6. August 2016

10 Dinge, die ich in der Elternzeit gelernt habe

Elternzeit für Väter ist ein Muss, aber nicht ganz ungefährlich...

Als mein Sohn M. geboren wurde, entschloss ich mich, einen Monat zusammen mit ihm und seiner Mutter zu Hause zu bleiben und dann zwei Monate nur 50% zu arbeiten. Im ersten Monat war ich nicht einen Tag arbeiten, habe keine E-Mails gelesen oder geschrieben und habe meinem Team nur einen kurzen Überraschungsbesuch abgestattet. Diese Zeit zu Hause war schön und anstrengend und auch nötig. Hier sind 10 Dinge, die ich in der Elternzeit gelernt habe. Durch die ersten 8 Punkte habe ich mich persönlich sehr weiter entwickelt und die Punkte 9. und 10. muss man wirklich berücksichtigen, wenn man Elternzeit und Karriere vereinen möchte. Auch Firmen können aus solchen Erfahrungen lernen...


1. Elternzeit ist wirklich notwendig

Nichts ist mit dieser besonderen Zeit vergleichbar, die man mit seinem neugeborenen Kind verbringt. Man erlebt das Erwachen einer kleinen Person und das würde ich um nichts in der Welt missen wollen. Du erlebst dieses Erwachen, wenn du in den Augen deines Babys siehst, dass es dich wiedererkennt, wenn sich die kleinen Regelmäßigkeiten des Essens und Schlafens (und Weinens) ausprägen, wenn es mit aufgerissenen Augen deiner singenden Stimme zuhört und wenn es seine Gesichtsmuskeln ausprobiert und du meinst, es hätte gerade gelächelt. Aber die Zeit ist auch nötig, weil dein Kind dich braucht und weil die Elternzeit beiden Eltern hilft, bei Sinnen zu bleiben. Es ist schwer, morgens um 3:54 aufzustehen und mit ihm auf dem Yoga-Ball durch die Wohnung zu hüpfen, weil es das Einzige ist, das ihn tröstet. Aber es ist so viel einfacher, wenn du nicht am selben Tag auf der Arbeit erscheinen und etwas leisten musst. Ich weiß jetzt wirklich zu schätzen, dass unsere Gesellschaft sich hier mit solchen Einrichtungen wie Elternzeit weiter entwickelt und dass auch Firmen immer flexibler solchen Lebensentwicklungen entgegen kommen.

2. Erfreue dich an der Einfachheit

Elternzeit nannte man bei uns früher "Erziehungsurlaub". Um das deutlich zu sage: Es ist alles andere als Urlaub! Und es ist auch nicht wirklich Arbeit, sondern eine Art ganz einfacher und oft anspruchsloser Beschäftigung, die einen manchmal sehnsüchtig an die wirkliche Arbeit denken lässt. Und dann ist es auf eine andere Art doch auch ein bisschen wie Urlaub: Durch nichts kann man schneller abschalten und die Büro-Sorgen besser vergessen als durch diese täglichen Baby-Routinen und Rhythmen, die auch dafür sorgen, dass die Zeit wie im Flug vergeht. Ich habe gelernt, jeden zweiten Moment wirklich zu lieben und das Beste aus den unerwarteten Momenten des Nichtstuns zu machen.

3. Sei agil und gib nicht auf

Es ist nicht so, dass man die ganze Zeit beschäftigt ist, es gibt viele freie Momente und die brauchst du auch, um die Nacht durchzustehen und die end- und sinnlos scheinenden Heulattacken. Man kann die freien Momente auch nicht planen. Genieße die Momente, wenn sie sich einstellen und sei schnell bereit, das Nötige zu tun, wenn sich ein Problem zeigt. Wenn wir das "weiße Dreieck des Zorns" auf M's Stirn sehen, dann müssen wir viele verschiedene Dinge schnell hinter einander ausprobieren: Nuckel, wickeln, füttern, schaukeln, singen, füttern. Aufhören, bevor das Problem gelöst ist, geht nicht, denn dann wird es nur schlimmer. Die beste Art, ihn zur Ruhe zu bringen ist, mit ihm auf dem Yoga Ball zu schaukeln und ihm etwas zu singen (sodass man dann auch wirklich nichts anderes mehr machen kann). Gib nicht auf. Das ist ein neues Level der Problemlösung, die ich hier gelernt habe.

4. Kümmere dich sofort um die Bürokratie

Besonders in Deutschland musst du schnell ein paar Dokumente besorgen und Anmeldungen vornehmen: Geburtsurkunde, Krankenkasse, Kindergeld, Elterngeld, Kita usw. Tu es sofort, denn mehr Zeit wirst du dafür nie wieder bekommen. Zu zweit kann man es auch relativ gut und ohne Stress erledigen.

5. Pass auf deinen Rücken auf

Du verwandelst dich sehr schnell in diese vorn über gebeugte Pflegefigur und Frau und Kind werden dich dafür lieben. Aber es wird dir den Rücken brechen. Ich bin zu einem Physiotherapeuten gegangen, um zu lernen, wie ich den unteren Rückenbereich und die Tiefenmuskulatur stärken kann, um die Zeit ohne einen Bandscheibenvorfall zu überleben.

6. Kaufe (fast) nichts

In unserer Welt des Kommerzes wird man dir tausend Dinge zeigen, die du angeblich kurz nach der Geburt benötigst. Glaub es nicht! Wenn du das Zeug kaufst, wirst du merken, dass du nur die Hälfte davon nutzt und dass du so gut wie gar nichts wirklich benötigst. Du benötigst Zeit, Geduld, Ruhe und etwas zu essen. (Meine Kollegen haben mir einen gewaltigen Gutschein für einen Restaurant-Lieferservice geschenkt – danke dafür!) Und dein Baby braucht all den Schnickschnack schon gar nicht, dein Baby braucht dich! Wenn du doch irgend etwas benötigst, dann borge dir etwas von Freunden, leihe teure Gegenstände aus oder lass es dir von der Familie schenken. Diese drei Dinge haben wir benötigt: Babybett auf Rollen (für geringe Gebühr geliehen), Kinderwagen mit Autositz (gebraucht gekauft), Babytragetasche (ein Geschenk). Außerdem hat mir Musik in den ersten Wochen wirklich geholfen!

7. Übe, solange es geht

Ich habe geübt, mit meinem Sohn allein zu sein. Zuerst haben wir einfach nur Zeit allein im Wohnzimmer verbracht, während seine Mutter etwas von dem Schlaf nachholte, den er ihr nachts geraubt hatte. Dann haben er und ich kleine Ausflüge zum einkaufen mit der Baby-Tragetasche gemacht und schließlich – und das war beängstigend – habe ich eine ganze Stunde mit ihm im Einkaufszentrum verbracht, während seine Mutter beim Arzt war. Natürlich fing er nach einiger Zeit an, untröstlich zu schreien. Ich habe vor einer Buchhandlung gesessen und die Leute, die tagsüber nichts anderes zu tun hatten, als in Büchern zu blättern, sahen strafend zu mir herüber. Ich dachte nur: Ehrlich, wenn ihr euch jetzt gestört fühlt, dann kommt mal hier her und versucht für ein paar Minuten, ich zu sein. Vielleicht gefällt euch das besser? Es gab nicht viel zu tun, ich musste einfach auf seine Mutter warten, denn ich hatte nichts von dem magischen Trunk, der alleinig dazu in der Lage war, ihn zufrieden zu stellen.

8. Die meisten Leute sind nett, aber lass sie nicht an dich heran

Es ist schön, wie fremde Menschen und auch Freunde und Familie plötzlich eine neue Verbindung zu dir aufnehmen, sobald du dein Baby dabei hast. Ich habe die Blicke der Leute genossen, als ich meinen Sohn ganz allein im Supermarkt bei mir hatte. Und wenn die Familie jetzt zusammen kommt, dann haben wir ein bedeutungsvolles Thema, über das wir uns austauschen können. Aber die Leute um dich herum wissen auch alles besser und wollen dir Ratschläge geben, was du zu tun und zu lassen hast. Im Einkaufszentrum kam eine alte Frau auf mich zu und meinte, ich solle im Fencheltee geben. Ich sagte: "Klar – mach ich..." und murmelte als sie wegging, "in drei Monaten." Wir haben auch versucht, so viel Zeit wie möglich nur zu dritt zu verbringen. Andere Leute und besonders die Familie will das Baby so oft wie möglich sehen und im Arm halten. Aber das ist nicht das, was das Baby benötigt und verlangt. Das ist das Verlangen dieser Leute. Wir haben also gelernt, wie wir die wirklich wichtigen Bedürfnisse vorn anzustellen und "nein" zu anderen sagen.

9. Zurück zur Arbeit: Narzisstische Ängste im Büro

Als ich nach einem Monat zurück kam, fühlte sich das schon komisch an. Ich hatte das Gefühl, dass ich auch ohne Arbeit genug zu tun hatte und das auch irgendwie genoss. Auf der anderen Seite ist die Stimulation auf der Arbeit eine ganz andere, die mir eine Menge Energie abverlangt, aber auch zurück gibt. Natürlich sind Dinge im Büro liegen geblieben, manche Sachen haben sich anders entwickelt, als gedacht und wieder andere Dinge sind vorangekommen, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Aber das erst mal Erstaunlichste ist: Nichts ist komplett gegen die Wand gefahren, es gab keine Katastrophen. Heißt das, dass man mich eigentlich nicht gebraucht hat? Arbeit ist keine Ego-Show, das wurde mir hier wieder klar. Jede Firma predigt heute das Wir-Gefühl und den Team-Geist, aber tief in uns drin sind wir oft doch von unseren narzisstischen Ängsten und Wünschen getrieben.
Dieser ängstliche narzisstische Zweifel hat an mir genagt: Kann es sein, dass ich überflüssig bin, dass ich nicht gebraucht werde?
Nein, ich hatte einfach ein tolles Team um mich herum, dass mit mir zusammen vorher meinen Monat Abwesenheit gut geplant hat und das unter hohem Energieaufwand viel kompensiert hat, was ich sonst tue. Es hat geholfen, einen detaillierten Plan für meine Vertretung zu machen und auch die Wege zu verabreden, auf denen ich erreicht werden konnte, wenn es doch einen Notfall geben sollte, denn E-Mails wollte ich nicht lesen. All das hat sicher auch meinem Team geholfen, aber am meisten hat es mir geholfen, mich mit der Situation anzufreunden und meine Ängste zu managen. Ich habe gelernt, wie ich zum einen planen und zum anderen loslassen kann, eine Kombination, die nicht sofort ganz intuitiv erscheint. Außerdem wurde mir klar, dass es OK ist, narzisstische Gefühle zu haben, man muss sie nur erkennen und mit ihnen umgehen können.

10. Teilzeit ist nicht für jeden sinnvoll

Ich hatte mit meiner Frau besprochen, wie es nach dem Monat Elternzeit weitergehen soll und wir dachten, dass ein 100%iges Zurück zur Arbeit unsere kleine Familie unnötig unter Stress setzen würde. Als Paar hat man zusammen 14 Monate Elterngeldanspruch, wenn beide Eltern davon Gebrauch machen. Und mit dem Elterngeld Plus kann man nun auch einen vollen Monat über zwei Monate Teilzeitarbeit splitten. So arbeitete ich also zwei Monate im Anschluss nur 50% (zweieinhalb Tage die Woche) und bekam den Verdienstausfall zum Teil erstattet. Außerdem unterstützt mein Arbeitgeber die Elternzeit auch bei Männern in der Management-Ebene und hat mir auch nach der Elternzeit Flexibilität zugesichert hat, wenn ich das brauchen sollte. Für mein Team hatte ich zwar in der Zwischenzeit eine Aushilfe eingestellt, die dem Team einiges an einfacher Arbeit abnimmt, sodass nicht zu viel liegen bleiben muss. Dennoch würde ich in meiner Position nicht noch einmal auf 50% gehen. Zum einen sind nicht alle Unternehmen wirklich auf solch eine Arbeitszeitreduktion eingestellt.
Ich hatte das Gefühl, dass bei uns sowieso immer alle 120% geben und dass dann jemand, der strikt 50% arbeitet, das eine Rad im Getriebe ist, das sich nicht schnell genug mitdreht.
Es knirscht dann in der ganzen Organisation. Außerdem sehen die Kollegen dich eben doch am Arbeitsplatz und natürlich senden sie dir genau so viele E-Mails wie zuvor und denken, du könntest dich kümmern, wie zuvor. Die Teilzeit ist nur in deinem Kopf wirklich präsent, von anderen kannst du das in solchen Unternehmen nicht erwarten. Zum Anderen ist das Team-Management mit 50% Anwesenheit kaum zu leisten. Dein Team erwartet und verdient mehr Aufmerksamkeit. Ich empfehle solche stark reduzierte Teilzeit nur in solchen Unternehmen, die einen hohen Prozentsatz an Mitarbeitern in Teilzeit haben und sich deswegen auch in ihren Erwartungshaltungen darin bereits geübt haben. In allen anderen Organisationen führt solch ein Modell nur zu Unzufriedenheit, wenn man nicht ganz kluge Wege findet. Beispielsweise könnte der Job in dieser Zeit komplett anders gestaltet sein, bei mir vielleicht Verzicht auf das Team-Management und Konzentration auf ein bis zwei Projekte, die keinem Zeitdruck ausgesetzt sind. Das ist mir jetzt erst im Nachhinein so deutlich geworden.

Trotz der sehr anstrengenden Teilzeit-Monate bin glücklich, diesen Weg gegangen zu sein, um meinen Sohn beim Aufwachsen zu begleiten. Ich bin auch froh, dass Firmen zunehmend bereit sind, solche flexiblen Modelle zu unterstützen. Aber Vorsicht:
Flexibilität ist leichter versprochen, als tatsächlich erfolgreich durchzuziehen. Überlegt vorher, ob eure Tätigkeit auch mit 50% Arbeitszeit sinnvoll ist. Wenn nicht, dann bleibt lieber zu 100% weg.
Und auch wir als Organisationsentwickler, vielleicht besonders in den Startups, die oft sehr viel Flexibilität von ihren Mitarbeitern verlangen, müssen noch lernen, wie man im Gegenzug auch seinen Mitarbeitern Flexibilität ermöglicht, ohne dass es an allen Ecken knirscht.



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