26. Juni 2012

Das Betreuungsgeld - Weiberwirtschaft

Hundert Male sind die Demographie-Argumente bereits verkündet worden: Wir brauchen Fachkräfte, wir brauchen mehr MINT-Fachkräfte, und wir brauchen mehr weibliche MINT-Fachkräfte. Außerdem brauchen wir natürlich Lehrerinnen, Landärzte, Kindergärtnerinnen und Altenpflegerinnen und das Handwerk sucht auch ganz dringend. Doch der Reihe nach... Erich Feldmeier erklärt, warum Verwaltungs-Vorschriften die Menschheit nicht ändern werden und wie wir den Dilemmasituationen durch Erkenntnis beikommen können. Aber lesen Sie selbst...

Als die Welt noch in Ordnung war
Als die Welt noch in Ordnung war, lebten wir Menschen mehr oder weniger friedlich in Horden und Großfamilien zusammen. Die Kinder wurden nebenbei, im Alltag, erzogen, die Alten wurden freundlich umsorgt, bis der Hof übergeben war. Das personalisierte Sozialkapital waren Töchter und Schwiegertöchter, die für die Reproduktion sorgten. Wir müssen dieses Sozialmodell und dessen Konflikte nicht weiter ausführen, die Geschichten wurden tausendfach in Heimatromanen, und -filmen erzählt. Und in der Tradition geht es nun auch weiter. Sehen Sie sich beispielsweise das Bild der Demographie-Initiative der Bundesregierung (Juni 2012) an. Was stimmt daran nicht?

Bilderrätsel: Tradierte Beziehungsgrammatik versteckt in den Personalpronomen (bundesregierung.de)

Das Bilderrätsel ist vordergründig gar nicht als Rätsel zu erkennen, weil die Szene mitsamt der guten Absicht positiv wirkt. Der 'Fehler' liegt subtil in der Grammatik: "...gibt mir die Zeit, die ich für unser Kind brauche." Und der Florian sitzt nur dabei, kann wahrscheinlich völlig entlastet seiner Karriere nachgehen.

Wir möchten keinesfalls eine moralische Bewertung abgeben, wie wir unsere Kinder zu erziehen hätten. Das Frappierende dabei (wie auch beim Traumprinzessinnen-Bild) ist die ungeschönte Abbildung der Realität – jenseits der political correctness. Väter fühlen sich faktisch nicht zuständig, wenn es um die Alltags-Bewältigung geht. Stattdessen setzen 'wir' auf das Doppelbelastungs-Bewältigungs-Modell durch Einführung von Verwaltungs-Vorschriften.

Traumprinzen und -prinzessinnen

Soviel ist gewiss: Der Alltag holt uns alle erbarmungslos ein. Sobald wir auf dem Weg zum Flughafen sind, weil wir die Keynote beim Ärztekongress in Frankfurt halten müssen und das Kind hat 40° Fieber (weil es ein normales Kind ist, das vielleicht bloß zahnt), ist es vorbei mit der Sehnsucht nach der verlorenen Zeit. Sobald wir anfangen unsere Kinder, wie Spielzeugautos, vom Frankfurter und Hamburger Flughafen gleichzeitig mit den Handys fernsteuern zu wollen, haben wir unser wichtigstes Gut nicht mehr unter Kontrolle – glücklicherweise.

Wir wissen um die tägliche Zerrissenheit zwischen den beruflichen Anforderungen und den sogenannten privaten Interessen. Die SZ schreibt dazu am 13.06.12: "Obwohl Frauen inzwischen 66 % der Studienanfänger stellen, sinkt ihr Anteil mit jedem Karriereschritt. Nicht einmal 5 % der leitenden Klinikdirektoren sind weiblich" (2). Auch ein Ausdruck der Leistungs-Gesellschaft, die die Leistung vollbringt, 61 % des Bildungs- und Humankapitals als Fehlinvestition abzuschreiben.

Ja, wir wissen was es heißt, die Aufgaben als Klinikdirektorin gewissenhaft erfüllen zu wollen. Denn: Hinter jeder erfolgreichen Frau steckt ein hochgradig wahnsinniger und irrationaler Mann, aus zwei Gründen: Ohne Machtspiele keine Karriere schreibt die SZ am 25.06.11: "Vor allem Männer, die keine Lust auf das klassisch maskuline Führungsbild haben, lassen sich auf das Taktieren häufig nicht ein. Und bleiben dann beruflich stecken." (3)

Wahnsinnig insofern, als das Scheidungsrisiko von sogenannten Weicheiern und Karrierefrauen bei ca. 90 % liegt, schreibt MannDat in ihrem Gender-Mandat (4). Die Zielinteressen von Frauen und Männern sind traditionell und immer noch (statistisch betrachtet) verschieden. Die gesellschaftliche Umerziehung, die den Frauen die Doppelbelastung aus Familie und Karriereambitionen aufzwingen will, führen zu großen Problemen, wie Susanne Seyda in einer Studie des Roman-Herzog-Instituts berichtet: "Die Unzufriedenheit erwerbstätiger Frauen hat mich auch sehr überrascht." Die Studie stellt fest: "Frauen, die nicht arbeiten, sind zufriedener mit ihrem Leben als erwerbstätige Frauen. Und Eltern, die beide gleichermaßen arbeiten und sich um Kind und Haushalt kümmern, sind unzufriedener als solche, die traditionellen Rollenmustern mit einem männlichen Hauptverdiener folgen." (5)

Die ganze Crux liegt darin, dass all denen eine eigene wirtschaftliche Autonomie samt Vermeidung von Altersarmut und eine gerechte Karriere-Chance vorenthalten wird, die nicht dem Hierarchie-, Ellbogen- und Hahnenkampf frönen, unabhängig von Bildung und Leistung wohlgemerkt.

Und solange Bewerbungsunterlagen weiterhin von Hilfs-Praktikantinnen, chronisch zeitarmen CEOs bzw. strohdummen Computerprogrammen vor- und aussortiert werden, die immer zu 100 und nicht zu 95 % auf die sogenannte Sichere Variante setzen, wird sich daran auch nichts ändern. In der angeblich Sicheren Variante werden, in 2012 wohlgemerkt, Kinder aus Lebensläufen getilgt (6, 7).

Die Betreuungsgeld-Diskussion verkommt zur Geisterdebatte. Jegliche Demographie-, Mehrgenerationen-Modell-, Facharbeiter- und Frauen-in-die-MINT-Berufe-Initiative gerät zur Karikatur, wenn wir die zentralen Aspekte Spiel-Theorie (Entscheidungs-Verhalten in Dilemma-Situationen) nicht adäquat berücksichtigen. Das tägliche Dilemma des Entscheidungs-Verhaltens lässt sich am einfachsten mit einem kleinen Zitat aus Strategie des Managements komplexer Systeme beschreiben: "Immer, wenn meine kleine, dreieinhalbjährige Tochter mich fragte: 'Pappi wann spielst du mit mir?' antwortete ich: 'Wenn ich fertig bin.'" Übrigens ist das Buch grossartig, das Management-Dilemma ist sehr gut beschrieben. Das Gender-Dilemma auch: Sorry, heute keine Karriere, heute Kinderdienst an der Heimatfront. (8)

Das Soziale Leben beschleunigt wegrationalisieren
Wir können unser Sozialkapital nicht durch Verwaltungs-Vorschriften verändern. Die Realität des Alltags ist unbestechlich, das sollten wir als Chance nutzen um zu begreifen, dass wir Kinder, Alte und alle weiteren Störfaktoren der täglichen Arbeitsroutine nicht nur auf das Minimum wegrationalisieren können. Soziales Leben kann nicht beliebig beschleunigt werden kann. Die Gute-Nacht-Geschichte in einer Minute ist zwar schnell erledigt, kommt aber beim Zielpublikum nicht so gut an.

Fehlende Achtsamkeit in der Partnerschaft und im Berufsleben führt vorhersagbar zu gänzlich unproduktiven Spannungen, die die angeblichen Zeit- und Effizienz-Gewinne wieder vernichten. Esther Dyson nannte diese Zeit- und Effizienz-Fixiertheit: Mentale Diabetes. Ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag findet sich bei Frank Gilbreth, ein glühender Anhänger des Taylorismus, der sich mit zwei Rasieren gleichzeitig rasierte, um Zeit zu sparen. Er ließ dies nach eigener Vergleichs-Messung bleiben, weil die Trocknung der Schnitt-Wunden die Rasier-Zeit verlängerte.

Die gesellschaftlichen Schnittwunden sind natürlich gar nicht so einfach in einer Bilanz erfassbar. Die beschriebene Verwaltungsmentalität kommt auch durch die fehlende Achtsamkeit und das mangelnde Erspüren zustande. Wir sind sehr gut darin, kognitiv zu verstehen, dass jeden Mittwoch Klavierunterricht ist. Das fühlende Begreifen, dass die Tochter und Söhne dann nicht nur 2 Monate während der väterlichen Elternzeit (auch Elchjagd-Urlaub genannt), sondern 10 Jahre regelmäßig dorthin gebracht werden müssen, dieses Verständnis ist schlichtweg nicht vorhanden. Der Grund ist einfach: Diese Situationen werden nicht durch Erleben verinnerlicht. Diese Werte tauchen auch nicht in irgendeiner Bilanz (außer der Lebensbilanz) auf und tragen somit nicht zum unmittelbaren, situativen Entscheidungs-Verhalten bei. Die langfristigen Demographie-Strategien müssen jedoch viel früher entschieden und vor allem umgesetzt werden, lange bevor der Leidensdruck sichtbar wird.

Joachim Sauer, der Vorsitzende des Bundesverbands Personalmanager (BPM), fasst die derzeitigen Demographie- und Gender-Aktivitäten in einem prägnanten Statement zusammen:

Wir müssen von diesen Hochglanzdiskussionen runterkommen. Zwischen den ambitionierten Zielen und anspruchsvollen Konzepten – unserem Anspruch – und unserer Wirklichkeit besteht eine viel zu große Diskrepanz.
[...]
Beispiel: demografische Entwicklung: Das ist sicher eine wichtige Aufgabe für Personalverantwortliche, das will ich gar nicht bestreiten. Nur müssen wir uns ehrlich fragen lassen: Wo sind denn die ganzen Maßnahmen, mit denen wir den schönen Worten auch Taten folgen lassen? Oder die Debatten um die Frauenförderung: Wenigstens im Bereich HR sollte es doch möglich sein, dass Frauen in wichtige Positionen aufsteigen. Stattdessen gibt es viele kompetente Kolleginnen auf den unteren und mittleren Ebenen, aber nur selten an der Spitze – und das in unseren eigenen Abteilungen.
[...]
Oder wenn es um Familienfreundlichkeit geht: Wir sprechen viel darüber, aber die tatsächliche Zahl neu geschaffener Betriebskindergärten bleibt weiter übersichtlich.
[...]
Ich schätze, dass 80 Prozent aller Manager angeben würden, fast 60 Prozent ihrer Arbeitszeit in Sitzungen zu verbringen. Und von denen geben bestimmt wiederum 80 Prozent an, dass 60 Prozent der Besprechungen ineffektiv und unproduktiv sind. Jeder erinnert sich doch an die zahlreichen Meetings, bei denen zwar etwas festgelegt, aber noch lange nicht realisiert wurde. Nichtsdestotrotz sind alle Teilnehmer entspannt, weil sie genau wissen, dass das Ergebnis der vielen Reden ohnehin nicht kontrolliert wird. Es gibt keine Moderation, keine Vor- und keine Nachbereitung. Hier anzusetzen könnte eine wahre Goldgrube sein, was die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen betrifft. (Interview in BPM-Magazin, 01/10)

Die Realität ist also nach wie vor, dass ambitionierte Mütter und Väter im allgemeinen geringere Karriere-Chancen haben und dies selbst in den vermeintlich darin ausgebildeten HR-Abteilungen. Das Dilemma Gutenachtgeschichte oder Karriere wird uns also noch lange beschäftigen. Wir reden viel darüber. Änderungen geschehen zuallererst im Kopf, aber der ist unendlich weit entfernt von der Hand. Daran wird auch kein Betreuungsgeld etwas ändern können.



1) Frauen und Männer sind verschieden
2) Doktor Luther
3) Süddeutsche.de: Ohne Machtspiele keine Karriere
4) Feminismus war gestern. Heute basteln wir Vogelhäuschen
5) Süddeutsche.de: Überforderte Doppelverdiener
6) Aussortiert und abgelegt. Trotz Fachkräftemangel und guter Qualifikation
7) Ergebnis-Orientierte Diskrepanz
8) Strategie des Managements komplexer Systeme: Ein Beitrag zur Management-Kybernetik evolutionärer Systeme 

3 Kommentare:

  1. Was mir seit graumer Zeit druch den Kopf geht:
    kann es sein, dass Hierarchien unnatürlich sind und gerade Frauen eine intuitivere Abneigung als Männer haben, Andere beherrschen zu wollen?
    Jedenfalls habe ich eine Reihe von Frauen gesprochen, die sich viel wohler in Teams fühlen, in denen eine Kultur der Gleichberechtigung und Selbstorganisation "herrscht" als das von oben vorgekaut wird, was jeder zu tun hätte.
    Jedenfalls wird mir inzwischen immer deutlicher, wie asozial unsere Regierung ist. Vordergründig soll die Familie gefördert werden und hintergründig den Konzernen gedient.
    Dass Menschen Bindung gerade im Kleinkindalter brauchen, um später gut verwurzelt, selbstbewusst, und damit verbindlich sein zu können, ist den Neoliberalen entweder nicht bewusst, oder sie wollen das gar nicht ...

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  2. wenn den Unternehmen, dummerweise, die Vorzugs-Aktien weglaufen
    Sally Helgesen schreibt z.B. hierzu:
    "Während M. großen Wert auf Vergütung und Karrierestatus legen, die Arbeit als eine Art Wettkampf betrachten... sei den F. v.a. die Beziehungsebene wichtig.
    Die meisten U. blendeten dummerweise die weibliche Perspektive aus
    - und profitierten daher nicht von ihren Vorzügen.
    W. Sachbezogenheit und Empathie werden kaum gewürdigt..
    Viele ehrgeizige und begabte F. ... ist die Karriere die ganze Mühe nicht wert. Sie steigen aus", SZ, 28.04.12

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  3. "Als die Welt noch in Ordnung war, lebten wir Menschen mehr oder weniger friedlich in Horden und Großfamilien zusammen. Die Kinder wurden nebenbei, im Alltag, erzogen, die Alten wurden freundlich umsorgt, bis der Hof übergeben war. Das personalisierte Sozialkapital waren Töchter und Schwiegertöchter, die für die Reproduktion sorgten."

    Das ist heute auch nicht sehr viel anders. Der moderne Mensch ist nicht so sehr an die Ressource gebunden. Er haftet nicht auf dem Boden der Grundlagen, auf dem an sich einfachen Tatsachen der Zusammenhänge - der einfach sichtbaren und spürbaren Zusammenhänge. Es herrscht eine eine Verknotung in den Köpfen vieler Menschen - das ist kein Wunder, das ist Tatsache.
    Nach Parsons herrschen vier Systemprobleme: AGIL-Schema
    A=Anpassung - wirtschaftliches Subsystem
    G=Zielerreichung - politisches Subsystem
    I=Integration - Gesetzesnormen und soziale Kontrolle
    L=Strukturerhalt - kulturelle und soziale Bindung

    Auch das Karrieremodell von Frau oder Mann könnte man als Ausdifferenzierung im Zuge der Emanzipation betrachten. Das hat die Weiberwirtschaft sich selbst eingehandelt ( ich bin selbst Frau). Es hängt doch meistens mit der monotären Begebenheit zusammen - "da arbeitet eben derjeniege innerhalb des Frühstarterwachstums, der die meiste Kohle nach Hause bringt" - so ist das eben in der sozialen Welt. Wir sind immerhin noch in der Lage, zu unterscheiden, was unserer Familie monetär gut tut. Na immerhin!

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