3. November 2013

Wiedergeburt, Pessimismus und westlicher Buddhismus

"Es ist besser, wenn jeder Mensch seiner eigenen Tradition folgt. Sie im Westen haben einen jüdisch-christlichen Hintergrund, es ist besser, wenn Sie bei Ihren Wurzeln bleiben." Dalai Lama im Interview

Die Idee von Karma und Wiedergeburt, die im Westen zusammen mit dem Buddhismus aus noch zu klärenden Gründen irgendwie in Mode gekommen ist, interessiert mich schon seit einer Weile. Im Artikel Warum wir vom Buddhismus fasziniert sind und was da nicht passt habe ich versucht, mir selbst erste Erklärungen für die Attraktivität des Buddhismus zu geben. Nicht erklären konnte ich mir jedoch, wie es zu dieser geradezu märchenhaften und tragischen Idee der Wiedergeburt oder Reinkarnation kam. Tragisch ist die Idee, weil der Buddhist die ewige Wiederkehr des immer Gleichen nicht bejaht, nie würde er zum Augenblick sagen: Verweile doch, du bist so schön. In ihr finden wir also das Gegenteil zur Achtsamkeit, die doch den westlichen Mode-Buddhisten eigentlich heilig ist.

Fakire und Sadhus sind die Künstler der Selbstauslöschung (Herbert Ponting, 1907)

Im Rad der unerwünschten Wiedergeburten kann man eine Parallele zur christlichen Erbsünde sehen und das buddhistische Streben gegen die Wiedergeburt hat in seinem Motiv etwas mit dem Zölibat der katholischen Priester gemein. Von vornherein scheint hier klar: Das Leben und seine Reproduktion ist unbedingt zu vermeiden. Wenn man schon das Pech hatte, geboren zu werden, dann hat man nun die Pflicht, an weiteren Geburten zumindest unbeteiligt zu sein.

Wo kommt die pessimistische Idee von der Wiedergeburt her?

Peter Sloterdijk erklärt die relativ neue "pessimistische Trübung des Urteils über die Gesamtheit der Existenz" zum einen aus der "in Indien von alters her bedrückende[n] reale[n] Misere" (415*). Zum anderen aber sieht er in der asketischen Entfernung vom Leben eine Steigerung des Heraustretens aus der Sinneswelt, die im frühen Brahmanentum bereits als "Königsweg zur Erfahrung der letzten Wirklichkeit" (414*) geübt wurde. Üben ist übrigens das Stichwort für Sloterdijk. Für ihn sind alle Religionen lediglich Übungssysteme, in denen es zu aller erst darauf ankommt, über sich selbst hinaus zu wachsen. Der Gott und vergleichbare Gegenstände, an die man glaubt, sind dabei nur Mittel zum Zweck. Warum aber wurde die Übung der Brahmanen durch ihre Schüler im späteren Buddhismus zu solch extremer Weltverneinung gesteigert? Die Antwort liegt im Kastensystem, an deren Spitze die Brahmanen stehen.

Sie und ihre Schüler waren bereits die Herausgehobenen. Eine weitere Absetzung vom Rest der Sterblichen war also über Kasten und Hierarchien nicht mehr möglich. Die einzige Möglichkeit für die Schüler der Brahmanen, noch einen qualitativen Unterschied herzustellen, bestand darin, die Zurückgezogenheit der Lehrer, die immerhin in familiären Bindungen lebten, noch zu steigern. Es reichte nicht mehr, asketisch zu sein und die profane Welt der Dinge und Sinne abzulehnen, also wurde die Existenz insgesamt und das Universum als eine vermeintliche "Straf- und Illusionsanstalt" (415*) Gegenstand einer großen Verneinung.

Buddhismus als Fitnesstraining im individualisierten Westen

Der Buddhismus, der bei uns im Westen in Mode gekommen ist, ist nicht der extrem asketische, der auf die quälend lange Selbstauslöschung zielt. Vielmehr wird er als eine ziemlich leicht zu exerzierende Balance zwischen Pessimismus und diesseitiger individualistischer Erlösungshoffnung betrieben. Auch die Übung hin zur Erlösung, die Meditation, ist nicht ganz so schmerzhaft wie die der hauptberuflichen Selbstauslöscher, etwa der alten hinduistischen Sadhus, die siebzehn Jahre lang reglos stehen, 25 Jahre einen Arm hochhalten oder sich für immer einmauern lassen. Peter Sloterdijk meint zur Popularität des Zen-Buddhismus:

...die Strömung insgesamt erweist sich aufgrund ihrer therapeutischen und atheoretischen Grundhaltung als ungeduldig genug, um für die spirituellen Aspirationen westlicher Menschen, die das Leben nur als Finale kennen, attraktiv zu sein. (420*)

Das Leben als Finale ist uns wichtig, der Karma-Gedanke passt zu uns eigentlich nur als so eine Art immer wieder aufzuladener Gutmenschen-Akku, der uns nicht zuletzt selbst Gutes beschert. Mit dem ganzen Wiedergeburtszirkus fremdeln wir jedoch. Deswegen ist uns die diesseitige und individuelle Erlösung, die wir uns durch die Meditation versprechen, wichtig. Außerdem ist sie so schön entspannend, danach kann man mit aller Kraft weiter arbeiten. Anderen außer uns selbst und der Wettbewerbsfähigkeit helfen wir mit Meditation nicht. Unserer Selbstgewissheit schadet freilich auch nichts, dass wir allein die Deutungshoheit über unsere Meditationserfolge haben und deshalb gegenüber dem Urteil anderer immun sind:

Tatsächlich eröffnet die Meditation, dem Traum vergleichbar, eine Sphäre nicht beobachtbarer Beobachtungen, so daß man hier, wie beim Traum und seiner Deutung, auf sekundäre Mitteilungen und tendenziöse Nachbearbeitungen angewiesen bleibt. Für die mystischen Zustände ist überdies charakteristisch, daß ihre Träger das Schweigen als Form der Mitteilung priveligieren. Es wäre gewiß ein Fehler, vom Schweigen auf die Erleuchtung zu schließen. In puncto Nichtmitteilbarkeit kann es jede Dumpfheit mit der Entrückung in den dritten Himmel aufnehmen. (422*)

Natürlich ist Sloterdijks Perspektive eine wissenschaftlich skeptische. Aber welche andere Perspektive sollte heute noch angemessen sein, wenn sie den Intellekt des Lesers nicht beleidigen soll? Auch der Dalai Lama liebt ja diese Perspektive und ruft seinen westlichen Fans zu: Besinnt euch auf eure eigene jüdisch-christliche Kultur. Dem kann man nur entgegen: Die taugt leider in unserer individualistischen und neoliberalen Fitnessgesellschaft nichts mehr. Da ist der westliche Buddhismus einfach anschlussfähiger.



*Alle Zitate aus: Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern: Über Anthropotechnik von  2009.

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9 Kommentare:

  1. Für eine vernünftige Diskussion übers Thema wäre es hilfreich, die wilde Gemengelage mal kommentierend und/oder hinterfragend aufzulösen.

    1. Nietzsche hat den Gedanken einer ewigen Wiederkehr des Gleichen den am schwersten zu ertragenden überhaupt genannt. Er wusste nämlich auch um die Tragik der nicht verweilen wollenden Augenblicke.

    2. Der Buddhismus dagegen fordert genau dieses bewusste Verweilen in jedem Augenblick. Dies steckt u.a. hinter seinem Konzept der Achtsamkeit.

    3. Was die Konzepte Erbsünde und unerwünschte Wiedergeburten miteinander zu tun haben, ist mir völlig schleierhaft. In jenem Modell muss gestorben werden, weil vom Baum der Erkenntnis genascht wurde, in diesem darf ohne Erkenntnis nicht erloschen werden. Wo sind da die Parallelen?

    4. Der Zölibat hat innerkirchliche pragmatische Gründe und gilt für eine bestimmte Kaste. Das Rad des Lebens zu durchbrechen ist im Buddhismus Aufgabe eines jeden. Man könnte allenfalls mal eine vergleichende Studie zur Praxis lebensfeindlicher gnostischer Spielarten wie den Manichäern und dem südostasiatischen Theravada machen.

    5. Der Buddhismus war als mittlerer Weg auch eine Antwort auf Praktiken, wie wir sie von den Sadhus so extrem kennen. Ich plädiere für reinen Wein oder reines Wasser.

    6. Ist die Vorstellung einer unsterblichen Seele, die am jüngsten Tag wieder aufersteht nicht viel mehr Affenzirkus als der wortwahlbedingt ähnlich klingende buddhistische Gedanke? Ist nicht verglichen mit dem christlichen Auferstehungskonstrukt das buddhistische noch moderat? Man lese mal die Überlegungen des alten Stechlin, warum er nicht noch einmal heiraten wollte, um die Albernheit der christlichen Himmelsvorstellung zu verstehen.

    Erstes Fazit hieraus: Man sollte nicht verbinden, was nicht zusammengehört, es wächst nicht zusammen :-)

    Ob der Dalai Lama Recht hat? Recht hat aus meiner Sicht Kurt Flasch, der in seinem wunderbaren "Warum ich kein Christ bin" über diese Frage hinaus erklärt, warum er die entstandene Leerstelle unbesetzt lässt und zum Beispiel auch nicht mit Buddhismus besetzen mag: Mit Buddhisten rede er nur, wenn sie die Originaldokumente (also in ihrer jeweiligen Quellensprache) lesen könnten. Kann man durchaus so sehen.

    Dass Religionen Übungssysteme seien, um über sich (als Individuum) hinauszuwachsen, ist einer der blödesten Sätze, die mir untergekommen sind. Danke für den Hinweis, das muss ich mal kurz nachlesen, in welchem Zusammenhang er das sagt. Ich habe das Buch nur sehr selektiv gelesen, seine Sprache ist einfach unerträglich, teilweise ziemlich sinnfrei: Der hier zitierte Schwulst von Seite 422 dokumentiert das anschaulich.

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    1. Danke für die vielen Hinweise, die mich da etwas überfordern, weil ich eigentlich nur schauen will, was in der westlichen Trivialversion des Buddhismus so attraktiv ist. Hinsichtlich Sloterdijks Sprache würde ich erst einmal Nachsicht und dann Gründlichkeit empfehlen. Ich musste mich reinlesen und genieße inzwischen den Sprachstil, weil er es schafft, durch neue Assoziationen Räume aufzuschließen, die man selbst mit Gedanken und Interpretationen füllen muss. Sehr wertvoll! Die zitierte Textpassage ist keineswegs schwülstig und sinnfrei, sondern sehr klar. Soll ich übersetzen?:

      Meditation ermöglicht Offenheit für Eigeninterpretationen, vor deren allzuschneller Akzeptanz man sich aber doch auch hüten muss. Skepsis bei aller das Individuum überwältigenden Überzeugung sei angebracht. Erleuchtung und Umnachtung sind auf den ersten Blick kaum auseinanderzuhalten.

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  2. Man könnte dem Dalai Lama ("Es ist besser, wenn jeder Mensch seiner eigenen Tradition folgt. Sie im Westen haben einen jüdisch-christlichen Hintergrund, es ist besser, wenn Sie bei Ihren Wurzeln bleiben") auch so antworten:

    Hätten alle Menschen das zu allen Zeiten befolgt, wäre der Buddhismus niemals nach Tibet gekommen. Es könnte sogar zu Bedenken gegeben werden, dass wir nie aus dem Urwald von den Bäumen runtergekommen wären und noch immer ängstlich in den Kronen der Schöpfung säßen statt uns jüdisch-christlich als jene von dieser zu fühlen.

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  3. zu bedenken, natürlich

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  4. ich glaub hier gibt es ein Missverständnis. im Theravada-Buddhismus und im Hinduismus wird angestrebt nicht wiedergeboren zu werden, was auch immer das heißen mag. Im Mahayana-Buddhismus und im Vajrayana-Buddhismus strebt man Wiedergeburten an, um in der Welt zu bleiben, um anderen zu helfen.

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    1. Das ist, was den Theravada angeht, das Ziel. In seinem "Wie" nähert er sich aber ziemlich stark der pervertierten Ablass-Kirche des Mittelalters. Der Theravada-Mönch Bhante Shravasti Dhammika hat das in "Broken Buddha" gut beschrieben. Das Buch steht inzwischen auch online als PDF bei der Buddhistischen Gesellschaft Berlin.

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  5. "das Austreten aus dem Zirkel der Wiedergeburten" wird von Westlern leicht missverstanden als Selbst-Negierung oder Selbstverleugnung. Soweit ich weiß wird damit aber nicht ein "Auslöschen" gemeint, sondern der Eintritt des Bewußtseins auf eine -aus ihrer Sicht viel höhere Stufe- auf der es kein Leid mehr gibt und das Bewußtsein dauerhaftes Glück (= Moksha = "Befreiung") erlebt. man muss das also eigentlich als ein Ziel positiver angestrebter Transzendenz verstehen.

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  6. Hallo, vielen Dank für diesen Artikel.
    Mich beschäftig ebenfalls sehr die Entwicklung von Theologie - Spiritualität im Blick auf gegenseitige Verbindungen von östlich-westlicher Ansätze. Am deutlichsten empfinde ich die Abweichungen in den jeweiligen Denk-Kulturen. Westlich: deutlich dualer, östlich: nonduale Grundlage. Ich bin überhaupt nicht dafür, einen Einheitsbrei zu mischen, aber zu schauen, welche Tradition welche Gabe bekommen hat, das finde ich äußerst interessant.
    Dazu hab ich vor einigen Tagen etwas geschrieben (ich hoffe, das ist ok):
    http://lebenvertiefen.de/zwei-unterrichtsfaecher-fuer-christen/
    Vielleicht etwas kontrovers?
    Beste Grüße,
    Jan


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    1. Hallo Jan,

      das ist in der Tat sehr interessant, wie sich das duale Denken entwickelt hat... Es ist ja nicht ganz Hand in Hand mit der Entwicklung des Christentums, auch vorher gab es duales Denken und auch im Christentum gab es nicht-duale Figuren, wie du ja in deinem Artikel zeigst.

      Man könnte meinen, Christentum und duales Denken haben sich bestens zusammengefunden und uns als westliche Gesellschaft in eine sehr erfolgreiche wissenschaftliche und wirtschaftliche Kultur entwickelt. Die Krönung des Dualen ist ja mit Sicherheit die Digitalität, die wir hier gerade "genießen".

      Die Lehrmethode des nicht dualen Denkens sollte uns unbedingt inspirieren! Das Richtig/Falsch in unserer Tradition ist mit Sicherheit einschüchternd.

      Rituale, Achtsamkeit und Meditation sind Bestandteile jeder Religion. Du hast Recht, wenn du dich wunderst, warum das heute vor allem mit dem westlichen Mode-Buddhismus assoziiert wird. Ich nehme an, es ist einfach eine Suche nach Spiritualität und nach dem der christliche Bonbon bei uns gelutscht war und Juden und Moslems durch ihren archaischen Konflikt desavouiert sind, schaut man sich um und nimmt was exotisches, von dem man noch keine Ahnung hat.

      Nichts Menschliches ist mir fremd, kann man da nur sagen.

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