3. Mai 2015

Margaret Wertheim: Magierin der Zahlen und Körper

Was sagt uns ein gehäkeltes Korallenriff?


"Vier Berge werden zerfallen,
vier Zivilisationen werden untergehen,
vier Äpfel werden verrotten...
Vier ist FÜR IMMER."

In ihrer wunderschönen Radioshow "On Being" hat Krista Tippett die Physikerin Margaret Wertheim interviewt. Wertheim ist dafür bekannt, dass sie sich zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Christine den ästhetischen Randgebieten der Wissenschaften verschrieben hat. So studiert sie zum Beispiel die Nicht-Euklidische Geometrie mit ihren hyperbolischen Formen, die man in Korallen und Seeschnecken finden kann. Sogar beim Häkeln finden sie einen Zusammenhang zu diesen Kreaturen, denn auch hier gibt es die nicht-euklidischen Krümmungen. Häkeln ist tatsächlich die einzige Art, wie man hyperbolische Geometrie im Alltag - also ohne Computermodelle etc. - erzeugen kann. Mit einer Ausstellung von riesigen gehäkelten Korallenriffen haben die Schwestern auf die Folgen der Erderwärmung für die Korallenriffe unseres Planeten aufmerksam gemacht. Aber auch sonst ist die Physikerin eine bemerkenswerte Zeitgenossin, von der wir mindestens lernen können, wie wir trotz aller Dualität das Universum als ein Ganzes lebend erfahren können.


Hyperbolische Strukturen am Meeresgrund (Iridogorgia Koralle - Bild gemeinfrei)

Jedoch sind die (gehäkelten) Korallen für Wertheim so wie Schneeflocken oder Schwämme auch der beste Weg, die nicht-euklidische Mathematik in ihrer Verkörperung zu zeigen und damit verständlich zu machen. Mathematik wird schön, poetisch, ja magisch und damit ästhetisch erfahrbar. Wenn man so will, bringt sie das Abstrakte mit dem Körperlichen zusammen und das ist etwas, dass unseren exakten Wissenschaften oft abgeht.

Unser Weltverständnis nach Kopernikus ist eben ein mathematisches und die mathematischen Grundlagen der Physik, unserer Welt scheinen uns unveränderbar. Für die Pythagoräer vor 2500 Jahren waren die Zahlen sprichwörtlich Götter und als wir nach und nach die mathematischen Zusammenhänge zwischen den Dingen entdeckten, glaubten wir, die wahre Realität hinter den Phänomenen gefunden zu haben. Philosophen nennen das Platonismus. Ihm zufolge lägen der wahren Realität eine Reihe idealer Formen zugrunde. Heute zeigt sich dieses Erbe in unserem Wissenschaftsverständnis, nach welchem diese exakten Wissenschaften auch die "harten" genannt werden. Mit ihnen wollen wir alles begründen und somit definieren, was passiert, warum wir sind und wie wir sind.

"In der Physik sind die idealen Formen die mathematischen Formeln... und ich liebe Mathematik und glaube fest an ihre Bedeutsamkeit in der Beschreibung vieler Phänomene unserer Welt aber ich weise diesen Platonismus fundamental von mir. Ich denke, dass wir zuallererst verkörperte Wesen sind, mit Geist und Verstand. Die Verkörperung unserer Selbst ist die primäre Realität." (Margaret Wertheim in On Being)

Ich halte diese schöne Feststellung aus allerlei Gründen für wichtig. Denn, wie Wertheim sagt, Schmerz ist real, Zufriedenheit ist real, Emotionalität ist real und das sind die Art und Weisen, wie wir uns selbst erleben. Genauso wie in der Ästhetik, der Liebe, dem Sport oder in der Arbeit. Wir erleben uns nicht als Funktionsbeschreibungen in Raum und Zeit. Forschungsgelder, aber können eher locker gemacht werden, wenn es um "harte Wissenschaft" geht, die eigentlich nur noch ein Ziel hat: Die eine Theorie für alles. Das wäre also die Theorie, die die bisher unvereinbar bleibenden Relativitätstheorie und die Quantenmechanik vereinen kann. Wertheim sagt, dass das zwar ein Problem der Mathematik und Physik sei, nicht jedoch ein Problem der Realität. Das Universum besteht weiter und die Vögel zwitschern. Das Universum ist nicht schizophren, es hat kein Problem. Wir haben ein Problem und zwar, dass wir noch so gut wie gar nichts verstanden haben.



Oder denken wir an die Dualität von Körper und Geist, die uns Descartes, so gut meinend wie niemand sonst, hinterlassen hat. Mit Ende des Mittelalters, während dessen Körper und Seele noch als je unabhängig von einander für die Menschen existierten, versuchte Descartes das Verschwinden des Geistes (durch die aufkommende wissenschaftliche Revolution) zu verhindern, indem er postulierte, dass der Geist (res cogitans) genauso real sei wie der Körper (res extensa). Wertheim scheint uns zu sagen, wir sollten auf diese Fragestellung zurückkommen. Denn was wir aus Descartes gemacht haben, ist der Glaube daran, dass auch der Geist am Ende physikalisch erklärbar sein müsse. Ob das je der Fall sein wird, bleibt fraglich. Jedoch zeigt sich in der täglichen Erfahrung, dass der Geist verkörpert sein muss, denn ansonsten hat er kein Zuhause. Wertheim glaubt an die Korrelation von Körper und Geist, nicht jedoch an die Reduzierbarkeit des Geistes auf die Physik. Und auch hier sehen wir wieder, dass diese Dualität in unserer realen Welt gar kein Problem ist.

Wir lassen uns zu Dualitäten hinreißen, während das Universum ein Ganzes ist, das es zu erfahren gilt. Und wer sehen will, wie Margaret Wertheim mit einem selbst gehäkelten Deckchen die nicht-euklidische Mathematik erklärt, der sollte sich das unten stehende Video ansehen.




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