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18. Juli 2025

Über Moderne, Mythos und Maschinen

Was vom Menschen übrig bleibt – Fortschritt, Krise und Selbstverlust

In Zeiten radikalen Wandels – technologisch, ökologisch, existenziell – stellt sich eine alte philosophische Frage mit neuer Dringlichkeit: Was heißt es heute, Mensch zu sein? Dieser Text ist eine intime Reflexion über Fortschritt, Grenzen, das Dazwischen und das Unverfügbare – über das, was uns zu Menschen macht, gerade in dem Moment, in dem wir es aus der Hand geben.

Die englische Originalversion des Textes wurde am 17. 7. 2025 in Xavier Faltots Radioshow Cashmere Talks Zuper Wok #00: Escaping the Dark Hole gelesen. 

24. Mai 2021

Kinder sind von Natur aus gut, oder?

Hass und Humanismus in der Kinderstube

Eine unserer humanistischen Grundannahmen ist, dass Menschen von Natur aus gut seien. Ich habe jetzt seit fünf Jahren ein ganz eigenes Feldexperiment bei mir zu Hause: meinen Sohn. Und soweit ich mit anderen Eltern rede, stelle ich fest, dass mein Kind nichts besonderes, sondern Durchschnitt ist, weshalb ich denke, dass meine Beobachtungen repräsentativ sind. 

 

Groß werden, Foto vom Autor (CC BY 3.0 DE)
Groß werden, mit und durch und gegen das andere (Foto vom Autor CC BY 3.0 DE)

12. Dezember 2020

Glücklich durch die Pandemie

Meine Überlebensstrategien in Krisen

Es kann ziemlich niederschmetternd sein, dieses Jahr so zu beenden, wie es anfing: beschränkt in unseren Sozialkontakten, besorgt über uns selbst und unsere Nächsten, behindert in unserem Bewegungsdrang. Hinzu kommen all die idiotischen Zumutungen durch ängestigende Nachrichten, unklare Zufunftsaussichten oder tatsächliche Einkommenseinbrüche. Mich nerven auch verwirrte Mitmenschen, die sich nicht anders zu helfen wissen, als gegen die objektive Realität anzustürmen, indem sie sich weigern Masken zu tragen, indem sie so tun, als seien sie unverwundbar und/oder indem sie ihrer Verwirrtheit mit messianischem Eifer über Verschwörungsgeschrei Ausdruck geben müssen. 

Ab in den Wald ist eine meiner Strategien (Bild von mir, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE)


Ich verstehe sehr gut, dass man das alles am liebsten gar nicht wahr haben möchte. Und ich denke auch, dass all die Maßnahmen noch lange nach Corona nachwirken werden und dass wir einen Preis dafür zahlen werden. So mache ich mir beispielsweise Sorgen über unseren noch nicht ganz fünfjährigen Sohn, der in einem Alltag auwfächst, der von Infektionsangst geprägt ist. Ich weiß nicht, welche langfristigen Ängste all das tägliche Fiebermessen, die maskierten Gesichter und die vielen Verbote im Umgang miteinander nach sich ziehen werden. Es würde mich nicht wundern, wenn wir als eine langfristige Folge mit zunehmenden Angsterkrankungen unter Erwachsenen und Kindern zu kämpfen haben würden: ständige Angst vor Infektion, Angst vor körperlicher Nähe und Agoraphobien zum Beispiel.

Hier sind ein paar Strategien, die mir und meiner kleinen Familie helfen, durch diese Zeit zu navigieren. Über all dem steht so ein bisschen das populäre royale Mantra in Vorbereitung der Briten auf den zweiten Weltkrieg:

21. September 2018

Emma und das bisschen Haushalt

Mentale Last nur für Frauen?

Die französische Feministin und Zeichnerin Emma hat mit ihrem etwas schwierigen Begriff "mentale Last" oder "charge mentale" (franz.) / "mental load" (engl.) ziemliches Aufsehen erregt. Den Begriff hat sie für Frauen und vor allem Mütter geprägt, die das Gefühl haben, ihre Männer hülfen nicht im Haushalt oder nur dann, wenn man ihnen sagt, was zu tun sei. Männer kennten diese mentale Last nicht. Die allgemeine Aussage, dass das regelmäßig auf heterosexuelle Paare zutreffe, gehört dabei zum Kern ihrer Botschaft, mit der sie um die Welt zieht. Muss man ihr nicht völlig Recht geben, dass es inakzeptabel ist, wenn ihr Mann Hausarbeiten nur dann ausführt, wenn er darum gebeten wird, aber insgesamt erwartet, dass sie zuständig ist und sich im Wesentlichen darum kümmern wird?

"Die mentale Last bezeichnet die Tatsache, immer an alles denken zu müssen. Daran denken, dass die Q-Tipps auf den Einkaufszettel müssen, dass heute der letzte Tag ist, den wöchentlichen Gemüsekorb zu bestellen [...] dass die nächste Impfung ansteht oder dass der Mann kein einziges sauberes Hemd mehr hat."

Ich empfehle, die deutsche Version einmal hier zu lesen: Du hättest doch bloß fragen müssen! Auf den ersten Blick, ist das in der Tat skandalös. Und auch auf den zweiten Blick würde ich sagen, dass beide Partner offenbar etwas völlig falsch verstanden haben müssen, wenn sie sich um seine Hemden kümmert. Und da sind wir schon beim ersten Punkt, der mich an Emmas vorgeblich allgemeingültigen Diagnose der mentalen Last in Paarbeziehungen stört.

23. August 2017

Warum wir nur in der Beziehung zu anderen existieren

Freiheit und Zivilisation sind kein Widerspruch

In den Kommentaren des Anfang August erschienenen Artikels Ist der Mensch von Natur aus gut oder böse? wurde ich auf meine zugegeben auf den ersten Blick steile These angesprochen, dass es uns nur in Relation zu anderen Menschen geben könne:

"Bist Du echt der Meinung, dass es Dich nur im Außen und in Relation zu anderen Menschen gibt? Das ist eigentlich eine sehr archaische Denkweise. Die schlimmste Strafe für den Urmenschen bestand anscheinend darin, von den Stammesmitgliedern fortan ignoriert zu werden."

Ich will auf die Frage in einem eigenen kurzen Artikel eingehen, weil es eine sehr wichtige Frage ist und weil die die Frage begleitenden Sätze bereits interessante Einblicke in eine mögliche Anwort geben. Dem Hinweis auf die Archaik dieses Denkens und die schlimmste Strafe, die einem Urmenschen widerfahren konnte, kann ich nur Recht geben. Ich meine, dass es unstrittig ist, dass wir diese archaischen Ängste nie losgeworden sind. Noch heute gehört es zu den größten Ängsten vieler Menschen, richtig allein zu sein. Es ist gewissermaßen die Mutter aller Ängste, "dass man trotz – beinahe wegen – der vielfältigen Beziehungen zu anderen Menschen fundamental allein ist".

Ausschnitt aus Carl Blechen - Landschaft mit Eremit (ca.1822)

1. Juni 2017

Ist die Liebe der Sinn des Lebens?

Alain Badiou über Liebe, Wahrheit und Abenteuer

Was ist die Liebe, fragt der französische Philosoph Alain Badiou und Autor des Buches Lob der Liebe im letzten Philosophie Magazin und gibt auch gleich folgende Antwort:

"Sie ist eine bestimmte Beziehung zum anderen, von Individuum zu Individuum, die impliziert, die Bedeutung des Lebens des anderen für mich anzuerkennen. [...] Die Liebe ist die intensivste Beziehung der Anerkennung und der Abhängigkeit vom anderen, die wir in unserer gewöhnlichen Existenz kennen." (Badiou, Philosophie Magazin Nr. 04/2017, S. 45.)

Alain Badiou mit Studenten in der École Normale Supérieure (Jean-François Gornet, CC BY-SA 2.0)

Liebe als Wahrheitsverfahren

So weit so nüchtern und diesseitig. Es ist unschwer zu erkennen, dass der marxistische Philosoph hier eine ganz atheistische Position der Liebe skizziert, denn viele Christen beispielsweise würden die intensivste Beziehung der Anerkennung und Abhängigkeit sicher nicht zwischen Individuum und Individuum verorten, siehe der diesjährige Slogan auf dem Kirchentag: "'Du siehst mich' ist ein Satz, der über den biblischen Kontext hinaus auch heute Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung aussagt", so Ellen Ueberschär vom Kirchentag. Aus Badious Perspektive jedoch haben die Religionen die Liebe gewissermaßen pervertiert, indem sie die Liebe unter zwei Menschen umlenkten auf die Liebe zu nur dem einen ganz anderen, nicht menschlichen Objekt, dem man sich bloß und ohne jegliche Gleichberechtigung unterwirft. Insofern und auch in unserem individualistischen Zeitgeist ist die Liebe von zweien immer der Bedrohung des nur einen ausgesetzt. Bleiben wir im Diesseits:

10. Mai 2017

Wut macht uns kaputt, aber es gibt eine Alternative

Martha Nussbaum zu Zorn, Vergebung und Weisheit in der Beziehung

Das Zusammenleben zweier Menschen ist immer wieder schwierig und das wird auch so bleiben. Die Philosophin Martha Nussbaum hat die romantische Zweierbeziehung als das unmögliche Projekt beschrieben, die Autonomie zweier Persönlichkeiten mit den gegenseitigen Abhängigkeiten in dieser Beziehung überein zu bringen. Aus diesem gelebten Widerspruch ergeben sich jede Menge Spannungen und potentielle Bruchstellen. Wenn noch ein Kind hinzukommt, wird die Sache keinesfalls einfacher, aber dazu an anderer Stelle mehr (Die Unmöglichkeit der Liebe mit Kind). Nicht selten äußert sich diese Schwierigkeit der Spannung zwischen Autonomie und Zweisamkeit in Verdruss, Groll, sogar Zorn und Wut. Manchmal knallen Türen, es fliegen schnelle Worte, ja bei manch einem Paar sollen sogar Teller fliegen. Die extreme Ausprägung wäre dann körperliche Gewalt im Affekt gegeneinander.

Martha Craven Nussbaum (Foto: Jerry Bauer, Lizenz: CC-BY-SA-3.0)

Alle, die Zorn in der Beziehung schon einmal erlebt haben, wissen: solche Wut bringt nichts und schadet höchstens. Das hält uns aber nicht davon ab, bei der nächsten Gelegenheit wieder wütend zu werden. Was aber ist Wut, woher kommt sie in der Zweisamkeit und was können wir tun, anstatt Zorn und Wut ihren freien und zersetzenden Lauf zu lassen?

29. Januar 2017

Die Unmöglichkeit der Liebe mit Kind

Genervte Eltern im Baby-Clash

"Wir verstehen plötzlich,
dass das Leben ganz buchstäblich
von der Fähigkeit zu lieben abhängt."
(Alain de Botton)

Mein Sohn ist jetzt ein halbes Jahr alt. Er hat mein Leben in vielerlei Hinsicht verändert. Erstaunlich ist dabei, wie so ein kleiner und unfertiger Mensch meine Beziehungen zu meinen Eltern, Schwiegereltern und vor allem zu meiner Frau verändert hat. Zu den Veränderungen, Kämpfen und Zerwürfnissen zwischen Liebenden, wenn sie Eltern werden, komme ich gleich.

26. November 2016

Familie – der letzte Schutzraum des Individuums

Das Philosophie Magazin fragt: Zuflucht oder Zumutung?

Cover Philosophie Magazin
Philosophie Magazin Nr. 01 / 2017
Familie? Ich würde mal sagen, ich habe Glück gehabt. Denn niemand kann sich die Umstände aussuchen, in die er geboren wird. Ich habe noch sehr deutliche Erinnerungen an das immer wiederkehrende und furchtbare Gefühl des Verlorenseins, als ich als Kind den Institutionen übergeben wurde. Egal ob Kindergarten, Schule, Ferien- oder Trainingslager – ich wäre lieber im Schoße der Kleinfamilie geblieben. Ich schrieb verzweifelte Briefe voller Heimweh aus den Ferienlagern an meine Eltern. Ich bat sie dringend, mich abzuholen und wenn irgendwo in der Nähe ein Hubschrauber vorbei flog, gab ich mich der Fantasie hin, dass er im Hof landen würde und meine Mutter ausstiege, um mich abzuholen. Ich weinte bitterlich. Familie war für mich immer Zuflucht, immer Geborgenheit und Schutz vor dem Chaos da draußen. Jetzt, da ich selber eine Familie "gegründet" habe, kommen diese Gefühle manchmal zurück und ich würde lieber gern bei Frau und Kind bleiben, anstatt raus zu gehen und mich dem Kampf um den Radweg oder den Parkplatz, dem Wettbewerb um Anerkennung und der Willkür im Verhalten anderer Menschen auszusetzen. Aber natürlich kommt die Sehnsucht danach erst daher, dass es kein Dauerzustand ist. Wäre es einer, dann würde ich die Differenz vermissen und die Geborgenheit nicht fühlen.

8. November 2016

Das Zeichen wahrer Liebe

Was wir von unserer Liebe zu Kindern lernen können

Es ist wundervoll, in einer Welt zu leben,
in der so viele Menschen nett zu Kindern sind.
Es wäre sogar noch schöner, wenn wir in einer Welt lebten,
in der wir gegenseitig etwas netter zu den kindischen Seiten
in uns wären. (Alain de Botton, The Course of Love*, S. 120)

Unlängst schrieb ich verwundert über die Liebe, die wir Erwachsene gegenüber Kindern aufbringen. Ich machte mir Gedanken, wo die Liebe herkam und mutmaßte, dass es etwas mit der kindlichen Unschuld, der Sorglosigkeit und dem Spielerischen des kindlichen Verhaltens zu tun haben müsste. Und nun las ich all das so schön zu Ende gedacht und auf den Punkt gebracht in zwei Sätzen von Alain de Botton:

"Gesellschaften werden für die Qualitäten empfindlich, die ihnen fehlen. Eine Welt, die einen hohen Grad an Selbstkontrolle, Zynismus und Vernunft verlangt und die sich durch extreme Unsicherheit und Konkurrenzdenken auszeichnet, erkennt in der Kindheit die fehlenden Tugenden – Qualitäten, die sehr strikt und definitiv aufgegeben werden mussten, um Zutritt zur Erwachsenenwelt zu erlangen." (Alain de Botton, S. 117)

Wir lieben also in den Kindern das, was wir wohl irgendwie verloren oder abgegeben haben und nach dem wir uns zurücksehnen. Wir verzeihen unseren Kindern darüber hinaus auch jeglichen Blödsinn, jede Unvernünftgkeit und Ungerechtigkeit, die sie mit der Regelmäßigkeit und Naturgesetzlichkeit von Ebbe und Flut über uns kommen lassen. Das Unreife in den Kindern, das wir "durch die Linse unserer erwachsenen Erfahrungen sehen", erscheint uns als besonders liebenswert. Wenn wir jedoch Zeugen eines unreifen Verhaltens von Erwachsenen werden, erscheint uns das als besonders unangebracht.

18. Oktober 2016

Die unerwartete Leichtigkeit, Eltern zu sein

Ich bin erst spät Vater geworden, das hat viele Vorteile, unter anderen den, dass ich nicht das Gefühl habe, viel verpasst zu haben. Viele Eltern (laut YouGov etwa 20%) bereuen später, Kinder gezeugt zu haben, weil sie z.B. unter dem Eindruck sind, ihre persönlichen Entfaltungs- und Karrieremöglichkeiten hätten gelitten. Dazu will ich nicht zählen. Verschiedene Partnerschaften, um die Häuser ziehen, Reisen, lange studieren, an anderen Orten leben, verschiedene Arbeiten ausprobieren und sonst auch Dummheiten machen und unvernünftige Risiken eingehen... all das möchte ich als Vertreter der in die Länge gezogenen Jugend nicht missen. Und lange dachte ich, ich möchte auch nicht unbedingt Vater werden und all die Einschränkungen der Freiheit hinnehmen, die diese Rolle zwangsläufig mit sich bringt. Es ist ein anderes Leben.

Faszination Baby: Plötzlich ein Star (Elvis Presley und Priscilla mit Lisa Marie, Februar 1968)

Nun waren wir gerade zu Besuch bei meinen Schwiegereltern in Frankreich, der erste lange Road Trip mit dem drei Monate alten M. Natürlich ist so eine Reise auf viele Arten anders und auch anstrengender, als wenn man zu zweit oder gar allein unterwegs ist. Pausen sind häufiger und drehen sich um den Kleinen und seine elementaren Bedürfnisse. Wir hören beim Fahren nicht mehr laute Rockmusik oder Hip Hop, sondern entweder nur den Motor oder leicht verträgliches Gedudel. Ich könnte viele Dinge aufzählen, die anders und auch anstrengender sind und die ich auch erwartet hatte. Ich möchte aber auf eine Sache eingehen, die ich gar nicht erwartet hatte: Ein Element der Leichtigkeit, seit dem ich Vater geworden bin.

7. Oktober 2016

Warum die Liebe nicht gelingt

Die neue Wertschätzung des Bauchgefühls ist
das Erbe einer kollektiven traumatisierten Reaktion
gegen zu viele Jahrhunderte unvernünftiger Vernunft.
(Alain de Botton, S. 37)

Wie ich neulich schon auf dem Blog der School of Life schrieb, war ich bei einem Vortrag des Gründers der School of Life Alain de Botton. In dem Vortrag ging es darum, wie schädlich die romantische Idee der Liebe für unsere Beziehungen sein kann. Warum?

"Nun, weil die mit diesen Ideen einhergehenden Ansprüche und Erwartungshaltungen kaum zu befriedigen sind und daher für so viele Missverständnisse, den ganzen Frust und die enorme Enttäuschung verantwortlich sind, die nun beinahe jedes einmal so romantisch verliebte Pärchen früher oder später einholen und oft zugrunde richten." (G. Dietrich, Alain de Botton spricht über die romantische Liebe)

Inzwischen lese ich Alain de Bottons neues Buch Der Lauf der Liebe. Es hat die Genrebezeichnung "Roman" und es hat auch romanhafte Elemente, nämlich eine fiktive Geschichte zwischen den zwei erst verliebten und dann verheirateten Kirsten und Rabih. Allerdings hat es auch etwas von einem Lehrbuch, denn die Geschichte wird von meistens kurzen und immer kursiv gedruckten Absätzen mit historischen, psychologischen und philosophischen Einlassungen, Abhandlungen oder Aphorismen unterbrochen. Das ist sicher erst einmal gewöhnungsbedürftig, trägt aber dann erheblich zum Lesespaß bei.

Wenn de Botton im Zitat oben sagt, dass die neue Wertschätzung des Bauchgefühls das Erbe einer kollektiven traumatisierten Reaktion gegen zu viele Jahrhunderte unvernünftiger Vernunft sei, so ist das nicht nur ein cleveres Bonmot, das auch wie die Faust aufs Auge unserer postfaktischen Politik passt, sondern es beschreibt ziemlich genau, warum die Liebe mit dem 19 Jahrhundert plötzlich von der typischen Vernunftehe zu einer romantischen Raserei geworden ist, deren Luftschlösser allenthalben für irdische Enttäuschung sorgen. De Botton schreibt:

24. Juli 2016

Im Zeitalter der Kuscheltiere

Unsere neu entdeckte Liebe zur Kreatur

Als frisch gebackenem Vater fallen mir tagtäglich Dinge auf, die zu einem ansonsten unhinterfragten Alltag der meisten Menschen hier in Westeuropa gehören dürften, wie zum Beispiel all die Tiere in den Bilderbüchern, in den Kinderliedern, überall als Aufdrucke auf den Kinderkleidern und als Kuscheltiere in den Kinderzimmern.

Kinderzimmer: Eine Welt der versöhnten Kreaturen

Wir bekommen zur Zeit so viele praktische und unpraktische Dinge von Freunden und Familienmitgliedern geschenkt und beinahe jeder dieser Gegenstände kommt selbst als Tier daher (die erste Sparbüchse für M. in Form eines Frosches, die Moby-Dick-Spieluhr und all die Kuscheltiere) oder ist mit Aufdrucken von Tieren versehen, wie jedes einzelne Kleidungsstück, das wir M. im Moment anlegen. Tiere überall. Auch vor dem Hintergrund, dass es dem kleinen M. scheißegal ist (nach drei Wochen auf dieser Welt hat er noch kein Konzept von Tieren oder gar Tierrepräsentationen), frage ich mich, was all die Tiere bedeuten?

2. März 2016

Philosophie aus Liebe zum Objekt

Das große Draußen zwischen Natur und Kultur

"Jede Philosophie, die versucht, die Dinge in ihre Bedingungen zu zerlegen, damit sie erkannt und verifiziert werden können, ist ihres Namens unwürdig." (Graham Harman: The Third Table S. 12*)
Das ist ein seltsamer Satz für einen Philosophen, der doch per Berufsbild auf der Suche nach der Wahrheit sein müsste. Was meint Graham Harman, der Philosoph der objektorientierten Philosophie damit? Philosophie, so Harman, sei nicht Wissen oder Weisheit, sondern Liebe zur Weisheit und damit ein fast erotisches, auf jeden Fall ästhetisches Konzept. Harman geht noch weiter, wenn er sagt, dass man das Wahre nicht kennen, sondern nur lieben könne. Was er damit meint, ist nicht, dass wir gar keinen Zugang zu den Dingen und der Wahrheit erhalten könnten, sondern nur, dass der Zugang immer indirekt bleibt.

Wir können die Dinge nicht kennen, aber wir können sie lieben (Foto: Marco Annunziata, CC-BY-2.0)

Auch die Liebe zwischen Menschen lebt ja durch einen indirekten Zugriff auf den anderen. Wir stellen eine Nähe zueinander her und wollen den Abstand zueinander immer weiter verringern. Würde jedoch jeglicher Abstand verschwinden, würden wir unseren Partner vollkommen definieren oder konsumieren, so würde auch die Liebe verschwinden. Harmans objektorientierte Philosophie folgt dieser Bewegung der zunehmenden Nähe mit der gleichzeitigen Akzeptanz, dass uns der direkte Zugriff auf die Dinge vorenthalten bleibt. Am Ende führt ihn das von der Erkenntnistheorie in eine neue Verortung der Philosophie, ja in eine dritte Kultur, aber dazu später mehr.

14. Januar 2016

Das törichte Verlangen nach Gerechtigkeit

Es gibt etwas größeres als Fairness im Leben

Gute Vorsätze sind etwas schönes. Ich gratuliere, wem es gelingt, gute Vorsätze im neuen Jahr zu etablieren. Ich nehme mir eigentlich nie etwas Konkretes - "weniger essen" oder "aufhören zu rauchen" - vor. Aber ich nutze die Zeit zwischen den Jahren, um mir Gedanken zu machen, was gut ist und was noch besser sein könnte. Für 2013 nahm ich mir zum Beispiel vor, mehr Mut zu zeigen und mehr Gelegenheiten zu nutzen, etwas zu unternehmen. Für 2014 nahm ich mir vor, ein gesünderes Verhältnis zur Arbeit und der Probleme, die sie manchmal mitbrachte, zu etablieren. In der zweiten Jahreshälfte hatte ich dann sogar gekündigt... man könnte meinen, ich sei übers Ziel hinausgeschossen.

Gerecht? Der Tod des Socrates von Jacques-Louis David (Gemeinfrei über Wikimedia Commons)

2015 war voll mit neuen Erlebnissen und einem neuen Anfang mit einer neuen Arbeit. Am Ende des Jahres habe ich mich also gefragt, worin ich noch besser werden könnte. Mir war aufgefallen, dass ich vor allem in meinen privaten Beziehungen ein großes Verlangen nach Gerechtigkeit verspüre. Das klingt ja erst einmal nicht so verkehrt. Ich will mir nichts gefallen lassen. Ich will, dass wir uns alle gegenseitig fair behandeln. Was kann daran falsch sein? Mein Verlangen nach Fairness schien mehr Probleme zu verursachen, als Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Wie kann das sein?

20. Dezember 2015

Du sollst alles für mich sein!

Von Umgang mit überzogenen Erwartungshaltungen in der Liebe 

Liebe ist unmöglich und ohne geht es auch nicht. Denken wir mal an unseren letzten Streit in der Partnerschaft zurück. Ziemlich wahrscheinlich gab es einen Moment, wo wir uns erstens unzureichend gefühlt haben, zweitens den anderen als irgendwie völlig daneben und drittens als absolut unfair erlebt haben. Als Beispiel: Ich ging mit Freunden zu einem Konzert, es war laut, es war fröhlich und auch ein bisschen feucht. Ich trank vier Bier und war etwas angeheitert. Als ich zu Hause ankomme, geht es meiner Frau nicht besonders gut. Magenschmerzen, etwas Übelkeit, aber nach eigener Aussage nichts dramatisches. Am nächsten Morgen merke ich schon, die Stimmung ist mies und es entsteht ein Streit, in dessen Verlauf sich eine Hauptaussage herauskristallisiert: Du bist nicht für mich da, wenn ich dich brauche.

Dagegen lässt sich schwer etwas sagen, wenn ich ja tatsächlich nicht da war, als es ihr nicht gut ging. Und dann war ich auch noch angetrunken, als ich endlich da war und konnte vielleicht nicht so verständnisvoll reagieren, wie normalerweise. Trotzdem fühlte ich mich unfair kritisiert. Was aber stimmte mit dieser Kritik an mir nicht?


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