27. Mai 2018

Warum wir Freude an der Natur empfinden

Und was wir damit tun könnten

"Wir haben vielleicht die Natur verlassen,
aber die Natur hat uns nicht verlassen."
Michael McCarthy

Wenn der Frühling kommt und alles neugeboren wird, erneuert das auch unsere Energien und lädt uns auf mit Freude. Alles wird wieder neugeboren und das ist eine erstaunlich erfreuliche Beobachtung für endliche Wesen wie wir, deren Leben nicht zirkulär wie die natürlichen Jahreszeiten verläuft, sondern eben linear von der Geburt zum Tod.

Ich habe mich schon oft gefragt, warum uns in der Natur eine Art unerklärlicher Freude oder auch Glück und Zufriedenheit überkommen? Stehen wir nicht voller Entzücken auf einem Berg und schauen jubilierenden Herzens runter ins grüne Tal? Versetzt uns nicht der Sternenhimmel in ein freudiges Erstaunen? Haben die rhythmischen Anläufe der Wellen auf den Strand nicht eine beruhigende Magie? Und sind Sonnenuntergänge nicht einfach wie ein großer Frieden, der sich über unsere Seelen legt und sie heilt?


On Being – Interview mit Michael McCarty

Wo kommt diese ästhetisch-emotionale Verbundenheit mit den natürlichen Abläufen her? Warum berührt uns die Natur so und warum sind wir trotz aller Gewalt, die wir so vielen Geschöpfen täglich antun, doch so fasziniert von Tieren? Es ist wie ein Erbe, das tiefer geht als alle Zivilisation. Wir spüren es vielleicht nicht jeden Tag, aber dieses Erbe ist so tief in uns eingeschrieben, dass es sich bei jedem Waldspaziergang wieder meldet, unseren Stress abbaut und die Stimmung hebt.

Die Liebe zur Natur als Erbe in uns

Der britische Autor Michael McCarthy hat in seinem Buch The Moth Snowstorm: Nature and Joy eine Erklärung für die manchmal überwältigende Kraft dieses Erbes formuliert: Wir haben ungefähr 500 Generationen der menschlichen Zivilisation hinter uns und wir haben rund 55000 Generationen als Teil der Tierwelt hinter uns. Die Evolutionspsychologie, auf die sich McCarthy hier beruft, vertritt die nachvollziehbare These, dass eben diese 55000 Generationen (oder über eine Millionen Jahre) unsere Psychen weit mehr geprägt haben, als die rund 12000 Jahre, die sich dann als Zivilisation bis heute anschließen. Aus dieser Zeit, als wir ein Teil der Tierwelt (und auch der Nahrungskette) waren, bringen wir Instinkte, Affekte und vererbte Gefühle mit. So kann man heute immer noch sehen, dass wir uns intuitiv auf eine Art und Weise bewegen, durch die wir möglichst viel sehen, aber möglichst wenig gesehen werden. Als Beispiel: Wenn wir über einen leeren Platz oder eine Lichtung gehen, bewegen wir uns häufig am Rand entlang und würden instinktiv nicht über die freie Fläche in der Mitte laufen. Auf die Art stellen wir sicher, dass wir möglichst viel sehen und wenig gesehen werden. Auch unsere Flucht-oder-Kampf-Reaktion, wenn wir Stress oder verbalen Angriffen ausgesetzt sind, stammt aus dieser vorzivilisatorischen Zeit und fällt uns heute eigentlich eher auf die Füße, anstatt uns zu helfen. So, wie wir positive Gefühle gegenüber der Natur geerbt haben, haben wir eben auch solche Affekte aus der Natur in uns, denn die Natur war nicht nur schön, sondern meistens auch ein gefährlicher Ort.

Der blinde Fleck des humanistischen Fortschritts

In den letzten 100 Jahren, hat sich die Menschheit verdoppelt, die Wirtschaft wuchs um den Faktor 6 und die Messungen des Entomologischen Vereins Krefeld zeigen, dass sich in Deutschland die Biomasse von Insekten innerhalb der letzten 40 Jahre um 70 bis 80% verringert hat. Das ist dramatisch, aber was machen solche Statistiken in unseren Köpfen? Für manche ist das in Zahlen gar nicht greifbar, für andere ist es eben ein Messfaktor, aber nichts, das uns gefühlsmäßig stark berührt. Aber was ist, wenn keine Blumen mehr blühen, weil die Insekten nicht mehr ausreichen, sie zu bestäuben? Was ist, wenn im Frühling keine Vögel mehr zwitschern, weil sie ohne die Insekten nicht genug Nahrung finden? Was ist, wenn wir auf unseren Wiesen und an unseren Gewässern keine schönen Libellen und bunten Schmetterlinge mehr sehen?

Der säkular-liberale Humanismus, dem wir unseren menschlichen Fortschritt zu verdanken haben, war eine gute Sache, er verhalf uns zu Menschenrechten, breitem Wohlstand und überwiegender Gesundheit. In seiner Tradition stehen wir und treiben zumindest den technischen Fortschritt immer weiter. Was ihm aber fehlt, ist dieser Blick für die Ästhetik der Natur. Was ihm fehlt, ist die Anerkennung von Natur- und Tierrechten. Was ihm fehlt, ist die Einsicht, dass die Menschheit nicht insich selbst gut ist, sondern auch sehr zerstörerisch. Was ihm fehlt, ist die Erkenntnis, dass aller menschliche Fortschritt nichts ist, ohne die Natur als tragender Rahmen der Menschheit.

"Wir haben vielleicht die Natur verlassen, aber die Natur hat uns nicht verlassen." Das ist der entscheidende Satz von McCarthy, denn in ihm steckt so etwas wie Hoffnung. Eine Hoffnung darauf, dass wir der Liebe zur Natur, die wir als naturgeschichtliches Erbe in uns tragen, nicht nur individuell auf Spaziergängen oder bildhaft in Fotografien, Büchern und Filmen Ausdruck verleihen, sondern dass wir diese Liebe verwandeln in gesellschaftliches Handeln. Das hieße letztlich, dass wir diese Liebe auch globalpolitisch in Gesetze verwandeln, die die Natur besser schützen. Unsere Liebe zur Natur, unsere Trauer über ihre Verwüstung und ihr Verschwinden muss dazu aber aus den Tiefen unserer Seelen hochgeholt werden, damit wir sie uns auf die Fahnen schreiben und danach handeln können. Das gezielte Erkennen des Schönen und die Wahrnehmung seines Schwindens sind Voraussetzung für solch ein politisches Bewusstsein von Natur.



Das passt dazu:

8 Kommentare:

  1. In den Tiefen unserer Seelen war noch niemals die Natur als Liebesobjekt, denke ich.
    Diese hier geforderte und gewünschte Sensibilität kann wohl nur durch einzuübende Achtsamkeit erworben werden. Der Mensch müsste lernen zu horchen und zu fühlen und dann kämen die Handlungen, die nötig wären, von selbst.

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  2. Spricht mir aus der Seele, der Artikel!

    @Gerhard: etwas Selbstverständliches wird in aller Regel nicht geliebt - und während der erwähnten 55000 Generationen lebten wir selbstverständlich in einer natürlichen Umwelt.

    Ich denke, man muss unterscheiden zwischen

    -> der "Naturliebe" von Städtern, die aus einem unbewussten Entzugsgefühl kommt, die Natur dann aber ästhetisiert, idealisiert, nur das "Schöne" zur Kenntnis nimmt und als schützenswert ansieht.

    -> und dieser tief sitzenden Verbundenheit, die einfach immer noch da ist, weil wir eben auch "Natur" sind und etwas in uns aufatmet, wenn ein Schimmer von "Heimkehr" erlebt wird: z.B. der Hang vieler, am Strand rumzuhängen, die Entspannung bei Waldspaziergängen, das unabweisbar gute Gefühl in einer stark begrünten Straße im Vergleich zu einer Straße ohne jedes Grün.

    Ich erlebe das immer, wenn ich in den Garten komme. Allein schon das Rumlaufen auf Erde und Graspfaden im Vergleich zum häuslichen Dielenboden und städtischen Gehsteig - das gibt so ein unbeschreibliches Empfinden von "eigentlicher Normalität" - mein ganzer Körper inkl. Psyche scheint das toll zu finden. OBWOHL es stechende Insekten gibt und dornige Ausläufer von Pflanzen, auf die ich besser nicht trete!

    Dieses Letztere ist der Aspekt, der Menschen zum Kampf gegen die Natur motiviert. Natur ignoriert unsere Interessen, also müssen wir sie auch immer mal bekämpfen. Sogar in einem naturnahen Garten und mit liebevollem Interesse an allem, was da lebt und west, muss man doch Grenzen setzen, Kulturpflanzen verteidigen, seinen eigenen Platz und die eigenen Interessen behaupten, anstatt alles laufen zu lassen wie es will.

    In diesem Beginnen sind wir über das Ziel hinaus geschossen - bzw. es scheint gar kein stabiles Ziel zu geben, in dem Mensch & Natur spannungsfrei existieren. Wir sind verantwortlich für das 6.große Artensterben - die ersten 5 fanden ohne uns statt und auch nach diesem wird es für die Natur weiter gehen. Schließlich hat der Planet noch ein paar Milliarden Jahre Zeit. Ob wir allerdings die nächsten paar tausen Jahre überleben, ist fraglich, wenn wir so weiter machen!

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  3. @Claudia, gerodet in großem Maßstab wurde auch schon vor tausend Jahren (erinnere mich an einem Max Planck-Artikel), nur hatten diese Interventionen nicht planetenweite Bedeutung. Die Eingriffe, die seit ein, zwei Jahrhunderten passieren, haben eine Massivität erlangt, daß es leicht fällt, an ein Ende der Menschheit zu glauben. Irgendwie aber glaube ich nicht daran, noch können wir es wohl richten!

    Die Sensibilität gegenüber das, was die Menschen anrichten, ist definitiv grösser geworden. So mein Eindruck.
    Ich weiß nicht, in welchen Zeiträumen wir rechnen müssen. Braucht es Jahrzehnte oder Jahrhunderte, bis sich die Dinge entscheidend zum Besseren bewegen?
    Gerade in den letzten Wochen auch über die Co-Existenz verschiedener Ethnien gelesen/nachgedacht. Das ist ein völlig anderes Thema, aber in diesem ebenso wichtigen Thema sind Jahrhunderte an Entwicklung "nichts". Noch immer treten wir hier auf der Stelle. Dennoch gibt es keine andere Maxime, als dran zu bleiben.

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  4. Soweit ich weiß sind alle Orte mit "-rath" am Ende durch Rodung von Waldflächen entstanden.

    Die Sehnsucht nach Natur gibt es wohl in der Form nur, weil wir eben im Rahmen unserer Kultur eine alternative Umwelt erschaffen haben.

    Die Menschen die sehr ursprünglich und direkt in und mit der Natur leben (Urvölker, Eingeborene, etc.) würden es wohl nie so romantisieren wie wir in den Industrieländern, weil Sie diesen krassen Unterschied und das Spannungsverhältnis so gar nicht kennen.

    "Natürliche Natur" gibt es doch kaum noch. Der Mensch hat überall seinen Einfluss. Aber der Mensch ist ja eben auch ein Teil dieser Natur. Daher ist Kultur ja eigentlich auch eine Teil der Natur ... so klar abgrenzen kann man das daher eigentlich gar nicht.

    Diesen Aspekt mit 500 zu 55000 Generationen finde ich aber hochinteressant und irgendwie einleuchtend. Seht lesenswerter Beitrag!

    Mir geht es genau wie Claudia: tief sitzende Verbundenheit usw :)

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  5. @Gast: Du sagst: "Natürliche Natur" gibt es doch kaum noch.
    Selbst ein mächtiger Urwald (der brasilianische ?!), so meine Erinnerung, ist in der Art der Bäume, die da zu finden sind, Menschenwwerk. Also auch da griff vor Urzeiten der Mensch ein. Durchaus sind Menscheneingriffe in der "Urzeit" so groß gewesen, daß auf einer gewaltigen Strecke Natur verändert wurde.

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    1. Ja, ich denke auch das sog. Anthropozän früher anfängt als bewusst.

      So sehr ich auf der Gefühlsebene von einer (vom Menschen) unberührten Natur fasziniert bin so sehr erkennt man irgendwann auch wie romantisch naiv das teilweise ist. So wie jedes andere Lebenwesen auf diesem Planteten beanspruchen wir eben unsern Lebensraum. Derzeit eben nur auf eine absurde, geradezu virulente/parasitäre Art und Weise. Ganz damit aufhören können wir aber gar nicht. Das ist meiner Ansicht nach immer der Fehler im denken an so eine "absolute Moral" ... ethisch, moralisch, ökologisch ... Natur & Umweltschutz eher als Selbstschutz zu begreifen wäre mal ein Fortschritt. Nachhaltigkeit im wortwörtlichen Sinne. Suffizienz & Subsistenz usw

      So wie eben Mahatma Gandhi „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“



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  6. @Gast: darf ich dich abseits vom Thema was fragen? Dein Link führt zu eine, Profil, auf dem steht

    "Profil nicht verfügbar. Das von dir angeforderte Blogger-Profil kann nicht angezeigt werden. Viele Blogger-Nutzer haben dein Profil noch nicht öffentlich freigegeben"

    Frage: Warum trägst du dieses nicht vorhandene / nicht öffentliche Profil beim Namenslink dann überhaupt ein? Macht doch Schreibarbeit - aber ganz nutzlos, denn niemand erfährt so mehr über dich, findet Quellen, wo du sonst noch schreibst. Wofür der Namenslink ja eigentlich da ist.

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    1. Natürlich darfst Du Claudia! :)

      Habe mich damit noch gar nicht beschäftigt und irgendwann einfach solange herumgeklickt bis ich eben Kommentare schreiben konnte, da dieser Blog hier eigentlich der einzige ist den ich besuche lese und gelegentlich kommentiere. Abgesehen davon bin ich ein konsequenter Totalverweigerer von sämtlichen sozialen Netzwerken (Facebook, Twitter, etc.). Nutze nichts davon und will mich, ehrlich gesagt, auch gar nicht in irgendeiner Form (selbst-)darstellen. Insbesondere nicht online/virtuell, da dies überwiegend nur Vorurteile und Fehlinterpretationen erzeugt.

      Im Psychologieforum bin ich manchmal aktiv unter "Taedium vitae"

      gruß

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