einsetzbare Strategien:

  1. Plane deinen Tag, damit du durchhältst
  2. Manage deine Energie, iss und trink ausreichend
  3. Suche dir Tätigkeiten, die dir Rückzug und Ruhe ermöglichen

Mit solchen grundlegenden Maßnahmen wird es auch introvertierten Menschen leichter fallen, erfolgreich zu sein und in einer oft für stille Menschen zu laut erscheinenden Arbeitswelt mit Spaß bei der Sache zu bleiben.



Hier gibt es mehr dazu:

8. Januar 2017

Das Geräusch der Stille

Gibt es noch irgendwo Freiheit vom Lärm?

"Es ist unser Recht per Geburt,
ruhig und ungestört den Lauten
der Natur zu lauschen und ihnen
den Sinn zu entnehmen,
den sie uns erschließen."
(Gordon Hempton)

Wie hört es sich an, wenn Schnee fällt und niemand in der Nähe ist? Erinnert ihr euch an den Sound des Sommerwinds im Gras? Oder das Rauschen der Blätter im Herbstwald? Und wer sehnt sich nicht manchmal nach Stille, richtiger Stille – etwas Raum und Zeit ohne Familie, Kollegen, Nachbarn, Verkehr, Werbung oder Radio und Fernseher? Für mich ist die Sehnsucht nach Stille so etwas wie ein metaphysischer Durst. Stille nährt nicht wie Wasser und Luft meinen Körper, sondern sorgt dafür, dass mein Geist gesund bleibt. Auf der Suche nach Stille treibt es mich zum Beispiel in die Wälder und an die Seen im Nordosten Europas. Manchmal muss ich dann tatsächlich ins Wasser und untertauchen, um überhaupt so etwas wie Stille zu finden. Denn immer öfter fällt mir auf, dass wir keine Orte mehr haben, an denen wir für längere Zeit keinen Lärm hören. Selbst im dünn besiedelten Nordosten Deutschlands gibt es nur weniger Wälder, in denen man nicht den Verkehr auf der nächsten Landstraße oder Autobahn hört. Oder die Traktoren und Mähdrescher, die ein Feld bewirtschafteten. Mindestens aber hört man alle paar Minuten ein Flugzeug, dass über unsere Köpfe hinweg den nächsten Flugplatz ansteuert. Wo gibt es noch Stille? Ja, was überhaupt ist Stille?

Ein Moment der Stille im Wald (Foto: Gilbert Dietrich, CC BY-SA 4.0)

5. Dezember 2015

Introversion zwischen Small Talk und Sinn des Lebens

Das Interview zum Nachhören mit Sylvia Löhken

Gerade habe ich mich mit Sylvia Löhken, Autorin zur Persönlichkeitspsychologie, Vortragsreisende, Coach und Moderatorin, im SoundCloud Aufnahmestudio in Berlin getroffen und wir haben uns über Introvertierte und Extrovertierte unterhalten, über Philosophie und Psychologie.



In unserem Gespräch geht um Kindheit und die erste Lektüre, um das Studium und Wittgenstein, aber auch und vor allem darum, wie Introvertierte zu einem artgerechten Leben finden und es geht um den Sinn des Lebens genauso wie um Fluch und Segen von Small Talk. Viel Spaß nun beim Hören:

 
Selten habe ich jemanden getroffen, mit dem man sich so gut über diverse Themen unterhalten kann wie mit Sylvia Löhken. Lag es daran, dass sich zwei Introvertierte in einem schalldichten Raum trafen und sich Zeit nehmen konnten, ganz tief in ihre Lieblingsthemen einzusteigen? Sicher auch. Es liegt aber auch an ihrer Neugier, an der Vielfalt der Ideen und der Breite des Wissens, die Sylvia Löhken mitbringt. Nur als Beispiel: Als wir kurz vor der Aufnahme den Sound Check machten, rezitierte mein Gast nicht nur Rainer-Maria Rilke flüssig vor sich hin, sondern auch William Shakespeare und Dylan Thomas im Original. Sylvia Löhken zitiert Linguisten wie Alan Prince und Paul Smolensky aus dem Stehgreif genauso wie die Logiker Dan Sperber und Deirdre Wilson oder Philosophen wie Arnold Gehlen und Ludwig Wittgenstein. Ihre Leichtigkeit beim Erklären komplexer Themen findet man überall in Ihren Büchern wie dem Evergreen Leise Menschen - starke Wirkung: Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden und jetzt auch hier im Geist und Gegenwart Interview.



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4. Dezember 2015

Warum wir überhaupt am Morgen das Haus verlassen

Introvertierte in einer Welt der extrovertierten Anreize

Ich bin ziemlich introvertiert, liebe das Alleinsein zu Hause, ein gutes Buch, das Internet als ungefährlichen Kanal nach draußen, ein oder zwei Freunde, aber vor allem das sichere Gefühl, dass ich selbst kontrollieren kann, wie weit ich mich öffnen oder zurückziehen möchte. Und trotzdem gehe ich jeden Tag arbeiten, jeden Tag unter unberechenbare Leute, die mich ungebeten ansprechen und meine Konzentration unterbrechen werden. Jeder Tag ist ein Behaupten in der Gruppe, jeder Tag ist ein Wirbelsturm von Eindrücken und maximaler Stimulation. Wie erschöpfend! Wöchentlich habe ich diese Tage, an denen ich am liebsten gar nicht vor die Tür gehen würde. Schon die Aussicht, mich in das Auge dieses Sozialorkans zu begeben, der dort draußen tobt, ermüdet mich.

Party für Introvertierte: Warum vor die Tür gehen? Hier ist's doch schön! (Bild gemeinfrei)

14. November 2015

Die drei Lebenspartnerschaften eines jeden Menschen

Oder warum Work-Life-Balance keinen Sinn macht

Immer wieder, wenn ich über die sogenannte Work-Life-Balance hörte oder las, hatte ich das Gefühl, dass da was nicht stimmt. Das Konzept passt nicht zu mir und irgendwie auch zu niemand anderen, den ich kenne. Mal abgesehen von der sich neu entwickelnden Flexibilität, durch die am Ende weder das Privatleben noch die Arbeit an jeweils zwei entgegengesetzten Enden einer in Balance zu bringenden Schwebe, die wir Leben nennen, zu lokalisieren wäre. Auf eine noch viel fundamentalere Art macht das keinen Sinn. Dieser Artikel will zeigen, wie uns eine alternative, integrative Denkweise auf dem Weg, ein Leben im Einklang von Anforderungen und Bedürfnissen zu führen, helfen kann.

Sind wir alle ewige Seiltänzer? Bild von Tom A La Rue (CC BY-SA 2.0)

18. November 2014

Martha Nussbaum und die Gefühlswelt

Wie wir unsere innere Welt pflegen

Immer wieder finde ich es paradox, wie wir einerseits darauf stolz sind, dass wir freie und autonome Individuen sind und andererseits diese Freiheit und das Autonome nicht aushalten wollen oder damit nicht umgehen können. Was wir nicht alles erfinden, um uns von uns selbst abzulenken und nicht allein zu sein: angeblich Freunde zum Beispiel, die es mit ihren jeweiligen Mikro-Universen nur in sogenannten sozialen Netzwerken gibt oder Shopping als Freizeitbeschäftigung. Gibt es nichts sinnvolleres zu tun?


Martha Nussbaum: "Wir sind schockierend schwach und inkomplett..." (Bild von Robin Holland)

Jeder will heute zwar irgendwie als sensibel gelten, ein reiches inneres Leben haben, ein guter Zuhörer sein und auch mal nachdenklich sein dürfen. Wir bewundern eher die einsam vor sich hin schaffenden Maler, Komponisten oder Schriftsteller, als die Reden schwingenden Verkäufer von Ideen, Staubsaugern oder politischen Parteien. Aber dann müssen doch alle unbedingt in Teams arbeiten können und große Reden schwingen, um es zu etwas zu bringen. Oder Backpacking: finden wir eigentlich auch besser, als den Massentourismus. Doch dann buchen wir (als Mehrheit der Konsumenten) den Pauschalurlaub.

Es gibt diese große Angst vor dem Alleinsein. Eigenbrötler sind doch kurz vor der Klapse. Also beteiligen wir uns zumindest konsumierend am permanenten Medienrummel, fühlen uns schlecht, wenn wir keine Lust auf After Work Partys haben und schauen eigentlich immer eher nach außen, als nach innen: Was sind wir (von Beruf)? Was haben wir (uns erarbeitet)? Wie können wir unseren Status manifestieren? Was ist das nächste Ding, das wir besitzen müssen? Was dabei zu oft hinten runter fällt sind Fragen wie: Wie geht es mir eigentlich? Was will ich mit meinem Leben machen? Was tut mir gut?

Man muss diese Widersprüche nicht verurteilen, es ist irgendwie verständlich (wenn auch deswegen noch lange nicht gut), dass wir so sind, wie wir sind. Aber was vergeben wir uns damit? Worauf verzichten wir, wenn wir sozusagen selbst- und seinsvergessen einfach mitmachen, was uns vorgeschlagen wird? Was sind die Gefahren, wenn wir vor unserer inneren komplexen Gefühlswelt davonlaufen und die Fähigkeit verlieren, ihr Ausdruck zu geben und mit ihr umzugehen? Es kann passieren, dass wir Gefühle wie Angst gar nicht mehr wahrnehmen können. Im schlimmsten Fall suchen sich solche Gefühle ihren Ausweg in Aggression gegen unsere liebsten Mitmenschen oder sie finden ihre Sackgasse in der Depression.

Gerade las ich auf Brainpickings dazu einen Text der Philosophin Martha Nussbaum aus dem Buch Take My Advice. Leider liegt das Buch nur auf Englisch vor, weshalb ich folgenden kurzen Ausschnitt hier ins Deutsche übertragen habe.

Vernachlässige deine innere Welt nicht!

Das ist die erste und weitreichendste Empfehlung, die ich geben kann. Unsere Gesellschaft ist in ihrem Sehen sehr nach außen gerichtet und schaut fasziniert auf das neuste Ding, hört gern auf das letzte Geschwätz und lässt uns nach Selbstbestätigung und Status suchen. Wir alle beginnen unser Leben als hilflose Babys, von anderen abhängig, um Schutz und Nahrung, ja das Überleben schlechthin zu garantieren. Und obwohl wir im Laufe der Jahre einen gewissen Grad an Selbstständigkeit erlangen, bleiben wir trotzdem für immer schockierend schwach und inkomplett, abhängig von anderen und von einer unsicheren Welt in allem, was wir erreichen.

Während wir erwachsen werden, entwickeln wir eine breite Palette an Gefühlen, die mit diesem Notstand in enger Verbindung stehen: Wir haben Angst, dass etwas schlimmes passieren könnte, das wir selbst nicht verhindern können. Wir lieben die, die uns helfen und unterstützen können. Wir trauern, wenn wir eine geliebte Person verlieren. Wir hoffen auf eine gute Zukunft. Wir werden wütend, wenn jemand etwas beschädigt, das uns wichtig ist.

Unsere Unvollständigkeit wird durch unsere Gefühlswelt vollständig kartografiert. Eine Kreatur ohne jegliche Bedürfnisse, hätte keinen Grund, je Angst, Trauer, Hoffnung oder Wut zu empfinden. Aber aus irgend welchen Gründen sind uns unsere Gefühle und die damit verbundenen Bedürfnisse oft unangenehm. Also laufen wir vor unseren inneren Gefühlswelten davon und verlieren die Fähigkeit, ihr Ausdruck zu geben. [...] Wir alle werden mit Krankheit, Verlust und Alter umgehen müssen, aber wir sind durch eine Kultur der Äußerlichkeiten nicht besonders gut auf einen guten Umgang mit diesen inneren Herausforderungen vorbereitet.

Was hilft gegen unsere Unzulänglichkeit? 

Eine Eigenliebe kann uns helfen, die nicht vor den ärmlichen und inkompletten Teilen unseres Selbsts zurückschreckt, sondern die dieses unzulängliche Selbst mit Interesse und Neugier akzeptiert und versucht ihm eine Sprache zu geben, mit der die Bedürfnisse und Gefühle zum Ausdruck gebracht werden können. Geschichtenerzählen spielt eine große Rolle in der Entwicklung einer solchen Sprache. Wenn wir Geschichten über das Leben anderer erzählen, lernen wir uns in die Erfahrungen einzufühlen, die andere mit den verschiedenen Gegebenheiten des Lebens haben können. Wir identifizieren uns mit ihnen und ihren Gefühlen und lernen dabei etwas über uns selbst. Während wir älter werden, begegnen uns immer komplexere Geschichten - in der Literatur, im Film, in der Malerei oder Musik - die uns zu einem immer reicheren und subtileren Verständnis der menschlichen Gefühle und unserer eigenen inneren Welt verhelfen können.

Meine zweite Empfehlung, die ganz eng mit der ersten verbunden ist, lautet: Lies viele Geschichten, höre viel Musik und denk darüber nach, was diese dir dort begegnenden Geschichten für dich selbst und deine nächsten Mitmenschen bedeuten. Auf diese Art wirst du nie allein und leer sein. Du wirst ein erneuertes, reiches Innen- und Eigenleben haben, das dich auch nach außen mit einer größeren Bandbreite der Kommunikation mit anderen ausstatten kann.



Take My Advice: Letters to the Next Generation from People Who Know a Thing or Two: Der Autor James Harmon wollte inspirieren und helfen, aber nicht wie wir es von den typischen Selbsthilfebüchern und Ratgebern kennen, die seiner Meinung nach nur eine giftige Wolke lauwarmer Möchtegern-Weisheiten produzieren. Er wollte intelligent helfen. Also hat er die seiner Meinung nach inspirierendsten, provokantesten und intelligentesten Leute des 20. Jahrhunderts um Empfehlungen für die kommenden Generationen gebeten, darunter solche, die wie Judith Butler, Alain de Botton, Katharine Hepburn, Bette Davis, William S. Burroughs, Willard Van Orman Quine, Bettie Page oder eben Martha Nussbaum das eine oder andere vom Leben verstehen. Dieses Buch ist leider nur auf Englisch verfügbar.



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8. November 2014

Eine Kopfsache für Introvertierte

Liebe dich selbst so, als ob dein Leben davon abhängt

Patrick Hundt, ein befreundeter Blogger und bekennender introvertierter Weltreisender, hat mit Kopfsache: Liebe den Introvertierten in dir ein kleines, sehr persönliches Buch geschrieben, das den Introvertierten unter uns zeigt, was in ihnen steckt und wie sie ihre persönlichen Eigenschaften im Alltag erfolgreich einsetzen können. Ganz bewusst grenzt sich Hundt dabei von den (halb-)wissenschaftlichen Bestrebungen ab, mit denen Autoren (auch hier auf Geist und Gegenwart) den Persönlichkeitsmerkmalen Introversion und Extroversion ansonsten versuchen, zu Leibe zu rücken. Statt dessen will das Buch solchen Menschen, die sich fragen, warum sie eigentlich so "anders" sind, einen Weg zu Akzeptanz und Selbstliebe zeigen. Und das geschieht ganz pragmatisch und authentisch, indem der Autor alle Energie darauf verwendet, sich selbst mit seiner zum Rückzug neigenden Persönlichkeit anhand von interessant erzählten persönlichen Anekdoten aus seinem Arbeits-, Privat- und Reiseleben zu verstehen.

Der Autor mit seinem Buch (Bild von Patrick Hundt)

9. April 2014

Die horizontalen Linien des Glücks

Agnes Martin über Einsamkeit, Stolz und die Freiheit des Geistes

Die Malerin Agnes Martin, 1912 in Kanada geboren und 2004 in New Mexiko gestorben, war eine Zurückgezogene, deren minimalistische Kunst auf die elementaren Grundmuster unserer Existenz zu verweisen scheint. Aus der lebhaften Szene in New York zog die Künstlerin des abstrakten Expressionismus in die leere Wüste im Südwesten der Vereinigten Staaten. "Die besten Dinge im Leben", so ihre Auffassung, "passieren, wenn du allein bist."

Chuck Close
Agnes (Martin) von Chuck Close, 1998. (Quelle: CC Rocor via Flickr)

9. Februar 2014

Hard Rock Gehirn: Musik und Persönlichkeit

Warum wir die Musik lieben, die wir lieben


Es ist faszinierend, welche große Rolle Musik in unseren Leben spielt. Musik ist uns nicht nur wichtig, wenn wir ihr konzentriert bei einem Konzert oder beim Abspielen einer CD lauschen, sondern beinahe überall und immer: Im Auto, zu Hause, auf der Arbeit - überall dudelt es. Beinahe alle menschlichen Zeremonien werden von Musik begleitet, von der Taufe über die Hochzeit bis zur Beisetzung. Etwa 14% eines Menschenlebens im Wachzustand werden heute mit einem Soundtrack unterlegt.¹ Ich selbst liebe das Gedudel weniger und höre eigentlich kaum Musik nebenbei, sondern nur ganz gezielt entweder zum Genuss oder zur Unterstützung einer körperlichen Aktivität, die Energie von mir verlangt. Eine Ausnahme: Ich kann nicht Staub saugen, ohne laute Musik über Kopfhörer zu hören, weil ich den Staubsaugerlärm wirklich nicht ertrage.


Die Band Superman in meinem alten Berliner Lieblingsclub Mad'n'Crazy (Foto von mir)


Ich bekenne, dass ich gern extrem schwere Gitarrenmusik höre, dabei alles angefangen von solchen Urvätern wie Led Zeppelin, Black Sabath über Metallica, Kyuss, Pantera und Slipknot bis hin zu Type O Negative, Karma to Burn, Mogwai und allem, was Jack White mit seiner Gitarre heute so macht.

Mich fasziniert die Aggression in den Stimmen und Gitarren und das Adrenalin auf den Konzerten. Eine Masse von Menschen scheint sich völlig gehen zu lassen, Arme, Beine und Köpfe rasten völlig aus und doch scheinen alle auf einer Welle zu schwingen. Mehr Schäden als ein oder zwei gewöhnliche Platzwunden sind in der Regel nicht zu verzeichnen, dafür gibt's aber jede Menge roher ursprünglicher Gefühle, viel unverfälschte Euphorie und letztendlich positive Energie. Schauen Sie selbst:



Auch wenn ich die Musik ganz allein genieße, stellt sich große Euphorie ein. ich muss sie laut hören, um einen Effekt zu erzielen, aber dann reißt sie mich so mit, dass ich ein ganz anderes Energielevel erreiche. Natürlich ist dort auch eine Portion Aggression und vor allem die Lust daran, das langweilige und oft verlogene Allerweltsgedudel unserer Massenmedien, der Konsumeinrichtungen (wie ich Kaufhaus- und Supermarktmusik hasse!) und alltäglichen Begegnungen, die zwangsläufig zivilisiert und freundlich sind, zu zerreißen. Verstehen wir uns nicht falsch: Sich zivilisiert zu benehmen, ist wichtig, aber es gibt für alles einen Ort und eine Zeit und nichts stimmt ohne sein Gegenteil. Heavy Metal, Punk und Rock helfen mir, im Kontakt zu bleiben, mit dem, was neben meiner öffentlichen Person sonst noch zu mir gehört: Aggression, Unruhe, Aufbruch, Hass, Schmerz, ein grundlegendes Nichteinverständnis mit dem, was die menschliche Welt um uns herum ausmacht, oder wie es Slipknot auf den Punkt brachte "People = Shit". Und das alles kommt zusammen in einem unglaublich befreienden und euphorischen Schrei aus dem Bauch über die Brust bis in den Hals. Oft kommt er dann nicht aus dem Mund - ich will ja nicht verrückt wirken-, aber im Kopf ist er angekommen. Und dann weiß ich, dass es mehr gibt, als diese emotional reduzierte Welt, auf die wir uns alle jeden Tag immer wieder einigen müssen.

16. Januar 2014

Unfreiwillig allein?

"Die Kunst des Alleinseins" 

Ellen Dunne rezensiert das Buch von Ursula Wagner


Ellen Dunne, Autorin solch spannender Romane wie Wie du mir und Für immer mein, habe ich vor einigen Jahren in Management-Trainings bei unserem ehemaligen Arbeitgeber kennengelernt. Die Initiative dazu muss wohl anfänglich von ihr ausgegangen sein. Denn in unseren Persönlichkeitstests während dieser Trainings wurden wir beide jeweils am anderen Ende des Spektrums von Extroversion (sie) und Introversion (ich) verortet. Extrovertierte Autoren stehen täglich vor ganz speziellen Herausforderungen, zum Beispiel weil das ungeliebte Alleinsein ein essentieller Teil ihrer Profession sein muss. Ellen hat sich immer wieder damit beschäftigt, wie sie sich am besten mit der Notwendigkeit allein zu sein, aussöhnen kann. Nun hat sie auch ein Buch mit dem Titel Die Kunst des Alleinseins gelesen, das inzwischen zu ersten "Friedensverhandlungen" zwischen ihrem extravertierten Selbst und dem nötigen täglichen Alleinsein geführt hat. Aber lesen Sie selbst...


Einsamkeit oder doch ein “goldener Stein”? Eine Annäherung ans Alleinsein.

Die Introvertierten unter Ihnen werden jetzt vielleicht den Kopf schütteln und sich fragen, warum man sich einem so begrüßenswerten Zustand wie dem Alleinsein denn erst annähern muss. Und auch in meiner Kindheit wurde mir immer wieder das Sprichwort vorgebetet: Allein ist ein goldener Stein. Trotzdem: Als vorwiegend extrovertierte Schriftstellerin stellt mich der Kampf zwischen dem für meine Arbeit unverzichtbarem Alleinsein einerseits und dem schier unwiderstehlichen Drang meiner Persönlichkeit danach, in Gesellschaft von Menschen zu sein andererseits, jeden Tag neu auf die Probe.

In ihrem Buch Die Kunst des Alleinseins richtet sich Diplompsychologin Ursula Wagner primär an all jene, die unfreiwillig allein sind. Weil sie langjähriger Single sind, aus einer gescheiterten Beziehung kommen oder durch tragische Lebensumstände ins Alleinsein “gefallen” sind. Nichts davon trifft auf mich zu. Trotzdem habe ich mithilfe des Buches begonnen, das Alleinsein für mich zu erforschen.

13. Oktober 2013

Von der Notwendigkeit, sich Zeit für sich selbst zu nehmen

Ein gutes Leben braucht mehr als einen Autopiloten

Zeit mit sich selbst zu verbringen ist für manche von uns eine Selbstverständlichkeit, für andere ist es ein schwieriges Unterfangen. Nicht nur, weil sie keine Zeit für sich allein finden, sondern vielleicht auch, weil es nur noch schwer auszuhalten ist. Was soll ich tun, wenn ich allein mit mir bin? Fernsehen, lesen, trinken, spazieren gehen, in der Sauna entspannen? Zeit mit sich selbst zu verbringen, sei es lesend, schreibend, malend, laufend oder schwitzend, ist nicht nur gut für den Körper und die Seele, sagt der Philosoph Damon Young. Es kann auch unseren Charakter, unsere Fähigkeiten und Tugenden, unsere ganze Persönlichkeit formen und festigen.


In der Zeit mit sich allein formt sich das ich

Freizeit und Muße formen die Persönlichkeit

Für viele hat "Zeit allein" auch einen Hauch von Verschwendung. Wenn die Zeit, die wir der Arbeit und unseren Pflichten widmen, wertvoll ist, dann ist die Zeit, die davon übrig und ungenutzt bleibt doch ziemlich wertlos. Oder "Zeit allein" ist dann eben Luxus: Aroma-Massage, Sonnenbank, Mani- und Pediküre.

"Zeit allein" ist aber eben auch einfach nur Freizeit oder Muße und das muss weder Verschwendung noch Luxus sein. Schon bei den Römern war Freizeit nicht einfach Faulenzen oder Prassen, sondern die Zeit, in der man sich selbst verfeinerte, seinen Charakter formte und verjüngte.

Der Naturforscher, Künstler und Staatsmann Seneca befasste sich in seiner Freizeit zum Beispiel mit der Philosophie. "Ich befasse mich nicht deswegen mit der Philosophie, um den Tag möglichst unterhaltsam zu verbringen oder die Langeweile aus der Freizeit zu vertreiben", schrieb er in einem Brief an seinen Freund, den Dichter Lucilius. "Es formt und bildet die Persönlichkeit, ordnet das Leben und reguliert das eigene Verhalten."

Für Seneca war Zeit allein eine Notwendigkeit für das gute Leben. Es war die Zeit, Maß zu nehmen, über sich selbst und die Welt nachzudenken und den eigenen Geist im Studium und in Gesprächen zu üben. "Was unseren Charakter wirklich ruiniert, ist wenn wir nicht auf unser Leben zurückblicken", sagt Seneca. Der Charakter, so könnte man Seneca übersetzen, benötigt mehr als einen Autopiloten, er benötigt einen aufmerksamen Kapitän. Die Zeit für sich allein ist deshalb so wertvoll, weil das Ich nicht einfach nur ist, sondern in der Reflexion geformt werden muss.

Sport: Ausdauer, Mut und Problemlösung

Wertvolle Zeit allein muss natürlich nicht zwangsläufig der Philosophie gewidmet sein. Auch Sport und körperliche Anstrengung gehören dazu. Nicht nur, weil es uns entspannt, sondern weil wir uns dabei üben und noch besser in dem werden, was wir gut können wollen. Auch regelmäßiges Joggen verbessert die Ausdauer und nicht nur körperlich: Weniger launisch sein und mehr Ausdauer an den Tag legen können, steht auch unserer Persönlichkeit gut zu Gesicht. Kampfkunst wie Judo oder Boxen kann unseren Mut fördern und die Fähigkeit verbessern, mit Schmerz umzugehen. Ein Spaziergang oder das deutsche Wandern sind nicht nur für Herz und Kreislauf gut: Abstand von den Alltagsproblemen zu gewinnen, hilft uns, neue Ideen zu entwickeln und die Probleme zu meistern. Bergsteigen kann uns helfen, uns selbst und den ganzen Zirkus des Lebens auf die rechte Größe herunter zu schrumpfen.

Allein etwas neues hervorbringen

Kreative Arbeiten in unserer Freizeit helfen uns, unsere Interpretation von Leben und Welt für uns selbst und andere begreifbar zu machen. Durch kreative Arbeit "objektivieren" wir unser Selbst, wie Karl Marx sagen würde, in Sprache und Musik, im Gärtnern oder Basteln. Während solcher Tätigkeiten fällt uns das Reflektieren leichter und vielleicht werden wir ehrlicher mit uns selbst, wenn wir im Flow etwas neues hervorbringen.

Geglücktes Leben ist Sorge um sich selbst

Die Zeit mit sich allein ist also kein Luxus oder irgend eine Verschwendung. Sie ist existentiell wichtig, denn es ist die Zeit, die wir brauchen, um für unser rundum gesundes Selbst Sorge zu tragen. Das ist vielleicht erst mal sehr egozentrisch und eigennützig, aber nicht, weil wir anderen etwas wegnehmen, sondern weil es das Selbst als ein Abenteuer und einen Auftrag versteht: Das Ich als etwas, das man immer mal wieder unter die Lupe nimmt und dann verfeinert. Im besten Fall ist es ganz das Gegenteil von egoistisch, denn wer sich selbst weiterentwickelt, formt und bildet, kann am Ende seinen Mitmenschen mehr geben. Mit mehr Zeit allein können wir widerstandsfähiger, bewusster und wissender werden, wir können unseren Mut entwickeln und unsere eigenen Schattenseiten kennen lernen. Mindestens aber wird es uns mit etwas mehr und ganz bewusst allein verbrachter Zeit einfach besser gehen.

Apropos... Zeit für einen Tee!



Der größte Teil des Textes beruht als Übersetzung auf Damon Youngs Text The Importance of Taking Time Out, der bei der School of Life erschienen ist. Young widmet sich in seinen Büchern wie zum Beispiel Distraction: A Philosopher's Guide To Being Free (bisher nur auf Englisch erschienen, deutsch etwa: Ablenkung: Eine philosophische Anleitung zum Freisein) Alltagsphänomenen unter einem philosophischen Blickwinkel und hilft so, die Zutaten für ein gutes Leben zusammen zu tragen.







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28. August 2013

Segen oder Fluch? Diagnosen von Persönlichkeitsstörungen

Monika Löttken
Auf Geist und Gegenwart geht es oft um Themen der Psychologie und der Selbsterkenntnis. Was für ein Mensch bin ich und wie ticke ich? Habe ich vielleicht ein besonderes Persönlichkeitsmerkmal wie eine extreme Introversion oder grenzen Aspekte meiner Persönichkeit sogar an eine z.B. schizoide Störung? Ich glaube, dass solche Selbsterkenntnis ein wichtiger Schritt zum Lebensglück ist. Als Geschäftsführerin und Dozentin der Heilpraktikerschule hpp-24 kommt die Physiotherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie Monika Löttgen im Unterricht immer wieder auf das Thema Diagnose zu sprechen und was solche psychologischen Zuschreibungen und Identifikationen mit uns machen. Wann ist eine Diagnose hilfreich und wann ist sie eher ein Fluch?

12. Juni 2013

Von der Gnade, die eigenen Freunde nicht zu verstehen

Alleinsein, Freundsein und die Qualität von Gefühlen

Die Introversion ist eines meiner Lieblingsthemen. Nicht nur, weil ich darin einen Kern meiner Persönlichkeit gefunden habe, der viele andere Persönlichkeitsaspekte beeinflusst. Introversion interessiert mich auch deshalb, weil es eine existenzielle Grundsituation eines jeden Menschen zuspitzt und greifbar macht: Alleinsein. Introvertierte haben eine besondere lebensphilosophische Gabe im Umgang mit dem Alleinsein. Sie spüren sogar einen inneren Zwang zum Alleinsein. Das ist schon spannend. Ein anderer Aspekt, der selten beleuchtet wird, ist das Recht auf Privatheit, das Recht auf ein Geheimnis, das Recht, auch mal unverstanden zu bleiben. Dieses Recht ist für unsere Identität entscheidend und Introvertierte gestehen sich selbst und anderen dieses Recht meistens ganz intuitiv zu. Sie drängen sich nicht auf, nehmen sich eher zurück, behalten Dinge gern für sich. Alleinsein ist für sie auch eine Frage des Respekts: Jeder Mensch hat das Recht, auch mal für sich zu sein.

Wir sind immer allein

Wir alle - egal ob intro- oder extrovertiert - kommen nicht umhin, uns mit dem Alleinsein auseinanderzusetzen. Im ganz banalen Sinne schon ganz früh in der Kindheit und später, wenn wir uns beim Alleinsein erst ängstigen und dann langweilen. Aber auf eine Art sind wir immer allein, auch und gerade wenn wir  unter Freunden sind: Jedes Missverständnis, jede etwas andere Interpretation einer gemeinsam erlebten Situation, selbst verschiedene Vorlieben zeigen uns, dass wir in einem existenzialistischen Sinne allein sind. Wir können uns zwar verständigen, werden aber nie dieselben Bewusstseinsinhalte haben, die etwa unser bester Freund hat. Wir können uns gegenseitig nicht verstehen, sondern nur interpretieren. Wer das nicht begreift, kann es schwer haben im Leben, denn Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten lassen uns dann verzweifeln, wir nehmen sie persönlich oder denken, dass andere einfach blöd sind.

Sind Introvertierte bessere Freunde?

Wie ich schon sagte, haben Introvertierte eine besondere Gabe, wenn es ums Alleinsein geht. Sie sind gern allein und finden in sich selbst häufig ein ganz reiches emotionales Leben, das nicht darauf angewiesen ist, dass es mit anderen geteilt wird. Diese Gabe allein reicht noch nicht, man muss sie auch "anwenden" können. Dazu zählt auch eine gewisse Balance, sich selbst verstehen und sich selbst auch mal aus dem Versteck wagen, um dann wieder das Alleinsein bewusst genießen zu können. Dazu gehört sicher auch, andere in sein Leben zu lassen, Freunde zum Beispiel und vor dem Hintergrund der eigenen Introversion den anderen ihre Identität zu lassen. Introvertierten wird auch immer wieder bescheinigt, dass sie sehr loyal sind und die ganz wenigen Freunde, die sie in ihr Leben lassen, eng an sich binden können. Eine treue Leserin meines Blogs schrieb mir dazu neulich folgende Zeilen:

Dadurch, dass man nur zu wenigen Leuten Zuneigung empfindet, ist diese dafür aber stärker ausgeprägt und ganz besonders wenn die Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruht. Dadurch erwartet man vielleicht eine Art "Exklusivität" die andere nicht unbedingt zurück geben können, erst recht nicht, wenn es sich bei ihnen um Extrovertierte handelt.

Diese Beobachtungen werfen interessante psychologische und auch philosophische Fragen auf. Erst einmal kann es natürlich so aussehen, dass die Zuneigung, die Introvertierte empfinden, stärker ausgeprägt ist. Vielleicht, weil wir ganz allein mit dieser einen Person viel Zeit verbringen und sie deswegen die einzige Empfängerin unserer Zuneigung ist. Aber ist die Zuneigung deswegen stärker? Und stärker, als was eigentlich? Wir werden es kaum beurteilen können, ob andere (meinetwegen Extrovertierte) eine weniger starke Zuneigung empfinden. Wie könnten wir das im Alltag testen? 

Die Qualität von Gefühlen

Ich glaube, wir können die Stärke unserer Gefühle nicht ohne Weiteres mit der anderer Menschen vergleichen. Wir haben ja keinen Zugang zum Empfinden der anderen und können unser Urteil nur auf unsere Beobachtungen als Indiz für ihre Gefühle stützen. Als Beispiel: Nur weil jemand stärker unter seinen Zahnschmerzen stöhnt, als ein anderer, können wir daraus noch nicht schließen, dass er auch wirklich stärkere Schmerzen hat. Es ist ein Indiz, aber kein Beweis. 

Man könnte auch sagen, dass für einen Vergleich von Gefühlen oder Schmerzen ein objektiver Referenzpunkt fehlt. Man kann Schmerzen und andere Gefühle nicht wie ein Erdbeben auf einer Richterskala messen. Ohne diesen objektiven Referenzpunkt ist dann das Reden von mehr oder weniger Schmerzen oder Gefühlem nicht sehr sinnvoll. Zuneigung und Gefühle sind dann eben jeweils individuelle Qualitäten und nicht Quantitäten.

Die Exklusivität unserer Zuneigung, die wir als Introvertierte vielleicht nur einem Freund schenken, lässt es so erscheinen, als würden wir viel stärker für ihn empfinden, als jemand, der seine Zuneigung auf fünf Freunde, statt auf einen "verteilt". Zuneigung ist aber nicht unbedingt wie ein Liter Wasser, der eine einzelne Person ganz durchnässt, während er verteilt auf fünf Personen diese nur etwas bespritzt. Zuneigung ist eine Qualität unseres Bewusstsein, ein Gefühl und das muss nicht geringer ausfallen, nur weil man es auf mehrere "Projektionsflächen" (sprich: Freunde) verteilt.

Diese Erkenntnis kann uns auch dann helfen, wenn wir die Exklusivität, die wir anderen geben, nicht gespiegelt bekommen. Nur, weil ein guter Freund noch vier weitere gute Freunde hat, heißt das nicht, dass er weniger Zuneigung für mich empfindet, als ich ihn für ihn.

Den anderen nicht verstehen ist OK

Vielleicht steckt hinter der Enttäuschung über die mangelnde Exklusivität einfach ein Missverständnis. Nämlich das, dass der andere doch genauso sein muss wie ich. Ich kann nur für einen ganz viel empfinden. Dann muss doch die Zuneigung zu vielen geheuchelt sein.

Hier sind wir wieder am Ausgangspunkt dieses Artikels: Wir sind fundamental allein in unserem Bewusstsein. Um dieses Alleinsein überbrücken zu können, müssen wir es erst einmal verstehen. Nur dann, wenn wir dem anderen Menschen neben uns und uns selbst zugestehen, dass wir ihn in seinem Anderssein nicht vollends begreifen können, können wir die Toleranz und das Verständnis für die Welt dieses anderen aufbringen. Auf das volle Verständnis des anderen verzichten zu können, heißt auch, ihm oder ihr einige Geheimnisse zu lassen, die Person nicht voll zu durchdringen und das Recht auf Identität und Privatheit zuzugestehen. Gerade den introvertierten unter uns wird das gefallen. Wir müssen sagen können: Ich verstehe dich nicht ganz, aber genug, um dein Freund zu sein. Dann können wir auch ertragen, wenn dieser Freund seine Zuneigung anders zum Ausdruck bringt und auf mehr Leute verteilt, als wir selbst es tun würden.

15. Februar 2013

Ein Hoch auf die Streber, Arschkriecher und Karrieristen

Was können wir von den unangenehm Ambitionierten lernen?

Ich muss etwas gestehen. Etwas, das mir unangenehm ist. Kennen Sie die Mitschüler, Kommilitonen oder Kollegen, die man abwertend Streber, Arschkriecher oder Karrieristen nennt? Lange hasste ich sie. Geht es Ihnen auch so? Und wissen Sie noch was: Unsere Abneigung ändert nichts, die Streber werden trotzdem bevorzugt, befördert und an die Spitze katapultiert. Sie hassen diese Menschen nicht? Gut so... dazu später mehr.

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Nerv! Es gibt sie in jeder Klasse: Streber (Foto von  ~BostonBill~ via Flickr)

4. Februar 2013

Hochsensibilität – eine Wesensart mit viel Potenzial

Das Thema Hochsensibilität (HSP) wurde in diesem Blog bereits im Zusammenhang mit Introversion aufgegriffen. Als bekennender Introvertierter, aber vermutlich nicht so hochsensibler Mensch, interessieren mich vor allem die Grenzziehungen zwischen diesen zwei Konzepten, die offenbar mindestens sich überlappende Phänomene zu beschreiben versuchen. Die Autorin Ulrike Hensel (siehe Foto), die von sich sagt, sie sei hochsensibel, hat für Geist und Gegenwart ein paar Grundlagen zu HSP zusammengefasst. Sie selbst bietet nicht nur Coaching für Hochsensible an, sondern hat jetzt zu diesem Thema auch ein Buch geschrieben: Mit viel Feingefühl - Hochsensibilität verstehen und wertschätzen: Einblicke in ein gar nicht so seltenes Phänomen. Ein Buch, das umfangreiches Wissen vermitteln und auch Rat geben will. Für uns fasst sie nun zusammen, was HSP ist, womit Hochsensible täglich konfrontiert werden, welche Fähigkeiten diese Veranlagung mitbringt und was die ganze Gesellschaft davon haben könnte. Aber lesen Sie selbst...

18. Januar 2013

Ruhe in Frieden. Wie tickte Aaron Swartz?

Heute vor einer Woche nahm sich der Netzaktivist Aaron Swartz das Leben. Ein stiller Nachruf von Erich Feldmeier.

 
Foto von Sage Ross (Boston Wiki Meetup via Wikimedia Commons)


Er wurde nur 26 Jahre alt. Swartz war ein leidenschaftlicher Verfechter der Freiheit im Internet. Zuletzt lief eine Anklage gegen ihn wegen Datendiebstahls - er wollte wissenschaftliche Magazine aus einer Online-Datenbank allgemein zugänglich machen. Die betroffene Organisation (JSTOR) hatte die Anklage nach gütlicher Einigung zurückgezogen, die General-Staatsanwaltschaft hielt die Anklage jedoch aufrecht. Aaron Swartz war aber nicht nur Pirat, sondern hatte maßgeblichen und produktiven Einfluss auf verschiedene Dinge, die wir heute ganz selbstverständlich im Internet nutzen, z.B. die Common Creative License (u.a. bei Wikipedia), RSS, Open Library und weitere solcher Werkzeuge. Schule und Uni brach er ab, weil ihm das zu langweilig war. Seine Verhaltensauffälligkeiten wurden in Nachrufen der ZEIT und der Süddeutschen so beschrieben:

1. Dezember 2012

Typisch: Warum wir immer anders und doch dieselben sind

In welchen Zusammenhängen stehen unser Erleben und unsere Persönlichkeit?

Wenn ich mit Klienten oder Kollegen über Persönlichkeitspsychologie rede und wir an einem Punkt sind, wo sie mit Testergebnissen konfrontiert werden, die etwa eine deutliche Introversion nahelegen, dann kommt es fast immer zu Gegenreaktionen. Die häufigste ist: Ich bin doch nicht immer dieselbe Person. Das hängt doch von der Situation ab. Klar bin ich oft still, aber manchmal rede ich auch ganz viel oder ich mag allein sein, aber neulich war ich auf einer Party, habe bis zum Ende durchgetanzt, getrunken und Leute kennengelernt. Ich bin also beides: introvertiert und extrovertiert. Natürlich! Niemand ist eindimensional. Aber die Situation kann nicht das Persönlichkeitsmerkmal bestimmen, sondern die Persönlichkeit sucht sich die Situation, wie wir gleich zeigen werden.

unit four PHOTOGRAPHY - PRACTICE SHOOT.
Sind und bleiben wir immer dieselben Personen? Foto: Paige Nolan via Flickr

22. Oktober 2012

Die schizoide Persönlichkeitsstörung

Der folgende Artikel ist als ein Einstieg in das Thema für Interessierte und Betroffene gedacht. Er ist keine strikt wissenschaftlich-psychologische Betrachtung und dient weder Diagnose- noch Therapiezwecken. Tipps zu weiterführender Literatur zum Thema gibt es in meiner Bibliothek unter Bücher speziell für Schizoide empfohlen

Sichere Distanz und emotionale Kälte (Dark Silence in Suburbia)

Der Artikel Schizoid - die Angst vor dem Ich-Verlust  ist der bei weitem meist gelesene und kommentierte Artikel auf Geist und Gegenwart. Das zeigt, dass es trotz der Seltenheit der schizoiden Persönlichkeitsstörung (weniger als ein Prozent Betroffener in der Bevölkerung) einen enormen Bedarf an Aufklärung gibt. Und es freut mich einerseits, dass Leser diesen Artikel hilfreich finden (siehe all die Kommentare dort), andererseits möchte ich nicht, dass sie ihn als Grundlage zur "Eigendiagnostik" nehmen, nur weil sie sich in ihm wiedererkennen. Denn dieser Artikel ist ein eher persönlicher Bericht meiner Lektüre von Fritz Riemanns Grundformen der Angst (wo gründlich auf die schizoide Disposition eingegangen wird) und wie mich die daraus erworbenen Erkenntnisse über mich selbst als leicht schizoide und introvertierte Persönlichkeit durch Höhen und Tiefen meines Lebens begleitet haben. In dem Artikel ging es auch weniger um Persönlichkeitsstörungen, als um die Disposition des Schizoiden. Zwischen der Disposition, also einer Art Veranlagung, und einer Störung liegen enorme graduelle Unterschiede. Deswegen möchte ich heute genauer untersuchen, wo eine schizoide Persönlichkeitsstörung anfängt und wie man mit ihr lebt.

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