12. April 2017

Exzess und Todestrieb

Das merkwürdige Paradox unserer Lebenswut

"Das Ziel alles Lebens ist der Tod."
Sigmund Freud

Es scheint mir so, als gäbe es in jedem von uns nicht nur einen Willen zum Leben, sondern auch einen komplementären Willen zum Tod. Spüren wir ihn nicht – des Schlafes großen Bruder – wenn wir abends zu Bett gehen, um uns vom täglichen Treiben auszuruhen? Wir freuen uns doch auf diese süße Schwere der Dunkelheit, des Nichts. Der Schlaf hat schon immer diese unheimliche Verwandtschaft mit dem Tod, diese zeitweise völlige Kontroll- und Bewusstlosigkeit, der wir uns bereitwillig für ein paar Stunden hingeben, ohne je sicher zu sein, dass wir auch wieder aufwachen werden. Vielleicht kann man beim Einschlafen das Sterben lernen?

Exzess und Tod in Hieronymus Boschs Garten der Lüste (Detail)

Jegliche Lebensregungen, so Freud in Jenseits des Lustprinzips, seien nur Umwege zur Erreichung des Todeszieles. Wen würde es also wundern, wenn wir hin und wieder mal eine Abkürzung nehmen wollten? Ich jedenfalls habe über die Jahre einiges an Furcht vor dem Ende eingebüßt. Früher hatte ich beispielsweise eine enorme Angst vor einem Flugzeugabsturz, inklusive Kopfschmerzen, schwitzender Hände und in die Armlehne gekrallter Finger. Heute sitze ich ganz gelassen auf meine Platz, höre etwas Musik und fühle mich gut vorbereitet auf alles, was da kommen möge. Ich neige auch mehr zu dem, was unsere paternalistische Gesellschaft heute "risikohaftes Konsumverhalten" nennt, wenn es mir eventuell auf Kosten der Langlebigkeit die Lebensqualität im Hier und Jetzt zu maximieren scheint. Das wäre völlig unvernünftig, wenn ich meine Lebenszeit maximieren wollte.

Ich meine, dass das auch daher kommt, dass ich bisher ein ausgefülltes Leben hatte und ich deswegen vielleicht eher die Angst vor einem langsamen Niedergang als einem frühen Ende habe. Eins ist klar und schon deutlich sichtbar: Gesundheitlich geht es schon seit einiger Zeit nicht mehr aufwärts. Der andere Aspekt ist für mich, dass ich mich nach Ruhe und Frieden sehne und das sind Qualitäten, die in meinem Umfeld nicht oft und einfach zu haben sind. Warum also sollte ich mich vor einem Zustand fürchten, der diese Ruhe und diesen Frieden zu versprechen scheint?

"Ich verstehe nicht, warum wir überhaupt etwas tun müssen in dieser Welt. Warum müssen wir Freunde und Ansprüche haben, Hoffnungen und Träume? Wäre es nicht besser, sich in eine entlegene Ecke dieser Welt zurück zu ziehen, wo kein Lärm mehr zu hören ist und alle Komplikationen verschwunden sind? Wir würden jeder Kultur und allen Ambitionen entsagen; wir verlören alles und gewönnen gar nichts. Denn was gibt es von dieser Welt schon zu gewinnen?" (E. M. Cioran, übersetzt aus On the Heights of Despair, deutsch: Auf den Gipfeln der Verzweiflung)

Das ist keine depressive Verzweiflung des Autors an sich selbst, sondern eine Verzweiflung an der Welt, dem Zusammenleben und all den Zumutungen der Gesellschaft. Man kann sich vorstellen, dass es dem Autor zurückgezogen in seiner entlegenen Weltecke gut oder jedenfalls besser ginge. Autoren wie Sigmund Freud, E. M. Cioran oder Albert Caraco waren natürlich auch von den Gewaltexzessen ihrer Zeit geprägt. Insbesondere die damals ganz neuen industriellen Vernichtungsdimensionen des Ersten Weltkrieges mussten den Zeitgenossen sehr überzeugend von einem Todestrieb der gesamten Menschheit künden.

"Der Wille zum Tod beherrscht unsere Lebenswut"

heißt es in Albert Caracos Brevier des Chaos. Und wenn Caraco auch ein leidenschaftlich verwirrter Misanthrop der Sorte soziopathischer Humanist ist, der am liebsten die gesamte Menschheit auslöschen und sie noch einmal von vorn beginnen lassen möchte, so zeigt seine Verbindung von Todestrieb und Lebenswut doch in die richtige Richtung: All der Aktion, all dem wahnsinnigen Vorwärts und der Multiplikation scheint die Vernichtung, der Wille zum Tod, eingeschrieben zu sein. Bleibt die Frage, warum wir uns solange quälen, anstatt eine Erlösung zu finden.

"Der Freudsche Todestrieb hat nicht das geringste mit dem Verlangen nach Selbstvernichtung, nach einer Rückkehr zur anorganischen Abwesenheit jeglicher Lebensspannung zu tun; er ist vielmehr genau das Gegenteil des Sterbens – ein Name für das ‘untote’, ewige Leben selbst, für das schreckliche Schicksal, im endlosen Wiederholungskreislauf des Umherwandelns in Schuld und Schmerz gefangen zu sein." (Slavoj Žižek, übersetzt nach In Defense of Lost Causes, S. 395 in: Parallaxe Suhrkamp 2006, S. 61.)

Diese ewige Wiederholung ist der Versuch, den Fluch zu brechen oder sich endlich durch den Fluch vernichten zu lassen. Nur in der endlosen Wiederholung finden wir endlich einen Ausweg aus dem Labyrinth oder gehen in ihm vor Erschöpfung zu Grunde.

"Das Paradox des Freudschen ‘Todestrieb’ ist folglich, daß Freud damit dessen genaues Gegenteil bezeichnet, nämlich die Art, wie die Unsterblichkeit innerhalb der Psychoanalyse erscheint, einen unheimlichen Exzeß des Lebens, einen ‘untoten’ Drang, der über den (biologischen) Kreislauf von Leben und Tod, von Entstehen und Vergehen hinaus persistiert. Die eigentliche Lehre der Psychoanalyse ist, daß das menschliche Leben nie einfach ‘nur Leben’ ist: Menschen sind nicht einfach lebendig, sie sind besessen von dem seltsamen Trieb, das Leben exzessiv zu genießen, und hängen leidenschaftlich an einem Überschuß, der hervorsticht und den normalen Gang der Dinge zum Scheitern bringt." (Ebd.)

Dieser Exzess, so Slavoj Žižek weiter in Auf verlorenem Posten (edition suhrkamp) schreibe sich in Gestalt einer Wunde in den menschlichen Körper ein. Sie mache das Subjekt »untot« und beraube es der Fähigkeit zu sterben. Erst wenn die Wunde geheilt ist, könne der Held in Frieden sterben. Ich muss dabei unweigerlich daran denken, wie wir zur Zeit selbst diese Wunde im planetarischen Leben überhaupt sind. Sogar aus dem Weltall kann man die Wunden sehen, die wir unablässig in unseren Lebenskörper schlagen. Oder jetzt zu Ostern: Jesus mit seiner Wunde am Kreuz und den ihm durch Auferstehung verwehrten Tod. Was könnten diese Wunden noch symbolisieren? Unsere Lebenswut, eine Angst, Sehnsucht nach Liebe, ein Mangel an Sinn oder die empfundene Leerstelle zwischen dem Subjekt und der Welt?

Bei all dem könnte und sollte man einwenden, dass es sich allenfalls um Literatur, um Inspiration handeln kann, nicht jedoch um Philosophie oder gar Wissenschaft. Schon Freud selbst hat seine Gedanken zum Todestrieb als sehr spekulativ bezeichnet und wenige seiner Konzepte wurden in seiner Entourage so heftig diskutiert wie dieses. Es ist stark zu bezweifeln, dass es auf einer biologischen oder gesellschaftlichen Ebene so etwas wie einen Trieb zum Tode gibt. Und auch Psychologie und Psychoanalyse können für ihre Domänen so etwas nicht beweisen.

Was uns solche Gedanken aber geben können, ist eine Frage: Was suchen wir in unserem ewig zwanghaften Handeln, Arbeiten, Schreiben, Twittern, Reisen, Lieben, was wollen wir erreichen in unseren Karrieren und Aufstiegen – wozu diese ganze Vertikalspannung? Warum ziehen wir uns nicht zurück in einen entlegenen Winkel und entgehen dem ganzen Lärm der Welt und ihren Komplikationen? Eine Frage, die mich seit langem umtreibt und die vielleicht keine andere Antwort hat als sich selbst.



Das passt dazu:

20 Kommentare:

  1. Finde ich sehr inspirierend - über den Tod schreiben!
    Zunächst: Ich habe Angst vor dem Tod! Ich habee nicht das Gefühl, mein Leben voll gelebt zu haben - dazu war der lange, sehr lange Anfang zu quälend.
    Erst jetzt nähere ich mich einer Art Erfüllung. Manchmal denke ich: Wieso nicht schon früher, vielleicht mit 40? Wieso erst jetzt?

    Wenn ich sterbe, wird nichts von mir bleiben. Kurzfristig so manche Anregung schon. Meine Gene habe ich nicht weitergegeben, das gäbe nochmal 4 Generationen an Beeinflussung durch evt. Traumen, die ich erlitten haben könnte - aber ich habe solche nicht erlitten, jedenfalls nicht in den Kategorien, die mein Vater im Weltkrieg hat einsammeln dürfen.
    Es ist dieser Puls in uns, der uns vorantreibt: To do meaningful things. Einen Sinn im allem zu kreieren.
    Zurückziehen, das war eine Option in meinen jungen Jahren: Da wäre ich SEHR GERNE allein gewesen. Ein Traum war das. Jetzt aber, so denke ich, ist das Abarbeiten in einer Partnerschaft und die Auseinandersetzung mit dem Chaos um uns rum eine Art Gebet, eine Aufgabe, eine Art Inhalt.
    Soweit so knapp. "nächstens mehr"...

    Gerhard
    Kopfundgestalt.com

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    1. Danke für deine Worte, Gerhard. Gern würde ich "nächstens mehr" dazu lesen.

      Bei allem, was du schreibst zur Angst vor dem Tod oder der Frage, was bleibt, denke ich, dass dir der Text Wie wir den Tod (nicht) überleben sehr gefallen (oder misfallen) könnte. Dort stelle ich die Frage, ob wir uns vielleicht vor dem falschen Tod fürchten?

      Beste Grüße!

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  2. Wie schon oben selbst angedeutet, gehen die Welten offensichtlich nicht mehr zusammen: Eine literarische Welt, die vom psychologisierenden Philosophen mit düsteren Metaphern und Allegorien ausstaffiert wird, findet kein tertium comparationis mehr in dieser von allen schwermütigen guten Geistern verlassenen modernen Welt, in der der befreite Sisyphos im Arbeitsleben nach Effizienz und im Privatleben nach Hedonismus strebt, vielleicht sogar beides kombiniert. Keine platonischen Höhlen, keine Odysseen mehr - nur noch Notwendigkeiten, die mit Bedürfnissen und Interessen einhergehen. Wenn, ja wenn sich der mittelalte Held nicht mit Lust in Loserskripten (Berne) verstrickt. Das Nickerchen als Kronzeuge für den Todestrieb, zwanghaftes Twittern als Zerreißprobe: Wir dürfen gespannt sein.

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  3. Ich hab das Konzept "Todestrieb" nie verstanden und verstehe es auch jetzt nicht. Im Zitat von Zizek wird doch überdeutlich, dass hier das ganz normale Streben nach Lebensverbesserung, nach Teilhabe und Mitwirkung zu etwas umgedeutet wird, das es einfach nicht ist.

    Und niemand will eine ewige Wiederholung des Gleichen, sondern man strebt vorwärts und aufwärts in eine möglichst bessere, erfüllendere Zukunft (auch deshalb ist es ja so schädlich, wenn das Wachstum schwächelt). "Schuld und Schmerz" werden als Kollateralschäden dieses Strebens erlebt, als eigenes Versagen oder Folge äußerer Umstände.

    Wir können uns auch gar nicht in eine entlegene Ecke zurück ziehen, denn irgendwie muss man überall sein Leben fristen. Wildnis ist keine Option mehr. Wir gönnen ja nicht mal den Hartz4ern den Rückzug als "Nicht-Gebrauchte", sondern halten sie mit exzessivem "Fordern" und "verfolgender Betreuung" auf Trab.

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    1. Die Frage ist: Warum sind wir "besessen von dem seltsamen Trieb, das Leben exzessiv zu genießen", wie Žižek sagt? Kurz gesagt verstehe ich das so: Das stetige Streben ist der endlose und zum Scheitern verurteilte Versuch, sich den Frieden zu erarbeiten, um endlich sterben zu können. Ich würde es nicht als ein Umdeuten in etwas, das es nicht ist, verstehen. Denn wer weiß schon, was es genau ist? Du sagst auch nur, was "es einfach nicht ist". Aber was ist es?

      Das ist für mich ja das spannende an der Psychoanalyse, dass sie spekulative und nicht zu beweisende Theorien aufstellt, die wirklich eher Literatur als Wissenschaft sind (auch in ihren Beobachtungsmethoden) und somit kreative Denkanstöße und Interpretationsmöglichkeiten bieten. Wissenschaftlich wahr ist davon gar nicht, schon aus methodischen Gründen nicht, denn nichts von dem Behaupteten ist prinzipiell auch nur widerlegbar.

      Das mit den Harz4ern muss sich spätestens dann ändern, wenn wir alle unsere Jobs an Roboter verloren haben ;)

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    2. @Gilbert

      "Das stetige Streben ist der endlose und zum Scheitern verurteilte Versuch, sich den Frieden zu erarbeiten, um endlich sterben zu können."

      Frieden kann man sich demnach nicht "erarbeiten", weil es eben dieses "Erarbeiten" ist, was den Frieden fernhält, nicht wahr?

      In "Was ist Religion" interpretiert Keiji Nishitani den buddhistischen Karman-Gedanken in einer ähnlichen Weise, nur nochmal fundamentaler: Durch das bloße Bewusstsein in der Zeit tun wir immer schon etwas, nämlich "sein". Dieses Sein-Tun ist scheinbar unvordenklich: Nichtsein ist unvorstellbar; das Sein-Tun ist aber zwanghaft: Solange wir sind, haben wir keine Wahl, ob wir sein wollen oder nicht.

      „[...] ja, das Sein in der Zeit besteht seinem Wesen nach fortwährend darin, etwas tun zu müssen. Wir gleichen Leibeigenen, die sich jahrein jahraus abplacken müssen, um den ihnen auferlegten „Frondienst“ abzuleisten, [...]“

      Dieser latente Zwang wiederum führt zu einer latenten Schuld: Der Seiende fragt sich, was er verbrochen hat, um in dieses endlose zwanghafte Sein-Tun gekommen zu sein. Dieses latente Fragen sowie überhaupt jeder Versuch, das Sein aufzuheben, ist logischerweise ein Tun: Tun zeitigt Tun (Karman), der Kreislauf setzt sich eben durch den Versuch, ihn anzuhalten, fort (hier könnte man vielleicht auch ein buddhistisches Argument gegen Selbstmord konstruieren).

      Nur ein paar Gedanken aus meiner entlegenen Ecke.

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    3. Danke für diese Ergänzung. Das scheint mir tatsächlich gut zu passen und lässt mich fragen, ob dieser ganze Quatsch mit der Wiedergeburt vielleicht missverstanden wurde und gar nicht etwas nach dem Tod meint, sondern mitten im Leben. Müssen wir die religiösen Bücher neu schreiben?

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    4. "Wiedergeburt" ist ein viel zu weites Feld, auf dem ich mich auch nicht annähernd gut genug auskenne. Daneben gibt es ja auch buddhistische Schulen, die den Wiedergeburtsgedanken stark reinterpretiert haben (dein Gedanke, dass "Wiedergeburt" in jeder Sekunde mitten im Leben passiert, kommt mir bspw. sehr bekannt vor) oder überhaupt fallengelassen haben.

      Albert Caracos kannte ich noch nicht. Danke dafür!

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  4. Ist nicht der Tod eine Wiederholung des Todseins vor der Geburt? Wiederholt sich der Tod nicht ständig?
    Das einzige, das spezifisch ist, ist wie wir dazwisohen jeweils leben, wer wir sind, was wir tun, was wir nicht tun...
    Aber der Tod, das ist, wie in der Literatur oft charakterisiert, ein alter Freund. Wir kennen ihn seit Jahrtausenden. Immer wieder holt er sich den einzelnen Mensch, der naiv genug war, nur er selbst zu sein.

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    1. In einem gewissen epikureischen Sinne ja, deshalb sagt z.B. der Philosoph Thomas Macho, dass wir uns vor dem falschen, nämlich dem eigenen Tod fürchteten. Ein guter, differenzierender Gedanke, wie ich finde.

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  5. "Warum ziehen wir uns nicht zurück in einen entlegenen Winkel und entgehen dem ganzen Lärm der Welt und ihren Komplikationen? Eine Frage, die mich seit langem umtreibt und die vielleicht keine andere Antwort hat als sich selbst."

    Vielleicht ist es schon diese Art der Fragestellung, die introvertierte Menschen von extrovertierten unterscheidet. Denn ich glaube, dass extrovertierte Menschen diese Frage so überhaupt nicht stellen würden. Ich als stark introvertierter Mensch kann mir bspw. auch nicht erklären, wie die Mehrheit der Menschen angesichts der derzeitigen Perspektiv- und Sinnlosigkeit einfach so unverblümt geistesgestört weitermachen kann wie bisher.

    Vielleicht war es genau dieser wahnhafte Drang, der der Menschheit überhaupt zum Durchbruch verholfen hat. Vielleicht ist es nur der Wahn, der uns überhaupt dazu befähigt, eine moderne Industriegesellschaft zu betreiben... :-(

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  6. 1/2

    Ein Thema das mir auch ständig im Kopf rum schwirrt: Dieses Verhältnis von Tod, Leben und Schlaf. Unmöglich hier wirklich objektiv zu bleiben. Ich für meinen Teil gehöre ja eh zu den melancholisch-schizoiden-schwermütig-introvertierten-nihilistischen Teil der Menschen. Wohlmöglich auch schwer depressiv, keine Ahnung, lag noch nie auf der Couch… auf jeden Fall so ein wandelndes Werther-Syndrom halt.

    Kurzum: Das Leben geht mir auf den Sack! Leben ist leiden und ertragen. Schmerz oder Langeweile. Emotionen sind anstrengend (schmerzend) das vermeiden oder ignorieren führt aber zwangsläufig in existenzielle Langeweile (die ich aber noch eher ertrage als Emotionen). Aber es (das Leben) ist (leider) Alternativlos. Denn keiner von uns kann Tod SEIN. Daher finde ich Suizid absurd. Der Tod ist nicht erlebbar. Es gibt keine Freiheit im Tod, da es in diesem Zustand kein Bewusstsein mehr gibt ( Gut, den ganzen religiösen spirituellen Teil nehme ich als Agnostiker hier mal ganz raus). Der Tod ist einfach das nichts.

    Schön wäre so eine Universalfernbedienung wie in dem Film „Click“ wo man einfach bis zum Ende vorspulen kann … das wäre schön; einfach schnell rumkriegen das ganze Theater! Daher verstehe ich den Todestrieb sehr gut aber eben auch gleichzeitig seinen Denkfehler. Wie gesagt; keiner kann Tod SEIN! Oder schon mal mit einem Zombie geredet? Die sind eher gefräßig als gesprächig….

    Um zum Schlaf zurückzukommen: Es gibt so einen winzigen Augenblick den jeder von uns eigentlich jeden Tag mindestens einmal erlebt. Dieser winzige Moment des Aufwachsens. Achtet mal drauf. Ohne externe Reize allerdings (Wecker etc.). Dieser Hauch einer Sekunde wo wir ein Sein ohne Bewusstsein erleben. Wie ein Computer der hochfährt bevor das BIOS sagt was zu tun ist. Wo wir für einen ganz kurzen Moment noch Affe sind und nicht Mensch … nur Instinkt, kein Denken. Quasi so eine winzige Decartes-Anti-These ;) Wäre schön wenn man das irgendwie ausweiten könnte.

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    1. Das sind interessante Gedanken und ja: So eine winzige Decartes-Anti-These auf dieser Basis zu entfalten, wäre spannend. Mach doch mal! In mir hast du auf jeden Fall einen Leser :)

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    2. Ein bewusstes Sein ohne Bewusstsein dürfte schwierig sein (bzw. Ergebnis einer fehlerhaften Definition, Bewusstsein = Sinnesreize). Solche Zustände lassen sich mit bestimmten Techniken ausweiten, etwa dem Pratyahara (http://wiki.yoga-vidya.de/Pratyahara). In anderen Disziplinen wird grundsätzlich angestrebt, das Bewusstsein vom "Sinnieren" zu befreien: http://www.swamij.com/prakriti-purusha-sankhya.htm

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    3. Mit "ausweiten" meinte ich ja weniger das Thema sondern eher den Wunsch den Zustand verlängern zu können. Sowas wie Pratyahara oder generell Tranceähnliche Zustände mögen in die Richtung gehen. Ein vollständiges aufgehen in die Natur wäre irgendwie interessant ... Cioran hat ja auch mal, soweit ich mich erinnern kann, etwas geschrieben von einem Wunsch des Fehlens jeglicher Wertung und Kategorien ...

      Zu dem Thema hier passt auch das Sprichwort "die Zeit Tod schlagen" irgendwie ziemlich gut :)

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    4. Dann würde sich der Daoismus am ehesten empfehlen mit seinem (Nicht-)Anstreben des Nicht-Seins, dem Einklang mit "li", einem natürlichen Ordnungsprinzip.

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  7. 2/2

    Ansonsten (um doch etwas spirituell zu werden) denke ich manchmal es gibt so eine unendlich Große „Energie“ irgendwie irgendwo außerhalb von Raum und Zeit. Immer wenn ein Mensch sich im Mutterleib entwickelt und ein Bewusstsein entsteht wird ein bisschen von dieser Energie eingefangen und in uns eingesperrt. Sowohl der Lebens- als auch der Todestrieb ist wohl einfach nur der verzweifelte Kampf dieser Energie wieder zurück zu ihrem Ursprung zu finden. Letztendlich schafft Sie es immer.

    Angst vor dem Tod hab ich überhaupt nicht. Ich fühle mich ja ohnehin eher Lebensmüde. Allerdings im wortwörtlichen Sinne… des Lebens müde halt … nicht das ich jetzt irgendwelchen Nervenkitzel auslösen oder Risiken eingehen würde, gewiss nicht. Das löst nur wieder Emotionen aus. Grässlich. Das Sterben, also der ggf. stattfindende Prozess vor dem Tod, dieser ist durchaus beängstigend. Schwerkrank von irgendwas zerfressen zu werden… Krebs, Viren, Bakterien … schmerzen zu erleiden usw. … ersticken, verhungern, verdursten, ertrinken … da klammert man (in meinem Fall absurderweise) sich doch ans leben. Einen sich andeutenden Flugzeugabsturz würde ich dagegen relativ gelassen abwarten. Mit Roundabout 900 km/h irgendwo aufzuschlagen pulverisiert einen geradezu. Man ist schon Tod vor dem Schmerz. Fast schon ein „schöner Tod“. Genau wie bei einem Heizungsdefekt an einer Kohlenmonoxidvergiftung im Schlaf zu sterben. Genial! Man hätte im Grunde nie erfahren, dass man gestorben ist! Wäre mein Favorit: Einschlafen und nie mehr aufwachen. Da könnte ich oben ansetzen. Nach dem Aufwachen und dieser Sekunde des Seins ohne Bewusstseins empfinde ich an Tagen eh nur Gleichgültigkeit und an schlechten Tagen: Enttäuschung.

    Ach ja, der Cioran, auch einer den sehr schätze und sehr gut verstehe:
    „Warum ziehen wir uns nicht zurück in einen entlegenen Winkel und entgehen dem ganzen Lärm der Welt und ihren Komplikationen?“
    Tja, weil man sich hier in Deutschland ein „einfaches Leben“ in der Pampa ja gar nicht leisten kann oder darf. Jeder Quadratzentimeter Landfläche unterliegt irgendwelchen Bestimmungen. Bebauungsplan, Erschließungszwang, Meldepflicht, Grundsteuer,… ich hätte mir gerne schon längst von erspartem ein kleines Grundstück gekauft und ganz nach Peter Lustig mit einen Bauwagen (oder wie das heute heißt: ein Tiny House) darauf gesetzt und würde da als Selbstversorger leben. So weit weg von alles und jedem wie es nur geht. Aber bescheuerter Weise würde sich selbst dann jemand davon gestört fühlen, warum auch immer. Bleibt bsp. die Mongolei mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte ( 2 Menschen pro qkm2 ) … aber da ist die Landschaft so karg für Landwirtschaft. Aber selbst wenn man vor der Gesellschaft und den Menschen fliehen kann, so kann man leider nicht vom Mensch sein fliehen. Leider Leider … denk da immer an Dr. Manhattan von den Watchmen „den Menschen und dem Menschsein überdrüssig!“… der kann immerhin auf den Mars!

    Hat irgendein Philosoph nicht mal Bock Schopenhauers „Verneinung des Wollens“ mit der Gender-Theorie von Judith Butler zu kreuzen? So nach dem Motto: ich bin zwar biologisch ein Mensch, aber fühl mich nicht so und will auch keiner sein! Lasst mich im Thoreaustyle im Wald leben, sonst ist das Diskriminierung!

    Ach ja … die wahre Quelle des Humors ist nicht Freude sondern Kummer …

    Schlaft gut (und wacht mal aufmerksam auf ;) )

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  8. Hey Gilbert

    Ich weiss nicht ob dich diese Frage immer noch umtreibt aber ich behaupte hier eine Erklärung zu haben:
    Im Laufe der Evolution galt survival of the fittest. Unsere Spezies hat sich so dominant durchgesetzt, eben weil wir diesen Eifer (Eifer als Aspekt einer grosser Anpassungsfähigkeit) in uns haben. Es gibt keinen „guten Grund“ dafür auf philosophischer Ebene, die Rechtfertigung für unsere Umtriebigkeit liegt einzig in den Naturgesetzen wie sie nun mal sind.

    Einfaches Gedankenbeispiel zur Illustration:

    In Urzeiten gab es noch kein fortgeschrittenes Leben. Es gab irgendwo jedoch eine Grotte. Mit Ebbe und Flut stieg und sank der Wasserspiegel in der Grotte. An den Wänden hatte es primitives Ur-Moos. Bei Flut wurde das Moos mit den etwas schwächeren Wurzeln weggespült und das resistentere überlebte.

    Anhand dieses Beispiels versuche ich zu erklären dass unser Trieb zu leben einzig daher rührt, dass wir uns wie das Moos besser gegenüber unsere Umwelt durchgesetzt haben, und der Lauf der Evolution hat und an diesen Punkt getrieben wie und wo wir heute sind...
    Das ist der Grund weshalb wir heute nicht alle auf dem Boden sitzen und mit Kreide malen, sondern es in uns liegt vorwärts zu streben, es liegt in unserer Evolution...

    Man könnte auf das Thema noch viel ausführlicher eingehen, aber mein Zug kommt gleich an...

    Freue mich über Anmerkungen oder Rückfragen.

    Grüsse aus der Schweiz von einem Rekruten der seine letzte RS-Woche hat :D


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    1. Du meinst also, der Drang zum Exzess, die Besessenheit vom und zum Leben, ist einfach eine evolutionäre Funktion? Das kann sein, auch wenn das Moos an den Wänden diese Besessenheit nicht kennt (so weit wir wissen).

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